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Zur Reichweite des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG: Unzulässigkeit eines Kontrahierungsgebotes

THOMASMATHY (INNSBRUCK)
  1. Der Ermächtigungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG umfasst nach seinem klaren Wortlaut nicht die Statuierung einer Kontrahierungspflicht auf einzelvertraglicher Ebene. Eine andere Auslegung stünde nicht in Einklang mit dem Grundsatz, dass die Betriebsvereinbarungsparteien grundsätzlich nicht befugt sind, Abschlussnormen zu statuieren.

  2. Gibt nicht nur der AG, sondern auch die Gesamtheit der AN durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen, dass sie sich an die Bestimmung einer unzulässigen BV halten wollen, dann besteht kein Grund, an ihrer schlüssigen Unterwerfung unter die dort getroffenen Vereinbarungen und damit an einer entsprechenden Ergänzung der Einzelarbeitsverträge zu zweifeln.

[1] Die Kl ist seit 1.9.2004 bei der Bekl als Angestellte beschäftigt.

[2] Die Bekl und deren BR schlossen am 6.2.2020 eine BV mit Datum des Inkrafttretens am 1.7.2010 ab. Diese lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 19 Erweiterter Kündigungsschutz19.1. Nach 10 Dienstjahren gebührt der/dem AN der erweiterte Kündigungsschutz. Dieser wird von der GF (Anm: Geschäftsführung der Bekl) als Zusatz zum Arbeitsvertrag schriftlich verankert.19.2. Die Kündigung eines/einer AN, dem/der der erweiterte Kündigungsschutz zuerkannt wurde, darf nur aus einem der nachstehend angeführten Gründen erfolgen, nämlich wenn
  • die * (Anm: Bekl) im Falle einer dauernden Einstellung oder Einschränkung des Betriebes dem zuständigen Gremium den Nachweis erbringt, dass es die/den betroffene/n AN trotz seines/ihres Verlangens an einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb ohne erheblichen Schaden nicht weiter beschäftigen kann,
  • der/die AN unfähig wird, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zu leisten, sofern in absehbarer Zeit eine Wiederherstellung seiner/ihrer Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten ist und der Partei die Weiterbeschäftigung oder die Erbringung einer anderen Dienstleistung durch den Angestellten/die Angestellte, zu deren Verrichtung sich dieser/diese bereit zu erklären hat, nicht zugemutet werden kann,
  • nach eingehender Prüfung und unter Beiziehung von Fachpersonen und in Abklärung mit allen zuständigen Gremien und dem BR eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist.“

[3] Seit dem 6.2.2020 kam es bei der Bekl zu keiner Kündigung, bei welcher der gekündigte AN der BV unterfallen wäre.

[4] Die Kl begehrt gegenüber der Bekl, als Zusatz zum zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag vom 17.10.2008 die im Spruch der Entscheidung ersichtliche unbedingte, rechtsgeschäftliche Willenserklärung schriftlich und von ihr unterfertigt abzugeben. Dazu brachte die Kl vor, dass sie aufgrund der BV einen Rechtsanspruch auf Ausstellung dieses schriftlichen Zusatzes zum Arbeitsvertrag habe. Sollte es sich um eine freie BV handeln, sei die Regelung ausdrücklich und konkludent zum Inhalt ihres Arbeitsvertrags geworden.

[5] Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Normierung eines erweiterten Kündigungsschutzes nicht vom Ermächtigungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG umfasst sei. Eine einzelvertragliche Implementierung in den Arbeitsvertrag habe nicht stattgefunden. Der erweiterte Kündigungsschutz sei nie gelebt worden. [...]

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. [...]

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge. [...]

[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision [...] zu [...].

[...]

[11] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

[12] In ihrer Revision bestreitet die Bekl zum einen, dass die BV vom Kompetenztatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG umfasst sei. Zum anderen erachtet sie die gesamte Bestimmung des § 19.1 der BV für nichtig und sittenwidrig und folgert daraus, dass aus einer nichtigen Regelung auch kein Rechtsanspruch abgeleitet werden könne, diese in einem Dienstvertrag zu verankern.

Dazu hat der OGH erwogen:

[13] [...]

[14] 2. § 19 Abs 1 Satz 2 der BV sieht vor, dass der erweiterte Kündigungsschutz von der Geschäftsführung als Zusatz zum Arbeitsvertrag schriftlich verankert wird. Darauf stützt auch die Kl ihr Klagebegehren auf Abgabe einer entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willenserklärung. [...]

[15] 3. Betriebsvereinbarungen können nur in Angelegenheiten abgeschlossen werden, deren Regelung durch Gesetz oder KollV der BV vorbehalten ist (§ 29 ArbVG). Die Kl stützt ihren Anspruch auf einzelvertragliche Ergänzung des erweiterten Kündigungsschutzes iSd § 19 der BV erkennbar [...] auf § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG. Nach dieser Bestimmung können Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten der „Kündigungsfristen und Gründe zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ abgeschlossen werden. Diese Ermächtigung betrifft die Schaffung von Inhaltsnormen, also von Bestimmungen, die den typischen Inhalt des Arbeitsvertrags, die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der AG und AN, betreffen (vgl Reissner in ZellKomm3 § 31 ArbVG Rz 14). Inhaltsnormen entfalten gem § 31 Abs 1 ArbVG Normwirkung. [...] Die Normwirkung setzt allerdings voraus, dass sich die BV im Rahmen ihrer gesetzlichen oder kollektivvertraglich eingeräumten Regelungsbefugnisse bewegt und gehörig kundgemacht ist.

[16] 4. Der Ermächtigungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG umfasst nach seinem klaren Wortlaut 467 aber nicht die Statuierung einer Kontrahierungspflicht auf einzelvertraglicher Ebene, wie sie § 19 Abs 1 Satz 2 der BV vorsieht. Eine andere (ergänzende) Auslegung des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG stünde auch mit dem Grundsatz nicht in Einklang, dass die Betriebsvereinbarungsparteien grundsätzlich nicht befugt sind, sogenannte Abschlussnormen, also Normen betreffend das Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen zu statuieren (Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 31 ArbVG Rz 17; Reissner/Neumayr in Reissner/Neumayr [Hrsg], ZellHB BV Allgemeiner Teil Rz 0.54; Anzenberger in Reissner/Neumayr [Hrsg], ZellHB BV Besonderer Teil Rz 12.71; Kietaibl in Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz5 § 31 ArbVG Rz 44; Maier, Restrukturierungen und Arbeitsrecht2 Rz 6.81; Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 3/250).

[17] 5. Auch in der E 8 ObA 136/01k wurde die in einer BV verankerte Gewährung eines Treuebriefs als unzulässige [unechte] BV iSd § 97 ArbVG qualifiziert.

[18] 6. Der Verweis des Berufungsgerichts auf den Ermächtigungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 1a ArbVG betrifft „Grundsätze der betrieblichen Beschäftigung von Arbeitnehmern, die im Rahmen einer Arbeitskräfteüberlassung tätig sind“. Die Entscheidungen 8 ObA 108/06z und 8 ObA 54/11s, auf die das Berufungsgericht zur Begründung der Zulässigkeit der Verankerung eines Kontrahierungsgebots in einer BV verweist, betreffen ebenfalls diesen Ermächtigungstatbestand. In 8 ObA 54/11s hat der OGH unter Hinweis auf 8 ObA 108/06z ausgesprochen, dass nicht nur die Bestimmung des zahlenmäßigen Verhältnisses überlassener Arbeitskräfte zum Stammpersonal, sondern ua auch die Verpflichtung des Beschäftigers, den bisherigen Leih-AN unter bestimmten Voraussetzungen die Übernahme in ein Dienstverhältnis anzubieten, zum zulässigen Inhalt einer Grundsatz-BV gem § 97 Abs 1 Z 1a ArbVG zählt. Diese Entscheidungen betreffen den Sonderfall der Arbeitskräfteüberlassung und stellen eine Ausnahmeregelung zum grundsätzlichen Verbot, Abschluss normen in Betriebsvereinbarungen zu statuieren, dar. In der Lehre wird als Ausnahme von diesem Verbot auch die Festlegung einer Wiedereinstellungszusage in einem Sozialplan gesehen (Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 36 § 97 ArbVG Rz 78; Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 31 ArbVG Rz 17; Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 11/273 ua). Auch hier ist – anders als in § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG – der entsprechende Ermächtigungstatbestand allgemein formuliert. [...]

[19] 7.1. Jener Teil der BV, der die schriftliche Verankerung des erweiterten Kündigungsschutzes als Zusatz zum Arbeitsvertrag vorsieht (§ 19 Abs 1 Satz 2 der BV) stellt daher einen unzulässigen Regelungsgegenstand dar und ist daher nichtig (vgl RS0050981 [T12]). Demgemäß könnte diese Verpflichtung zur schriftlichen Verankerung des erweiterten Kündigungsschutzes als Zusatz zum Arbeitsvertrag, wenn überhaupt, nur auf einer unzulässigen, sogenannten freien BV beruhen. Freie Betriebsvereinbarungen und deren Inhalt können aber lediglich Grundlage der einzelvertraglichen Regelung sein (9 ObA 314/99p mwN). Darauf stützt sich (eventualiter) auch die Kl.

[20] 7.2. Die Rechtswirkungen unzulässiger Betriebsvereinbarungen bestimmen sich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (RS0050981 [T12]). Die Rsp sieht solche Betriebsvereinbarungen als Vertragsschablonen an, deren Inhalt ausdrücklich oder schlüssig zu einer Änderung bzw Ergänzung des Einzelvertrags führen kann. [...] Im Einzelnen kommt es für die Beurteilung der einzelvertraglichen Rechtswirksamkeit einer unzulässigen BV vor allem auf den Wissensstand der Arbeitsvertragsparteien und den Inhalt der unzulässigen BV an. Maßgebend ist, dass die Arbeitsvertragsparteien vom Abschluss und vom Inhalt der unzulässigen BV Kenntnis hatten und (zumindest) schlüssig zu erkennen geben, sich dennoch an die Regelungen halten zu wollen (8 ObA 59/17k Pkt 3.1 mwN). Gibt nicht nur der AG, sondern auch die Gesamtheit der AN durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen, dass sie sich an die Bestimmung einer unzulässigen BV halten wolle, dann besteht kein Grund, an ihrer schlüssigen Unterwerfung unter die dort getroffenen Vereinbarungen und damit an einer entsprechenden Ergänzung der Einzelarbeitsverträge zu zweifeln (RS0018115).

[21] 7.3. Im vorliegenden Fall liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Betriebsvereinbarungsparteien zumindest schlüssig zu erkennen gegeben haben, dass sie sich an den unzulässigen Teil der BV (§ 19 Abs 1 Satz 2 der BV) halten wollten. Dem festgestellten Sachverhalt ist weiters nicht zu entnehmen, dass der AG und die Gesamtheit der AN durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben haben, dass sie sich an die Bestimmung des unzulässigen Teils der BV halten wollen. Auch steht fest, dass es bislang bei der Bekl zu keiner Kündigung gekommen ist, bei welcher der gekündigte AN der BV unterfallen wäre. Das Argument der Kl in ihrer Revisionsbeantwortung, die Bekl habe im Vorfeld der Klage das Bestehen des in der BV festgelegten erweiterten Kündigungsschutzes nicht bestritten, zielt alleine auf die Frage ab, ob dieser Teil der BV schlüssig zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge der AN der Bekl geworden ist. Damit ist aber nichts für die Beurteilung des § 19 Abs 1 Satz 2 der BV zu gewinnen.

[22] 8. Da die Kl daher mangels Rechtsgrundlage keinen Anspruch auf Ausstellung des mit der Klage begehrten schriftlichen Zusatzes zum Arbeitsvertrag hat, musste auf die Rechtsfrage, ob die Festlegung eines erweiterten Kündigungsschutzes in einer BV vom Kompetenztatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG umfasst ist, nicht mehr eingegangen werden.

[23] Der Revision der Bekl ist daher Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Den Gegenstand der vorliegenden E bildet die Regelung eines erweiterten Kündigungsschutzes 468 in einer als BV bezeichneten Abmachung: Eine Kündigung sollte nach Zurücklegung von zehn Dienstjahren nur mehr aus abschließend aufgezählten Gründen erfolgen können. Allerdings war auch vorgesehen, dass dieser Kündigungsschutz nicht unmittelbar aufgrund der BV zur Anwendung gelangen, sondern als Ergänzung zum Arbeitsvertrag zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart werden sollte. Die Kl erfüllte unstrittig die aufgestellten Voraussetzungen für den erweiterten Kündigungsschutz und verlangte die Ergänzung ihres Arbeitsvertrages. Anders als die Vorinstanzen, welche diese Regelungen als zulässigen Inhalt einer BV iSd § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG qualifiziert hatten, fehlte es nach Auffassung des OGH an einer hinreichenden Kompetenz der Betriebsvereinbarungsparteien. Zudem widersprach das Höchstgericht auch dem Rechtsstandpunkt der Kl, die für den Fall, dass die streitgegenständliche Regelung die Rechtssetzungsmacht der Betriebsvereinbarungsparteien überschreite, ihren Anspruch darauf stützte, dass die als BV unzulässige Abmachung Eingang in ihren Arbeitsvertrag gefunden habe. Wenngleich sich das Ergebnis, dass der Kl kein Anspruch auf Ergänzung ihres Arbeitsvertrages zukommt, als zutreffend erweist, muss der Begründung des OGH in allen wesentlichen Punkten widersprochen werden.

2.
Zur Regelungsbefugnis gem § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG
2.1.
Die Vorjudikatur zu „Treuebriefen“

Der OGH qualifiziert die streitgegenständliche Regelung, welche einen Anspruch auf einzelvertragliche Ergänzung des Arbeitsvertrages um einen erweiterten Kündigungsschutz vorsieht, als nicht durch § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG gedeckt. Der dabei erweckte Anschein, dass dies ohnehin im Einklang mit der Vorjudikatur stehe (Rz 17), erweist sich freilich als irreführend: In der E des OGHzu 8 ObA 136/01k vom 18.4.2002 war eine Abrede zwischen Betriebsinhaber (BI) und Belegschaftsorgan zu beurteilen, welche die Verleihung von „Treuebriefen“ (maW: eines einzelvertraglichen Kündigungsschutzes) zum Gegenstand hatte. Zwar trifft es zu, dass diese Abmachung als unzulässige BV qualifiziert wurde. Die damals zu beurteilende Abrede sah jedoch vor, dass der erweiterte Kündigungsschutz zusätzlich zur Erfüllung eines bestimmten Mindestalters sowie einer bestimmten Mindestbeschäftigungsdauer nur aufgrund eines „Beschluss[es] des Vorstandes im Einvernehmen mit dem Betriebsrat“ zuzuerkennen war. Dem BR sollte damit ein vom ArbVG nicht vorgesehenes Mitwirkungsrecht im jeweiligen Einzelfall eingeräumt werden. Aufgrund des nach hA absolut zwingenden Charakters des ArbVG im Allgemeinen und der Befugnisse des BR im Besonderen (Jabornegg, Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht, in FS Strasser [1983] 367 [insb 379 ff]) überschreitet eine solche Regelung jedenfalls den zulässigen Inhalt einer BV. Eine derartige Erweiterung der Befugnisse des BR ist der streitgegenständlichen Regelung allerdings fremd: Sie stellt allein auf die Erfüllung einer Mindestbeschäftigungsdauer ab. Dieser grundlegende Unterschied verbietet es, die in der E des OGH zu 8 ObA 136/01k erfolgte Beurteilung der Abrede als unzulässige BV unbesehen auf die streitgegenständliche Regelung zu übertragen. Das erkennt auch der OGH, der sein Ergebnis weniger auf seine Vorjudikatur stützt, sondern vielmehr mit zwei aus Wortlaut und Systematik abgeleiteten Argumenten begründet.

2.2.
Der „klare Wortlaut“ des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG?

Als wesentliches Argument für seine Auffassung führt der OGH zunächst den „klaren Wortlaut“ des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG ins Treffen (Rz 16). Daran ist richtig, dass der Wortlaut stets den Ausgangspunkt für die Interpretation einer Norm bildet. Soweit die Berufung auf den vermeintlich „klaren Wortlaut“ allerdings suggerieren soll, dass die grammatikalische Interpretation die Anwendung weiterer Auslegungsmethoden obsolet mache, kann dem nicht gefolgt werden: Erst nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden steht fest, ob Sinn und Zweck der Norm im gewählten Wortlaut auch den passenden Ausdruck gefunden haben (Strasser, Rechtsdogmatik, Rechtstheorie und juristische Methodologie,

). Gerade dies ist bei § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG jedoch nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat diese Bestimmung in mehrerlei Hinsicht zu eng gefasst: Während sich der Wortlaut lediglich auf Kündigungsfristen sowie die Gründe zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses bezieht, erstreckt sich die Regelungsbefugnis der Betriebsvereinbarungsparteien nach einhelliger Auffassung im Schrifttum auch auf Kündigungstermine und Kündigungsgründe (Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-HK [1975] 574; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 97 ArbVG Rz 103 mwN); Gleiches gilt nach überwiegender Auffassung auch für Formvorschriften (Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht § 97 Rz 178 [arbvg.oegbverlag.atarbvg.oegbverlag.at, Stand 1.7.2023] mwN; aA Binder in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 97 Rz 369 [11. Lfg, 2013]). Es ist daher zu konstatieren: Der Wortlaut des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG ist alles andere als klar. Dieser verlangt vielmehr nach einer korrigierenden Interpretation. Dementsprechend kommt bei der Auslegung des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG dem Umstand nur geringes Gewicht zu, dass dessen Wortlaut nicht explizit die Möglichkeit eines Kontrahierungsgebotes vorsieht.

2.3.
Grundsätzliche Unzulässigkeit von Abschlussnormen in Betriebsvereinbarungen?

Vor dem Hintergrund, dass der Wortlaut des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG nur sehr eingeschränkt zur Ermittlung der Reichweite dieses Tatbestandes beiträgt, erweist es sich als umso bedeutender, dass sich der OGH auch auf ein der Systematik des ArbVG entnommenes Argument stützt: Es stehe im Widerspruch zum Grundsatz, dass die 469 Betriebsvereinbarungsparteien nicht befugt sind, Abschlussnormen zu statuieren, wenn eine BV einen Anspruch auf Gewährung eines einzelvertraglichen Kündigungsschutzes einräumen könnte (Rz 16). Letztlich muss aber auch dieser Aussage widersprochen werden. Nicht nur, dass sich die Prämisse als zweifelhaft erweist, vielmehr kann auch der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung für den vorliegenden Fall nicht beigetreten werden.

Zu Recht weist der OGH zunächst darauf hin, dass § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG auf die Schaffung von Inhaltsnormen abzielt (Rz 15). Als solche ist aber auch die streitgegenständliche Regelung zu qualifizieren: Diese sieht die Einräumung eines einzelvertraglichen Kündigungsschutzes als Belohnung für langjährige Betriebstreue vor. Einer diesbezüglichen AG-Verpflichtung soll ein korrespondierender AN-Anspruch gegenüberstehen. MaW: Es sollen in Bezug auf ein bestehendes Arbeitsverhältnis Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien geschaffen werden. Eine Abschlussnorm kann darin gewiss nicht erkannt werden (kritisch auch Eypeltauer, Kündigungsschutz druch BV? ecolex 2024/197, 342), zumal die streitgegenständliche Klausel in keiner Weise das Zustandekommen eines Arbeitsvertrages regeln will (vgl zur unzutreffenden Qualifikation einer Verlängerung von Saisonarbeitsverhältnissen als Abschlussnorm VwGH2004/08/0065 VwSlg 17.062 A/2006; richtig dagegen Mosler/Felten in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht § 2 Rz 56 [arbvg.oegbverlag.atarbvg.oegbverlag.at, Stand 1.7.2023]). In Anbetracht dessen bleibt letztlich im Dunkeln, worin der vom OGH geortete Widerspruch zur grundsätzlichen Unzulässigkeit von Abschlussnormen in Betriebsvereinbarungen eigentlich liegen soll. Dieser Frage müsste jedoch nur dann nachgegangen werden, wenn sich die Prämisse als zutreffend erweisen würde, dass Abschlussnormen grundsätzlich nicht Gegenstand einer BV sein können. Dies ist aber nicht der Fall. Zwar kann sich der OGH zum Nachweis der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Abschlussnormen in Betriebsvereinbarungen auf eine verbreitete Auffassung im Schrifttum berufen (Rz 16). In weiterer Folge wird dieser Grundsatz allerdings „nur“ aus Ausnahmen abgeleitet, welche die vermeintliche Regel bestätigen sollen (Rz 18): Es wird auf die bloß „ausnahmsweise“ Zulässigkeit eines Kontrahierungsgebotes in Bezug auf überlassene AN aufgrund einer BV gem § 97 Abs 1 Z 1a ArbVG sowie einer Wiedereinstellungsklausel in einem Sozialplan gem § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG verwiesen. Dabei stellt sich diese Aufzählung von „Ausnahmen“ nicht nur als unvollständig dar, vielmehr vermengt sie auch die Frage, ob das Zustandekommen von Arbeitsverträgen zulässiger Inhalt einer BV sein kann, mit jener, ob solchen (zulässigen) Betriebsvereinbarungsklauseln auch normative Wirkung zukommt.

Der vermeintliche Grundsatz, dass Abschlussnormen in Betriebsvereinbarungen unzulässig sind, lässt sich wohl darauf zurückführen, dass sich die Rechtssetzungsbefugnis der Betriebsvereinbarungen typischerweise auf AN iSd § 36 ArbVG bezieht (vgl Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-HK 539; Pfeil in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht § 31 Rz 32 [arbvg.oegbverlag.atarbvg.oegbverlag.at, Stand 1.7.2023]), also auf Personen, die bereits im Betrieb beschäftigt sind. Auch wenn ein gültiger Arbeitsvertrag dafür keine Voraussetzung ist (Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 [2001] 281 f), liegt ein solcher im Regelfall vor. Insofern scheint vordergründig nur wenig Bedarf an Regelungen zu bestehen, die das Zustandekommen von Arbeitsverträgen betreffen. Die Reichweite mancher Betriebsvereinbarungstatbestände geht allerdings über den AN-Begriff des § 36 ArbVG hinaus (eingehend Geist, Zur Geltung von Betriebsvereinbarungen für Nicht-ArbeitnehmerInnen, in Felten/Trost [Hrsg], 50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Johannes Kepler Universität Linz [2017] 37 ff). Das betrifft zum einen Stellenwerber: Nicht nur, dass gem § 96 Abs 1 Z 2 ArbVG qualifizierte Personalfragebögen (auch) für Stellenwerber der vorherigen Zustimmung des BR in Form einer BV bedürfen (Jabornegg in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 96 Rz 100 [28. Lfg, 2013]); vielmehr kann gem § 92b Abs 3 iVm § 97 Abs 1 Z 25 ArbVG in einem Frauenförderplan auch eine „Genderquote“ für Einstellungen festgelegt werden (AB 1115 BlgNR 20. GP 2; ausführlich Naderhirn, Genderaspekte im kollektiven Arbeitsrecht, in Felten/Trost [Hrsg], 50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Johannes Kepler Universität Linz [2017] 97 [105 ff]). Zum anderen erfassen manche Betriebsvereinbarungstatbestände auch ehemalige AN (zB Wiedereinstellungsklauseln gem § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG, strittig bezüglich betrieblicher Pensions- und Ruhegeldleistungen gem § 97 Abs 1 Z 18 ArbVG). Vor diesem Hintergrund bildet das Zustandekommen von Arbeitsverträgen unter zwei Voraussetzungen einen zulässigen Betriebsvereinbarungsgegenstand: Zum einen muss sich der jeweilige Betriebsvereinbarungstatbestand (auch) auf Personen beziehen, die entweder nicht als AN iSd § 36 ArbVG zu qualifizieren sind (Stellenwerber, ehemalige AN) oder zwar AN iSd § 36 ArbVG sind, jedoch – wie zB überlassene AN – nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages tätig werden. Zum anderen muss auch die inhaltliche Reichweite des Tatbestandes so weit umschrieben sein, dass auch das Zustandekommen des Arbeitsvertrages darin Deckung findet.

Sofern sich das Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen als zulässiger Betriebsvereinbarungsgegenstand erweist, gilt es in weiterer Folge zu klären, ob derartigen Betriebsvereinbarungsbestimmungen auch normative Wirkung zukommt, es sich also um Abschlussnormen im eigentlichen Sinn handelt. Das ist letztlich eine Frage der Auslegung im Einzelfall: Der OGH verortet bspw ein Kontrahierungsgebot mit überlassenen AN – entgegen des in Rz 18 vermittelten Eindrucks – im schuldrechtlichen Teil der BV (OGH8 ObA 54/11s ZAS 2013, 189 [Körber-Risak]; dazu Jabornegg in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 97 Rz 103 f [38. Lfg, 2016]); Gleiches wird mit beachtlichen Argumenten für Genderquoten in Frauenförderplänen vertreten (Naderhirn in Felten/Trost [Hrsg], 50 Jahre ARSO 110 ff). Normative Wirkung entfalten 470 jedoch Wiedereinstellungsklauseln in Sozialplänen (Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht § 97 Rz 78 [arbvg.oegbverlag.atarbvg.oegbverlag.at, Stand 1.7.2023] mwN); nichts anderes kann hinsichtlich qualifizierter Personalfragebögen für Stellenwerber gelten. Die Rechtsstellung der Stellenwerber divergiert in Bezug auf das „Recht auf Lüge“ je nachdem, ob qualifizierte Fragen durch eine BV gedeckt sind oder nicht; damit wirkt eine BV gem § 96 Abs 1 Z 2 ArbVG unmittelbar auf das vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen BI/AG und Stellwerber ein (Geist in Felten/Trost [Hrsg], 50 Jahre ARSO 46 f; vgl demgegenüber Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 96 ArbVG Rz 16 mwN der hA).

2.4.
Widerspruch zur Normwirkung der BV

Der entscheidende Gesichtspunkt, welcher zur Qualifikation der streitgegenständlichen Regelung als unzulässige BV führt, liegt nicht im Wortlaut des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG begründet. Das zeigt sich schon daran, dass sich dieser nahezu unverändert bereits in § 22 lit j KollVG 1947 (BGBl 1947/76), § 88a GewO 1859 (idF RGBl 1885/22) sowie § 84 lit g GewO 1859 (RGBl 1859/227) findet. Anders als der Wortlaut hat sich jedoch der Regelungskontext, in den sich diese Bestimmung einfügt, in den vergangenen (fast) 165 Jahren grundlegend verändert. Während es sich bei den Dienst- bzw Arbeitsordnungen iSd GewO 1859 nach hA um Vertragsschablonen handelte, welche der AG zwar einseitig aufstellen konnte, die aber nur im Wege des (ausdrücklichen oder konkludenten) Vertragsschlusses Eingang in den Arbeitsvertrag des einzelnen AN fanden (vgl dazu mwN Strasser, Die Betriebsvereinbarung nach österreichischem und deutschem Recht [1957] 23 ff), wurde die normative Wirkung der – zwischen BI und BR zu vereinbarenden – Arbeitsordnung nach dem KollVG 1947 sowie der BV nach dem ArbVG durch den Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet (§ 25 Abs 1 KollVG 1947, § 31 Abs 1 ArbVG). Dies erfolgte ausweislich der Materialien deshalb, weil sich das Erfordernis der einzelvertraglichen Vereinbarung der Inhalte der Dienst- bzw Arbeitsordnungen iSd GewO 1859 in der Praxis nicht bewährt hatte (RV 285 BlgNR 5. GP 14). Der Gesetzgeber entschied sich daher bewusst gegen eine bloß mittelbare Wirkung der BV: Dementsprechend sollen die Regelungen einer BV immer dann normative Wirkung entfalten, wenn diese „nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck [...] die Gestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen BI/AG und einzelnen AN bezwecken“ (Jabornegg, Mitbestimmung durch Betriebsvereinbarung, DRdA 2012, 295 [300]). Die normative Wirkung als solche steht dabei auch nicht zur Disposition. Aufgrund des zwingenden Charakters des § 31 Abs 1 ArbVG sind die Betriebsvereinbarungsparteien nicht befugt, diese auszuschließen (Holzer, Strukturfragen des Betriebsvereinbarungsrechts [1982] 50; Kietaibl in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 31 Rz 11 [5. Lfg, 2008]; Födermayr in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 29 Rz 54 [58. Lfg, 2020]). Genau darauf läuft die streitgegenständliche Regelung jedoch hinaus. Diese zielt auf die Gestaltung der Rechtsbeziehung zwischen BI/AG und AN ab; weder bestehen nach Wortlaut und Zweck Zweifel, dass die einzelnen AN unmittelbar berechtigt sein sollen (arg: „gebührt der/dem AN“), noch behauptet die Bekl, dass die streitgegenständliche Regelung lediglich die Rechtsbeziehung zwischen BI und Belegschaft betreffen soll (schuldrechtlicher Teil). Damit liegt der Verstoß gegen § 31 Abs 1 ArbVG jedoch auf der Hand: In Bezug auf das Regelungsziel eines erweiterten Kündigungsschutzes wird die angeordnete Normwirkung insoweit ausgeschlossen, als dieser nicht unmittelbar aufgrund der BV gelten, sondern von der Verankerung im Wege des Einzelvertragsabschlusses abhängig sein soll. Dementsprechend erweist sich § 19 Abs 1 Satz 2 der BV – im Einklang mit dem Ergebnis des OGH – als unzulässiger Betriebsvereinbarungsinhalt und damit als rechtsunwirksam.

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei auch noch auf den wesentlichen Unterschied zwischen der streitgegenständlichen Regelung und einer Wiedereinstellungsklausel in einem Sozialplan hingewiesen: Den Betriebsvereinbarungsparteien fehlt die Regelungsbefugnis, das vor- bzw nachvertragliche Rechtsverhältnis zwischen AG und ehemaligen AN in ein Arbeitsverhältnis umzuwandeln; iS einer wertungskohärenten Interpretation folgt dies insb aus § 105 Abs 4 S 2 (iVm § 106) ArbVG, welcher die Anfechtung von Kündigungen bzw Entlassungen durch den BR von einem Verlangen des (uU ehemaligen) AN abhängig macht. Der in einem Sozialplan vorgesehene Anspruch eines ehemaligen AN auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages erweist sich damit gerade nicht als (partieller) Ausschluss der normativen Wirkung der BV.

3.
Einzelvertraglicher Anspruch aufgrund der unzulässigen Betriebsvereinbarungsklausel

Abschließend war vom OGH noch zu klären, ob die als BV unzulässige Regelung Eingang in den Arbeitsvertrag der Kl gefunden hatte. Dieser Frage näherte sich das Höchstgericht auf der Grundlage der in Judikatur und Lehre seit langem herrschenden Vertragsschablonentheorie (Rz 20). Obwohl sich die Entscheidung damit auf einem – weitgehend – gesicherten Fundament bewegt, weist diese mehrere Ungenauigkeiten auf: Entgegen des vom OGH vermittelten Eindrucks kommt es nicht darauf an, dass die Arbeitsvertragsparteien Kenntnis von Abschluss und Inhalt der vermeintlichen BV haben, vielmehr genügt die Kenntnis eines dieser beiden Umstände; insb kann bereits die bloße Kenntnis des faktischen Erfüllungsverhaltens des AG genügen (Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 462 f; Drs, Die freie Betriebsvereinbarung, in FS Binder [2010] 461 [465]). Als missverständlich erweist es sich auch, wenn einmal auf die „Arbeitsvertragsparteien“ und einmal auf den „AG sowie die Gesamtheit der AN“ abgestellt wird (zur diesbezüglichen dogmatischen Auseinandersetzung Runggaldier, Anmerkungen zur sog „freien“ [unzulässigen] Betriebsvereinbarung, RdW 1990, 257 [258]; Kietaibl in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 29 Rz 40). 471

In einen unauflöslichen Widerspruch verstrickt sich der OGH schließlich in Rz 21, wenn er darauf abstellt, ob „die Betriebsvereinbarungsparteien zumindest schlüssig zu erkennen gegeben haben, dass sie sich an den unzulässigen Teil der BV halten wollen“. Der Wille der Betriebsvereinbarungsparteien ist für die Frage der einzelvertraglichen Geltung einer unzulässigen BV irrelevant (Trost, Absolut zwingende Wirkung eines Kollektivvertrages, DRdA 2005, 531 [537]). Aus dem Umstand, dass sich die Betriebsvereinbarungsparteien auf eine als BV unzulässige Klausel geeinigt haben, folgt zwar, dass diese (ausdrücklich) erklärt haben, an die Klausel gebunden sein zu wollen. Aufgrund ihrer beschränkten Rechtssetzungsbefugnis handelt es sich – in der Beziehung zwischen dem BI/AG und der organschaftlich vertretenen Belegschaft – bei diesem faktisch erklärten Bindungswillen aber um keinen rechtsgeschäftlich bedeutsamen Willen (Strasser, Ungültige Betriebsvereinbarung – Einzelarbeitsvertrag,

[128]). Anderes gilt in Bezug auf den erklärten Bindungswillen des BI/AG im Verhältnis zu den AN: Die gegenüber dem Belegschaftsorgan abgegebene rechtsunwirksame Willenserklärung ist im Verhältnis zu den AN einer Deutung als Angebot zur Änderung der Arbeitsverträge (zumindest) zugänglich; auf ein faktisches Erfüllungsverhalten (insb eine langandauernde Übung) kommt es dann nicht an (Strasser, ; Kietaibl in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 29 Rz 39). Insoweit ist auch im vorliegenden Fall der Umstand, dass der erweiterte Kündigungsschutz „nie gelebt worden“ ist (Rz 5), letztlich kein entscheidendes Argument gegen eine stillschweigende Ergänzung des Arbeitsvertrages der Kl. Eine Deutung des Erklärungsverhaltens des BI/AG gegenüber dem Belegschaftsorgan als Vertragsänderungsangebot an die AN kommt aber nur dann in Betracht, wenn der BI/AG – aus der Sicht der AN – die Unzulässigkeit der Regelung als BV kennt; andernfalls ist kein Grund ersichtlich, weshalb ein rechtsgeschäftlicher Wille bestehen sollte, das vermeintlich ohnehin in der BV Normierte auch noch einzelvertraglich festzulegen (Rummel, EAnm zu OGH4 Ob 76/79 ZAS 1981, 53 [55 f]; Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 461; krit Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 3/268). Sofern sowohl BI/AG als auch AN von der Zulässigkeit der Abrede als BV ausgegangen sind, lässt sich der gegenüber dem Belegschaftsorgan erklärte Bindungswille – in Bezug auf die bereits im Betrieb beschäftigten AN – nach Maßgabe des hypothetischen Parteiwillens in ein Angebot an die einzelnen AN umdeuten (zur Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung in Bezug auf neu eintretende AN insb Rummel, ZAS 1981, 56 f). Dies setzt aber wiederum voraus, dass der BI/AG bei Kenntnis der Rechtsunwirksamkeit seines auf Abschluss der Betriebsvereinbarungsregelung gerichteten Willens ein entsprechendes Angebot zur Änderung der Arbeitsverträge an die einzelnen AN gerichtet hätte (Strasser, ; Födermayr in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 29 Rz 62; vgl auch Kietaibl in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 29 Rz 43).

Im vorliegenden Fall lässt sich weder ein tatsächlicher noch ein hypothetischer Wille zur Schaffung einer einzelvertraglichen Vereinbarung ausmachen: Der OGH erkennt das zwar im Ansatz richtig (vgl Rz 21), begründet dies jedoch allein mit dem festgestellten Sachverhalt und verschweigt sich gänzlich zu einer etwaigen Umdeutung entsprechend des hypothetischen Willens. Der tragende Grund, weshalb es zu keiner einzelvertraglichen Ergänzung des Arbeitsvertrages gekommen ist, liegt in der Reichweite der zu Anwendung gelangenden Nichtigkeitssanktion. Völlig zu Recht qualifiziert der OGH nur die Statuierung des Kontrahierungsgebotes in Bezug auf den erweiterten Kündigungsschutz als unzulässigen Betriebsvereinbarungsinhalt; die übrigen Regelungen des § 19 der BV sind davon – im Einklang mit dem auch für Betriebsvereinbarungen geltenden Grundsatz der Teilnichtigkeit (Kietaibl in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 29 Rz 36; Födermayr in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 29 Rz 54) – nicht betroffen. Damit besteht unmittelbar aufgrund des § 19 der BV ein erweiterter Kündigungsschutz nach zehn Dienstjahren. Ob eine solche Regelung zulässiger Inhalt einer BV sein kann, muss daher im Zentrum der weiteren Betrachtung stehen: Es wäre nicht einsichtig, weshalb das aufgrund der BV ohnehin unmittelbar Rechtsverbindliche zusätzlich noch einzelvertraglich vereinbart werden sollte. Bedauerlicherweise glaubt der OGH, diese entscheidende Frage unbeantwortet lassen zu können (vgl Rz 22; offenlassend bereits OGH9 ObA 292/89 RdW 1990, 90). Im Einklang mit der einhelligen Auffassung im Schrifttum findet die Normierung von Kündigungsgründen jedoch Deckung in der Regelungsbefugnis des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG (Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-HK 574; Binder in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 97 Rz 374; Jabornegg in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 97 Rz 523 [40. Lfg, 2016]; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 97 ArbVG Rz 103; Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht § 97 Rz 178 [arbvg.oegbverlag.at[arbvg.oegbverlag.at, Stand 1.7.2023]; aA jüngst Eypeltauer, ecolex 2024/197, 343 f, der aber zu wenig berücksichtigt, dass das fehlende Problembewusstsein des Gesetzgebers des ArbVG [vgl RV 840 BlgNR 13. GP 84) – insb wegen der im Wesentlichen auf 1859 zurückdatierenden Formulierung des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG – nicht als bewusste Entscheidung gewertet werden darf). Ein einzelvertraglicher Anspruch auf Ergänzung des Arbeitsvertrages um den erweiterten Kündigungsschutz ist daher nicht gegeben. 472