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Entziehung des Pflegegeldes – Wesentliche Änderung bei Mindesteinstufung aufgrund einer Sehbehinderung?

ElisabethBischofreiter

Mit Bescheid vom 26.3.2020 gewährte die Bekl der Kl ab 1.9.2019 Pflegegeld der Stufe 3 infolge Annahme einer hochgradigen Sehbehinderung. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14.7.2022 entzog die Bekl der Kl das Pflegegeld mit Ablauf des Monats August 2022.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Der OGH erachtete die Revision der Kl als zulässig und iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Er führte im Wesentlichen aus, dass für die Entziehung oder Neubemessung des Pflegegeldes jene Grundsätze heranzuziehen sind, die auch bei der Entziehung sonstiger Leistungsansprüche nach § 99 ASVG oder bei der Neufeststellung einer Versehrtenrente nach § 183 ASVG angewendet werden. Nach diesen Grundsätzen steht die materielle Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung der Leistung entgegen, wenn die objektiven Grundlagen für die Leistungszuerkennung keine wesentliche Änderung erfahren haben. Die nachträgliche Erkenntnis, dass die Voraussetzungen für einen Leistungszuspruch zur Zeit der Zuerkennung nicht vorhanden waren, rechtfertigt daher die Entziehung der Leistung nicht. Diese Grundsätze sind auch auf die Entziehung eines aufgrund einer diagnosebezogenen Mindesteinstufung gewährten Pflegegeldes anzuwenden.

Im erstinstanzlichen Urteil fehlen Feststellungen, aufgrund derer beurteilt werden kann, ob im Zeitpunkt der Gewährung von Pflegegeld der Stufe 3 die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme einer hochgradigen Sehbehinderung der Kl iSd § 4a Abs 4 BPGG vorlagen oder ob dies – wie von der Kl vorgebracht – nicht der Fall war. Erforderlich sind daher Feststellungen zum Visus und dem Gesichtsfeld bzw den Gesichtsfeldeinschränkungen der Kl im Gewährungszeitpunkt. Erst auf Grundlage dieser Feststellungen kann beurteilt werden, ob im Zeitpunkt der Leistungsentziehung gegenüber dem Gewährungszeitpunkt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse stattgefunden hat.