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Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld bei Wohnsitz in der Schweiz und Beschäftigung in Österreich

KrisztinaJuhasz
VO 883/2004 iVm Art 1 des Anhangs II des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz

Revisionsgegenständlich war der Anspruch der Kl auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld. Die Kl ist österreichische Staatsbürgerin und in Österreich beschäftigt. Sie wohnt mit ihrer Familie in der Schweiz, in der auch der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen liegt.

Mit Bescheid wies die bekl Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau den Antrag der Kl auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens ab.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge und ließ die Revision nicht zu. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Bekl war nicht zulässig.

Die Bekl stand in ihrem Rechtsmittel auf dem Standpunkt, dass ein Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld nur bei einem Mittelpunkt der Lebensinteressen von Elternteil und Kind im Bundesgebiet bestehe, sowie dass für die Kl die Schweiz für die Erbringung von Familienleistungen zuständig sei. In Fällen, in denen sich keine gleichartigen Leistungen gegenüberstünden, sei die VO (EG) 883/2004 und daher auch deren Art 5 und 7 nicht anwendbar. Andernfalls würden Inländer gegenüber Ausländern diskriminiert, weil diese die Voraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 KBGG iVm § 24 Abs 1 Z 1 KBGG erfüllen müssten, Ausländer hingegen nicht. Dem war nach der E des OGH nicht zu folgen.

Das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens ist eine zu koordinierende Familienleistung iSd Art 1 lit z und Art 3 Abs 1 lit j VO (EG) 883/2004. Zuständig für die Erbringung ist jener Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften gem Art 11 ff der VO (EG) 883/2004 anwendbar sind. Nach Art 11 Abs 1 VO (EG) 883/2004 unterliegen Personen, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Für Personen, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausüben, sind dies die Rechtsvorschriften dieses Beschäftigungsstaats, und zwar unabhängig davon, wo die Person ihren Wohnsitz hat. Im Fall der Kl ist danach Österreich der zuständige Mitgliedstaat. 315

Gem Art 7 VO (EG) 883/2004 dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Nach der Rsp des OGH ordnet der europäische Gesetzgeber damit an, dass der Anspruch weder dem Grunde noch der Höhe nach von einem Wohnsitz im Inland abhängig gemacht werden darf. Aufgrund des Anwendungsvorrangs der VO (EG) 883/2004 stand somit der Umstand, dass die Kl und das Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht im Bundesgebiet, sondern in der Schweiz haben, dem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nicht entgegen.

Die Frage, welcher von mehreren betroffenen Staaten aufgrund der Familienbetrachtungsweise des Art 60 Abs 1 Satz 2 DVO 987/2009 nach Art 68 VO (EG) 883/2004 vorrangig oder nachrangig für die Erbringung von Leistungen zuständig sein könnte, stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Die Familienbetrachtungsweise spielt nämlich nur bei der Anwendung von Art 67 und 68 VO (EG) 883/2004 eine Rolle. Die Prioritätsregeln des Art 68 VO (EG) 883/2004 gelten nur für den Fall, dass vergleichbare (gleichartige) Leistungen (aus dem Beschäftigungsstaat und dem Wohnmitgliedstaat) zusammentreffen. Besteht hingegen in einem der beiden Staaten kein Anspruch auf eine mit dem Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Familienleistung, erfolgt die Anknüpfung nach der allgemeinen Regel zur Ermittlung des anzuwendenden Rechts nach Art 11 VO (EG) 883/2004. Der Anspruch ist daher ausschließlich aufgrund der Regelung über die Exportpflicht zu prüfen. Die Bekl steht in der Revision selbst auf dem Standpunkt, dass die Schweiz keine dem (einkommensabhängigen) Kinderbetreuungsgeld ähnliche Leistung gewährt, sodass die Koordinierungsregeln des Art 68 VO (EG) 883/2004 im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung gelangen. Soweit die Bekl aus der zitierten Rsp des OGH ableitet, dass die VO (EG) 883/2004 zur Gänze nicht anzuwenden sei, wenn einander keine gleichartigen Leistungen der betroffenen Mitgliedstaaten gegenüberstehen, ist dies aus der Judikatur nicht zu entnehmen.

Entgegen der Rechtsansicht der Bekl ist auch eine verfassungsrechtlich bedenkliche Inländerdiskriminierung nicht ersichtlich. Inländer werden nicht schon deswegen schlechter als Ausländer behandelt, bloß weil der Wohnsitz im Inland mit einem Wohnsitz in einem anderen, von der VO (EG) 883/2004 erfassten Staat gleichgestellt wird.