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Fehlende Leistungszuständigkeit nach der VO (EG) 883/2004 schließt eine Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes nach innerstaatlichem Recht nicht aus

KrisztinaJuhasz

Gegenstand des Verfahrens war der Anspruch der Kl auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto für ihre * 2017 geborene Tochter.

Die Kl ist slowakische Staatsbürgerin. Der Kindesvater und Lebensgefährte der Kl ist deutscher Staatsbürger, der seit 2015 in Österreich lebt und in der Slowakischen Republik (künftig: Slowakei) unselbständig beschäftigt ist. Die Kl wohnte bis zum Jahr 2015 in der Slowakei. Sie war dort zunächst unselbständig beschäftigt und in der Folge arbeitslos. Im Frühling 2017 zog sie zu ihrem Lebensgefährten nach Österreich. Nach ihrem Umzug nach Österreich schloss die Kl zwar einen Arbeitsvertrag mit einem Steuerberater in Wien ab und vereinbarte mit ihm auch einen Karenzurlaub. Dass sie für ihn tatsächlich eine berufliche Tätigkeit ausübte oder der Karenzvereinbarung wirklich eine Karenz zugrunde lag, konnte nicht festgestellt werden.

Die Vorinstanzen gaben der auf Gewährung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld gerichteten Säumnisklage statt. In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Bekl keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

Die Bekl stellte nicht in Abrede, dass der Bezug von pauschalem Kinderbetreuungsgeld nicht an die vorherige Ausübung einer Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 2 KBGG geknüpft ist. Sie argumentiert vielmehr, dieses Kriterium sei für die Beurteilung der Zuständigkeit nach der VO (EG) 883/2004 relevant. Dass die Kl keine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, führe aufgrund der Beschäftigung des Kindesvaters in der Slowakei nämlich dazu, dass die Slowakei nach Art 68 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 vorrangig und Österreich nur nachrangig zuständig sei. Da die Kl in der Slowakei Anspruch auf Elterngeld („rodičovský príspevok“) gehabt hätte und dieses mit dem pauschalen Kinderbetreuungsgeld vergleichbar sei, habe Österreich nur eine Ausgleichszahlung nach § 6 Abs 3 KBGG bzw den Unterschiedsbetrag iSd Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 zu leisten.

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es auf Fragen der (vor- oder nachrangigen) Zuständigkeit Österreichs nach der VO (EG) 883/2004 im Anlassfall nicht entscheidend an. Der OGH hat wiederholt klargestellt, dass selbst das Fehlen der Leistungszuständigkeit Österreichs nach der VO (EG) 883/2004 nicht dazu führt, dass die 316 Gewährung einer Leistung, für die – wie hier – die nationalen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, nach dem innerstaatlichen Recht ausgeschlossen ist. In dieser Konstellation könnte der Leistung lediglich eine nationale Antikumulierungsregel entgegenstehen. Die Ruhensbestimmung des § 6 Abs 3 KBGG stellt zwar eine solche Antikumulierungsregel dar, diese führt hier aber nicht zu der von der Bekl angestrebten Anrechnung der slowakischen Leistung.

Wie der OGH erst unlängst wieder betont hat, enthält § 6 Abs 3 KBGG in seiner aktuellen, hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2016/53 (anders als § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2009/116) zwar keine Einschränkung mehr auf „vergleichbare“ ausländische Familienleistungen, ist jedoch der Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 eröffnet, hat diese Regelung als dem Unionsrecht (vgl Art 10 VO [EG] 883/2004) widersprechend von den Gerichten unangewendet zu bleiben. Entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben setzt sie in diesem Fall so wie Art 68 VO (EG) 883/2004 das Vorliegen von Leistungen gleicher Art voraus. Vergleichbar sind Leistungen nach der stRsp dann, wenn sie einander in Funktion und Struktur (Zweck, Berechnungsgrundlage, Voraussetzungen für ihre Gewährung) im Wesentlichen entsprechen.

Mit der Funktion und Struktur des slowakischen Elterngeldes („rodičovský príspevok“) hat sich der OGH zu 10 ObS 101/22h vom 25.4.2023 schon eingehend befasst. Er ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass es weder mit dem einkommensabhängigen noch mit dem pauschalen Kinderbetreuungsgeld vergleichbar ist. Diese Ansicht wurde zu OGH vom 28.9.2023, 10 ObS 50/23k, in dem ein Anspruch auf pauschales Kinderbetreuungsgeld zu beurteilen war, erst unlängst aufrecht erhalten. Dass beide Leistungen Pauschalleistungen sind, in einem ähnlichen Zeitraum gewährt werden und sie in den MISSOC-Vergleichstabellen als „Familienleistungen“ erfasst sind, sind keine für die Beurteilung ihrer Vergleichbarkeit in Funktion und Struktur relevanten Kriterien. Sind die in Rede stehenden Leistungen nicht vergleichbar, scheidet im Anlassfall die Anwendung des § 6 Abs 3 KBGG – und auch des Art 68 VO (EG) 883/2004 – von vornherein aus.

Soweit die Bekl die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens anregt, weil es „zielführender und verordnungskonform“ sei, wenn die Vergleichbarkeit von Leistungen nicht durch die einzelnen Mitgliedstaaten eigenständig beurteilt, sondern die Eintragung in den MISSOC-Vergleichstabellen als verbindlich anerkannt werde, ist sie nur auf die Rsp des EuGH zu verweisen, wonach diese Prüfung dem nationalen Gericht obliegt (EuGH 8.5.2014, C-347/12Wiering, , Rn 62 mwN; vgl auch EuGH 5.12.2019, C-398/18, Bocero Torrico, Rn 37).