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Keine Berücksichtigung von „unterjährigen“ Versicherungszeiten in einem anderen EU-Staat bei Berechnung der österreichischen Alterspension nach dem APG

Pia AndreaZhang
Art 52 Abs 4 VO 883/2005;

Die 1963 geborene Kl erwarb in Österreich bis zum Stichtag am 1.2.2023 516 Beitragsmonate zur Pflichtversicherung und zehn Ersatzmonate. In Deutschland erwarb sie acht Beitragsmonate. Einen Rentenanspruch lehnte die deutsche Versicherung ab, weil die deutschen Versicherungszeiten weniger als ein Jahr betragen.

Die Pensionsversicherungsanstalt sprach mit Bescheid eine Alterspension nach dem APG in Höhe von € 2.848,09 monatlich zu. Gegen diesen Bescheid erhob die Kl Klage auf Zuerkennung einer höheren Pension unter Einbeziehung der deutschen Versicherungszeiten. Die Bekl wandte dagegen ein, dass eine anteilige Berechnung auf Basis von Art 52 Abs 4 VO 883/2004 (Anm: korrekt Abs 4) zu unterbleiben habe, da die Alterspension nach APG in Anhang VIII Teil 2 zur VO 883/2004 angeführt ist.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und auch das Berufungsgericht bestätigte diese E.

Gegen dieses Urteil erhob die Kl außerordentliche Revision, wobei keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt werden konnte und die Revision daher zurückgewiesen wurde.

Der OGH weist in seiner Entscheidungsbegründung darauf hin, dass die E des Berufungsgerichts der höchstgerichtlichen Judikatur zu 10 ObS 155/16s vom 24.1.2017 und 10 ObS 21/20s vom 26.5.2020 entspricht. In der OGH-E 10 ObS 155/16s wurde die Frage erörtert, ob ausländische Versicherungszeiten bei Berechnung der Kontoerstgutschrift nach § 15 APG zu berücksichtigen sind. Da die APG-Pensionen nicht auf Basis von Versicherungszeiten berechnet werden, wurden diese in Anhang VIII Teil 2 aufgenommen und es erfolgt entsprechend Art 52 Abs 5 VO 883/2004 keine Berechnung nach dem pro rata temporis-Prinzip. Die Berücksichtigung ausländischer Zeiten erfolgt – soweit sie überhaupt für Österreich relevant werden – erst aus Anlass der Berechnung der Pension unmittelbar für die Leistungserbringung; in diesem Fall sind die Regelungen des internationalen und des europäischen Sozialrechts heranzuziehen. In 10 ObS 21/20s ging es um die Berechnung der Höhe einer Korridorpension nach dem APG. Dazu hatte der OGH mit derselben Begründung erkannt, dass „unterjährige“ (elf Monate) deutsche Versicherungszeiten nicht zu berücksichtigen seien. Während es nach dem Altrecht für die Bildung der Pensionsbemessungsgrundlage auf die zeitliche Lagerung der Versicherungszeiten ankam, spielt die zeitliche Lagerung von Versicherungszeiten dem OGH zufolge für die Berechnung der Pension nach dem APG (Pensionskonto) keine Rolle (Pkt 1.4, 1.5). Das Primärrecht der Europäischen Union gibt nicht vor, dass Versicherungszeiten aus anderen Mitgliedstaaten zur Wahrung der AN-Freizügigkeit auch zum Zweck der Berechnung der Leistung zu übernehmen sind. Eine Übernahme fremder Versicherungslasten erfolgt nur in den von der VO (EG) 883/2004 normierten Ausnahmefällen. In Hinblick auf das System der Berechnung der Pensionen nach dem APG und dem klaren Wortlaut des 319 Art 52 Abs 5 VO 883/2004 wurde auch kein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet.

Da es sich auch bei der Korridorpension um eine Alterspension nach dem APG handelt, ist die Entscheidung jedenfalls auch für den vorliegenden Fall beachtlich.

Die Kl hat außerdem vorgebracht, dass sie die Versicherungszeiten bereits vor Erlassung der VO 883/2004 erworben habe und die Bestimmungen auf sie daher aufgrund des unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatzes nicht anzuwenden seien. Dem kommt dem OGH zufolge keine Berechtigung zu. Nach stRsp des EuGH ist eine neue Rechtsnorm grundsätzlich ab dem Inkrafttreten des Rechtsaktes anwendbar. Sie ist zwar nicht auf unter dem alten Recht entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar, findet jedoch auf künftige Wirkungen eines unter dem alten Recht entstandenen Sachverhalts sowie auf neue Rechtspositionen Anwendung. Etwas anderes gilt nur – und vorbehaltlich des Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten –, wenn zusammen mit der Neuregelung besondere Vorschriften getroffen werden, die speziell die Voraussetzungen für ihre zeitliche Geltung regeln (EuGH 21.12.2021, C-428/20, A.K., Rn 31 mwH).

Die VO 883/2004 gilt ab 1.5.2010. Die von der Kl erworbenen Versicherungszeiten in Deutschland sind gem Art 87 Abs 2 VO (EG) 883/2004 für die Feststellung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigen. Die Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 sind daher auf den Anspruch der Kl anzuwenden.

Nach stRsp des EuGH ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes Teil der Unionsrechtsordnung und muss von den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Regelungen der Union beachtet werden (EuGH 11.7.2002, C-62/00, Marks & Spencer, Rn 44). Dementsprechend sind die Vorschriften des materiellen Unionsrechts so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (EuGH 7.11.2018, C-432/17, O´Brien, Rn 26). Der Grundsatz des Vertrauensschutzes darf nicht so weit ausgedehnt werden, dass die Anwendung neuer Rechtsvorschriften ausgeschlossen ist. Die zeitliche Anwendbarkeit hängt davon ab, ob der Sachverhalt seine Wirkung vor Inkrafttreten der neuen Rechtsnorm erschöpft hat oder ob der Sachverhalt weiterhin seine Wirkung entfaltet (vgl EuGH Rs A.K., Rn 34). Ein solcher abgeschlossener Sachverhalt liegt hier, wie sich bereits aus der Übergangsbestimmung des Art 87 Abs 2 VO (EG) 883/2004 ergibt, nicht vor. Auch der EuGH hat im Fall einer Rentenberechnung bereits entschieden, dass der Umstand, dass ein Rentenanspruch endgültig am Ende der entsprechenden Beschäftigungszeit erworben wird, nicht den Schluss zulässt, dass die Rechtsposition des AN als endgültig erworben anzusehen ist. Ein AN kann sich daher für die Ermittlung seines Anspruchs auf Altersrente auf vor dem Inkrafttreten einer unionsrechtlichen Norm zurückgelegte Dienstzeiten berufen (EuGH Rs O’Brien, Rn 35 f).

Auf den unionsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes kann sich die Kl nach dieser Rsp daher nicht stützen. Der Umstand, dass die Vorgängerverordnung (VO 1408/71) eine Berücksichtigung der in Deutschland erworbenen Versicherungszeiten der Kl in einer vergleichbaren Situation vorgesehen hätte, ändert daran nichts. Denn ein solcher Anspruch wäre erst nach der VO 1408/71 und daher durch Unionsrecht entstanden, sodass es dem Unionsgesetzgeber zusteht, ihn zu ändern.

Die Kl rügt auch allgemein die Aufnahme der Alterspension nach dem APG in Anhang VIII Teil 2 als Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz des Art 7 B-VG und als Überschreitung des Gestaltungsspielraums des österreichischen Gesetzgebers. Da es sich dabei um Normen des Unionsrechts handle, unterliegen diese aber nicht der verfassungsrechtlichen Normenkontrolle. Darüber hinaus rügt sie die Aufnahme mit der Begründung, dass dies gegen Primärrecht der Union, insb die AN-Freizügigkeit nach Art 45 ff AEUV und die Personenfreizügigkeit nach Art 21 AEUV, verstoße. Dem kommt dem OGH zufolge aus den bereits in der E 10 ObS 21/20s dargelegten Gründen keine Berechtigung zu, sodass auch keine Veranlassung bestehe, der Anregung der Revisionswerberin auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH zu folgen.

Anmerkung der Bearbeiterin: Auf die kritischen Ausführungen von Weißensteiner (DRdA-infas 2020, 445) und Panhölzl (4DRdA 2021, 39) zur E OGH10 ObS 21/20s geht der OGH hier nicht ein. 320