Muss der:die AG nun sämtliche Kosten für Aus-, Fort- und Weiterbildungen übernehmen?

PAULATRAUPMANN
Seit 28.3.2024 steht § 11b Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG)* in Kraft. Dieser regelt die verpflichtende Kostentragung von Aus-, Fort- und Weiterbildungen durch den:die AG sowie die Geltung von Aus-, Fort- und Weiterbildungszeiten als Arbeitszeit, wenn diese Voraussetzung für die Ausübung einer arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit sind. Letzteres ist wenig überraschend, da der EuGH bereits entschieden hat, dass durch den:die AG angeordnete Fortbildungen als Arbeitszeit zu gelten haben.* Ersteres ist hingegen neuartig, da bisher gesetzlich keine Kostentragung durch den:die AG, sondern nur eine Rückforderungsmöglichkeit der Ausbildungskosten in § 2d AVRAG* geregelt war. Die Neuregelung bringt schon jetzt eine Fülle an praxisrelevanten Fragen mit sich. Es besteht nun aber vor allem auch ein Spannungsverhältnis zu § 2d AVRAG, das es im folgenden Beitrag aufzulösen gilt.
1.
Rechtliche Grundlagen

Bereits im Jahr 2019 trat die RL (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union* (kurz und im Folgenden: TransparenzRL) in Kraft. Art 13 schreibt für Pflichtfortbildungen vor, dass diese den AN kostenlos zur Verfügung zu stellen sind, als Arbeitszeit anzurechnen sind und möglichst während der Arbeitszeit stattzufinden haben, wenn der:die AG aufgrund von Rechtsvorschriften der Union, nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektiv- bzw Tarifverträgen verpflichtet ist, solche anzubieten.

Österreich hätte die TransparenzRL eigentlich bis 2022 umzusetzen gehabt. Erfolgt ist dies allerdings erst dieses Jahr in einem recht schnellen Verfahren: Initiativantrag 3871/A XXVII 31.1.2024, Sozialausschuss 20.2.2024, Plenum 28.2.2024, Bundesrat-Ausschuss 12.3.2024, Plenum Bundesrat 14.3.2024 und Kundmachung im BGBl I 2024/11 am 27.3.2024. Es gibt nun also § 11b AVRAG, der die Aus-, Fort- und Weiterbildung regelt. Bemerkenswerterweise weicht der Wortlaut dieser Bestimmung stark von den Vorgaben der TransparenzRL ab. Normiert wird Folgendes: Ist eine bestimmte Aus-, Fort- oder Weiterbildung auf Grund gesetzlicher Vorschriften, Verordnungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages Voraussetzung für die Ausübung einer arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit, so ist die Teilnahme des:der AN Arbeitszeit (Z 1) und die Kosten vom:von der AG zu tragen (Z 2). Abs 2 hält noch fest, dass einer darüber hinausgehenden Verpflichtung zugunsten des:der AN nichts entgegensteht. Dies soll, dem Initiativantrag zu entnehmen, der Klarstellung dienen, dass auch weiterhin freiwillig Mehrkosten übernommen werden dürfen.* Mehr Informationen werden hingegen nicht bereitgestellt, was bestimmt auch dem Eilverfahren geschuldet ist – für die Praxis ist das eine Herausforderung.

2.
Wirkung der Regelung

Fraglich ist vor allem, ob § 11b AVRAG lediglich eine Umsetzung des Art 13 der Transparenz-RL darstellt oder über dessen Vorgaben hinausgeht. Zunächst ist der Wortlaut beider Bestimmungen zu betrachten. Art 13 Transparenz-RL normiert: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Arbeitnehmern Fortbildung kostenlos angeboten wird, als Arbeitszeit angerechnet wird und möglichst während der Arbeitszeiten stattfindet, wenn der Arbeitgeber aufgrund von Rechtsvorschriften der Union oder nationalen Rechtsvorschriften oder Kollektiv- bzw. Tarifverträgen verpflichtet ist, den Arbeitnehmern Fortbildung im Hinblick auf die Arbeit anzubieten, die sie ausüben.§ 11b AVRAG spricht hingegen von „Aus-, Fort- oder Weiterbildungen“, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften, Verordnungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages erbracht werden müssen und Voraussetzung für die Ausübung einer arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit sind. Während also die RL nur „Fortbildungen“ zum Gegenstand hat, erfasst das nationale Recht auch Aus- und Weiterbildungen. Damit scheint § 11b AVRAG über einen weiteren Anwendungsbereich als Art 13 TransparenzRL zu verfügen. Allerdings zeigt sich bei einer näheren Analyse der RL, vor allem bei einem Vergleich der unterschiedlichen Sprachfassungen, dass der Geltungsbereich des Art 13 TransparenzRL doch weiter ist als die deutsche Übersetzung vermuten lassen würde. So lautet die Bestimmung im Englischen etwa „training […] to carry out the work for which he or she is employed“. Die englische Sprachfassung bringt demnach deutlicher als die deutsche zum Ausdruck, dass grundsätzlich alle Bildungsmaßnahmen, derer es für die auszuübende Tätigkeit bedarf, in den Anwendungsbereich des Art 13 TransparenzRL fallen.* Eine Differenzierung zwischen Fortbildungen auf der einen und Aus- und Weiterbildungen auf der anderen Seite 329 ist dem Englischen nicht zu entnehmen. Dass dasselbe auch für die deutsche Sprachfassung gilt, legt Erwägungsgrund 37 der TransparenzRL nahe.* Dort werden Berufsausbildungen und -fortbildungen in einem Satz genannt und unter der Prämisse von Art 13 TransparenzRL ausgenommen, dass keine normative Verpflichtung des:der AG besteht, diese anzubieten. Hätte der Unionsgesetzgeber im Anwendungsbereich des Art 13 TransparenzRL tatsächlich nur Pflichtfortbildungen erfassen wollen, dann hätte die freiwillig angebotene Berufsausbildung im Erwägungsgrund 37 gar nicht explizit ausgenommen werden müssen, da diese sowieso nicht unter den Fortbildungsbegriff gefallen wäre. Trotz vermeintlich unterschiedlicher Begrifflichkeiten decken sich demnach die Anwendungsbereiche von Art 13 TransparenzRL und § 11b AVRAG also insofern, als von beiden Rechtsquellen Aus-, Fort- und Weiterbildungen erfasst sind. Allerdings spricht § 11b AVRAG nun nicht davon, dass Berufsausbildungen und -fortbildungen, die der:die AG nicht anbieten muss, ausgenommen sein sollen – weder im Gesetzestext noch im Initiativantrag. Dies führt schlussendlich zu einem sehr weiten Geltungsbereich.*

Der weite Geltungsbereich zeigt sich auch darin, dass sich § 11b AVRAG (im Gegensatz zu Art 13 TransparenzRL) vom Wortlaut her auf alle Bildungsmaßnahmen bezieht, die auf Grund gesetzlicher bzw kollektivvertraglicher Vorschriften oder des Arbeitsvertrages Voraussetzung für die Ausübung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit sind. Klar sind jene Fälle, denn so sieht es auch Art 13 TransparenzRL vor, in denen der:die AG die Aus-, Fort- oder Weiterbildung auf Grund einer normativen Verpflichtung anbieten muss. Beispiele für eine solche Anordnung finden sich auf nationaler Ebene etwa in § 9 Abs 5 BAG (Lehrlinge), § 11d KAKuG (Gesundheits- und Krankenpflegeberufe) oder § 14 Abs 1 GGBV (Gefahrgutbeförderungsverordnung). Das sind aber einige der wenigen Beispiele in der Praxis. In der Mehrzahl sind vielmehr solche Regelungen, in denen die Pflicht zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung den:die AN trifft. So wird etwa in § 19b Güterbeförderungsgesetz ausdrücklich normiert, dass der:die Lenker:in eine Weiterbildung nachweisen muss. Gesetzlich ist also klar definiert, dass sich die Verpflichtung zur Weiterbildung an den:die AN persönlich richtet. Strittig ist, ob der:die AG auch in diesen Fällen, in denen die Regelung ausdrücklich an die Person gerichtet ist, die die Tätigkeit ausübt, nun, aufgrund des Inkrafttretens des § 11b AVRAG, die Bildungsmaßnahme finanzieren muss. Tatsächlich sprechen die besseren Argumente für diese Sichtweise. Denn der Wortlaut des § 11b AVRAG differenziert nicht danach, wen die Verpflichtung trifft. Folglich sind auch solche Konstellationen erfasst, in denen die Pflicht zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung den:die AN trifft.* Nicht darunter fallen lediglich Aus-, Fort- oder Weiterbildungen, die rein „freiwillig“, also ohne Voraussetzung für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit zu sein, besucht werden. Spielraum lässt § 11b AVRAG freilich bei der Frage, was „Voraussetzung“ für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit überhaupt bedeutet. Braucht etwa ein:e Maler:in den Führerschein, um seine:ihre Tätigkeit ausüben zu können? Die besseren Argumente sprechen wohl dagegen. Allerdings muss beachtet werden, dass auch der:die AG einen Nutzen davon trägt, wenn sich der:die Maler:in selbstständig zu den Kunden:Kundinnen bewegen kann. Ein gewisser Zusammenhang besteht also zumindest. Noch schwieriger erweist sich etwa jener Sachverhalt, mit dem auch der OGH* erst unlängst (in anderem Zusammenhang) konfrontiert war: eine Frau arbeitet in Österreich als Pflegeassistentin. In Serbien hat sie die Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen, um aber auch in Österreich den Beruf der Diplomierten Gesundheits- und Krankenschwester ausüben zu können, muss sie eine Ergänzungsausbildung absolvieren. Zwar handelt es sich um eine gesetzliche Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit als Diplomierte Krankenschwester, allerdings wurde die betreffende AN im konkreten Fall lediglich als Pflegeassistentin eingesetzt. Dh, für die aktuelle Verwendung war die Ergänzungsprüfung keine gesetzliche Voraussetzung, sondern lediglich für die zukünftige. Ob in diesem Fall eine Verpflichtung des:der AG zur Kostenübernahme besteht, hängt wohl im Ergebnis von der konkreten Vereinbarung ab.* Entscheidend ist letztlich, ob bereits vereinbart wurde, dass die AN eigentlich als Diplomierte Krankenschwester tätig sein soll.

Anders als nach der RL kommen als Grundlage für die Verpflichtung zur Absolvierung der Bildungsmaßnahme nämlich nicht nur das Gesetz, Verordnungen oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung in Frage, sondern auch der Arbeitsvertrag. § 11b AVRAG geht damit wieder weit über die Vorgaben der TransparenzRL hinaus. Das ist insofern bemerkenswert, als bei Abschluss des Arbeitsvertrages grundsätzlich Privatautonomie besteht.* Ein entscheidender Unterschied zu den anderen Grundlagen in § 11b AVRAG liegt somit darin, dass bei arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung weder für den:die AG noch für den:die AN eine normative Verpflichtung besteht. Eine solche Regelung liegt 330 also gewissermaßen im eigenen Ermessen. Seit der Geltung des § 11b AVRAG müssen AG aber nun die Kosten auch für solche „freiwilligen“ Aus-, Fort- oder Weiterbildungen übernehmen, wenn diese ihre Grundlage im Arbeitsvertrag haben. Die Privatautonomie wird damit wesentlich eingeschränkt. Das ändert aber nichts daran, dass die Kostentragung durch den:die AG nun gesetzlich normiert ist. Rechtspolitisch betrachtet ist daher zu befürchten, dass in Zukunft wohl kaum mehr Aus-, Fort- oder Weiterbildungsmöglichkeiten im Arbeitsvertrag geregelt werden. Das führt allerdings zu der Frage, ob nicht auch jene Fälle von § 11b AVRAG umfasst sind, in denen im Vertrag zwar keine explizite Verpflichtung normiert ist, sich aber aus der Tätigkeit selbst eine Verpflichtung, „up-to-date“ zu bleiben, ergibt. Denn auch hier könnte sich dann die Verpflichtung zu einer Kostentragung durch den:die AG ergeben, obwohl dieser:diese wohl nicht an eine solche gedacht hat. Dagegen könnte sprechen, dass § 11b AVRAG anordnet, dass „eine bestimmte Aus-, Fort- oder Weiterbildung“ Voraussetzung ist. Daraus könnte abgeleitet werden, dass nur solche Bildungsmaßnahmen erfasst sein sollen, die vorab konkretisiert sind. Eine solche Lesart vermag allerdings nicht zu überzeugen. Vielmehr reicht es aus, dass es sich um eine Aus-, Fort- oder Weiterbildung handelt, bei der sowohl der:die AG als auch der:die AN erkennen können, dass sie zum Tätigkeitsprofil gehört. Sie muss also zumindest bestimmbar sein. Auch solche Verpflichtungen, die sich nur konkludent aus dem Arbeitsvertrag ergeben, sind daher von § 11b AVRAG erfasst.

In der Praxis wird allerdings vor allem bei solchen, zum Zwecke des „up-to-date“-Bleibens gedachten Aus-, Fort- oder Weiterbildungen wohl des Öfteren eine Wahlmöglichkeit für den:die AN hinsichtlich der Inhalte bestehen. Denn es wird kaum eine einzige explizite Bildungsmaßnahme hierfür geben. Fraglich ist, inwiefern der:die AN diese Inhalte einseitig auswählen kann oder ob der:die AG dann ein Mitspracherecht bei der Auswahl hat. So könnte man wiederum den Wortlaut „eine bestimmte Aus-, Fort- oder Weiterbildung“ so auslegen, dass dieser einer Wahlmöglichkeit des:der AN entgegensteht, weil es sich dann um keine „bestimmte“ Bildungsmaßnahme mehr handelt. Allerdings wäre das mE auch hier eine zu wörtliche Auslegung und würde nicht dem eigentlichen Zweck des Gesetzes entsprechen. Eine Wahlmöglichkeit des:der AN steht zwar damit wohl einer Verpflichtung zur Kostenübernahme nicht entgegen, allerdings wird man dem:der AG, der:die die Kosten dafür übernehmen muss, ein Mitspracherecht einräumen müssen. Legt daher der:die AG im Arbeitsvertrag bereits die Aus-, Fort- oder Weiterbildungen oder zumindest gewisse Konditionen dafür fest, hat er:sie bereits legitimerweise sein:ihr Mitspracherecht ausgeübt. Allerdings wird es in der Praxis oft der Fall sein, dass die Auswahlmöglichkeit bereits im KollV vorgesehen ist und dieser die Spezifika offenlässt. Es fragt sich, ob der:die AG dann bei solchen Wahlmöglichkeiten des:der AN etwa fordern kann, dass die kostengünstigste Bildungsmaßnahme oder jene mit dem geringsten Arbeitsaufwand zu wählen ist.

Der Arbeitsvertrag ist aber nicht nur als Grundlage für die Verpflichtung zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung von Relevanz, sondern, wie schon oben angedeutet, auch dafür, wie die „arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit“ überhaupt beschrieben ist. Denn für die Kostenübernahme muss die Aus-, Fort- oder Weiterbildung immerhin Voraussetzung für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit sein. So könnte man meinen, dass AG hier ihre Privatautonomie insofern „frei“ ausüben können als sich ihnen die Möglichkeit bietet, die Tätigkeitsbeschreibung erst nach der Absolvierung der Aus-, Fort- oder Weiterbildung abzuändern. Diese „Freiheit“ darf allerdings nicht dazu führen, dass § 11b AVRAG umgangen wird. So wird hier nicht nur der Wortlaut im Vertrag, sondern auch die Tätigkeit, die tatsächlich ausgeübt wird,* und der Nutzen, den der:die AG davon trägt (also etwa ein bereits geplanter späterer Einsatz des:der AN im selben Unternehmen), von Relevanz sein.

Es steht also jedenfalls fest, dass § 11b AVRAG in vielerlei Hinsicht über die TransparenzRL hinausgeht. Der:Die AG muss die Kosten für eine Aus-, Fort- oder Weiterbildung übernehmen und als Arbeitszeit werten, wenn diese Voraussetzung für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit ist. Und zwar auch in jenen Fällen, in denen diese für die Erlangung, Aufrechterhaltung oder Erneuerung der Berufsqualifikation erforderlich ist und damit wohl ebenso im Interesse des:der AN liegt. Zudem kommt § 11b AVRAG auch dann zum Tragen, wenn die Grundlage zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung explizit oder implizit im Arbeitsvertrag liegt. Es besteht daher eine sehr weitreichende zwingende Verpflichtung des:der AG zur Kostenübernahme.

3.
Verhältnis zu § 2d AVRAG

In Anbetracht des weiten Anwendungsbereiches des § 11b AVRAG besteht für AG nun umso mehr die Frage, ob sie sich über § 2d AVRAG absichern können. Und zwar insofern, als diese wohl nicht in AN investieren wollen, die dann möglicherweise durch den erhöhten Marktwert den:die AG wechseln. Es wäre aus AG-Sicht daher sicherlich wünschenswert, einen Kostenrückersatz vereinbaren zu können. Für AN könnte das hingegen zu einer Überwälzung der Verpflichtung nach § 11b AVRAG führen. Es ist bisweilen strittig, inwiefern § 2d AVRAG nach der Einführung von § 11b AVRAG noch auf Aus-, Fort- oder Weiterbildungen, die von diesem erfasst sind, zur Anwendung gelangen kann. 331

In der Literatur wird einstweilen vertreten, dass es zur Anwendung von § 2d AVRAG in jenen Bereichen, die über die TransparenzRL hinausgehen, kommen kann.* Dies wird damit begründet, dass, ähnlich dem Urlaubsrecht, im Überschussbereich kein Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung gilt und dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, dass er § 2d AVRAG gänzlich den Geltungsbereich nehmen wollte. Fraglich ist daher, ob in dem Bereich, der über die Vorgaben der TransparenzRL hinausgeht, eine andere Kostenverteilung zulässig ist und damit § 2d AVRAG dort noch zur Anwendung gelangen kann. Voraussetzung dafür ist nach der Judikatur, dass Sinn und Wortlaut der Regelung eine solche „gespaltene“ Auslegung zulassen. Der OGH vertritt in stRsp, dass „einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung im Wege der richtlinienkonformen Interpretation kein entgegengesetzter Sinn verliehen werden darf“.* Hier gibt allerdings bereits der Wortlaut des § 11b AVRAG (siehe oben) eine solche „gespaltene“, einschränkende Interpretation nicht her, weil klar geregelt ist, dass die Kosten vom:von der AG zu tragen sind. Eine Differenzierung nach der Art der Bildungsmaßnahme ist § 11b AVRAG ebenfalls nicht zu entnehmen. Gegen die Möglichkeit einer „gespaltenen“ Auslegung spricht auch die Genese der Norm, deren Umsetzung bereits seit langem fällig war, sodass für den österreichischen Gesetzgeber genügend Zeit gewesen wäre, die Norm entsprechend zu gestalten. Man wird ihm daher kaum eine andere Intention unterstellen können, als dass absichtlich eine günstigere Regelung als Art 13 TransparenzRL geschaffen wurde. Dies entspricht sowohl einer Auslegung des § 11b AVRAG gem § 6 ABGB als auch Art 20 Abs 2 TransparenzRL, der eine günstigere Regelung ausdrücklich zulässt. Es kann mE demnach im Anwendungsbereich des § 11b AVRAG nicht zu einem Ausbildungskostenrückersatz gem § 2d AVRAG in jenen Fällen kommen, die über die Vorgaben der TransparenzRL hinausgehen, aber vom Wortlaut des § 11b AVRAG erfasst sind. Andernfalls würde man wohl versuchen, den eigentlichen Willen des Gesetzgebers zu umgehen.

Umso mehr mag daher auch die ebenfalls bereits vertretene Ansicht*, dass eine Kostentragung gem § 11b AVRAG nur im aufrechten Arbeitsverhältnis gilt und demnach ein Kostenrückersatz gem § 2d AVRAG nach Beendigung nicht ausgeschlossen ist bzw jedenfalls auch bei Aus-, Fort- und Weiterbildungen, die unter § 11b AVRAG fallen, vereinbart werden kann, nicht zu überzeugen. Denn die Kostentragung durch den:die AG ist gesetzlich in keiner Weise zeitlich beschränkt. Damit widerspricht der Wortlaut sowohl des Art 13 TransparenzRL als auch des § 11b AVRAG dieser Meinung. Hätte der Gesetzgeber eine zeitliche Beschränkung in jenen Fällen anordnen wollen, die über die TransparenzRL hinaus gehen, dann hätte er dies wohl gemacht (wie auch schon oben). Denn im österreichischen Arbeitsrecht ist es durchaus üblich, andere Rechtsfolgen bei gewissen Beendigungsarten des Arbeitsverhältnisses vorzusehen.* § 11b AVRAG ordnet aber eine klare Kostentragung durch den:die AG an, die unabhängig von der Beendigungsart besteht. Bei der Annahme, dass ein Kostenrückersatz nach Beendigung möglich ist, würde man die Verpflichtung zur Kostentragung (wenn auch zeitlich verlagert) auf den:die AN überwälzen.

Allerdings hat der Gesetzgeber § 2d AVRAG weder gänzlich gestrichen noch einen Konnex hierzu in § 11b AVRAG hergestellt, obwohl offensichtlich ist, dass ein Spannungsverhältnis zwischen den beiden Normen besteht. Das spricht dafür, dass es weiterhin einen sinnvollen Anwendungsbereich für beide geben muss. So wäre eine Auslegung, die dazu führen würde, dass für § 2d AVRAG kein Geltungsbereich mehr verbleibt, tatsächlich „systemwidrig“. Es spricht allerdings viel dafür, dass sich § 2d AVRAG sinnvoll in die Systematik einfügt, selbst wenn man § 11b AVRAG das hier vertretene weite Verständnis entgegenbringt.

Ausbildungskosten können gem § 2d Abs 1 AVRAG dann zurückgefordert werden, wenn dem:der AN „Spezialkenntnisse theoretischer und praktischer Art“ vermittelt werden, die auch bei anderen AG verwertet werden können. Dazu zählen nicht Einschulungskosten. Sollte der:die AG die Kosten für eine solche Ausbildung übernehmen, kann gem Abs 2 eine Rückforderung vom:von der AN erfolgen, wenn dies schriftlich vereinbart wurde (gewisse Ausnahmen hierzu finden sich in Abs 3). Es wurde in der Literatur schon vor der Einführung des § 11b AVRAG vertreten, dass kein Kostenrückersatz bei Ausbildungen zur Erhaltung der Qualifikation vereinbart werden kann, weil diese überwiegend im betrieblichen Interesse liegen.*

Zur Diskussion steht somit, ob nicht der Wortlaut von § 2d AVRAG enger gelesen werden muss als bisher. Grundsätzlich ist in § 2d AVRAG nur die Rede von einem „Ausbildungskostenrückersatz“. Aufgrund des offenen Begriffs wird in der Literatur teilweise vertreten, dass darunter auch Fort- und Weiterbildungen 332 zu verstehen sind.* Das ist, trotz aller Vorsicht bei den Begrifflichkeiten von Bildungsmaßnahmen, mE nun jedenfalls nach Inkrafttreten des § 11b AVRAG nicht mehr überzeugend. Denn der Gesetzgeber spricht in § 11b AVRAG ausdrücklich von Aus-, Fort- oder Weiterbildungen, hat allerdings keinen Anlass gesehen, auch § 2d AVRAG diesbezüglich anzupassen. Es werden also im gleichen nationalen Gesetz unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet. Demnach ist § 2d AVRAG auf Ausbildungen beschränkt. Der Begriff „Spezialkenntnisse“ wurde bisher allerdings sowohl von der Literatur als auch von der Rsp recht weit verstanden und schon bei jeglichem Mehrwert bejaht.* Abgestellt wird dabei auch auf den Nutzen und die Verwertbarkeit bei anderen AG.* Spätestens seit Inkrafttreten des § 11b AVRAG muss man aber „Spezialkenntnisse“ wohl enger lesen und nur mehr solche Ausbildungen darunter zählen, die tatsächlich Kenntnisse über die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit hinaus liefern. Denn schon der Begriff „Spezialkenntnisse“ spricht für sich, dass es dabei um mehr als um den Erwerb von Grundlagen zur Ausübung der Tätigkeit geht. Werden solche (und nun wirklichen) Spezialkenntnisse nicht vermittelt, wird § 2d AVRAG von § 11b AVRAG nun verdrängt.* Der Geltungsbereich von § 2d AVRAG wird insofern etwas eingeschränkt, als er nun enger interpretiert wird und damit in gewisser Weise nur bei „ad-on-Bildungsmaßnahmen“ greift.

Allerdings ist fraglich, wie sehr eine enge Auslegung des § 2d AVRAG in der Praxis überhaupt eine Rolle spielt. Bei den oben beschriebenen Beispielen des:der Malers:Malerin* und der serbischen Krankenschwester* handelt es sich eigentlich um Fälle, die beim OGH iZm § 2d AVRAG anhängig waren. In diesen Konstellationen geht es gar nicht so sehr darum, ob es sich um „Spezialkenntnisse“ handelt, sondern vielmehr um die Frage, ob überhaupt eine Aus-, Fort- oder Weiterbildung vorliegt, die Voraussetzung für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit ist. Verneint man dies, würde man auch nach Inkrafttreten des § 11b AVRAG zur Möglichkeit eines Ausbildungskostenrückersatzes kommen. Eine entscheidende Rolle wird also spielen, wie der Arbeitsvertrag ausgestaltet ist und welche Tätigkeit tatsächlich konkret ausgeübt wird (siehe oben).

Das vermeintliche Spannungsverhältnis zwischen § 11b AVRAG und § 2d AVRAG lässt sich also lösen, indem man diese beiden Normen systematisch auslegt. So ist der Anwendungsbereich von § 11b AVRAG zwar sehr weit, lässt aber jedenfalls dort die Möglichkeit eines Ausbildungskostenrückersatzes zu, wo „Spezialkenntnisse“ iSd § 2d AVRAG und damit Kenntnisse vermittelt werden, die über die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit hinausgehen.

4.
Fazit und Ausblick

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass § 11b AVRAG für AN um einiges günstiger als Art 13 TransparenzRL ist. Denn normiert ist eine sehr weitreichende Kostentragungspflicht durch den:die AG für verpflichtende Aus-, Fort- und Weiterbildungen in Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit sowie auch für Berufsausbildungen und -fortbildungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verpflichtung den:die AG oder den:die AN trifft. Darüber hinaus kann auch der Arbeitsvertrag die Grundlage für die verpflichtende Kostenübernahme des:der AG bilden. Das führt zu einem sehr weiten Geltungsbereich. Durch die Möglichkeit, günstigere nationale Regelungen vorzusehen, ist § 11b AVRAG uneingeschränkt anwendbar. Unklar erscheint vor diesem Hintergrund das Verhältnis zu § 2d AVRAG. Dieses Spannungsfeld ist insofern zu lösen, als § 2d AVRAG nun enger gelesen werden muss und – dem Wortlaut gemäß – auf Ausbildungen mit dem Erwerb von Spezialkenntnissen beschränkt ist. Das führt zwar zu einem eingeschränkteren Geltungsbereich, es bleibt aber weiterhin noch Raum für die Anwendung des § 2d AVRAG. Entscheidend in der Praxis wird aber stets die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsvertrages sein. Denn danach richtet sich die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit und in der Folge die Frage, ob die Aus-, Fort- oder Weiterbildung Voraussetzung für diese ist.

Aus rechtspolitischer Sicht ist § 11b AVRAG nicht sehr geglückt. Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Regelung große Unsicherheiten sowohl auf AN- als auch auf AG-Seite mit sich bringt. Aufgrund dessen wird etwa in der Literatur vorgebracht, dass es unter Umständen dazu kommen könnte, dass AG vorrangig solche AN einstellen werden, die schon gewisse Fähigkeiten mit sich bringen und darauf verzichten, längerfristige Tätigkeiten und Entwicklungschancen anzubieten.* In der Praxis ergeben sich aber noch viele weitere Problemfelder, wie etwa die Frage, welche:r AG zahlt, sollten zwei oder mehr Arbeitsverhältnisse vorliegen.*333