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Arbeitslosengeld/Notstandshilfe: Bestandskraft der Leistungsmitteilung steht Berichtigungsantrag des Leistungsbeziehers nicht entgegen

SabineReissner

Der Beschwerdeführer bezog seit dem 2.2.2019 Arbeitslosengeld und seit dem 2.11.2019 Notstandshilfe. Das Arbeitsmarktservice (AMS) informierte den Beschwerdeführer mit einer ersten Leistungsmitteilung vom 29.1.2019 über seinen Arbeitslosengeldanspruch. Es ergingen weitere Mitteilungen über seinen Leistungsanspruch, die letzte vom 24.10.2022 betreffend seinen Notstandshilfeanspruch ab 29.10.2022. Mit Schreiben vom 6.2.2023 ersuchte der Beschwerdeführer das AMS um „nachvollziehbare Berechnung“ seines Arbeitslosengeld- und Notstandshilfetagsatzes. Darauf reagierte das AMS mit einem Schreiben vom 7.2.2023, in dem es die aus seiner Sicht maßgebliche Höchstbemessungsgrundlage samt Berechnungsblatt darlegte. Mit Eingabe vom 22.2.2023 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Bescheides für seinen Leistungsanspruch Arbeitslosengeld und Leistungsanspruch Notstandshilfe. Das AMS deutete diese als Antrag auf Ausstellung eines Bescheides für die Bemessung der Notstandshilfe ab 29.10.2022. Diesen Antrag wies das AMS mit Bescheid gem § 47 Abs 1 AlVG iVm § 68 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) als unzulässig zurück. Die in § 47 Abs 1 AlVG genannte dreimonatige Frist für die Beantragung eines Bescheids über die zuerkannte Höhe der Notstandshilfe sei bereits abgelaufen.

Das AMS wies die dagegen eingebrachte Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab.

Das BVwG hob den Bescheid ersatzlos auf und stellte fest, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf Berichtigung der Bemessung der Notstandshilfe rückwirkend für drei Jahre gerechnet ab Antragstellung habe.

Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig. Der Antrag des Beschwerdeführers habe auf eine rückwirkende Berichtigung der Leistungsbemessung abgezielt. Da die Bemessung jedenfalls fehlerhaft iSd § 24 Abs 2 AlVG gewesen sei, sei diese einer Berichtigung zugänglich gewesen, für welche die in § 24 Abs 2 AlVG vorgesehenen Fristen gälten. Dem stehe nach stRsp des VwGH die Bestandskraft einer Mitteilung gem § 47 Abs 1 nicht entgegen. Auch schließe die Leistungsmitteilung über die Höhe des Arbeitslosengeldes, auf welche die Notstandshilfe aufbaut, eine Berichtigung nicht aus.

Der VwGH erklärte die dagegen eingebrachte außerordentliche Revision für zulässig, da er zur Frage, ob vom Leistungsbezieher eine Nachzahlung begehrt werden könne, wenn die Frist des § 47 Abs 1 vierter Satz AlVG bereits abgelaufen sei, noch nicht explizit Stellung genommen hatte und die Rechtslage auch angesichts der in der Literatur vertretenen Meinungen nicht ausreichend klar war. Jedoch wies der VwGH die Revision ohne weiteres Verfahren mit folgender Begründung ab:

§ 24 Abs 2 AlVG erlaubt es, in die Bestandskraft von Mitteilungen gem § 47 Abs 1 AlVG und selbst von rechtskräftigen Bescheiden einzugreifen, wie der VwGH wiederholt ausgesprochen hat (vgl etwa VwGH 19.1.2011, 2007/08/0181; VwGH 16.2.2022, Ro 2021/08/0005). § 24 Abs 2 AlVG zielt gerade darauf ab, einen Eingriff in die Bestandskraft rechtskräftiger Entscheidungen zu ermöglichen. Weder ein rechtskräftiger Bescheid noch eine Mitteilung, hinsichtlich deren die dreimonatige Frist nach § 47 Abs 1 vierter Satz AlVG abgelaufen ist, hindert daher eine Neubemessung oder Berichtigung.

Dabei macht es keinen Unterschied, ob dies auf Antrag oder von Amts wegen erfolgt. Die vom AMS vertretene Auffassung, dass sich die Frist des § 47 Abs 1 vierter Satz AlVG nur „an die bezugsberechtigte Person“ wende und die daraus abzuleitende Bestandskraft der Mitteilungen nicht für das AMS gelte, verkennt die Bedeutung sowohl des § 47 Abs 1 AlVG als auch des § 24 Abs 1 und 2 AlVG. Dass die Mitteilung nach § 47 Abs 1 AlVG eine „entschiedene Sache“ begründet, muss iSd Bedeutung der materiellen Rechtskraft jedenfalls auch für das AMS als Behörde gelten (vgl dazu auch das Erkenntnis VwGH 14.5.2024, Ro 2023/08/0016). Das beschränkt aber nicht die durch § 24 Abs 1 und 2 AlVG eröffneten Möglichkeiten zu Eingriffen in die daraus abzuleitende Bestandskraft der Mitteilungen – ebenso wie in die Bestandskraft von Bescheiden –, die gleichermaßen zugunsten und zulasten der Bezugsberechtigten erfolgen können. Eine Beschränkung ergibt sich nur aus den Fristen des § 24 Abs 2 AlVG und – soweit es um Nachzahlungen auf Basis der Berichtigung geht – des § 25 Abs 6 AlVG.

Dass damit dem § 47 Abs 1 vierter Satz AlVGein Anwendungsbereich gänzlich abgesprochen“ wird, trifft entgegen dem Vorbringen des AMS nicht zu, da sich die Bestandskraft von Erledigungen nicht im Verhindern der Berichtigung von zuerkannten Ansprüchen erschöpft; die Auslegung des AMS würde allerdings umgekehrt bedeuten, dass § 24 Abs 2 vierter Satz AlVG keinen Anwendungsbereich mehr hätte.

Die Bestandskraft der Mitteilung nach § 47 Abs 1 AlVG stand daher dem Berichtigungsantrag des Mitbeteiligten nach § 24 Abs 2 AlVG nicht entgegen (dass der Antrag so zu deuten war, wird auch vom AMS nicht in Abrede gestellt). Das AMS hätte den Antrag somit nicht zurückweisen dürfen, sondern inhaltlich darüber absprechen müssen. 304

Weiters führt der VwGH aus, dass die Berechtigung des Antrags nicht Gegenstand des mit dem angefochtenen Erkenntnis abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens ist, sondern vom AMS im Zuge des fortzusetzenden Verfahrens über den Antrag zu klären sein wird. Der VwGH weist aber darauf hin, dass die vom AMS in der Revision dazu vertretene Ansicht, wonach die Bemessung des Arbeitslosengeldes für die Bemessung der darauf aufbauenden Notstandshilfe bindend gewesen sei, richtig ist. Die Höhe der Notstandshilfe ergibt sich gem § 36 Abs 1 AlVG aus einem Prozentsatz des „jeweils gebührenden täglichen Arbeitslosengeldes“ (Grundbetrag und allfälliger Ergänzungsbetrag). Damit wird an den vorangegangenen Arbeitslosengeldanspruch angeknüpft (vgl VwGH 12.10.2017, Ra 2017/08/0046). Ist die Bemessung dieses Arbeitslosengeldanspruchs keiner Berichtigung mehr zugänglich, weil – wie im vorliegenden Fall – die dreijährige Frist des § 24 Abs 2 AlVG abgelaufen ist, so ist der in der (nach § 47 Abs 1 vierter Satz AlVG bestandskräftigen) Mitteilung über den Arbeitslosengeldanspruch festgelegte Grundbetrag und allfällige Ergänzungsbetrag für die Bemessung der Notstandshilfe bindend und dieser zugrunde zu legen.

Dessen ungeachtet erweist sich die Revision nach dem oben Gesagten als unbegründet. Sie war daher, da sich dies schon aus ihrem Inhalt erkennen ließ, gem § 35 Abs 1 VwGG ohne weiteres Verfahren abzuweisen.