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Kündigungsfrist für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe: Der Arbeitnehmer trägt die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Saisonbranche

CHRISTOPHRADLINGMAYER

Macht der vom AG unter Berufung auf die 14-tägige Kündigungsfrist des Pkt 21 lit a KollV gekündigte AN auf Basis der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB Kündigungsentschädigung geltend, so muss nicht der AG das Vorliegen einer Saisonbranche und damit die Rechtswirksamkeit der kollektivvertraglichen Regelung behaupten und beweisen. Vielmehr trägt der klagende AN im Prozess die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass in einer Branche Betriebe, die keine Saisonbetriebe sind, überwiegen und die kollektivvertragliche Bestimmung des Pkt 21 lit a KollV daher wirkungslos ist, weshalb nicht die kürzere kollektivvertragliche, sondern die längere gesetzliche Kündigungsfrist zum Tragen kommt.

Sachverhalt

Der Kl war bei der Bekl seit 20.5.2021 als Kellner mit einem Lohn von € 1.575,- brutto monatlich vollzeitbeschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangt der KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete durch AG-Kündigung vom 5.10.2021 (zugegangen dem Kl spätestens am 7.10.2021) zum 21.10.2021.

Der Kl begehrt die Zahlung von € 10.420,99 brutto. Darin enthalten sind – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – Ansprüche auf Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 9.11. bis 31.12.2021 in Höhe von € 2.730,01 brutto (ohne Überstundendurchschnitt), Urlaubsersatzleistung in Höhe von € 849,67 brutto (ohne Überstundendurchschnitt) und Jahresremuneration in Höhe von € 1.950,40 brutto. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Bekl betreibe keinen „Saisonbetrieb“, weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB zur Anwendung gelange.

Die Bekl wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass die Kündigung unter Einhaltung der gem Pkt 21 lit a des anzuwendenden KollV vorgesehenen Frist von 14 Tagen zulässig erfolgt sei. Für den Fall der Geltung einer sechswöchigen Kündigungsfrist habe das Dienstverhältnis zum 30.11.2021 beendet werden können, weil es analog zum KollV für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe zum 15. und Letzten eines Monats kündbar sei.

Verfahren und Entscheidung

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung statt, die Bekl habe sich gar nicht auf § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB berufen und auch nicht behauptet, dass das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen einer Branche angehöre, in der Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen. Eine Vereinbarung iSd § 1159 Abs 3 ABGB habe die Bekl nicht behauptet. Eine „analoge“ Anwendung von Bestimmungen des KollV für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe auf das Dienstverhältnis des Kl käme nur dann in Betracht, wenn eine Regelung in dem auf das Dienstverhältnis sachlich und persönlich anwendbaren KollV fehle. Dies sei aber hier nicht der Fall. Die zum 21.10.2021 ausgesprochene Kündigung sei daher fristwidrig erfolgt, dem Kl gebühre die vom Erstgericht zugesprochene Kündigungsentschädigung […].

Die Revision der Bekl wurde bereits im Beschluss des OGH vom 14.2.2024 zu 9 ObA 38/23p für zulässig erklärt. Sie ist iSd subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

[10] I. Da der Oberste Gerichtshof Bedenken gegen die Verfassungskonformität der Bestimmungen des § 1159 Abs 1 bis Abs 4 ABGB idF BGBl I 2017/153, allenfalls des § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153, allenfalls des § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB idF BGBl I 2017/153für sich allein gesehen, hatte, stellte er mit Beschluss vom 14.2.2024, AZ 9 ObA 38/23p, einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gem § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

[11] Mit Erkenntnis vom 25.6.2024, G 29/2024-12, wies der Verfassungsgerichtshof diesen Antrag ab.

[12] Das Revisionsverfahren ist nun fortzuführen.

[13] II.1. § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153lautet:

„(1) Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.4

(2) Mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung kann der Dienstgeber das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr auf drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr auf fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.

(3) Die Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung nicht unter die im Absatz 2 bestimmte Dauer herabgesetzt werden; jedoch kann vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist am Fünfzehnten oder am Letzten des Kalendermonats endigt.

(4) Mangels einer für ihn günstigeren Vereinbarung kann der Dienstnehmer das Dienstverhältnis mit dem letzten Tage eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist lösen. Diese Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden; doch darf die vom Dienstgeber einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die mit dem Dienstnehmer vereinbarte Kündigungsfrist. Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 22/1974 überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.

(5) Ist das Dienstverhältnis nur für die Zeit eines vorübergehenden Bedarfes vereinbart, so kann es während des ersten Monats von beiden Teilen jederzeit unter Einhaltung einer einwöchigen Kündigungsfrist gelöst werden.“

[14] § 1159 ABGB trat (nach Verschiebungen) schließlich mit 1.10.2021 in Kraft (§ 1503 Abs 19 ABGB idF BGBl 2021/121) und ist auf Beendigungen anzuwenden, die – wie hier – nach dem 30.9.2021 ausgesprochen wurden.

[15] 2. § 53 Abs 6 ArbVG lautet:

„Als Saisonbetriebe gelten Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten.“

[16] 3. Pkt 21 lit a des (Rahmen-)Kollektivvertrags für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe in der ab 1.5.2019 geltenden Fassung abgeschlossen zwischen dem Fachverband Gastronomie und dem Fachverband Hotellerie und der Gewerkschaft vida (in der ab 1.5.2019 geltenden Fassung) lautet:

„21. Lösung des Arbeitsverhältnisses

a. Das unbefristete Arbeitsverhältnis kann in den ersten 14 Tagen, die als Probezeit gelten, ohne vorherige Kündigung gelöst werden. Nach Ablauf dieser Zeit kann das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14-tägiger Kündigung gelöst werden.“

[17] 4. Mit § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 im Verhältnis zu Pkt 21 lit a KV hat sich der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v, die jeweils in Verfahren gem § 54 Abs 2 ASGG ergingen, ausführlich auseinandergesetzt. Die wesentlichen Aussagen dieser Entscheidungen lassen sich, soweit sie Bedeutung für den vorliegenden Fall haben, wie folgt zusammenfassen:

[18] 4.1. Die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und -termine von Arbeitern und Angestellten ist nach dem gesetzlichen Modell nicht durchgehend verwirklicht, sondern ermöglicht nach Maßgabe des § 1159 ABGB kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell, die für „Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen“, auch kürzere Kündigungsfristen enthalten können (9 ObA 116/21f Rz 19; vgl auch § 10 Abs 5 AÜG; RS0133981).

[19] 4.2. Eine bereits vor Inkrafttreten des § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153 (letztlich mit 1.10.2021, § 1503 Abs 19 ABGB) geschaffene kollektivvertragliche Regelung – wie Pkt 21 lit a KV – hat auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes weiter Bestand, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden (9 ObA 116/21f Rz 25).

[20] 4.3. Der Begriff der „Branche“ ist gesetzlich nicht definiert. Der fachliche Geltungsbereich des KV erstreckt sich auf die Hotellerie und Gastronomie und ist als branchenbestimmend anzusehen. Das Hotel- und Gastgewerbe ist in diesem Sinn als einheitliche Branche anzusehen (9 ObA 116/21f Rz 33).

[21] 4.4. Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt nur, wenn in der Branche „Saisonbetriebe“ (§ 53 Abs 6 ArbVG iVm § 1159 Abs 2 und 4 jeweils letzter Satz ABGB) überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst (9 ObA 116/21f Rz 34). Die Kollektivvertragsparteien können das Überwiegen von Saisonbetrieben zwar deklarativ festhalten, jedoch nicht normativ festlegen, weil dieser Umstand tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis ist (Rz 35). „Überwiegen“ bedeutet quantitatives Überwiegen: es kommt – was in einem längeren Untersuchungszeitraum zu beurteilen ist – auf die Anzahl der Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtanzahl der Betriebe einer Branche an (Rz 36 f).

[22] III. Im vorliegenden Verfahren ist die Frage strittig, ob der klagende Arbeitnehmer, der sich auf die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 Satz 2 ABGB beruft, die Unwirksamkeit der eine kürzere Kündigungsfrist normierenden Bestimmung des Pkt 21 lit a Satz 2 KV zu behaupten und die insoweit relevanten Tatsachen zu beweisen hat, oder der sich auf die kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist berufende Arbeitgeber die Behauptungs- und Beweislast dafür trägt, dass die Bestimmung des Pkt 21 lit a Satz 2 KV (iVm § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB) und nicht die gesetzliche Bestimmung des § 1159 Abs 2 Satz 2 ABGB im konkreten Fall wegen des Vorliegens einer Saisonbranche anwendbar ist.

IV. Dazu ist auszuführen:

[23] 1. Die hier zu beurteilende Rechtsfrage hat der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht beantwortet. 5Im Schrifttum finden sich dazu zahlreiche, unterschiedliche Stellungnahmen:

[24] 2. Für eine Behauptungspflicht (und Beweislastverteilung zu Lasten) des Arbeitgebers sprechen sich folgende Autorinnen und Autoren aus: […]

[30] 3. Hingegen treten für die Rechtsauffassung, dass der gekündigte Arbeitnehmer, der unter Berufung auf das Gesetz eine Kündigungsentschädigung fordert, jene Tatsachen zu beweisen hat, aus denen sich die Nichtigkeit einer kollektivvertraglichen Regelung über Kündigungsfristen und -termine ergibt, folgende Autorinnen und Autoren ein: [….]

[34] 3.4. Dehn (Unbefristetes Unbestimmtes? In FS Neumayr II, 2467 [2474 ff]) argumentiert, dass die Erklärung eines Kollektivvertrags, die von ihm geregelte Branche sei eine Saisonbranche im Sinne des § 1159 ABGB, nur eine Orientierung sein, aber keine abschließende Richtigkeitsgewähr bieten könne. Die Kollektivvertragsparteien könnten im Streben um die Schaffung von Rechtsklarheit zwar auf das Überwiegen von Saisonbetrieben in der Branche hinweisen, diesen Umstand aber nicht normativ festlegen, weil ihre Regelungsbefugnis ja erst einsetze, wenn der Tatbestand tatsächlich erfüllt sei. Grundsätzlich sei eine kollektivvertragliche Regelung nicht im Hinblick auf ihre Rechtswirksamkeit, sondern auf ihre allfällige Rechtsunwirksamkeit hin zu prüfen. Im Individualprozess bedürfte es demnach nicht im Interesse der Prozesspartei, die sich auf die kollektivvertragliche Regelung berufe, der Feststellung von Tatsachen für die Annahme ihrer Wirksamkeit, sondern vielmehr im Interesse der Gegenpartei, die sich auf die gesetzliche Frist berufe, der Feststellung von Tatsachen für die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Frist. Daher wäre die Prozesslast im Falle einer Negativfeststellung über die zu behauptenden Tatsachen von demjenigen zu tragen, der die kollektivvertragliche Regelung nicht angewendet wissen wolle.

[35] V. Den überzeugenden Rechtsausführungen von Dehn, die der Senat teilt, sind folgende Grundsätze voranzustellen:

[36] 1. Gem § 11 Abs 1 ArbVG sind die Bestimmungen des Kollektivvertrags, soweit sie nicht die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien regeln, innerhalb seines fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereichs unmittelbar rechtsverbindlich. In diesem Geltungsbereich wirken die Bestimmungen des Kollektivvertrags normativ, sie schaffen objektives Recht und sind als Gesetz im materiellen Sinn zu qualifizieren (RS0050914; Reissner in ZellKomm3 § 11 ArbVG Rz 5 mwN; Pfeil in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 11 ArbVG Rz 5; Resch in Jabornegg/Resch, ArbVG § 11 Rz 4).

[37] 2. Nach der Rechtsprechung ist eine mit zwingendem Recht in Widerspruch stehende Kollektivvertragsbestimmung nicht rechtsgültig und daher wirkungslos (RS0050828) bzw nichtig (vgl RS0034517 [T12, T18]; Mosler/Felten in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 2 ArbVG Rz 23; Runggaldier in Brameshuber/Tomandl, Arbeitsverfassungsgesetz, § 2 ArbVG Rz 37). Auch dann, wenn die Kollektivvertragsparteien ihre vom Gesetz (§ 2 Abs 2 ArbVG) eingeräumte Ermächtigung überschritten haben, kommt der kollektivvertraglichen Regelung nicht die Normwirkung des § 11 Abs 1 ArbVG zu (vgl 8 ObA 98/02y; vgl Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 2 Rz 10).

[38] 3. § 43 Abs 1 ASGG, wonach der Inhalt kollektivvertraglicher Normen von Amts wegen zu ermitteln ist, enthält keine Beweislastregel. Kollektivvertragliche Regelungen weisen eine „Richtigkeitsvermutung“ bzw „Richtigkeitsgewähr“ auf (vgl Mosler/Felten in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 2 ArbVG Rz 7). Diese stellt in der Sache eine Vermutung für die Angemessenheit, Sachlichkeit und Rechtsrichtigkeit des Kollektivvertrags dar. Den Kollektivvertragsparteien darf nämlich grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, weshalb bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828; RS0008897). Dennoch steht es den Parteien frei, im gerichtlichen Verfahren die Unwirksamkeit kollektivvertraglicher Normen, etwa wegen Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung, geltend zu machen.

[39] 4. Nach den allgemeinen Beweislastregeln hat jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen (RS0109832 [T1]; RS0039939 [T30]), und es trifft denjenigen die Beweislast, der behauptet, es liege eine Ausnahme von einer allgemeinen Regel vor (RS0040188; RS0109832 [T6]). Hier stellt sich nicht die Frage, ob ein konkreter Sachverhalt die Voraussetzungen einer bestimmten Norm erfüllt, sondern ob eine bestimmte Norm selbst überhaupt rechtswirksam ist. Spricht eine Prozesspartei einer kollektivvertraglichen Bestimmung die Normwirkung ab, dann hat sie die allenfalls erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufzustellen, aus denen sich die Unwirksamkeit der Bestimmung – hier die Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung – ableiten lässt.

[40] 5. Die hier zu beurteilende Rechtsfrage kann aber nicht abschließend beantwortet werden, weil dazu Feststellungen fehlen.

[41] 6. Da die Parteien (unstrittig) keine Vereinbarung im Sinne des § 1159 Abs 3 zweiter Halbsatz ABGB getroffen haben, endet die Kündigungsfrist nach § 1159 Abs 2 Satz 1 ABGB jedenfalls mit Ablauf des Kalendervierteljahres.

[42] 7. Pkt 15 des Kollektivvertrags für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe, wonach das unbefristete Dienstverhältnis nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes mit der Maßgabe gekündigt werden kann, dass es jeweils zum 15. oder Letzten des Kalendermonats aufgekündigt werden kann (§ 20 Abs 3 AngG), ist auf Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe, die einem anderen Kollektivvertrag unterliegen, nicht analog anwendbar. Ein Analogieschluss würde eine Gesetzeslücke voraussetzen, was heißt, dass der 6 Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann (RS0098756 [T12]; RS0010089 [T40]). Dass dies hier der Fall wäre, behauptet aber selbst die Revisionswerberin nicht. Es ist zudem nicht Aufgabe des Gerichts, vermeintlich unbefriedigende Gesetzesbestimmungen (hier Kollektivvertragsbestimmungen) zu ändern (RS0008880). Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber mit 1.7.2018 eine gewisse Angleichung der Kündigungsfristen und -termine für Arbeiter/-innen an die Systematik der Angestellten nach dem Angestelltengesetz getroffen hat (BGBl I 2017/153), eine völlige Angleichung hat der Gesetzgeber jedoch nicht vorgenommen (9 ObA 131/19h).

[43] 8. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

[44] 8.1. Macht der vom AG unter Berufung auf die 14-tägige Kündigungsfrist des Pkt 21 lit a KV gekündigte AN auf Basis der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 ABGB Kündigungsentschädigung geltend, so muss nicht der AG das Vorliegen einer Saisonbranche und damit die Rechtswirksamkeit der kollektivvertraglichen Regelung behaupten und beweisen. Vielmehr trägt der klagende AN im Prozess die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass in einer Branche Betriebe, die keine Saisonbetriebe sind, überwiegen und die kollektivvertragliche Bestimmung des Pkt 21 lit a KV daher wirkungslos ist, weshalb nicht die kürzere kollektivvertragliche, sondern die längere gesetzliche Kündigungsfrist zum Tragen kommt.

[45] Der OGH verkennt nicht die – gerade auch im konkreten Fall – mit dieser Beweisführung verbundenen Schwierigkeiten. Es ist jedoch nicht Aufgabe der – ordentlichen – Gerichte, unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, sondern der Gesetzgebung (RS0008880).

[46] 8.2. Kann nicht festgestellt werden, ob eine Saisonbranche vorliegt (non liquet), dann trifft den diesbezüglich behauptungs- und beweispflichtigen AN die Beweislast. In diesem Fall sind die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 1159 Abs 2 ABGB nicht als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.

[47] 8.3. Pkt 15 des Kollektivvertrags für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe, wonach das unbefristete Dienstverhältnis nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes mit der Maßgabe gekündigt werden kann, dass es jeweils zum 15. oder Letzten des Kalendermonats aufgekündigt werden kann (§ 20 Abs 3 AngG), ist auf AN, die dem Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe unterliegen, nicht analog anwendbar.

[48] 9.1. Die Parteien haben hier kein (ausreichendes) Vorbringen zur Beurteilung der Frage erstattet, ob Pkt 21 lit a KV mit § 1159 Abs 2 ABGB in Widerspruch steht. Insbesondere hat der behauptungs- und beweispflichtige Kläger keine Behauptungen in Ansehung des Überwiegens von Betrieben in der Branche des Hotel- und Gastgewerbes, die keine Saisonbetriebe sind, aufgestellt und dafür Beweisanbote erstattet. Dementsprechend wurden hierzu auch keine Feststellungen getroffen.

[49] 9.2. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RS0037300). Das Verbot von Überraschungsentscheidungen gilt auch für den Obersten Gerichtshof (RS0037300 [T55]). Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren mit den Parteien die dargestellten Grundsätze zur Behauptungs- und Beweispflicht zu erörtern und ihnen Gelegenheit zur Erstattung weiteren Vorbringens zu geben haben.

[50] In Stattgebung der Revision der Beklagten waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben. […]

ERLÄUTERUNG

Die Frage der richtigen Kündigungsfrist für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe hat die Fachliteratur und die Rsp laufend beschäftigt. Mit der vorliegenden E kann die Debatte wohl als beendet betrachtet werden.

Die Neuregelung des § 1159 ABGB ist am 1.10.2021 in Kraft getreten und sieht in Angleichung an § 20 AngG bei einer AG-Kündigung eine Kündigungsfrist von sechs Wochen bis fünf Monaten vor (Abs 2). Als Kündigungstermin gilt gem Abs 3 das Quartal, es sei denn, es wären der 15. und/oder der Monatsletzte vereinbart worden. Abs 2 letzter Satz erlaubt den Kollektivvertragsparteien abweichende Regelungen in Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen. Eine Definition des Saisonbetriebs enthält § 53 Abs 6 ArbVG. Danach gelten jene Betriebe als Saisonbetriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten.

Im Hotel- und Gastgewerbe war zwischen den Kollektivvertragsparteien strittig, ob eine Saisonbranche vorliegt. Daher wurde eine gerichtliche Klärung versucht. Sowohl die WKO (OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f) als auch die Gewerkschaft (OGH 27.4.2022, 9 ObA 137/21v) haben Feststellungsanträge gem § 54 Abs 2 ASGG beim OGH eingebracht. Die WKO wollte feststellen lassen, dass im Hotel- und Gastgewerbe Saisonbetriebe überwiegen, die Gewerkschaft wollte das Gegenteil feststellen lassen. Würden Saisonbetriebe überwiegen, gilt die kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist von 14 Tagen, bei Nicht-Überwiegen gilt die längere gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 ABGB.

In den beiden Verfahren wurden als Beweismittel vor allem umfangreiches Zahlen- und Datenmaterial zu den Betrieben und Dienstverhältnissen in der Branche vorgelegt. Dennoch sind beide Anträge abgewiesen worden, weil weder das eine (Saisonbranche) noch das andere (keine Saisonbranche) nachgewiesen werden konnte. Diese ernüchternden Ergebnisse haben verdeutlicht, dass die Saisonbranchenausnahme in der und für die Praxis untauglich ist.7

Im vorliegenden Fall hat ein AN, der unter Einhaltung der 14-tägigen Kündigungsfrist des KollV gekündigt wurde, eine Kündigungsentschädigung mit dem Argument eingeklagt, der AG hätte die längere, gesetzliche Frist einhalten müssen. Im Verfahren war die Beweislastverteilung von größter Bedeutung: Muss der AN den Beweis erbringen, dass im Hotel- und Gastgewerbe Saisonbetriebe nicht überwiegen, damit die gesetzliche Kündigungsfrist zum Tragen kommt, oder muss der AG den Beweis erbringen, dass Saisonbetriebe überwiegen, damit die kollektivvertragliche Frist zur Anwendung gelangt?

Der OGH hat sich der Ansicht von Dehn angeschlossen, die vertritt, dass denjenigen die Beweislast trifft, der die Unwirksamkeit einer Kollektivvertragsklausel behauptet. Der klagende AN muss also den Beweis erbringen, dass im Hotel- und Gastgewerbe Saisonbetriebe nicht überwiegen.

Der OGH hat den Fall an die erste Instanz zurückverwiesen, um dem AN die Möglichkeit einzuräumen, den erforderlichen Beweis zu erbringen. Hierbei handelt es sich mE selbst mithilfe von (überaus teuren) Sachverständigen um ein aussichtsloses Unterfangen.

Für Kündigungen, die den Arbeitern im Hotel- und Gastgewerbe ab dem 1.11.2024 zugehen, gelten aufgrund einer neuen Kollektivvertragsbestimmung ausschließlich die gesetzlichen Kündigungsfristen.