22Nachsicht von der Sperrfrist bei Beendigung in der Probezeit wegen unangemessenen Entgelts
Nachsicht von der Sperrfrist bei Beendigung in der Probezeit wegen unangemessenen Entgelts
Der Beschwerdeführer befand sich über Vermittlung des Arbeitsmarktservice (AMS) ab 2.5.2024 als Telefoninterviewer bei der J GmbH in einem Dienstverhältnis. Auf das Dienstverhältnis kommt kein KollV zur Anwendung. Das Entgelt wurde im Vermittlungsvorschlag mit € 1.425,- brutto pro Monat mit der Bereitschaft zur Überzahlung angegeben. Das vereinbarte Bruttogehalt laut Arbeitsvertrag betrug für 30 Wochenstunden € 1.069,- pro Monat, somit einer Entsprechung von € 1.425,- für 40 Stunden. Am 13.5.2024 wurde das Dienstverhältnis durch den Beschwerdeführer per E-Mail in der Probezeit beendet. Als Grund für die Beendigung des Dienstverhältnisses führte der Beschwerdeführer in der E-Mail ua die aus seiner Sicht zu geringe Entlohnung an.
Mit Bescheid vom 21.5.2024 stellte das AMS fest, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum 14.5. bis 10.6.2024 gem § 11 AlVG kein Arbeitslosengeld erhalte, da er sein Dienstverhältnis freiwillig gelöst habe. In der dagegen eingebrachten Beschwerde führte der Beschwerdeführer aus, dass er in seinem Recht auf Notstandshilfe verletzt sei, da die Stelle nicht den Zumutbarkeitskriterien nach § 9 Abs 2 AlVG entsprochen habe.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 23.7.2024 wies das AMS die Beschwerde ab. Der Beschwerdeführer beantragte die Vorlage der Beschwerde an das BVwG und brachte zu seinem bisherigen Vorbringen ergänzend vor, dass eine Stelle nur zumutbar sei, wenn sie nach dem KollV entlohnt werde. Die J GmbH zahle nur € 1.425,- bei Vollzeitarbeit, wovon noch die Kosten für Notebook, Arbeitsplatz, Strom, Energie und Telefonkosten abzuziehen seien, sodass dies unter dem Mindestlohn von € 1.500,- liege.
Das BVwG gab der Beschwerde statt und erteilte dem Beschwerdeführer für den Zeitraum von 14.5. bis 10.6.2024 Nachsicht vom Ausschluss des Bezuges des Arbeitslosengeldes gem § 11 Abs 2 AlVG.
Seine Entscheidung begründete das BVwG wie folgt:
Gem § 11 Abs 1 AlVG erhalten Arbeitslose, deren Dienstverhältnis in Folge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben, für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. Da der Beschwerdeführer das Dienstverhältnis freiwillig gelöst hat, wurde die vierwöchige Sperrfrist dem Grunde nach zu Recht ausgesprochen.
Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist jedoch gem Abs 2 leg cit in berücksichtigungswürdigen Fällen ganz oder teilweise nachzusehen. Für die Beurteilung des Vorliegens von Nachsichtsgründen iSd § 11 Abs 2 AlVG sind neben den im Gesetz ausdrücklich genannten Nachsichtsgründen, wie die Aufnahme einer anderen Beschäftigung und gesundheitliche Gründe, insb Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie etwa § 9 Abs 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom AMS vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsieht.
Wenn – wie fallbezogen – auf das zu beurteilende Dienstverhältnis kein KollV anwendbar ist, ist gem § 9 Abs 2 AlVG zu beurteilen, ob es sich bei der angebotenen Entlohnung für die konkrete Beschäftigung um ein angemessenes Entgelt iSd § 1152 ABGB handelt, also um ein Entgelt, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme darauf ergibt, was unter ähnlichen Umständen geschieht oder geschehen ist (VwGH 7.5.2008, 2007/08/0084). Soweit das AMS zunächst unter Hinweis auf die Wirtschafts- und Arbeiterkammer darauf verweist, es gelte was vereinbart sei (solange es nicht sittenwidrig ist), so vermag dies die Angemessenheitsprüfung iSd § 9 Abs 2 AlVG nicht zu ersetzen.
Der OGH verweist in ständiger Judikatur darauf, dass nach Lehre und Rsp jenes Entgelt als angemessen iSd § 1152 ABGB anzusehen ist, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme auf das, was unter ähnlichen Umständen geleistet wird, ergibt (OGH RS0021636, RS0038346). Dies bedeutet in Fällen, in denen ortsüblich höhere als die kollektivvertraglichen Mindestgehälter angeboten werden, ist in der Regel von diesen Löhnen als dem angemessenen Entgelt auszugehen (OGH 23.11.2010, 1 Ob 175/10g). Für die Sparte „Werbung und Marktkommunikation“ besteht in Wien ein KollV mit einem Gehalt von zumindest € 1.920,50 brutto. Auch das AMS gibt in seinem Berufslexikon zur Tätigkeit „Callcenter Agent“, worunter laut Berufslexikon auch Meinungsumfragen für Markt- und Meinungsforschungsunternehmen fallen, ein Einstiegsgehalt zwischen € 1.750,- bis 35€ 2.030,- an, und führt dazu aus, dass dieses auf den entsprechenden Mindestgehältern in den Kollektivverträgen zum Stand 2022 basiert.
Fallbezogen verweist das BVwG darauf, dass das zwischen der J GmbH und dem Beschwerdeführer vertraglich vereinbarte Entgelt in Höhe von € 1.069,- für 30 Stunden, somit € 1.425,- für 40 Stunden, ca € 500,- unter dem Wiener KollV liegt und um ca € 300,- unter dem geringsten vom AMS als Referenzwert herangezogenen Entgelt von € 1.750,-. Das Entgelt ist vor dem Hintergrund der Judikatur zu § 1152 ABGB daher dem BVwG zufolge nicht als angemessen zu sehen.
Ergänzend wies das BVwG darauf hin, dass weder die Sachüberlassung der Arbeitsmittel noch die Homeoffice-Pauschale ein Entgelt iSd § 49 ASVG darstellen (§ 49 Abs 3 Z 31 ASVG). Das BVwG hält daher zusammenfassend fest, dass das vereinbarte Entgelt der von der Judikatur geforderten Vergleichbarkeit mit ähnlichen Umständen daher nicht standhält und sich iSd § 9 Abs 2 AlVG als unangemessen erweist. Es liegen daher berücksichtigungswürdige Gründe für die Auflösung des Dienstverhältnisses iSd § 11 Abs 2 AlVG vor, weshalb zur Gänze Nachsicht vom Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes zu gewähren ist.