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Verlust des Notstandshilfeanspruchs bei Ablehnung des Stellenangebots eines Sozialökonomischen Betriebs im Rahmen eines Kontrollmeldetermins

NICOLEPINTER

Der Mitbeteiligte, der über Berufserfahrung als Elektrotechniker verfügt, bezieht seit 2.1.2009 überwiegend Leistungen aus der AlV, seit 31.7.2009 steht er mit kurzen Unterbrechungen im Bezug von Notstandshilfe. Am 20.2.2023 wurde ihm vom Arbeitsmarktservice (AMS) ein Einladungsschreiben für die Teilnahme am „Bewerbungstag“ bei I. Personalservice übermittelt. In dem Schreiben wurde mitgeteilt, dass das Ziel der Veranstaltung (gegebenenfalls nach Absolvierung einer Vorbereitungsphase [Hervorhebung durch das AMS]) die Aufnahme eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses (Transitdienstverhältnis) sei. Am 28.2.2023 wurde ihm im Zuge seiner Teilnahme am Bewerbungstag über die I. GmbH eine Anstellung bei I.-DD. als IT-Techniker angeboten. Dieses Stellenangebot lehnte er schriftlich wie folgt ab: „Die Stelle ist inhaltlich nicht passend, da ich mich mit geforderten Inhalten Bsp Installation, Konfiguration von Mac Laptops, I-Pads nicht vertraut bin und keine Erfahrung mit dem Bearbeiten von Incidents und Service Requests, Video f Audiokonferenzen habe.“

Mit Bescheid vom 17.3.2023 sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des AMS gem § 38 iVm § 10 AlVG aus, dass der Mitbeteiligte im Zeitraum 28.2. bis 10.4.2023 seinen Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe, weil er eine vom AMS zugewiesene und zumutbare Beschäftigung bei der Firma I. abgelehnt habe. Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor. Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte vor, dass er am 20.2.2023 von seinem AMS-Betreuer lediglich das Einladungsschreiben zu einem Bewerbungstag bei I. Personalservice erhalten habe, ohne vorher über den Inhalt, Sinn oder Zweck der Maßnahme informiert zu werden. Es seien keine Gründe für die Notwendigkeit und Zweckdienlichkeit der Maßnahme angegeben worden. Vor der Vertragsunterzeichnung hätte es nicht die im Einladungsschreiben erwähnte Vorbereitungsphase einschließlich bei Bedarf Qualifizierung, Training im Job und kostenloses Praktikum gegeben, sondern es wäre am selben Tag ein sechs Monate dauerndes Transitarbeitsverhältnis mit der Firma I. zu unterzeichnen gewesen.

Das BVwG gab der Beschwerde statt und behob die negative Beschwerdevorentscheidung des AMS ersatzlos. Dies stützte es darauf, dass der Mitbeteiligte im Einladungsschreiben zum Bewerbungstag bei I. Personalservice darauf hingewiesen worden sei, dass es sich dabei um einen Kontrollmeldetermin iSd § 49 AlVG handle. Damit stelle sich die Frage, ob das Verhalten bei einem Kontrollmeldetermin mit einer Sanktion gem § 10 AlVG geahndet werden könne. Nach der Rsp des VwGH (Hinweis 20.12.2006, 2005/08/0159) setze das voraus, dass der arbeitslosen Person der Unterschied deutlich gemacht werde, wenn kein Beratungs-, sondern ein Vorstellungsgespräch geführt werde. Im vorliegenden Fall sei der Mitbeteiligte zu einem Bewerbungstag bei einem Sozialökonomischen Betrieb mit dem Hinweis zugewiesen worden, dass es sich um einen Kontrolltermin iSd § 49 AlVG handle. Dem Mitbeteiligten sei daher nicht deutlich gemacht worden, dass bei Wahrnehmung dieses Termins kein Beratungs-, sondern ein Vorstellungsgespräch stattfinden würde. ISd Judikatur des VwGH habe er davon ausgehen dürfen, dass lediglich die Wahrnehmung des Kontrollmeldetermins zur Vermeidung von Sanktionen (nach § 49 Abs 2 AlVG) erforderlich sei, nicht aber, dass auch noch sein Verhalten bei dem Termin Sanktionen (und zwar nach § 10 AlVG) hervorrufen könnte. Die Sanktion des § 10 AlVG scheide für ein Verhalten bei einem Termin aus, wenn dieser (auch) als Kontrolltermin vorgeschrieben worden sei.

Zur Klärung der Rechtsfrage, ob eine Sanktion nach § 10 AlVG verhängt werden könne, wenn einer arbeitslosen Person im Zuge der Wahrnehmung eines 36 Kontrollmeldetermins bei einem Sozialökonomischen Betrieb von diesem Betrieb ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis angeboten und diese Beschäftigung von der arbeitslosen Person abgelehnt werde, brachte das AMS außerordentliche Amtsrevision ein.

Das angefochtene Erkenntnis wurde vom VwGH wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der VwGH führt aus, dass es sich bei dem angebotenen Transitarbeitsverhältnis um eine sich sonst bietende Arbeitsmöglichkeit handelte. Sie unterscheidet sich von der bloßen Vermittlung durch das AMS oder einen von diesem beauftragten Dienstleister (nur) dadurch, dass sich eine Arbeitsmöglichkeit in der Regel erst dann „bieten“ wird, wenn es entweder nur mehr am DN liegt, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt, oder wenn zumindest der potentielle DG (oder ein von diesem Bevollmächtigter) direkt mit der arbeitsuchenden Person in Kontakt tritt und ihr (zumindest) ein Vorstellungsgespräch offeriert; unter diesen – im vorliegenden Fall unstrittig gegebenen – Voraussetzungen kommen die in § 10 AlVG vorgesehenen Sanktionen auch bei der Ausschlagung einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit in Frage (vgl VwGH 2.5.2012, 2010/08/0054, mwN).

Das BVwG hatte sich jedoch in seiner E auf das Erkenntnis VwGH 20.12.2006, 2005/08/0159, berufen, wonach die Sanktion des § 9 iVm § 10 AlVG für ein Verhalten bei einem Termin ausscheidet, wenn dieser (auch) als „Kontrolltermin“ vorgeschrieben worden ist. Die beiden Tatbestände sind dieser Judikatur zufolge scharf voneinander abzugrenzen, sodass die Nichteinhaltung eines Kontrolltermines iSd § 49 AlVG nicht der Vereitelung einer Beschäftigung iSd § 10 Abs 1 Z 1 AlVG gleichgestellt werden kann. Dazu führt der VwGH in seiner Begründung aus, dass dem Rechtssatz, wonach die Sanktion des § 9 iVm § 10 AlVG für ein Verhalten bei einem Termin ausscheidet, wenn dieser (auch) als Kontrollmeldetermin vorgeschrieben worden ist, die Überlegung zugrunde lag, dass die arbeitslose Person die Möglichkeit haben muss, eindeutig zu erkennen, in welcher Rolle das AMS tätig wird – als Behörde, gegenüber der Bedenken im Hinblick auf für eine Zuweisung in Betracht kommende Beschäftigungen ohne Einschränkungen geäußert werden können und gegebenenfalls sogar müssen, oder als Arbeitsvermittler im Auftrag potentieller DG, gegenüber dem ein Verhalten wie in einem Vorstellungsgespräch an den Tag zu legen ist.

Diese Doppelrolle hat ein Sozialökonomischer Betrieb aber von vornherein nicht. Wird durch einen solchen eine Beschäftigung angeboten, so kann deren Ablehnung die Rechtsfolgen nach § 10 AlVG daher auch dann auslösen, wenn das Angebot im Rahmen eines Kontrollmeldetermins erfolgt ist. Voraussetzung ist, dass es sich tatsächlich um ein konkretes Stellenangebot und nicht nur um allgemeine Vorschläge – etwa zur Abklärung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt – handelt (vgl VwGH 15.5.2013, 2012/08/0184). Dies wurde im vorliegenden Fall nicht bestritten.

Ob sich der Mitbeteiligte aber der möglichen Sanktion nach § 10 AlVG als Folge der Ablehnung des Dienstverhältnisses bewusst war und ob er vom potentiellen DG oder dem AMS über diese Sanktionsfolgen unterrichtet wurde, ist für die Annahme der Verweigerung nicht relevant, da es allein auf den Vorsatz zur Ablehnung einer zumutbaren Beschäftigung, nicht aber auf die dafür ausschlaggebenden Motive ankommt (vgl VwGH 2.5.2012, 2010/08/0054).