26Verpflichtung zur Vorschussleistung bei „vorläufiger Einstellung“ der Ausgleichszulage
Verpflichtung zur Vorschussleistung bei „vorläufiger Einstellung“ der Ausgleichszulage
Kann der Versicherungsträger bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage einen Bescheid über die Neufeststellung der Ausgleichszulage nicht erlassen, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, so ist er in analoger Anwendung der §§ 99, 296 Abs 3 ASVG zur Entziehung des Ausgleichszulagenanspruchs berechtigt. Diesfalls ist er aber gleichzeitig verpflichtet, die Ausgleichszulage – mangels anderer vorhandener Informationen in der Regel in Höhe der zuletzt gebührenden Leistung – zu bevorschussen.39
Die Kl bezieht von der bekl Pensionsversicherungsanstalt eine Berufsunfähigkeitspension von € 1.048,21 brutto monatlich. Sie lebt mit ihrem Ehegatten im gemeinsamen Haushalt. Dieser bezog im Kalenderjahr 2023 eine Versehrtenrente von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt von € 251,98 brutto monatlich. Aufgrund einer automatisierten Datenträgermeldung vom 6.9.2023 erlangte die Bekl davon Kenntnis, dass der Ehegatte der Kl im August 2023 einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen war. Der Umstand, dass diese Beschäftigung von der Kl entgegen ihrer Meldeverpflichtung gem § 40 ASVG nicht bekannt gegeben wurde, veranlasste die Bekl zu einer amtswegigen Prüfung des Aktes. Diese ergab, dass die Kl im Zuge einer gerichtsärztlichen Untersuchung im Vorverfahren über die Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension am 23.2.2015 angegeben hatte, dass ihr Ehegatte über Patent- und Mieteinkünfte verfüge.
Mit Bescheid vom 11.9.2023 stellte die Bekl die zur Berufsunfähigkeitspension gewährte Ausgleichszulage ab 1.9.2023 „vorläufig“ ein. Als Rechtsgrundlage werden die §§ 40, 107 Abs 2 lit a ASVG genannt. In der Begründung wird ausgeführt, dass aufgrund eingelangter Unterlagen festgestellt worden sei, dass die Leistung voraussichtlich nicht oder nicht mehr in der bisherigen Höhe gebühre und bis zum Abschluss der für die endgültige Feststellung des Anspruchs noch erforderlichen Erhebungen die Ausgleichszulage eingestellt werde. Mit Schreiben vom selben Tag ersuchte die Bekl um Nachweise über die monatlichen Einkünfte für die Zeit vom 1.7.2008 bis 31.8.2014 und ab 1.5.2017.
Mit der Klage begehrte die Kl die Weitergewährung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß. Die Bekl beantragte die Zurückweisung der Klage, da noch keine inhaltliche Entscheidung ergangen sei und hilfsweise die Abweisung.
Das Erstgericht bejahte zwar die Zulässigkeit des Rechtswegs, wies aber das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge und sprach der Kl über den 31.8.2023 hinaus die „bis dahin gewährte Ausgleichszulage im bisherigen Ausmaß“ zu. Bei der vorläufigen Einstellung handle es sich tatsächlich um eine Zurückhaltung der Ausgleichszulage iSd § 367 Abs 2 ASVG und daher sei die Zulässigkeit des Rechtswegs zu bejahen. Ob die Kl ihre Meldepflicht verletzt und/oder unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe, sei im vorliegenden Fall noch nicht (gerichtlich) zu prüfen, da die Bekl das in § 298 Abs 2 ASVG vorgesehene Verfahren nicht eingehalten habe, weil sie der Kl weder einen Fragebogen übermittelt noch die dort normierten Fristen eingehalten habe. Eine Erwerbstätigkeit des Ehegatten im August 2023 sei für den Anspruch auf Ausgleichszulage ab 1.9.2023 nicht von Bedeutung und könne eine vorläufige Einstellung der Auszahlung der Ausgleichszulage ab September keinesfalls rechtfertigen.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl mit dem Antrag auf Zurückweisung der Klage wegen Rechtswegunzulässigkeit, hilfsweise auf Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts iS einer Abweisung des Klagebegehrens. Die Revision ist zulässig und iSd hilfsweisen gestellten Abänderungsantrags teilweise berechtigt.
1. Zur Zulässigkeit des Rechtswegs
[14] 1.1. Wird eine Klage erhoben, obwohl die in den §§ 67 bis 70 und § 72 Z 2 lit d ASGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist die Klage gem § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Dies gilt allerdings auch im Verfahren in Sozialrechtssachen dann nicht, wenn dem eine die Zulässigkeit des Rechtswegs bejahende gerichtliche Entscheidung entgegensteht (§ 42 Abs 3 JN […]). Eine Bindung ist nach ständiger Rechtsprechung auch dann zu bejahen, wenn sich das Gericht in den Entscheidungsgründen mit dem Nichtvorliegen des Prozesshindernisses auseinandergesetzt hat […].
[15] 1.2. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bereits in der Klagebeantwortung die Unzulässigkeit des Rechtswegs eingewandt. Das Erstgericht hat die Zulässigkeit des Rechtswegs in den Entscheidungsgründen ausdrücklich bejaht. Das Berufungsgericht hat sich ebenfalls mit dieser Frage befasst und die Zulässigkeit des Rechtswegs für die hier vorliegende Klage bejaht. Daran ist der Oberste Gerichtshof nach § 42 Abs 3 JN iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO – bei den Entscheidungen über die Zulässigkeit des Rechtswegs handelt es sich um in die Urteile der Vorinstanzen aufgenommene Beschlüsse – gebunden (RS0039774 [T6]). Eine Überprüfung der von der Beklagten primär in Zweifel gezogenen Zulässigkeit des Rechtswegs ist dem Obersten Gerichtshof daher verwehrt.
2. Zum Inhalt des angefochtenen Bescheids
[16] 2.1. Die Beklagte stellte die Ausgleichszulage „vorläufig“ ein. Sie macht in der Revision zutreffend geltend, dass es sich dabei nicht um eine Zurückhaltung im Sinn des § 298 Abs 2 ASVG handelte.
[17] 2.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv nach seinem Wortlaut, auszulegen […]. Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen […]; die Reichweite des Bescheidspruchs ist schließlich auch nach dem Entscheidungsgegenstand des bekämpften Bescheids zu interpretieren […].
[18] 2.3. Im Spruch des angefochtenen Bescheids wird die Ausgleichszulage nicht „zurückgehalten“. Aus der Begründung ergibt sich auch kein Anhaltspunkt dafür, dass damit – wie dies § 298 Abs 2 Satz 2 40ASVG vorsehen würde – sanktioniert werden sollte, dass die Klägerin einer Aufforderung zur Meldung bestimmter Umstände im Sinn des § 298 Abs 2 Satz 1 ASVG nicht nachgekommen wäre. Das wäre auch nicht verständlich, weil die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt zu einer solchen Meldung gar nicht aufgefordert worden war […].
[19] 2.4. Stattdessen wird die Ausgleichszulage im Spruch des Bescheids „vorläufig eingestellt“. Diese Formulierung ist insofern zweifelhaft, als ein solcher Bescheidinhalt in § 367 ASVG nicht ausdrücklich genannt wird. Der Begriff der „Einstellung“ einer (Sozialversicherungs-)Leistung ist dem ASVG […] fremd. Auch ein Blick auf die im Bescheid angegebenen Rechtsgrundlagen […] hilft nicht weiter. Die zitierten Bestimmungen regeln die Meldepflicht der Zahlungsempfänger (§ 40 ASVG) und – damit im Zusammenhang – den Verlust des nach § 107 Abs 1 ASVG gegebenen Rückforderungsrechts des Versicherungsträgers bei Verletzung der Meldevorschriften hinsichtlich zu Unrecht erbrachter Geldleistungen im Fall, dass der Versicherungsträger betreffend den Rückforderungsanspruch „saumselig“ ist (§ 107 Abs 2 lit a ASVG).
[20] 2.5. Der Bescheidinhalt kann auch nicht als Entziehung nach § 99 ASVG verstanden werden. Aus der Begründung des Bescheids wird deutlich, dass der Anspruch auf Ausgleichszulage – aufgrund einer sich den eingelangten Urkunden entnehmbaren Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sachlage – bloß in Zweifel gezogen wird und der Versicherungsträger selbst davon ausgeht, noch keine endgültige Entscheidung fällen zu können. Die Entziehung nach § 99 ASVG setzt aber das Nichtmehrvorhandensein der Anspruchsvoraussetzungen und somit Spruchreife voraus; eine „vorläufige Entziehung“ sieht § 99 ASVG nicht vor.
[21] 2.6. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts geht es hier auch nicht um die Überprüfung einer Ermessensentscheidung der Beklagten. Eine solche ist vom Gesetz zwar für den Fall vorgesehen, dass sich der Anspruchsberechtigte einer Nachuntersuchung oder Beobachtung (vgl § 366 ASVG) entzieht (§ 99 Abs 2 ASVG). Dieser Entziehungstatbestand wird in der Literatur auch als „Versagungsfall“ bezeichnet […] und soll den Anspruchsberechtigten zur Mitwirkung verhalten und dem Versicherungsträger die Prüfung ermöglichen, ob die Anspruchsvoraussetzungen weiter vorliegen. Wie im Fall der Überprüfung der Einkommensverhältnisse des Leistungsempfängers bzw des Ehegatten nach § 298 Abs 2 ASVG muss dafür eine Änderung der Verhältnisse, die zu einer Neufeststellung der Leistung führt, nicht eingetreten sein. Im vorliegenden Fall wurde die Leistung vielmehr – wenn auch nur „vorläufig“ – eingestellt, weil die Anspruchsvoraussetzungen als nicht (mehr) gegeben erachtet wurden.
[22] 2.7. […] Es handelt sich somit der Sache nach um eine – wenn auch noch nicht endgültige – Entziehung der Ausgleichszulage im Rahmen eines Verfahrens nach § 296 Abs 3 ASVG. § 367 Abs 2 ASVG bestimmt, dass (unter anderem) über die Entziehung, Versagung, Neufeststellung und den Widerruf eines Leistungsanspruchs ein Bescheid (in Leistungssachen) zu erlassen ist und unterscheidet davon ausdrücklich die Zurückhaltung der Ausgleichszulage.
[23] 2.8. Damit ist als Zwischenergebnis festzuhalten: Ein Bescheid, mit dem die Ausgleichszulage „vorläufig“ (bis zum Abschluss von für die endgültige Feststellung des Anspruchs noch erforderlichen Erhebungen) „eingestellt“ wird […], weil die Leistung voraussichtlich nicht oder nicht mehr in der bisherigen Höhe gebührt, ist eine Entziehung des bescheidmäßig zuerkannten Leistungsanspruchs.
3. Zur Richtigkeit des angefochtenen Bescheids
[24] 3.1. Bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage hat der Träger der Pensionsversicherung die Ausgleichszulage auf Antrag des Berechtigten oder von Amts wegen neu festzustellen (§ 296 Abs 3 ASVG), was zu einer Entziehung, Herabsetzung oder Erhöhung der Ausgleichszulage führen kann. Die Änderung der Anspruchsvoraussetzungen wirkt sich nach § 296 Abs 2 Satz 4 und 5 ASVG (erst) mit dem Ende des Monats aus, in dem die Änderung liegt. […]
[25] 3.2. Um dem Versicherungsträger eine Entscheidung über den Anspruch zu ermöglichen, ist der Zahlungsempfänger verpflichtet, jede Änderung in den für den Fortbestand der Bezugsberechtigung maßgebenden Verhältnissen binnen zwei Wochen dem zuständigen Versicherungsträger anzuzeigen (§ 40 Abs 1 ASVG). Die Verletzung der Meldepflicht kann zur Rückforderung von zu Unrecht erbrachten Geldleistungen (§ 107 ASVG) führen […].
[26] 3.3. Als eine anzuzeigende Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Verhältnisse sieht die Rechtsprechung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an […]. Daher muss der Leistungs- oder Zahlungsempfänger dem Versicherungsträger schon den Beginn einer Erwerbstätigkeit anzeigen, auch wenn zu dieser Zeit noch nicht feststeht, in welcher Höhe ihm ein Einkommen zufließen wird […]. […] Da der Anspruch auf Ausgleichszulage nach § 292 Abs 2 ASVG gleichermaßen vom Einkommen des Ehegatten abhängt, bezieht sich die Meldepflicht auch auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch diesen.
[27] 3.4. Daraus folgt, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den Ehegatten der Klägerin im August 2023 bereits eine Änderung der Verhältnisse darstellte, die der Beklagten zu melden gewesen wäre, und die daraus erzielten Einkünfte zu einer Neufeststellung der laufenden Ausgleichszulage ab 1. September 2023 führen konnte. […]
[29] Da bei der Neufeststellung der Ausgleichszulage nach § 296 Abs 3 ASVG keine Bindung an die Grundlagen früherer Entscheidungen besteht […], sind dabei jedenfalls auch solche Einkunftsquellen zu berücksichtigen, die – wie offenbar die weiteren von der Beklagten behaupteten Patent- und Mieteinkünfte – schon im Zeitpunkt der (Weiter-)Gewährung berücksichtigt hätten werden können.
[30] 3.5. Nach dem Gesagten bewirkt somit schon die Änderung der maßgebenden Sach- und Rechtslage durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit […], dass der Anspruch auf Ausgleichszulage im Sinn des 41 § 296 Abs 3 ASVG neu festzustellen war. Aufgrund der Durchbrechung der Rechtskraft des Gewährungsbescheids (infolge Änderung der maßgebenden Verhältnisse) kann ein Fortbezug der Ausgleichszulage nicht auf den Gewährungsbescheid gegründet werden. […]
[31] 3.6. Eine ausdrückliche Regelung, die dem Versicherungsträger die bescheidmäßige Entziehung des Ausgleichszulagenanspruchs in dem Fall ermöglicht, dass eine Änderung der Verhältnisse eintrat und eine Neufeststellung der Ausgleichszulage nach § 296 Abs 3 ASVG zu erfolgen hätte, der Versicherungsträger einen solchen Bescheid aber mangels genügender Klärung des Sachverhalts (die Höhe der Ausgleichszulage betreffend) noch nicht erlassen kann, lässt sich dem Gesetz zwar nicht entnehmen, weil sowohl die Entziehung nach § 99 ASVG als auch die Neufeststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage nach § 296 Abs 3 ASVG Spruchreife voraussetzen (s oben ErwGr 2.5.). Dem Gesetzgeber kann allerdings nicht unterstellt werden, dass er einerseits Meldepflichten in Bezug auf bestimmte Änderungen der für die Zuerkennung des Ausgleichszulagenanspruchs maßgebenden Verhältnisse […] normiert und andererseits – trotz Vorliegens solcher Tatsachen – für den Zeitraum mangelnder Spruchreife den unveränderten Fortbezug der Ausgleichszulage vorsehen wollte. Es liegt somit eine planwidrige Lücke vor, die durch analoge Anwendung der §§ 99, 296 Abs 3 ASVG zu schließen ist. Der Versicherungsträger ist in einem solchen Fall daher zur Entziehung des Ausgleichszulagenanspruchs berechtigt. Insofern entsprach der erlassene Bescheid der Rechtslage.
[32] 3.7. Davon zu trennen ist die Frage, ob bzw in welcher Höhe der Anspruch auf Ausgleichszulage ab 1. September 2023 besteht. Die Vorinstanzen haben die für einen allfälligen Fortbezug der Ausgleichszulage maßgebenden Verhältnisse nicht (vollständig) ermittelt und insbesondere keine Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehegatten getroffen […]. Die vom Erstgericht getroffene Feststellung, dass nachhaltig weitere Einkünfte des Ehegatten „im Raum“ stünden, welche seitens der Klägerin bislang nicht dargelegt wurden, soll nach den im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen des Erstgerichts zwar offenbar Zweifel an den (bisherigen) Angaben der Klägerin zum Ausdruck bringen, ist aber auch nicht als Negativfeststellung zu werten, weil das Erstgericht nach der von ihm vertretenen Rechtsansicht bloß die Ermessensentscheidung der Beklagten überprüfen wollte und deswegen auch die zur Einkommenssituation des Ehegatten der Klägerin angebotenen Beweise nicht (vollständig) aufnahm.
[33] Schon aus diesem Grund kann derzeit nicht beurteilt werden, ob und in welcher Höhe ein allfälliger Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage auch nach dem 1. September 2023 bestand.
[34] Eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung der Feststellungen kann jedoch unterbleiben.
[35] 3.7.1. Hat der Versicherungsträger einen Bescheid zu erlassen, kann er dies aber innerhalb der nach § 368 Abs 1 ASVG in Betracht kommenden Frist nicht, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, so hat er, wenn seine Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, die Leistung zu bevorschussen (§ 368 Abs 2 Satz 1 ASVG). Die Vorschusspflicht wird vom Obersten Gerichtshof nicht nur bei der erstmaligen Entscheidung über einen Anspruch bejaht, sondern auch in jenen Fällen, in denen die Ausgleichszulage neu festzustellen ist, der Versicherungsträger über den weiteren Anspruch aber mangels genügender Klärung des Sachverhalts nicht entscheiden kann […].
[36] Diese Rechtsprechung kann sich auf einen Größenschluss stützen: Wenn ein Vorschuss schon bei erstmaliger Feststellung einer Leistung (zwingend) zu gewähren ist, wenn die Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, so muss dies umso mehr dann gelten, wenn die dem Grunde nach feststehende Leistung bereits bescheidmäßig zuerkannt worden war und infolge Entziehung dieser Leistung dieselbe Situation wie vor der erstmaligen Gewährung der Ausgleichszulage eintreten soll, weil es zu einer Änderung der für die Zuerkennung maßgebenden Verhältnisse kam. Entscheidet sich der Versicherungsträger in einem solchen Fall, den bescheidmäßig zuerkannten Ausgleichsanspruch bis zur Klärung der maßgebenden Sachlage zu entziehen, ist er daher in analoger Anwendung des § 368 Abs 2 ASVG (gleichzeitig) zur Gewährung eines Vorschusses verpflichtet.
[37] 3.7.2. Wenn der Versicherte den Beginn einer Erwerbstätigkeit angezeigt hat, ist der Versicherungsträger somit nach der Rechtsprechung berechtigt und verpflichtet, die Leistung – mangels anderer vorhandener Informationen in der Regel in Höhe der zuletzt gebührenden Leistung – zu bevorschussen […]. […] Dieser Verpflichtung, über die Gewährung eines Vorschusses zu entscheiden, kam die Beklagte – soweit ersichtlich – bislang aber nicht nach. […]
[39] 3.7.4. […] Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (19. Dezember 2023) standen somit Unterlagen über die Höhe des Nettoeinkommens (des Kalenderjahres 2023) jeweils noch nicht (vollständig) zur Verfügung. Für das Jahr 2023 (und die folgenden Jahre) hat die Beklagte somit die Ausgleichszulage als Vorschuss zu zahlen, dessen Höhe sich – mangels Vorliegens von Unterlagen über das tatsächlich nach dem 1. September 2023 bezogene Nettoeinkommen der Klägerin und ihres Ehegatten – nach der zuletzt gebührenden Leistung bemisst. […]
3.8. Zusammenfassend folgt:
[40] Kann der Versicherungsträger bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage einen Bescheid über die Neufeststellung der Ausgleichszulage nicht erlassen, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, so ist er in analoger Anwendung der §§ 99, 296 Abs 3 ASVG zur Entziehung des Ausgleichszulagenanspruchs berechtigt. Diesfalls ist er aber gleichzeitig verpflichtet, die Ausgleichszulage – mangels anderer vorhandener Informationen in der Regel in Höhe der zuletzt gebührenden Leistung – zu bevorschussen. […] 42
[42] 5. Den Ausführungen der Klägerin in der Revisionsbeantwortung, wonach ein bloßer Verdacht auf Ungebührlichkeit der Leistung keine Entziehung der Ausgleichszulage rechtfertigt, ist insofern beizupflichten, als der bloße Verdacht einer Änderung der Verhältnisse nicht ausreicht. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch ihren Ehegatten ist aber nicht strittig. Auch eine Verschiebung der Beweislast ist damit nicht verbunden, weil es in jedem Fall Sache des beklagten Versicherungsträgers ist, durch Vorbringen entsprechender Tatsachen einzuwenden (und nachzuweisen), dass der Anspruch des Pensionsberechtigten auf Ausgleichszulage infolge von Einkünften oder Unterhaltsansprüchen vermindert oder zur Gänze aufgehoben wird […]. Der mit der Entziehung der Ausgleichszulage bis zur Entscheidung über den weiteren Anspruch verbundene Bezugsausfall der Klägerin wird durch die Leistung eines Vorschusses abgemildert, der gegebenenfalls nach den Regeln des § 103 Abs 1 ASVG (privilegiert) aufgerechnet werden kann […].
Die Ausgleichszulage hat den Zweck, Pensionsbezieher:innen ein gewisses Mindesteinkommen sicherzustellen. Die Ausgleichszulage gebührt in der Höhe der Differenz zwischen dem Richtsatz und der Summe aus Pension, Nettoeinkommen und zu berücksichtigenden Beträgen nach § 294 ASVG. Dabei sind auch Einkünfte des Ehegatten zu berücksichtigen, der mit der anspruchsberechtigten Person im gleichen Haushalt lebt.
Im vorliegenden Fall hat sich der OGH ausführlich mit mehreren Rechtsfragen auseinandergesetzt. Insb die Klarstellung, wie eine „vorläufige Einstellung“ der Ausgleichszulage rechtlich zu beurteilen ist, ist von großer praktischer Bedeutung. Wie vom OGH ausgeführt, ist diese Formulierung langjährige Praxis der Sozialversicherungsträger.
Wenn der Versicherungsträger annehmen muss, dass sich die für die Zuerkennung der Ausgleichzulage maßgebende Sachlage zwar ändert, der Sachverhalt jedoch noch nicht hinreichend geklärt ist – zB bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, wobei das erzielte Einkommen noch unklar ist –, so ist er in analoger Anwendung der §§ 99, 296 Abs 3 ASVG zur Entziehung der Ausgleichszulage berechtigt. Die Analogie wird einerseits mit der Meldeverpflichtung des Leistungsbeziehers und andererseits dem rechtlich ungewünschten Ergebnis, bei berechtigtem Zweifel an der Höhe der Leistung, diese dennoch ungeschmälert zu leisten, begründet.
Gleichzeitig hat der OGH jedoch festgehalten, dass in diesen Fällen der Versicherungsträger zur vorschussweisen Gewährung der Ausgleichszulage grundsätzlich in der zuletzt gebührenden Höhe verpflichtet ist. Diese Verpflichtung zur Bevorschussung ist insb aufgrund des existenzsichernden Charakters der Ausgleichszulage nachvollziehbar und jedenfalls zu begrüßen.