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Bemessungsgrundlage für das Krankengeld: Keine Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei ungeschmälertem Sonderzahlungsanspruch gegenüber Arbeitgeber

FABIANGAMPER

Fehlt es in Ansehung der Sonderzahlungen an einem auszugleichenden Einkommensausfall des Versicherten, weil dem Versicherten aufgrund kollektivvertraglicher oder einzelvertraglicher Regelung ausnahmsweise auch noch im Zeitraum des Krankengeldbezugs ein Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen gegenüber seinem AG zukommt, so haben Sonderzahlungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nach § 125 ASVG überhaupt außer Betracht zu bleiben. § 125 Abs 3 ASVG gelangt diesfalls nicht zur Anwendung.

SACHVERHALT

Der Kl war von 8.4.2022 bis 5.7.2023 als Angestellter der W* GmbH zur SV gemeldet und bezog im März 2023 ein Bruttoentgelt von € 2.918,03. Von 29.3. bis 11.10.2023 war er aufgrund von Krankheit als arbeitsunfähig gemeldet. Auch während der Zeit des Krankengeldbezugs hatte er gegenüber seinem AG weiterhin Anspruch auf Auszahlung der Sonderzahlungen in unverkürztem Ausmaß. Strittig ist im vorliegenden Verfahren lediglich, ob diese Sonderzahlungen bei der Bemessung der Höhe des Krankengeldes zu berücksichtigen sind.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 9.10.2023 wies die Bekl den Antrag des Kl, ein höheres Krankengeld zu gewähren, ab. Mit der Klage begehrte der Kl ein höheres Krankengeld inklusive des Zuschlags von 17 % für die Sonderzahlungen gem § 125 Abs 3 ASVG iVm § 21 Abs 2 der Satzung der Bekl.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, da weiterhin Anspruch auf Sonderzahlungen gegenüber dem DG bestünden und daher kein Einkommensverlust vorliegt.

Die ordentliche Revision des Kl ist zwar zulässig, jedoch nicht berechtigt.43

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

[14] Das Krankengeld hat Lohnersatzfunktion: Es soll den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust (zumindest teilweise) ersetzen und den Unterhalt des Versicherten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit sicherstellen […]. Im Allgemeinen soll eine vollständige Kompensation des Einkommensausfalls dadurch aber nicht bewirkt werden. Das Krankengeld gebührt vielmehr bloß im Ausmaß der zuvor angeführten Prozentsätze der Bemessungsgrundlage […].

[15] Umso weniger sollte es durch den Krankengeldbezug zu einer – sozialversicherungsrechtlich allgemein unerwünschten – „Überversorgung“ kommen, was sich nicht zuletzt auch aus jenen ausdrücklich statuierten Ruhensbestimmungen ergibt, denen die Zielsetzung zugrunde liegt, Leistungen nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist (vgl 10 ObS 142/23i Rz 22 mwN).

[16] 2.2. Die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ergibt sich aus § 125 ASVG. Sonderzahlungen nach § 49 Abs 2 ASVG sind bei der Bemessung des Krankengeldes gemäß § 125 Abs 3 ASVG in der Weise zu berücksichtigen, dass die Bemessungsgrundlage nach Abs 1 und 2 um einen durch die Satzung des Versicherungsträgers allgemein festzusetzenden Hundertsatz erhöht wird. […]

[18] Die Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG wurde mit dem ASVG 1955 (BGBl Nr 189/1955) eingeführt. In den Materialien wird dazu ausgeführt, die im bisherigen Recht (§ 12 Abs 4 Rentenbemessungsgesetz) vorgesehene Art der Berücksichtigung der Sonderzahlungen bei der Bemessung der Geldleistungen der Krankenversicherung habe bei der praktischen Durchführung große Schwierigkeiten bereitet. Die Sonderzahlungen seien bisher in der Weise zu berücksichtigen gewesen, dass zum Grundlohn ein Zuschlag hinzuzurechnen gewesen sei, der dem auf einen Kalendertag entfallenden Teil der beitragspflichtigen Sonderzahlungen, die im Jahr des Eintritts des Versicherungsfalls fällig geworden seien, entsprochen habe. Diese Regelung sei nicht mehr übernommen worden. Vielmehr solle die Berücksichtigung der Sonderzahlungen pauschalmäßig durch Erhöhung der Bemessungsgrundlage um einen – in der Satzung des Versicherungsträgers festzulegenden – Hundertsatz erfolgen, wodurch die Berechnung der Geldleistungen wesentlich vereinfacht werde (ErläutRV 599 BlgNR 7. GP 51).

[19] Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber des ASVG 1955 die Einrechnung des prozentuellen Zuschlags in die Bemessungsgrundlage des Krankengeldes bewusst unabhängig vom tatsächlichen Ausfall des Anspruchs des Versicherten gegenüber seinem Dienstgeber auf Bezug von Sonderzahlungen statuieren wollte, also entsprechend dem undifferenzierten Wortlaut der Regelung auch für den Fall, dass dem Versicherten dieser Bezug ohnedies auch während seiner Arbeitsunfähigkeit zu Gute kommt, ergeben sich aus den Materialien nicht. Die entsprechende Prämisse des Klägers, nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollte mit der pauschalen Erhöhung gerade auch ein bloß möglicher Ausfall von Sonderzahlungen „ausgeglichen“ werden, findet folglich in den Gesetzesmaterialien keine Stütze. Es scheint vielmehr naheliegend, dass der Gesetzgeber, hätte er der Regelung, in deutlicher Abkehr vom Grundgedanken des Einkommensersatzcharakters des Krankengeldes, ein solches Verständnis unterstellen wollen, dies deutlich zum Ausdruck gebracht hätte. Er hatte bei Statuierung der Bestimmung des § 125 Abs 3 ASVG erkennbar den Regelfall vor Augen, dass nach Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber im Fall der Krankheit – mangels gegenteiliger Abrede – auch Sonderzahlungen nicht mehr gebühren […].

[20] Somit ist auch die in § 125 Abs 3 ASVG vorgesehene Berücksichtigung von Sonderzahlungen durch einen prozentuellen Zuschlag zur Bemessungsgrundlage vom generellen Regelungsgedanken der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes getragen; sie verfolgt – mit anderen Worten – das Ziel, dem Versicherten den Ausfall seines Anspruchs auf Bezug von Sonderzahlungen während der entgeltfortzahlungsfreien Zeit der Arbeitsunfähigkeit zu kompensieren.

[21] 2.3. Angesichts dieser klar erkennbaren grundsätzlichen rechtspolitischen Zielsetzung mit dem gesetzlichen Regime des Krankengeldes als solchen, aber auch mit dem Zuschlag nach § 125 Abs 3 ASVG, dem Versicherten bloß eine Einkommensersatzleistung zu gewähren, sprechen teleologische Erwägungen deutlich dafür, dass der undifferenzierte Wortlaut der Bestimmung, gemessen am zugrunde liegenden Regelungsgedanken, zu weit geraten ist und damit einer Einschränkung durch teleologische Reduktion bedarf: Fehlt es in Ansehung der Sonderzahlungen an einem auszugleichenden Einkommensausfall, weil dem Versicherten aufgrund kollektiv- oder einzelvertraglicher Regelung ausnahmsweise auch noch im Zeitraum des Krankengeldbezugs ein Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen gegenüber seinem Arbeitgeber zukommt, so haben Sonderzahlungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nach § 125 ASVG überhaupt außer Betracht zu bleiben […].

[22] Wieso methodische Erwägungen gegen diese teleologische Reduktion des § 125 Abs 3 ASVG sprechen sollen, legt der Kläger in seiner Revision nicht nachvollziehbar dar. Dass – wie die Revision ausführt – das Gesetz in den §§ 90, 90a, 143 ASVG im Zusammenhang mit dem Krankengeld ausdrückliche Ruhensbestimmungen kennt, spricht nicht gegen die teleologische Reduktion des § 125 Abs 3 ASVG. Denn gerade aus diesen Bestimmungen leuchtet die Absicht des Gesetzgebers, Doppelbezüge hintanzuhalten, deutlich hervor; ohne die hier vorzunehmende teleologische Reduktion käme es jedoch in Form der Erhöhung der Bemessungsgrundlage zur doppelten Berücksichtigung der Sonderzahlungen. […] 44

[24] Dadurch kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu einer nachträglichen Anrechnung erhaltener Sonderzahlungen bzw zu einer nachträglichen nicht vorhersehbaren Anpassung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes, die der Gesetzessystematik widerspräche. Vielmehr geht es um die vorgelagerte Frage, ob Sonderzahlungen überhaupt bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen sind, wenn der Versicherte auch nach Eintritt des Versicherungsfalls gegenüber seinem Arbeitgeber einen ungeschmälerten Anspruch auf Bezug dieser Sonderzahlungen hat. […]

[26] Fehlt es insoweit an einem auszugleichenden Einkommensausfall des Versicherten, als diesem – aufgrund kollektivvertraglicher oder einzelvertraglicher Regelung – ausnahmsweise auch noch im Zeitraum des Krankengeldbezugs ein Anspruch auf ungeschmälerte Fortzahlung der Sonderzahlungen gegenüber seinem Arbeitgeber zukommt, so haben Sonderzahlungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nach § 125 ASVG überhaupt außer Betracht zu bleiben. § 125 Abs 3 ASVG gelangt diesfalls nicht zur Anwendung.

ERLÄUTERUNG

Das Krankengeld gebührt gem § 141 Abs 1 ASVG als gesetzliche Mindestleistung im Ausmaß von 50 % der Bemessungsgrundlage. Gem Abs 2 leg cit erhöht sich ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit das Krankengeld auf 60 % der Bemessungsgrundlage.

§ 125 ASVG bestimmt die Bemessungsgrundlage des Krankengeldes. Abs 3 dieser Bestimmung sieht vor, dass Sonderzahlungen gem § 49 Abs 2 ASVG dazu führen, dass die Bemessungsgrundlage um einen in der Satzung festzusetzenden Prozentsatz erhöht wird. § 21 Abs 2 der Satzung ÖGK 2020 lautet: „Der Zuschlag zur Bemessungsgrundlage nach § 125 Abs. 3 ASVG für die in einem Kalenderjahr gebührenden Sonderzahlungen beträgt 17 %. Der Zuschlag darf ein Sechstel der Höchstbeitragsgrundlage (§ 45 Abs. 1 ASVG) nicht übersteigen.“

Der OGH musste sich in der gegenständlichen E mit der Frage auseinandersetzen, ob diese Erhöhung auch dann zusteht, wenn der Versicherte weiterhin einen Anspruch auf ungeschmälerte Sonderzahlungen hat. Seine E hat der OGH vorrangig auf den Sinn und Zweck des Krankengeldes, nämlich der Einkommensersatzfunktion, gestützt. Werden Sonderzahlungen weitergeleistet, entsteht kein Einkommensverlust, der ersetzt werden muss. Da das ASVG und die anzuwendende Satzung keine wörtlich entsprechende Bestimmung vorsehen, hat der OGH mittels einer teleologischen Reduktion festgestellt, dass bei Anspruch auf ungeschmälerte Weiterleistung der Sonderzahlungen diese bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Krankengeldes nach § 125 ASVG überhaupt außer Betracht zu bleiben haben und Abs 3 leg cit unangewendet bleibt. Bei freiwilliger Weiterleistung von Sonderzahlungen kommt es dahingehend zu keiner Reduktion, da der OGH ausdrücklich von „Anspruch“ auf ungeschmälerte Weiterleistung der Sonderzahlungen spricht.

Offen bleibt die Rechtfrage, wie ein Sachverhalt zu beurteilen ist, indem die Sonderzahlungen nicht im vollen Ausmaß weitergeleistet werden.