28Bemessungsgrundlage für Rehabilitationsgeld bei bloß teilweisem Entgeltanspruch im maßgeblichen Monat
Bemessungsgrundlage für Rehabilitationsgeld bei bloß teilweisem Entgeltanspruch im maßgeblichen Monat
Der nach § 125 Abs 1 Satz 1 ASVG heranzuziehende Beitragszeitraum (der gem § 44 Abs 2 ASVG mit 30 Tagen anzunehmende Kalendermonat) ist auch dann der unmittelbar dem Ende des vollen Entgeltanspruchs vorangegangene Kalendermonat, wenn in diesem Monat zwar mindestens an einem, aber nicht an allen Tagen Anspruch auf volle Entgelt-(fort-)zahlung bestand.
Der Kl war in der Zeit von 7.7. bis 30.9.2021 in einem Möbelhaus beschäftigt. Im Zeitraum vom 1.8. bis 17.9.2021 hatte er Anspruch auf das volle Entgelt, zwischen 18.9. und 30.9.2021 bezog er halbes Entgelt. Für den 1.10.2021 bestand ein Anspruch auf eine Urlaubsersatzleistung und damit endete der Entgeltanspruch gegenüber dem DG. Der Entgeltanspruch des Kl betrug im August 2021 € 5.190,64 brutto und in der Zeit vom 1.9. bis 17.9.2021 € 2.343,21. Ab 1.9.2022 bezog er das Rehabilitationsgeld.
Mit Bescheid vom 18.7.2023 wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) den Antrag des Kl, ihm ein höheres Rehabilitationsgeld zu gewähren, ab. Mit der Klage begehrte der Kl, als Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld den Monat heranzuziehen, der vor dem Zeitpunkt gelegen sei, zu dem der Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung gegen den DG geendet habe. Bei ihm sei dies der August 2021. Die Bekl hielt dem entgegen, dass der Kl für den 1.10.2021 eine Urlaubsersatzleistung erhalten habe. Erst damit habe der Anspruch auf volles Entgelt geendet, sodass der Verdienst des vorangegangenen Monats September 2021 die Bemessungsgrundlage bilde. Dass der Kl nicht für den ganzen September 2021, sondern nur für 17 Tage Entgelt bezogen 45 habe, ändere daran nichts, weil nach § 125 Abs 1 ASVG der Verdienst pro Kalendertag zu ermitteln sei. Der „nicht volle“ Entgeltanspruch wirke sich daher nur insoweit aus, als das bezogene Entgelt durch die tatsächlichen Tage des Bezugs zu dividieren sei.
Das Erstgericht schloss sich der Ansicht der Bekl an, dass die Urlaubsersatzleistung als volles Entgelt zu qualifizieren und damit der Verdienst des September 2021 zur Berechnung des Rehabilitationsgeldes heranzuziehen sei. Das Berufungsgericht folgte der Ansicht des Kl an, da das Entgelt im Monat September bereits geschmälert worden sei, weshalb der August heranzuziehen sei.
Die außerordentliche Revision der Bekl ist zulässig und berechtigt.
[14] 1. Gemäß § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG gebührt Rehabilitationsgeld im Ausmaß jenes Krankengeldes nach § 141 Abs 1 und Abs 2 ASVG, das aus der letzten Erwerbstätigkeit gebührt hätte. […]
[15] 1.1. Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ist gemäß § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG der für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst (Bruttoentgelt), der dem/der Versicherten in jenem Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2 ASVG) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs voranging.
[16] 1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung stellt § 125 Abs 1 ASVG daher für die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld und damit auch für das Rehabilitationsgeld auf die letzte volle, also nicht durch Krankengeldbezug geschmälerte Beitragsgrundlage ab […].
[17] 2. Auch der Kläger geht (mittlerweile) davon aus, dass eine Urlaubsersatzleistung – als Abgeltung eines während des Dienstverhältnisses nicht verbrauchten Urlaubs in Geld – ein relevanter Arbeitsverdienst iSd § 125 Abs 1 ASVG ist. […]
[18] 3. Darauf aufbauend ist im Revisionsverfahren nicht strittig, dass die für den 1. Oktober 2021 bezogene Urlaubsersatzleistung der letzte volle Entgeltanspruch des Klägers iSd § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG war und dieser Zeitpunkt daher der Ausgangspunkt für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage ist.
[19] Unterschiedliche Standpunkte werden nur zur Frage vertreten, auf welchen vorangehenden Beitragszeitraum abzustellen ist: Während der Kläger und das Berufungsgericht davon ausgehen, dass es sich um einen „vollen“, also einen Beitragszeitraum handeln muss, in dem immer Anspruch auf volles Entgelt bzw 100%-ige Entgeltfortzahlung bestand, sind die Beklagte und das Erstgericht der Auffassung, dass der vorangegangene Kalendermonat (§ 44 Abs 2 ASVG) auch dann der maßgebliche Beitragszeitraum sei, wenn der Versicherte in diesem keinen durchgehenden (vollen) Entgeltanspruch hatte.
[20] 3.1. Der Oberste Gerichtshof hatte diese Frage bislang noch nicht zu beantworten, weil in vergleichbaren Konstellationen die Urlaubsersatzleistung, die den letzten vollen Entgeltanspruch bildete, stets mehr als einen ganzen Kalendermonat umfasste:
[…]
4. Die historische Entwicklung des § 125 Abs 1 ASVG stellt sich wie folgt dar:
[25] 4.1. Der hier interessierende erste Halbsatz des § 125 Abs 1 ASVG geht im Kern auf die 50. ASVG-Novelle, BGBl 1991/676, zurück, mit der die Wortfolge „in dem dem Versicherungsfall zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum“ durch die Wortfolge „in dem dem Ende des vollen Entgeltanspruchs zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum“ ersetzt wurde.
[26] Die Gesetzesmaterialien führen dazu aus, dass sich durch das Abstellen auf das im Beitragszeitraum vor der Erkrankung bezogene Entgelt eine während der Zeit der Entgeltfortzahlung eingetretene Lohn- oder Gehaltserhöhung nicht auf die Höhe des Krankengeldes auswirke, obwohl vom höheren Entgelt Sozialversicherungsbeiträge geleistet wurden. Um diese als ungerecht empfundene Rechtslage zu beseitigen, sollte § 125 Abs 1 ASVG dahingehend geändert werden, dass „die Bemessungsgrundlage auf das Ende jenes Beitragszeitraumes abstellt, in dem das letzte ‚volle‘ (also nicht durch die Krankheit geschmälerte) Entgelt gezahlt wird“ […]. Erklärtermaßen sollte damit also der für die Ermittlung der Höhe des Krankengeldes maßgebliche Beitragszeitraum (iSd § 44 Abs 2 ASVG) möglichst nahe an den Bezugsbeginn herangerückt werden, um so das Krankengeld an das zuletzt erzielte Einkommen anzugleichen. […]
[28] 4.3. Mit der 59. ASVG-Novelle […] wurde § 125 Abs 1 ASVG insofern abgeändert, als wieder auf den „Arbeitsverdienst, der […] in jenem Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruches voranging“ abgestellt wurde. Damit sollte „klargestellt werden, welcher Beitragszeitraum für die Bemessung des Krankengeldes maßgeblich ist (nämlich derjenige, der dem Beitragszeitraum vorangeht, in dem der volle Entgeltanspruch endet)“ (ErläutRV 834 BlgNR 21. GP 4). Warum nicht mehr auf den „vollen“ Beitragszeitraum abgestellt wurde, erläuterte der Gesetzgeber nicht.
[29] Schließlich wurde mit der 60. ASVG-Novelle […] der Ausdruck „Arbeitsverdienst“ durch den Ausdruck „für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst“ rückwirkend ersetzt, um zusätzlich klarzustellen, dass „der Arbeitsverdienst nur so weit für die Bemessung des Krankengeldes heranzuziehen ist, als er beitragsrelevant ist […], und diese Bemessung mit einem sich aus der Aliquotierung des monatlichen Arbeitsverdienstes ergebenden Tageswert zu erfolgen hat“ (ErläutRV 1183 BlgNR 21. GP 249).
[30] Mit Inkrafttreten dieser beiden ASVG-Novellen (mit 1. Jänner 2002) erhielt § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG seine im Wesentlichen bis heute geltende Fassung. 46
[31] 5. Nach dem Wortlaut des § 125 Abs 1 ASVG kommt es auf den „vollen Entgeltanspruch“ nur insoweit an, als dessen Ende in zeitlicher Hinsicht den Ausgangspunkt für die Ermittlung des für die Bemessungsgrundlage maßgeblichen Beitragszeitraums bildet. Eine Unterscheidung zwischen „vollen“ und „nicht vollen“ Beitragszeiträumen ist dem Gesetz dagegen nicht (mehr) zu entnehmen. Anderes ergibt sich auch aus dem Verweis auf § 44 Abs 2 ASVG nicht, weil damit nur die Dauer des relevanten Beitragszeitraums legal definiert wird, wohingegen nach § 125 Abs 1 ASVG der auf einen Kalendertag fallende Arbeitsverdienst maßgeblich ist. Der Wortlaut des § 125 Abs 1 ASVG stellt damit bloß darauf ab, dass im relevanten Beitragszeitraum ein Arbeitsverdienst erzielt wurde, fordert aber nicht, dass dieser für den ganzen Kalendermonat zustand. Wie § 125 Abs 1 vorletzter Satz und Abs 1b ASVG zeigen, ist dem Gesetz eine „untermonatige“ Berechnung auch nicht fremd.
[32] 6. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einschränkung des § 125 Abs 1 ASVG auf den letzten „vollen“ Beitragszeitraum ließe sich daher nur durch eine teleologische Reduktion erzielen […]. Die dafür notwendige Voraussetzung eines klar in eine bestimmte Richtung weisenden Gesetzeszwecks, an dem sich die letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende Auslegung orientieren soll […], ist hier aber nicht zu erkennen.
[33] 6.1. Primäre Funktion des Rehabilitationsgeldes ist es, den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust wenigstens teilweise zu ersetzen und eine finanzielle Absicherung während der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten […]. Dieses Ziel wird zwar am ehesten erreicht, wenn der Berechnung des Rehabilitationsgeldes ein „voller“ Beitragszeitraum zugrunde liegt und dieser überdies dem Ende des vollen Entgeltanspruchs unmittelbar vorangeht. Dieser Idealfall ist aber nicht die Regel. Im Gegenteil liegt der „volle“ Beitragszeitraum […] in vielen Fällen (viel) weiter zurück. In dieser Situation bildet das zuletzt, wenn auch nicht während des gesamten (dem Ende des vollen Entgeltanspruchs) vorangehenden Beitragszeitraums erzielte Einkommen den tatsächlichen Einkommensausfall besser ab als ein allenfalls sogar Jahre zurückliegender Verdienst. Die Berechnung des Rehabilitationsgeldes auf einer zeitlich aktuellen Basis führt auch eher zu einer Bedarfsdeckung, die sich am zuletzt zur Verfügung stehenden Einkommen orientiert. Der Zweck des Rehabilitationsgeldes gebietet es daher nicht unbedingt, auf einen „vollen“ Beitragszeitraum abzustellen. […]
[35] 6.3. Letztlich ist vor dem Hintergrund der Genese des § 125 Abs 1 ASVG auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der 59. ASVG-Novelle bewusst nicht (mehr) auf „volle“ Beitragszeiträume abgestellt hat.
7. Als Ergebnis lässt sich daher folgender Rechtssatz formulieren:
[36] Der nach § 125 Abs 1 Satz 1 ASVG heranzuziehende Beitragszeitraum (der gemäß § 44 Abs 2 ASVG mit 30 Tagen anzunehmende Kalendermonat) ist auch dann der unmittelbar dem Ende des vollen Entgeltanspruchs vorangegangene Kalendermonat, wenn in diesem Monat zwar mindestens an einem, aber nicht an allen Tagen Anspruch auf volle Entgelt-(fort-)zahlung bestand. […]
Das Rehabilitationsgeld gebührt gem § 143a Abs 2 ASVG im Ausmaß des Krankengeldes, das aus der letzten eine Pflichtversicherung in der KV nach dem ASVG oder B-KUVG begründete Erwerbstätigkeit gebührt hätte. Es wird daher ein fiktives Krankengeld anhand des letzten Einkommens berechnet. Als solches zählt auch eine Urlaubsersatzleistung.
§ 125 ASVG bestimmt die Bemessungsgrundlage des Kranken- und damit auch des Rehabilitationsgeldes. In der gegenständlichen E musste der OGH beurteilen, welcher Arbeitsverdienst heranzuziehen ist, wenn im Kalendermonat vor dem Ende des vollen Entgeltanspruchs das Entgelt nicht für das gesamte Monat zusteht. Konkret stand zur Frage, ob das Entgelt des Septembers (volles Entgelt durch DG nur bis 17.9.) oder das Entgelt des Augusts heranzuziehen ist (volles Entgelt durch DG für den gesamten Monat).
Der OGH hat klargestellt, dass unabhängig davon, ob im Beitragszeitraum vor dem Ende des vollen Entgeltanspruchs ein Entgelt auch für den gesamten Zeitraum zusteht, dieses Entgelt zur Berechnung des Kranken- bzw Rehabilitationsgeldes heranzuziehen ist. Argumentativ stützt sich der OGH überzeugend auf die historische Entwicklung des § 125 ASVG. Je nach Fallkonstellation kann diese Entscheidung – aus der Sicht der Versicherten – zu „Gewinnern“ bzw „Verlierern“ führen. Im gegenständlichen Fall hatte diese Auslegung eine geringere Geldleistung zur Folge. Jedenfalls ist die Entscheidung eine weitere bedeutende rechtliche Klarstellung zur Berechnung des Kranken- bzw Rehabilitationsgeldes.
Die Frage, ob und wie ein „untermonatiger“ Verdienst hochzurechnen ist – nämlich ob auf 30 Tage iSd § 44 Abs 2 ASVG oder auf die konkreten Tage des Kalendermonats –, musste der OGH nicht entscheiden, da der Kalendermonat September nur 30 Tage hat. Somit bleibt diese Rechtsfrage weiter offen.47