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Rechtmäßiger Aufenthalt trotz Arbeitslosigkeit und Anspruch auf Ausgleichszulage

KRISZTINAJUHASZ

Der im Mai 1955 geborene Kl ist slowakischer Staatsbürger und übersiedelte im Dezember 2016 zu seiner Tochter nach Wien, wo er auch gemeldet war. Er bezog von September 2018 bis Mai 2020 Notstandshilfe und war von 1.6.2019 bis 1.6.2020 arbeitswillig und ständig auf der Suche nach Arbeit. Seit 1.6.2020 bezieht er – neben einer slowakischen und einer bosnischen Pension – eine Alterspension von der bekl Pensionsversicherungsanstalt.

Mit Bescheid lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Gewährung der Ausgleichszulage ab. Die Vorinstanzen verpflichteten die Bekl zur Zahlung einer Ausgleichszulage, da der Kl die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht erfülle. Gegenstand des Revisionsverfahrens war somit die Frage, ob der Aufenthalt des Kl im Inland rechtmäßig iSd § 292 Abs 1 ASVG war.

Nach Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL haben bestimmte, dort näher bezeichnete Personen bereits vor Ablauf des nach Art 16 Abs 1 Unionsbürger-RL erforderlichen ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren das Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat. Nach Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL gehören hierzu AN – die zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Geltendmachung einer Altersrente gesetzlich vorgesehene Alter erreicht haben –, sofern sie diese Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich dort seit mindestens drei Jahren ununterbrochen aufgehalten haben. Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, die vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß festgestellt werden, oder vom Willen des Betroffenen unabhängige Arbeitsunterbrechungen sowie krankheits- oder unfallbedingte Fehlzeiten oder Unterbrechungen gelten dabei als Zeiten der Erwerbstätigkeit.

Nach der Rsp des EuGH werden die Umstände, unter denen einem Wander-AN, der sich nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis befindet, dennoch die AN-Eigenschaft zuerkannt werden kann, in Art 7 Abs 3 Unionsbürger-RL nicht abschließend aufgezählt (EuGHC-507/12, Saint Prix [ECLI:EU:C:2014:2007], Rn 38). Der Begriff „Arbeitnehmer“ iS von Art 45 AEUV ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der nicht eng ausgelegt werden darf; insb ist derjenige, der tatsächlich eine Arbeit sucht, als „Arbeitnehmer“ zu qualifizieren (EuGHC-710/19, État belge [ECLI:EU:C:2020:1037], Rn 24). Die Bekl bestritt daher nicht, dass der Kl im maßgeblichen Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben als AN anzusehen war. Die Bekl stand aber auf dem Standpunkt, dass der Kl während der letzten zwölf Monate vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben keine Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt habe und die in diesem Zeitraum vorliegende Arbeitslosigkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht gleichzustellen sei.

Daran ist richtig, dass der Kl in den letzten zwölf Monaten vor seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben (am 1.6.2020) keine Erwerbstätigkeit tatsächlich ausübte, sondern arbeitslos war. Allerdings gelten Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, die vom zuständigen Arbeitsamt ordnungsgemäß festgestellt werden, nach Art 17 Abs 1 letzter Satz Unionsbürger-RL als Zeiten der Erwerbstätigkeit. 53Die Rechtsauffassung der Bekl, wonach sich die Fiktion nur auf die AN-Eigenschaft und nicht (auch) auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit beziehe, übergeht den eindeutigen Wortlaut der Bestimmung, die ausdrücklich auf Zeiten einer Erwerbstätigkeit und nicht auf die AN-Eigenschaft abstellt. Welcher Anwendungsbereich dem Art 17 Abs 1 letzter Satz Unionsbürger-RL in den Fällen des Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL bei Zutreffen der von der Bekl vertretenen Rechtsauffassung überhaupt noch verbliebe oder welchen Zweck der Normgeber mit dem von der Bekl vertretenen Regelungsinhalt verfolgen könnte, legte die Bekl in ihrem Rechtsmittel nicht offen. Nach Ansicht des OGH sind daher die Vorinstanzen zutreffend von einer Erwerbstätigkeit des Kl während der letzten zwölf Monate vor seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und damit von der Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts ausgegangen.

Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rsp des OGH zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, dh eindeutige Regelung trifft, insb wenn eine Rechtsfrage im Gesetz so eindeutig gelöst ist, dass nur eine Auslegungsmöglichkeit ernstlich in Betracht zu ziehen ist und Zweifel nicht entstehen können. Die außerordentliche Revision der Bekl war daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.