6Klage auf Zustimmung eines Betriebsrats: Unverzüglichkeitsgrundsatz bei Klagseinbringung 10 Tage nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes verletzt
Klage auf Zustimmung eines Betriebsrats: Unverzüglichkeitsgrundsatz bei Klagseinbringung 10 Tage nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes verletzt
Die Kl hat ungeachtet eines Vorfalls vom 8.7.2019 und nach Vorlage einer Bestätigung eines Beratungstermins durch die Gewerkschaft bis 18.7.2019 mit der Klagseinbringung auf Zustimmung zur Kündigung zugewartet. Der Bekl musste nach über einer Woche nach besagtem Vorfall und zwischenzeitlicher Entsprechung der Vorgaben der Kl nicht mehr damit rechnen, dass die Kl seine Abwesenheit vom 8.7.2019 noch zum Anlass für die Einleitung eines Kündigungsverfahrens nehmen wird.
Der Bekl ist bei der Kl seit 1.7.1997 im Schichtdienst tätig, seit 20.11.2008 ist er nicht freigestellter Arbeiterbetriebsratsvorsitzender. Am 2.7.2019 fand eine Betriebsratssitzung in der Dauer von mindestens acht Stunden statt. Der Bekl informierte am 29.6.2019 den Betriebsleiter per E-Mail, dass er am 1.7.2019 ab 13.00 Uhr „Betriebsratsstunden nehmen“ werde. Die Dringlichkeit dieser Sitzung – und damit die Notwendigkeit, sie während der Arbeitszeit des Bekl abzuhalten und sehr kurzfristig anzukündigen – steht nicht fest.
Am 8.7.2019 blieb der Bekl der ihm zugewiesenen Schicht mit der Begründung einer betriebsrätlichen Pflichterfüllung fern. Über Aufforderung der Kl legte er ein Bestätigungsschreiben der Gewerkschaft vor, demnach er zu einem Beratungsgespräch in Graz war. Welche Beratung der Bekl bei diesem Termin in Anspruch nahm, kann nicht festgestellt werden.
Im Jahr 2018 arbeitete der Bekl als Betriebsschlosser 861 Stunden. Dem stehen 692 Stunden für Betriebsratstätigkeiten gegenüber. Im Jahr 2019 leistete der Bekl bis einschließlich 10.7.2019 454 Betriebsratsstunden und 451 Arbeitsstunden. Die Kl brachte vor, dass diese Anzahl an Betriebsratsstunden gesetzeswidrig sei und eine grundlegende Arbeitsverweigerung darstelle. Auch weigere sich der Bekl trotz zahlreicher Verwarnungen, die Kl über seine Abwesenheiten wegen Betriebsratstätigkeiten frühzeitig und ausreichend zu informieren.
Die Kl begehrt mit der am 18.7.2019 eingebrachten Klage die gerichtliche Zustimmung zur Kündigung des Bekl, da dieser seit Jahren – trotz mehrfacher Verwarnungen – beharrlich seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletze. Bei der Betriebsratstätigkeit handle es sich um ein Ehrenamt. Im Übrigen beschimpfe und beleidige der Bekl auch Arbeitskollegen und schüchtere diese ein. Die dargestellten Vorfälle belegen, dass der Bekl – trotz zahlreicher Verwarnungen – seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nachkomme und dienstliche Anweisungen beharrlich missachte. Daher sei der Kl die Weiterbeschäftigung des Bekl nicht zumutbar, weshalb die Voraussetzungen für die gerichtliche Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung gem § 121 Z 3 ArbVG vorlägen. Der Bekl bestreitet das Klagebegehren und bringt zusammengefasst vor, dass der Bekl nie unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei und es notwendig war, Betriebsratstätigkeiten auch während der Arbeitszeit vorzunehmen. Aus dem Verhalten des Bekl kann keine beharrliche Pflichtverletzung iSd § 121 Z 3 ArbVG abgeleitet werden. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung, die Kl über die Betriebsratsarbeit zu informieren, stelle maximal eine Ordnungswidrigkeit dar und hätte lediglich eine Entgeltkürzung zur Folge.
Im Übrigen stützt sich der Bekl auf die Verfristung der Klage und könne bei einer Zeitspanne von zehn Tagen vom letzten vorgebrachten Vorfall am 8.7.2019 bis zur Klagseinbringung vom 18.7.2019 nicht mehr von einer unverzüglichen Geltendmachung des Kündigungsrechts gesprochen werden.
Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Sie gingen davon aus, dass der Bekl trotz mehrfacher Verwarnungen die Grundsätze der Mandatsausübung und die ihn treffende Arbeitspflicht wiederholt missachtet hätte. Dieses Verhalten des Bekl machte die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Kl unzumutbar. Im Übrigen erblickten beide Vorinstanzen auch keine Verletzung des Unverzüglichkeitsgrundsatzes. 14
Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, da für die Frage, inwieweit an Mitglieder des BR Weisungen dahingehend erteilt werden dürfen, Betriebsratstätigkeiten möglichst rechtzeitig bekanntzugeben und ob Verstöße gegen derartige Weisung nur „Ordnungswidrigkeiten“ darstellen, deren Sanktion lediglich eine Entgeltkürzung sei, eine Klarstellung erforderlich erscheine. Unklar ist auch, ob unter Bedachtnahme auf die Mandatsschutzklausel bereits der bloße Nachweis von Betriebsratstätigkeiten während der Abwesenheit vom Arbeitsplatz einer (Zustimmung zur) Kündigung entgegenstehe. Die eingebrachte Revision des Bekl wurde vom OGH als zulässig und berechtigt beurteilt.
„[24] 1. Voranzustellen ist, dass – ausgehend vom Vorbringen der Kl – unmittelbarer Anlass für die Klagseinbringung der Vorfall vom 08.07.2019 (Montag) war. Die Klage langte am 18.07.2019 (Donnerstag) bei Gericht ein. Der Bekl erhob den Einwand, dass die Klage verspätet sei, weil sie nicht unverzüglich nach Bekanntwerden des Kündigungs- oder Entlassungsgrundes erfolgt sei. Dazu brachte die Kl lediglich vor, dass auf die Verfehlungen des Bekl zuerst mit schriftlichen Verwarnungen reagiert worden sei, in der Folge sei ihm das Entgelt gekürzt worden und als er sein Verhalten fortgesetzt habe, habe sich die Kl unverzüglich und sofort entschlossen, die Klage auf Zustimmung zur Kündigung einzubringen. […]
[26] 3. Richtig hat das Berufungsgericht dazu die allgemeinen Grundsätze dargestellt: bei Beurteilung der Rechtzeitigkeit ist bei juristischen Personen darauf Bedacht zu nehmen, dass die Willensbildung umständlicher ist als bei physischen Personen; es müssen solche Verzögerungen anerkannt werden, die in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls sachlich begründet sind (RS0029328). Dem Dienstgeber muss eine Überlegungsfrist sowie die Möglichkeit zur Einholung einer Rechtsauskunft zugebilligt werden.
[27] Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf generell nicht überspannt werden. Dem Dienstgeber ist das Recht zuzubilligen, bei einem undurchsichtigen Sachverhalt, bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlich und rechtlicher Hinsicht, mit dem Kündigungsausspruch zuzuwarten. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts auf die Ausübung des Kündigungsrechts verhindern.
[28] Nicht aus jeder Verzögerung kann auf einen Verzicht des Dienstgebers auf die Ausübung des Beendigungsrechts geschlossen werden. Es ist dabei auch den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebsverhältnissen Rechnung zu tragen. […]
[30] Dafür, warum die Kl mit der Klagseinbringung 10 Tage zugewartet hat, sind weder nach dem Vorbringen der Kl noch nach den Feststellungen ansatzweise Gründe ersichtlich.
[31] Wie ausgeführt ist es richtig, dass das Einholen von Rechtsauskünften oder komplexe Unternehmensstrukturen eine ausreichende Rechtfertigung für das Verstreichen eines solchen Zeitraums darstellen können. Dies gilt aber nur dann, wenn sich diese Umstände im konkreten Einzelfall auch tatsächlich verwirklicht haben, wofür aber bei einem objektiv zu langen Zeitraum zwischen Bekanntwerden des Kündigungs- oder Entlassungsgrundes und seiner Geltendmachung der Arbeitgeber behauptungs- und beweispflichtig ist.
[32] Macht der Arbeitgeber daher – wie hier die Kl – solche Gründe gar nicht geltend, können sie nicht abstrakt zu seinen Gunsten gewertet werden. […] Der Bekl legte über Aufforderung eine entsprechende Bestätigung der Gewerkschaft vor. Ein aufklärungsbedürftiger Sachverhalt lag danach nicht mehr vor und die Kl legt auch in der Revisionsbeantwortung nicht dar, welche Entscheidungsgrundlagen ihr gefehlt hätten. […]
[34] Irgendeine Rechtfertigung für das Zuwarten wurde – wie ausgeführt – nicht vorgebracht. Dem Bekl ist daher darin zuzustimmen, dass von einer Verfristung des Anspruchs auf Zustimmung zur Kündigung, gestützt auf den Vorfall vom 08.07.2019, auszugehen ist.
Die E betrifft den besonderen Kündigungsschutz von Betriebsräten nach §§ 120, 121 ArbVG.
Im vorliegenden Fall musste sich der OGH mit einer Klage auf Zustimmung zur Kündigung eines BR beschäftigen, dem beharrliche Pflichtenverletzungen iSd § 121 Z 3 ArbVG vorgeworfen wurden. Konkret wurde ihm als Kündigungsgrund vorgeworfen, dass er als nicht freigestellter Betriebsratsvorsitzender weisungswidrig und trotz mehrfacher Verwarnungen nicht notwendige Betriebsratstätigkeiten in der Arbeitszeit verrichtet und seine arbeitsvertraglichen Tätigkeiten als Betriebsschlosser beharrlich verletzt hätte.
Anlass und Grund für die beabsichtigte Kündigung des Bekl war, dass dieser am 8.7.2019 der ihm zugewiesenen Schicht, mit der Begründung von Betriebsratstätigkeiten, fernblieb.
Die Vorinstanzen hatten dieses Verhalten des Bekl in Zusammenschau mit früheren Verwarnungen als beharrliche und schuldhafte Arbeitspflichtverletzungen qualifiziert, und den Kündigungstatbestand des § 121 Z 3 ArbVG als erfüllt angesehen.
Für nicht freigestellte Betriebsräte ist der Freiststellungsanspruch des § 116 ArbVG zu beachten. In der Literatur wird der Anspruch an zwei Voraussetzungen geknüpft: erstens muss die Tätigkeit zu den vielschichtigen Aufgaben des BR gehören und zweitens muss die Ausübung dieser Tätigkeiten in der Praxis erforderlich sein (Schneller in Gahleitner/Mosler15[Hrsg], ArbVG 36 §116 Rz 1). Es besteht dabei allerdings ein Spannungsverhältnis zwischen der Interessenvertretungsaufgabe des nicht freigestellten BR und seiner Arbeitspflicht im Schichtbetrieb. Zu beachten ist, dass dieses Spannungsverhältnis „zunächst selbst“ vom Betriebsratsmitglied einzuschätzen ist (OGH 8 ObA 58/13g DRdA 2014, 351 [Mayr]). Zu dieser Rechtsfrage und ob der AG dem BR Weisungen erteilen darf, weniger Betriebsratsstunden in der Arbeitszeit vorzunehmen, wenn seiner Meinung nach der nicht freigestellte BR „extensiv und massiv“ nicht notwendige Betriebsratsstunden in der Arbeitszeit in Anspruch nimmt und diese zusätzlich sehr kurzfristig ankündigt, wurde die ordentliche Revision vom Berufungsgericht zugelassen.
Gem § 120 Abs 1 ArbVG darf ein Mitglied des BR bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit grundsätzlich nur mit vorheriger Zustimmung des Gerichts gekündigt und entlassen werden. Nach der Judikatur müssen Kündigungs- und Entlassungsgründe unverzüglich mittels Klage auf Zustimmung zur Kündigung geltend gemacht werden (OGH 24.4.1989, 9 ObA 141/89; OGH 20.11.1991, 9 ObA 226/91).
Dies gilt nach der Judikatur des OGH auch ausdrücklich für das Begehren auf Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds (zB OGH 24.7.2019, 8 ObA 38/19z). Der sogenannte Unverzüglichkeitsgrundsatz wurde von der Judikatur insb im Zusammenhang mit Entlassungen (aber auch unter gewissen Umständen bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen) herausgebildet. Dieser wird damit begründet, dass einerseits die Mitglieder des BR ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit haben und sie möglichst rasch Klarheit erlangen sollen, ob ihr Arbeitsverhältnis beendet wird. Andererseits ist einem AG im Falle des Zuwartens mit der Geltendmachung eines Kündigungsgrundes zu unterstellen, dass ihm die Weiterbeschäftigung des betroffenen Betriebsratsmitglieds zumutbar sei. Im vorliegenden Fall hat der OGH in einem ersten Prüfungsschritt bei der Rechtzeitigkeit der Einbringung der Zustimmungsklage betont, dass der Grundsatz der Unverzüglichkeit generell nicht überspannt werden darf. Nicht aus jeder Verzögerung könne demnach auf einen Verzicht des AG auf die Ausübung des Beendigungsrechts geschlossen werden. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur vorläufigen Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung des AN, sollen nach Ansicht des OGH die Annahme eines Verzichts verhindern können. Die Rsp nimmt in diesem Zusammenhang auch auf die hierarchischen Strukturen bei juristischen Personen Bedacht und berücksichtigt, dass in solchen Konstellationen die Willensbildung tendenziell langwieriger und umständlicher ist. Ferner soll dem DG das Recht zustehen, bei einem zweifelhaften Sachverhalt mit dem Ausspruch der Beendigung bzw beim besonderen Bestandschutz mit der Einbringung der Zustimmungsklage so lange zuzuwarten, bis alle wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geklärt und festgestellt wurden. Nur eine sachlich begründete Verzögerung kann somit nach den Ausführungen des OGH zu einer Verlängerung der Frist bei der Einbringung der Klage auf Zustimmung zur Kündigung und/oder Entlassung führen.
Unter Zugrundelegung der beschriebenen Kriterien und Tatsache, dass gegenständlich die Kl keinerlei Rechtfertigung für das Zuwarten vorbrachte, kommt der OGH im Gegensatz zu den Vorinstanzen zum Ergebnis, dass von einer Verfristung der Klage auf Zustimmung zur Kündigung gestützt auf den Vorfall vom 8.7.2019 auszugehen ist.
Als Conclusio ist festzuhalten, dass die nunmehrige E des OGH zeigt, dass der Unverzüglichkeitsgrundsatz beim Bestandsschutz von Betriebsratsmitgliedern nicht nur beim Antrag auf Zustimmung zur Entlassung, sondern auch beim Antrag auf Zustimmung zur Kündigung nach § 121 ArbVG zu beachten ist. Den AG trifft eine Aufgriffsobliegenheit. Er muss die Klage auf Zustimmung zur Kündigung damit ehestmöglich erheben.
Bedauerlicherweise setzt sich der OGH in dieser E inhaltlich nicht mit den bedeutsamen Rechtsfragen der zugelassenen Revision auseinander, sondern stützt sich ausschließlich auf die Verfristung der Geltendmachung des Kündigungsgrundes.
Die Verfristung der Klage hat zur Rechtsfolge, dass die nach dem Urteil I. Instanz ausgesprochene Kündigung ex tunc aufgehoben wurde und der Bekl ein durchgehendes aufrechtes Arbeitsverhältnis zur Kl hat.