9

Dienstordnungen der Sozialversicherungsträger: Falsche Berechnung des Fahrtkostenzuschusses

CHRISTOSKARIOTIS
§ 58 DO.A;
§ 50c DO.B;
§ 46b DO.C;
OGH23.10.2024,9 ObA 74/24h

Auf die Dienstverhältnisse bei der Bekl sind als KollV die Dienstordnung A für Verwaltungsangestellte, Angehörige der Gesundheitsberufe und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A), die Dienstordnung B für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.B) sowie die Dienstordnung C für die ArbeiterInnen bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.C) anzuwenden.

§ 58 DO.A, § 50c DO.B und § 46b DO.C regeln – im Wesentlichen gleichlautend – den Anspruch auf Fahrtkostenzuschuss wie folgt:

„Dem Angestellten gebührt ein Fahrtkostenzuschuss, wenn

(1) 1. sich seine der Dienststelle nächstgelegene Wohnung außerhalb des Dienstortes (§ 69 Abs 4) befindet und

2. er die Wegstrecke zwischen Wohnung (Z 1) und Dienststelle an den Arbeitstagen regelmäßig zurücklegt.

(2) Die Höhe des jährlichen Fahrtkostenzuschusses ist wie folgt zu ermitteln:

1. Die mit dem Pendlerrechner des Finanzministeriums ermittelte tägliche Kilometer-Zahl (einfache Fahrt) ist für die ersten 20 Kilometer mit dem Faktor 29,40, für den 21. bis 40. Kilometer mit dem Faktor 23,40, für den 41. bis 60. Kilometer mit dem Faktor 17,40 und für die restlichen Kilometer mit dem Faktor 11,40 zu multiplizieren;

2. von der Summe der so ermittelten €-Werte ist der Eigenanteil gemäß Abs 3 abzuziehen;

3. bei Angestellten mit weniger als fünf Arbeitstagen pro Woche ist in sinngemäßer Anwendung von § 16 Abs 1 Z 6 lit e EStG zu aliquotieren;

als Monatswert gilt ein Zwölftel des jährlichen Fahrtkostenzuschusses.

(2a) Der Fahrtkostenzuschuss darf den tatsächlichen Aufwand für das entsprechende öffentliche Verkehrsmittel nicht übersteigen, ausgenommen bei Vorliegen der Voraussetzungen des Pendlerpauschales nach § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG. In diesem Fall darf der Fahrtkostenzuschuss die Kosten für das ‚KlimaTicket Ö‘ nicht übersteigen.

(3) Der Fahrtkostenanteil, den der Angestellte selbst zu tragen hat (Eigenanteil), beträgt den Preis der Jahreskarte in Wien (VOR – Zone 100), der bei Einmalzahlung zu entrichten ist.

(...)“

Die Bekl berechnet den Fahrtkostenzuschuss wie folgt:

Gem Abs 2 der jeweiligen Bestimmungen werden die Wegstrecke sowie der sich daraus ergebende Euro-Betrag ermittelt und davon der Eigenanteil nach Abs 2 Z 2, der dem Preis der Jahreskarte in Wien bei Einmalzahlung entspricht, abgezogen. Der so berechnete Fahrtkostenzuschuss wird von der Bekl auf die Weise gedeckelt, dass jeder Mitarbeiter einen de facto-Eigenanteil von € 365,- zu zahlen hat, auch wenn von der gem Abs 2 der jeweiligen Bestimmung ermittelten Summe ein kalkulatorischer Eigenanteil bereits bei der Berechnung dieser Summe abgezogen wurde. Die Bekl zieht daher, auch wenn der gem Abs 2 der jeweiligen Bestimmung errechnete Betrag höher ist als der „Deckel“ gem Abs 2a und der Fahrtkostenzuschuss somit auf die Kosten des „KlimaTicket Ö“ begrenzt wird, nochmals von diesem Deckel den Eigenanteil in Höhe des Preises der Jahreskarte für Wien ab.

Der Kl begehrt die Feststellung, dass bei der Anwendung der Deckelung gem Abs 2a der Eigenanteil gem Abs 3 der jeweiligen Bestimmungen nicht nochmals abzuziehen ist. Die Bekl bestreitet und bringt vor, die Deckelung des Eigenanteils werde bei sämtlichen Fahrtkostenzuschussbeziehern berücksichtigt. Nur so sei gewährleistet, dass alle AN gleich behandelt werden, andernfalls es zu einer Ungleichbehandlung käme, weil manche Mitarbeiter den Eigenanteil de facto tragen müssten, andere aber nur kalkulatorisch.

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Der OGH hat der ordentlichen Revision der Bekl nicht Folge gegeben und hielt dazu wie folgt fest:

Nach stRsp sind die DO.A, die DO.B als auch die DO.C Kollektivverträge, deren normativen Teile nach den Auslegungsregeln der §§ 6, 7 ABGB auszulegen sind. Der normative Teil eines KollV ist gem den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen; maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann. In erster Linie ist bei der Auslegung eines KollV daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen.

Die (gleichlautenden) Regelungen über den Fahrtkostenzuschuss enthalten – geht man vom Wortlaut der Abs 2 und 2a dieser Bestimmungen aus – zwei Regelungsbereiche:

In Abs 2 der jeweiligen Bestimmungen wird zunächst dargestellt, wie der Fahrtkostenzuschuss zu berechnen ist. Der erst 2022 geschaffene Abs 2a legt 21fest, dass ausgehend von der Berechnung nach Abs 2 der tatsächlich zu bezahlende Zuschuss bestimmte Höchstgrenzen nicht übersteigen darf. Folgt man dieser Systematik, so hat der Abzug des „Eigenanteils“ im Rahmen des ersten Schrittes der Berechnung des Ausgangsbetrags des möglichen Fahrtkostenzuschusses zu erfolgen, wie dies auch von der Kl und den Vorinstanzen vertreten wird: Die Kilometerzahl (einfache Fahrt) ist mit bestimmten Faktoren zu multiplizieren und von der Summe der so ermittelten Euro-Werte der Eigenanteil (Kosten einer Jahreskarte in Wien) abzuziehen. Zur Ermittlung der Höhe des Eigenanteils verweist Abs 2 Z 2 der Bestimmungen auf Abs 3. Nach der Einleitung des Abs 2 wird so „die Höhe des jährlichen Fahrtkostenzuschusses ermittelt“.

Zusätzlich sieht Abs 2a seit 1.1.2022 einen Höchstbetrag für den Fahrtkostenzuschuss vor, wonach im Normalfall dieser den tatsächlichen Aufwand für das entsprechende öffentliche Verkehrsmittel, im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen des Pendlerpauschales nach § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG dagegen die Kosten für das „KlimaTicket Ö“ nicht übersteigen darf. Dass von diesen Beträgen wieder ein Eigenanteil abzuziehen ist, ergibt sich aus der Bestimmung gerade nicht. Höchstgrenze des Auszahlungsbetrags ist vielmehr der tatsächliche Aufwand bzw die Kosten für das „KlimaTicket Ö“.

Zwar wird der Eigenanteil in Abs 3 als der von den Angestellten „selbst zu tragende Fahrtkostenanteil“ definiert. Diese Regelung stammt allerdings noch aus der Zeit vor der Einführung der Höchstgrenzen, bezog sich daher schon damals nur auf die Berechnung der Höhe des Fahrtkostenzuschusses nach Abs 2.

Soweit die Bekl in ihren diversen Berechnungsbeispielen in der vom Kl und den Vorinstanzen vertretenen Auslegung eine Ungleichbehandlung von AN zu begründen versucht, übersieht sie, dass die Regelung des Fahrtkostenzuschusses zunächst überhaupt nicht von den tatsächlichen Kosten ausgeht, sondern gestaffelt bestimmte Berechnungsfaktoren für bestimmte Kilometer vorgibt. Dabei werden die ersten 20 km wesentlich höher bewertet als die über 60 hinaus zurückzulegenden Kilometer. Das bedeutet aber, dass in der Berechnung des Zuschusses (vor Abzug des Eigenanteils) im Durchschnitt pro Kilometer für Personen mit kürzeren Wegstrecken von einem deutlich günstigeren Faktor auszugehen ist. Es ist daher keine generelle Aussage darüber möglich, dass Personen mit kürzeren Wegstrecken ausgehend von ihren tatsächlichen Kosten (und nicht dem Berechnungsergebnis nach Abs 2) den Eigenanteil ganz oder teilweise zu tragen haben.

Auch ist es nicht richtig, dass Personen, die das Pendlerpauschale nach § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG beziehen, jedenfalls (ab einer bestimmten Distanz) ihre gesamten Kosten ersetzt erhalten. Es handelt sich dabei um Personen, denen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel (teilweise) unzumutbar ist. In der Regel werden daher bei diesen zu den Kosten für öffentliche Verkehrsmittel auch die Kosten der Nutzung eines Privatfahrzeugs anfallen, die mit den Kosten des „Klimaticket Ö“ nicht abgegolten werden. Dass daher Personen mit kurzen Wegstrecken generell ihren tatsächlichen Aufwand nur unter Abzug des Eigenanteils ersetzt erhalten, während Personen mit längeren Wegstrecken generell ihren gesamten Aufwand ersetzt erhalten, kann in dieser Allgemeinheit nicht gesagt werden. Dem Berufungsgericht ist im Übrigen auch darin zuzustimmen, dass es auch ein sachlich gerechtfertigtes Anliegen ist, Personen die einen höheren Aufwand (zeitlich und an gefahrenen Kilometern) haben, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, einen höheren Fahrtkostenzuschuss zu gewähren.

Ergänzend ist der Bekl entgegenzuhalten, dass Abs 2a Satz 2 der Bestimmungen bei Vorliegen der Voraussetzungen des Pendlerpauschales nach § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG wie ausgeführt normiert, dass der Fahrtkostenzuschuss die Kosten für das „KlimaTicket Ö“ nicht übersteigen darf, der nach ihren Ausführungen in der Revision € 1.095,- beträgt. Träfe die Rechtsansicht der Bekl zu, dass der von ihr mit € 365,- bezifferte Eigenanteil (auch) von diesem Grenzbetrag abzuziehen wäre und der Fahrtkostenzuschuss daher jährlich maximal € 730,- betragen könne, hätte Abs 2a Z 2 der Bestimmungen von vornherein keinen über diesen Betrag hinausreichenden Anwendungsbereich, was den Kollektivvertragsparteien nach der dargestellten Rsp nicht unterstellt werden kann.

Aus Sicht des OGH ergibt sich daher, dass die Dienstordnungen ihrer Berechnung eine zulässige Pauschalbetrachtung zugrunde gelegt haben, gegen die keine gleichheitsrechtlichen Bedenken bestehen.