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Kein Export von Pflegegeld bei Unzuständigkeit nach der VO 883/2004

ELIASFELTEN (SALZBURG)
Art 7, 23, 29 VO (EG) 883/2004; Art 8 Freizügigkeitsabkommen EG-Schweiz; §§ 3, 3a BPGG
  1. Bezieher einer Pension sowohl des Wohnortstaats als auch eines anderen Mitgliedstaats sind der KV des Wohnortstaats zugeordnet, wenn der Pensionsbezug – wie im vorliegenden Fall – im Wohnortstaat einen entsprechenden Leistungsanspruch eröffnet.

  2. Ein Mitgliedstaat kann einen Leistungsanspruch nicht deshalb verneinen, weil er nach Unionsrecht nicht zuständig ist, wenn der Anspruchswerber alle Anspruchsvoraussetzungen nach rein nationalem Recht erfüllt.

  3. Die Kl hat schon deshalb keinen Anspruch auf Pflegegeld nach dem BPGG, weil sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat.

Die 1945 geborene Kl lebt in der Schweiz. Seit 1.10.2002 erhält sie von der Bekl eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer. Daneben bezieht sie eine Rente aus der Schweiz. Gemäß schweizerischem Krankenversicherungsgesetz besteht eine KV bei der K* KV. Seit Februar 2013 wird der Kl in der Schweiz eine Hilflosenentschädigung gewährt.

Mit Bescheid vom 13. 8. 2012 wies die Bekl den Antrag auf Gewährung von (österreichischem) Pflegegeld mangels Zuständigkeit ab.

Mit ihrer Klage begehrt die Kl die Zuerkennung des Pflegegeldes zumindest der Stufe 3 ab Antragstellung. […] Nach Art 7 VO (EG) 883/2004 dürfe es ihr als österreichischer Staatsbürgerin nicht zum Nachteil gereichen, dass sie ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegt habe. Sie habe zuvor viele Jahre in Österreich gelebt und auch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, sodass ihr das (österreichische) Pflegegeld nicht vorenthalten werden könne.

Die Bekl beantragte Klageabweisung und wendete ein, die Exportverpflichtung des Art 7 der VO (EG) 883/2004 sei nur anzuwenden, soweit keine abweichenden Regeln vorliegen. Der Export von Geldleistungen bei Krankheit setze voraus, dass Österreich für die Leistungen bei Krankheit zuständig sei. […] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. […]

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen E an das Erstgericht zurück.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Bekl wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

[…]

I.1. Zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits gilt das am 21.6.1999 abgeschlossene (bilaterale) Abkommen über die Freizügigkeit, ABl L 2002/114,6 (FZA), das mit Abschluss des Ratifizierungsverfahrens am 1.6.2002 in Kraft getreten ist. Das Ziel des Abkommens ist die Gewährung des Rechts auf Einreise, Aufenthalt,344 Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger und des Verbleibs im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien; dies auch für Personen, die im Aufnahmestaat keine Erwerbstätigkeit ausüben. Weitere Ziele sind die Nichtdiskriminierung in Bezug auf Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen sowie die Erleichterung der Erbringung von Dienstleistungen (Art 1 FZA [Freizügigkeitsabkommen]). Art 8 FZA („Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“) verweist auf Anhang II des Abkommens, in dem die anzuwendenden Rechtsvorschriften per Referenztechnik aufgelistet sind. Seit dem Inkrafttreten des Beschlusses 1/2012 des Gemischten Ausschusses mit 1.4.2012 sind dort in Abschnitt A Pkt 1 und 2 jeweils die VO (EG) 883/2004 und VO 987/2009 genannt. Seit dem 1.4.2012 ist somit die VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit auch im Verhältnis zur Schweiz anwendbar. Weiters finden sich dort auch die Einträge in den Anhang der VO (EG) 883/2004 und 987/2009 (Zaglmayer in

Spiegel
, Kommentar zum Zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht2 Bd II, Assoziierungs-Abk Allg Teil Rz 71). Zur Hilflosenentschädigung ist festgehalten, dass sie nur an Personen ausbezahlt werden soll, die auch in der Schweiz wohnen; sie wird weiterhin als beitragsunabhängige Sonderleistung geführt (Zaglmayer in
Spiegel
, Kommentar zum Zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht2, Bd II, Assoziierungs-Abk Allg Teil Rz 76).

II.1 Zu den zur Stützung des Klagebegehrens in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen:

II.1.2 Die VO (EG) 883/2004 legt fest, welcher Mitgliedstaat bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zuständig ist. Es gilt der – in Art 23 VO (EG) 883/2004 konkretisierte – Grundsatz, dass nur die Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats anzuwenden sind (Grundsatz der Einheitlichkeit des Systems der sozialen Sicherheit). Eine bestimmte Person soll somit nur dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, um eine Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, zu vermeiden (EuGH 30.6.2011, C-388/09, da Silva Martins, Rz 53 mwN). Die Vorschriften dieses Mitgliedstaats sind somit allein anwendbar, selbst wenn diese weniger günstig für die betroffenen Personen sind (EuGH 12.6.2012, C-611/10, C-612/10, Hudzinski/Wawrzyniak, Rz 44). Gem Art 11 VO (EG) 883/2004 richtet sich das anzuwendende Recht entweder nach dem Beschäftigungsstaat oder nach dem Wohnsitzstaat.

II.1.3 Das Pflegegeld nach dem BPGG ist im Anwendungsbereich der VO eindeutig als Leistung bei Krankheit zu betrachten (EuGH 8.3.2001, C-215/99, JauchSlg 2001, I-01901). Es unterfällt als Geldleistung bei Krankheit den speziellen Zuständigkeitsvorschriften für die Leistungen bei Krankheit (Art 23 und 29 der VO [EG] 883/2004).

II.1.4 Rentner, die nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten, darunter denen des Wohnsitzstaats zum Bezug von Renten berechtigt sind („Doppelrentner“) und die nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaats Anspruch auf Leistungen bei Krankheit haben, erhalten diese Leistungen bei Krankheit vom Träger des Wohnortstaats und zu dessen Lasten, als ob der Rentner nach den Rechtsvorschriften nur dieses Mitgliedstaats zum Bezug der Rente berechtigt wäre (Art 23 und 29 VO [EG] 883/2004; Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld3 Rz 183 f). Diese Regelung bestimmt somit für Bezieher von Teilrenten aus mehreren Mitgliedstaaten (Doppel- oder Mehrfachrentner) das Wohnland als primären kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkt und den dort zuständigen Träger als ausschließlich und endgültig leistungszuständig und kostentragungspflichtig, sofern (auch) nach dessen Rechtsvorschriften ein Anspruch auf Leistungen im Falle von Krankheit besteht. Bezieher einer Pension sowohl des Wohnortstaats als auch eines anderen Mitgliedstaats sind daher lediglich der KV des Wohnortstaats zugeordnet, wenn der Pensionsbezug – wie im vorliegenden Fall – im Wohnortstaat einen entsprechenden Leistungsanspruch eröffnet. Da die in der Schweiz wohnhafte Kl auch eine Rente nach Schweizer Recht bezieht, ist gem Art 23 und 29 der VO (EG) 883/2004 ausschließlich der schweizer Krankenversicherungsträger zur Leistungserbringung verpflichtet und scheidet aufgrund dieser Zuständigkeitsregelung ein Leistungsexport mangels Leistungszuständigkeit des österreichischen Trägers aus (10 ObS 157/06w, SSV-NF 20/72 zu Art 27 VO Nr 1408/71). Die Kl kann daher den von ihr begehrten Export des Pflegegeldes nicht direkt auf die Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 stützen.

II.2.1 Unter Berufung auf Vorjudikatur hat der EuGH in den Rs C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak, Rz 41 mwN, Rz 45 ff, jedoch ausgesprochen, dass die Koordinierungsbestimmungen für Familienleistungen dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat, der nach diesen Vorschriften nicht als zuständiger Staat bestimmt ist, nicht verwehren, allein nach seinem nationalem Recht einem Wander-AN Familienleistungen zu gewähren. Demnach kann ein Mitgliedstaat einen Leistungsanspruch nicht deshalb verneinen, weil er nach Unionsrecht nicht zuständig ist, wenn der Anspruchswerber alle Anspruchsvoraussetzungen nach rein nationalem Recht erfüllt.

II.2.2 Auch wenn dieses Urteil Familienleistungen betrifft, sind die auf Vorjudikate gestützten Aussagen des EuGH angesichts ihrer allgemeinen Natur auch für die Kategorie „Leistung bei Krankheit“ anwendbar (RIS-Justiz RS0129521 [T2]). Unter der Voraussetzung, dass die Kl die Anspruchsvoraussetzungen nach § 3a Abs 1 BPGG erfüllt, stünde ihrem Anspruch auf Pflegegeld somit nicht entgegen, dass nach der VO (EG) 883/2004 die Schweiz der für Geldleistungen bei Krankheit zuständige Staat ist.

II.2.3 Die Kl hat aber schon deshalb keinen Anspruch auf Pflegegeld nach dem BPGG, weil sie – wie für den OGH bindend festgestellt ist – ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat. Dies wäre nach § 3a Abs 1 BPGG aber Voraussetzung für den Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen des BPGG. Die E des EuGH in den Rs C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und 345Wawrzyniak, betrifft Zeiten der Auslandsarbeit der polnischen Anspruchswerber (auf Familienleistungen) in Deutschland, somit den Wohnsitzmitgliedstaat und nicht den „Exportstaat“.

II.3 Allenfalls könnte ein Anspruch auf Export des Pflegegeldes auf Grund der Unionsbürgerschaft bestehen. So beruft sich die Kl auf die E des EuGH in der Rs C-388/09, da Silva Martins, in der ein Exportanspruch des (deutschen) Pflegegeldes nach Portugal mit der Begründung bejaht wurde, dass die Leistung von Beiträgen in die freiwillige Pflegeversicherung ohne Gegenleistungen (wegen der Wohnsitzverlegung) zu erhalten, gegen die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger verstoße. Die Unionsbürger-RL und die damit verbundene Rsp des EuGH ist aber nicht Teil des FZA (Zaglmayer in

Spiegel
, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht2 Bd II, Assoziierungs-Abk AllgTeil Rz 81).

II.4 Art 8 des (bilateralen) Freizügigkeitsabkommens sieht nur eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der EU und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vor, sodass die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der Vertragsparteien und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt werden. Somit kann auch Art 8 des FZA der Kl nicht garantieren, dass ihr Umzug in die Schweiz hinsichtlich der sozialen Sicherheit, insb in Bezug auf Leistungen bei Krankheit, neutral ist (vgl EuGH 16.7.2009, C-208/07, Chamier-Glisczinski, Rz 85, 87).

II.5 Das (österreichische) Pflegegeld wird grundsätzlich aus dem Bundesbudget bestritten. Nach § 23 Abs 1 BPGG hat der Bund den Trägern der gesetzlichen PV die nachgewiesenen Aufwendungen für das Pflegegeld zu ersetzen. Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn Pflegegeld für einen Pflegebedarf geleistet wird, der durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld3, Rz 205). Das Pflegegeld stellt somit eine Leistung des Bundes dar, die nicht durch Beiträge bedeckt wird (RIS-Justiz RS0102023). Seit 1.1.2012 haben zudem österreichische Staatsbürger ohne Grundleistung gem § 3 Abs 1 und 2 BPGG unter der Voraussetzung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland Anspruch auf Bundespflegegeld. Entgegen der Ansicht der Kl ist daher nicht die Situation gegeben, dass sie in Österreich Beitragsleistungen zur SV erbracht hätte, denen nunmehr kein Anspruch auf Gegenleistung gegenübersteht. Ihrer Anregung, eine Vorabentscheidung des EuGH zur Frage einzuholen, ob ihr Anspruch auf Pflegegeld zustehe, weil sie von 1961 bis 1992 Sozialversicherungsbeiträge bezahlt habe, ist deshalb nicht nachzukommen. Zwar ist der EuGH auch in Bezug auf die Schweiz zuständig zu handeln, wenn eine Frage von einem nationalen Gericht eines EU-Mitgliedstaats vorgelegt wird (Zaglmayer in

Spiegel
, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht2 Bd II Assoziierungs-Abk Allg Teil Rz 66). Der Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens besteht aber in der Wahrung der gemeinschaftsrechtlichen Ordnung der Mitgliedstaaten. Die Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens ist nur gegeben, wenn es sich um eine vorlagefähige Frage aus dem Gemeinschaftsrecht handelt. Fragen der Vereinbarkeit innerstaatlichen Rechts mit Gemeinschaftsrecht begründen ebenso wie die Auslegung nationalen Rechts die Unzulässigkeit des Ersuchens (RIS-Justiz RS0075861 [T4]). Die Kl vermag gar nicht darzutun, bezüglich welcher (das Gemeinschaftsrecht betreffender) Fragen die Voraussetzungen für die Einleitung des beantragten Vorabentscheidungsverfahrens nach ihrer Ansicht gegeben wären.

Dem vom LG Salzburg zu LG Salzburg AZ 11 Cgs 128/11x gestellten Vorabentscheidungsersuchen vom LG Salzburg 15.10.2011 (Hermine Sax), lag insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde, als in diesem Fall die – eine österreichische und eine deutsche Rente – beziehende Kl ihren Wohnsitz in Deutschland hatte und daher die Unionsbürger-RL zur Anwendung gelangte (eine Vorabentscheidung ist infolge Todes der Kl nicht erfolgt).

II.6 Der OGH hat gem § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen, wenn die Sache zur Entscheidung reif ist (RIS-Justiz RS0043853 [T7]). Mangels einer tauglichen Anspruchsgrundlage war demnach in Stattgebung des Rekurses das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. […]

ANMERKUNG
1.
Leistungsexport bei Zuständigkeit nach der VO 883/2004

Der Export von Sozialleistungen ist ein tragender Grundsatz der VO 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit innerhalb der EU (Schuler in

Fuchs
[Hrsg], Europäisches Sozialrecht5 Art 7 Rz 3). Dadurch soll die Personenfreizügigkeit gefördert werden. Er hat damit seine Wurzel letztlich in den Grundfreiheiten des Primärrechts (vgl bloß Art 48 AEUV). Freilich beschränkt sich dieses Exportgebot nicht nur auf die Mitgliedstaaten der EU. Er findet auf Grund entsprechender Assoziierungsabkommen auch Anwendung auf die Schweiz und den EWR (vgl Zaglmayer in
Spiegel
[Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Bd 2 [40. Lfg] Assoziierungs-Abk Allg Teil Rz 50 und 71). Gem Art 7 VO 883/2004 bezieht sich das Exportgebot – bzw die „Aufhebung der Wohnortklausel“ – ausdrücklich auf alle Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gebühren würden, wenn der Wohnort des Antragstellers im selben Staat liegen würde, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Eine Ausnahme sieht die VO 883/2004 gem Art 70 Abs 3 lediglich für sogenannte „beitragsunabhängige Geldleistungen“ vor. Diese dürfen an einen Wohnsitz im Inland – nach der neueren Judikatur des EuGH sogar an einen rechtmäßigen Wohnsitz im Inland – geknüpft werden (EuGHC-333/13, Dano, EU:C:2014:2358; EuGHC-140/12, Brey, EU:C:2013:565).346

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Exportgebots ist also, dass es sich um eine Leistung handelt, die in den sachlichen Anwendungsbereich der VO fällt. Welche Leistungen das sind, ergibt sich aus der taxativen Auflistung des Art 3. Darüber hinaus besteht aber ein Exportanspruch ausdrücklich nur gegenüber dem „zur Zahlung verpflichteten Träger“. Letzteres setzt voraus, dass der Träger bzw der Staat, dem dieser zuzurechnen ist, zuständig für die betreffende Leistung ist.

In Bezug auf den Export von österreichischem Pflegegeld bedeutet dies, dass ein solcher Anspruch nach der VO 883/2004 nur dann besteht, wenn Österreich der zur Leistung von Geldleistungen bei Krankheit zuständige Staat ist. Das ist seit den Rs Jauch und Hosse klar (EuGHC-215/99, Jauch, EU:C:2001:139; EuGHC-286/03, Hosse, EU:C:2006:125). Mit diesen beiden Entscheidungen hat der EuGH klargestellt, dass das österreichische Pflegegeld (sowohl das Bundes- als auch das damals noch existierende Landespflegegeld) als Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 VO 883/2004 zu qualifizieren und deshalb ins Ausland zu exportieren ist, wenn Österreich – zB auf Grund der Ausübung einer Beschäftigung im Inland eines Familienangehörigen – der für die KV zuständige Staat ist. Es steht demnach außer Zweifel, dass österreichisches Pflegegeld grundsätzlich ins EU-Ausland und die Schweiz zu exportieren ist; vorausgesetzt Österreich ist nach der VO zuständig.

Im konkreten Fall war jedoch klar, dass Österreich gerade nicht der für die KV zuständige Staat ist, sondern die Schweiz. Dies deshalb, weil die Kl nicht nur eine österreichische, sondern auch eine Schweizer Pension bezieht und ihren Wohnsitz ebenfalls in der Schweiz hat. Bei einem Bezug von mehreren Pensionen ist nach der VO 883/2004 (Art 23 iVm Art 29) jener pensionsauszahlende Staat auch für die KV zuständig, der gleichzeitig der Wohnsitzstaat ist. Aus diesem Grund hatte auch die Pensionsversicherungsanstalt den Antrag auf Export von Pflegegeld abgelehnt.

Die Kl machte allerdings geltend, dass diese Zuständigkeitsregeln der VO letztlich eine Diskriminierung ihrer Person bewirken, da sie nur deshalb schlechter gestellt werde, weil sie ihren Wohnsitz von der Schweiz nach Österreich verlegt habe. MaW, sie erfahre deshalb eine nachteilige Behandlung, weil sie von ihren Freizügigkeitsrechten gebraucht gemacht habe. Tatsächlich hat der EuGH bereits mehrfach bestätigt, dass die Anwendung der sekundärrechtlichen Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 zu einer Beschränkung der primärrechtlich garantierten Freizügigkeitsrechte und damit zu einem Verstoß gegen Art 18 AEUV bzw Art 45 AEUV führen können (EuGHC-611/10, Hydzinski und Wawrzyniak, EU:C:2012:339; EuGHC-388/09, da Silva Martins, EU:C:2011:439).

2.
Leistungsexport bei Unzuständigkeit nach der VO 883/2004

Der OGH war daher aufgerufen, die Frage zu klären, ob dies auch bei der Kl der Fall sei, weil ihr ein Export von Pflegegeld mit Verweis auf die mangelnde Zuständigkeit Österreichs nach der VO versagt worden war. Er hat dies zu Recht verneint. Die Kl konnte sich im konkreten Fall nämlich gar nicht auf ein Freizügigkeitsrecht berufen. Im Verhältnis zur Schweiz gilt nur die AN-Freizügigkeit. Selbst wenn aber eine Berufung auf die Unionsbürgerschaft möglich gewesen wäre, hätte der OGH einen Exportanspruch verneinen müssen. Der konkrete Fall unterscheidet sich nämlich substantiell von jenen Fällen, die bis dato vom EuGH – und auch vom OGH selbst – entschieden worden waren.

Am ehesten scheint der vorliegende Fall noch mit der Rs da Silva Martins vergleichbar. In diesem Verfahren war der EuGH zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen unzulässigen Eingriff in die Freizügigkeitsrechte darstellt, wenn ein portugiesischer Staatsbürger, der lange Jahre in die deutsche Pflegeversicherung eingezahlt hat, nur deshalb keinen Leistungsanspruch daraus geltend machen kann, weil er in der Pension seinen Wohnsitz zurück nach Portugal verlegt hat und deshalb nicht mehr Deutschland, sondern Portugal der für Leistungen bei Krankheit zuständige Staat ist. MaW hat der EuGH in der Rs da Silva Martins ausdrücklich einen Exportanspruch von Pflegegeld entgegen den Zuständigkeitsbestimmungen der VO auf Grund des Primärrechts bejaht.

Wie der OGH in seiner Begründung richtigerweise festhält, bestehen jedoch zwischen dem vorliegenden Fall und dem Sachverhalt, welcher der Rs da Silva Martins zu Grunde lag, einige zentrale Unterschiede. Der gravierendste besteht darin, dass es sich beim österreichischen Pflegegeld entgegen dem deutschen um keine Versicherungsleistung handelt. Der Fall, dass man also in eine Versicherung Beiträge einzahlt und nur auf Grund der Wohnsitzverlegung letztlich leer ausgeht, ist nach dem österreichischen System nicht denkbar (vgl EuGH Rs da Silva Martins, Rz 78). Darüber hinaus war Herr da Silva Martins unmittelbar vor der Geltendmachung seines Leistungsanspruches noch in Deutschland wohnhaft und unselbständig beschäftigt. Die Kl hatte hingegen anscheinend schon seit einigen Jahren ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegt. Das ist insofern relevant, als die Einzahlung in die deutsche Pflegeversicherung sowie der erst kurzfristig erfolgte Wohnsitzwechsel ein Naheverhältnis zwischen Herrn da Silva Martins und der BRD begründet hat.

Ein solches Naheverhältnis lag auch der Rs Hudzinski und Wawrzyniak zu Grunde (EuGH Rs Hudzinski und Wawrzyniak = DRdA 2013, 223 [Fuchs]). Die Herren Hudzinski und Wawrzyniak waren beide zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung in Deutschland beschäftigt und deshalb dort auch steuerpflichtig. Aus diesem Grund hatten sie einen Antrag auf Auszahlung deutschen Kindergeldes für ihre in Polen wohnhaften Kinder gestellt. Denn nach deutschem Recht besteht unter diesen Voraussetzungen grundsätzlich ein Anspruch auf Kindergeld. Dennoch hatte die zuständige deutsche Behörde diesen mit Verweis auf die mangelnde Zuständigkeit Deutschlands für Familienleistungen nach der VO 883/2004 abgelehnt. Darin erkannte347 der EuGH eine unzulässige Beschränkung der beiden polnischen Staatsbürger in ihren Freizügigkeitsrechten. Es verstoße gegen das Primärrecht, wenn ein Staat, obgleich alle nationalen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, dennoch die Auszahlung einer Leistung verweigert, weil auf Grund des grenzüberschreitenden Bezugs ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist (EuGH Rs Hudzinski und Wawrzyniak, Rz 68).

Nun könnte man sich, wie der OGH, auf den Standpunkt stellen, die Rs Hudzinski und Wawrzyniak wäre deshalb auf den konkreten Fall nicht anwendbar, weil die Kl – mangels Wohnsitzes im Inland – nicht alle nationalen Anspruchsvoraussetzungen nach § 3 bzw § 3a BPGG erfüllt. Allerdings kann man dem berechtigterweise entgegen halten, dass gerade dieses nationale Wohnsitzkriterium diskriminierende, weil beschränkende Wirkung entfaltet. Entscheidend ist daher vielmehr – und darin liegt auch der Unterschied zu den Rs Hudzinski und Wawrzyniak –, dass die Kl gerade kein Naheverhältnis mehr zu Österreich aufweist. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass sie anscheinend bereits im Jahr 1992 alle Beziehungen zu Österreich abgebrochen hat – zumindest weist die Kl ab diesem Zeitpunkt keine österreichischen Versicherungszeiten mehr auf – und ihren Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegt hat. Lediglich ihre österreichische Staatsbürgerschaft stellt neben dem österreichischen Pensionsbezug noch eine Verbindung zu Österreich her.

Das unterscheidet das konkrete Verfahren im Übrigen auch von jenen Pflegegeldentscheidungen des OGH, in denen er auf Grundlage des § 3a BPGG mit Verweis auf die Rs Hudzinski und Wawrzyniak einen Leistungsanspruch trotz Unzuständigkeit Österreichs nach der VO 883/2004 bejaht hatte (OGH10 ObS 36/14pDRdA 2015, 186 [Pfalz]; OGH10 ObS 2/14pÖZPR 2014, 142 [Beck]). In diesen Fällen hatten die Antragstellerinnen nämlich nicht nur bereits andere österreichische Leistungen bezogen, sondern bereits seit langen Jahren ihren Wohnsitz in Österreich. Insb dieser langjährige Wohnsitz im Inland begründet zweifelsfrei ein echtes Naheverhältnis zum österreichischen Staat (siehe bereits Felten, ÖZPR 2014, 46).

Dass letztlich dieses Naheverhältnis den entscheidenden Ausschlag gibt, belegt auch eine aktuelle E des EuGH aus dem Jahr 2014. In diesem Verfahren hatten zwei polnische Staatsbürger, die zwar noch formal über einen Wohnsitz in Polen verfügten, de facto aber in Deutschland wohnten und arbeiteten, polnische Familienleistungen beantragt, obgleich Polen nach der VO 883/2004 gar nicht zuständig war. Zwar macht das polnische Recht einen solchen Anspruch tatsächlich nur vom Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes abhängig, dennoch kam der EuGH – entgegen seinem Urteil in der Rs Hudzinski und Wawrzyniak – zu dem Ergebnis, dass der polnische Träger zu Recht einen Leistungsanspruch mangels Zuständigkeit verneint hatte. Ein Anspruch nach nationalem Recht entgegen den Zuständigkeitsregeln der VO komme nämlich nur dann in Betracht, wenn „eine eindeutige und besonders enge Verknüpfung zwischen der in Rede stehenden Situation und dem Staatsgebiet“ des betreffenden Mitgliedstaates besteht (EuGHC-394/13, B., EU:C:2014:2199). Eine bloß formelle Wohnsitzregistrierung erfüllt dieses notwendige Naheverhältnis nach Ansicht des EuGH ausdrücklich nicht.

Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Judikaturlinie, die der EuGH schon seit längerem, in letzter Zeit aber verstärkt vertritt. Die Sicherstellung eines echten Naheverhältnisses zwischen dem Leistungsbezieher und dem zur Leistung verpflichteten Staat sieht der Gerichtshof als legitimes Ziel an, das auch eine Beschränkung der Freizügigkeitsrechte rechtfertigen kann (zuletzt etwa EuGHC-503/09, Stewart, EU:C:2011:500, Rn 89 mwN). Dh, dass die Mitgliedstaaten einen Leistungsanspruch durchaus von der Erfüllung bestimmter Kriterien abhängig machen können, die eine solche Nahebeziehung gewährleisten sollen. Ein Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland kann dabei freilich nicht das einzig denkbare Kriterium sein (EuGH Rs Stewart, Rn 95 ff). Ansonsten würde ja der Exportanspruch des Art 7 VO 883/2004 jedwede Bedeutung verlieren. Deshalb ist auch der Verweis des OGH auf das Wohnsitzkriterium des § 3 bzw § 3a BPGG zumindest missverständlich.

3.
Zusammenfassung

Im Ergebnis hat der OGH im konkreten Fall zu Recht einen Anspruch auf Export österreichischen Pflegegeldes verneint. Denn unabhängig vom Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes ergeben sich aus dem festgestellten Sachverhalt keinerlei Indizien dafür, dass weiterhin ein „eindeutiges und besonders enges“ Naheverhältnis zwischen der Kl und dem Staat Österreich besteht. Diese erschöpfen sich in der österreichischen Staatsbürgerschaft und dem Umstand, dass die Kl vor Jahren einmal in Österreich beschäftigt war und deshalb auch einen Anspruch auf eine österreichische Pension erworben hat. Das reicht freilich nicht aus; vor allem dann nicht, wenn inzwischen mit der Schweiz ein anderer Staat existiert, zu dem eine solche Nahebeziehung aufgebaut wurde. In diesem Fall bleibt es bei den Zuständigkeitsregeln, welche die VO 883/2004 vorsieht.348