Grenzen der Krankenbehandlung
Grenzen der Krankenbehandlung
Der Anspruch auf Krankenbehandlung gehört seit dem Inkrafttreten des ASVG im Jahr 1955 zu den Kernaufgaben der sozialen KV. Dennoch ist bis heute nicht klar, wo konkret die Grenzen des Krankenbehandlungsanspruches verlaufen. Tatsächlich verschieben sich diese stetig. Das liegt vor allem am medizinischen Fortschritt. Beschwerden, die gestern noch nicht behandelbar waren, lassen sich heute mit neu entwickelten Medikamenten und hochspezialisierten Operations- und Therapiemethoden heilen. Auch die Einstellung der Versicherten zu ihrem Körper hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Die Gesundheit wird zunehmend als wertvolles „Gut“ verstanden. Das führt zu einer Änderung von Lebensgewohnheiten. Auf all diese Entwicklungen muss die soziale KV Antworten finden. Der Gesetzgeber hat darauf in erster Linie mit einer Erweiterung des Leistungsspektrums reagiert. Mit der 32. ASVG-Novelle kam die Prävention und Früherkennung hinzu. Die medizinische Rehabilitation zählt ebenso wie die medizinische Hauskrankenpflege seit der 50. ASVG-Novelle zum Aufgabenspektrum der sozialen KV. Zuletzt wurde mit dem SRÄG 2012 sogar ein eigener, neuer Versicherungsfall, die geminderte Arbeitsfähigkeit, geschaffen. Die gesetzlichen Grundlagen des Krankenbehandlungsanspruches sind hingegen in den letzten 60 Jahren nahezu unverändert geblieben. Anhand einer Analyse der höchstgerichtlichen Judikatur soll veranschaulicht werden, welche Probleme sich daraus in der Praxis ergeben, wenn es darum geht, unabhängig vom konkreten Einzelfall die Grenzen der Krankenbehandlung zu definieren.
Der Anspruch auf Krankenbehandlung nach dem ASVG
Meilensteine der Judikatur zu den Grenzen des Krankenbehandlungsanspruches
Desinfektionsmittel
Außenseitermethoden
Untergrenze der Leistungspflicht
In-Vitro-Fertilisation
Erektile Dysfunktion
Fazit
Abgrenzungsprobleme
Krankenbehandlung vs eigenverantwortlicher Bereich
Krankenbehandlung vs Hilfe bei körperlichen Gebrechen
Krankenbehandlung vs Pflege
Krankenbehandlung vs medizinische Rehabilitation
Rechtspolitische Schlussfolgerungen
Die Funktion der sozialen KV besteht darin, die Versicherten vor dem Risiko der Krankheit zu bewahren. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Es kann bereits im Vorfeld angesetzt werden, um den Eintritt von Krankheiten zu verhindern. Dies wäre ein präventives Krankenversicherungssystem. Oder es werden den Versicherten leistbare Behandlungen zur Verfügung gestellt, sollte sich die Krankheit schon manifestiert haben. Einen solchen kurativen Ansatz verfolgt die österreichische KV dem Grunde nach. Das zeigt die Historie. Bereits nach dem Gesetz vom 30.3.1888 betreffend die KV für Arbeiter* – mit dem erstmals in Österreich eine gesetzliche KV eingeführt worden war – gebührte eine Krankenunterstützung in Form einer freien ärztlichen Behandlung, eines geburtshilflichen Beistandes sowie der notwendigen Heilmittel und sonstigen therapeutischen Behelfe erst „vom Beginn der Krankheit an“.* Dh, dass Voraussetzung für einen Leistungsanspruch der Eintritt der Krankheit war. Auch die Krankenhilfe des 1935 erlassenen GSVG*476 setzte das Vorliegen einer Krankheit voraus. Diese Tradition führte das 1955 in Kraft getretene ASVG fort.*.
Im Gegensatz zu den Regelungswerken aus der Vor- bzw Zwischenkriegszeit legte das ASVG im Jahr 1955 erstmals fest, für welche Versicherungsfälle die soziale KV zuständig ist, ab welchem Zeitpunkt diese als eingetreten gelten, welche Leistungen konkret gebühren und was unter einer Krankheit im Rechtssinne zu verstehen ist. Nach § 116 der Stammfassung sorgt die KV für die Versicherungsfälle der Krankheit, der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, der Mutterschaft sowie des Todes vor. Aus dem Versicherungsfall der Krankheit leitet sich gem § 117 Z 1 ASVG ein Anspruch des/der Versicherten auf Krankenbehandlung ab. Dieser umfasst gem § 133 Abs 1 ASVG die ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe und besteht gem § 120 ASVG ab Beginn der Krankheit, wobei als Krankheit jeder regelwidrige Körper- oder Geisteszustand gilt, der eine Krankenbehandlung notwendig macht. An dieser Definition des Versicherungsfalls der Krankheit sowie seines Eintritts hat sich bis heute nichts geändert. Folglich besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung de lege lata nur dann, wenn die Krankheit bereits eingetreten ist und als solche fortbesteht.
Beides lässt sich in der Praxis jedoch nicht immer eindeutig und zweifelsfrei bestimmen. Nach dem Gesetzeswortlaut liegt eine Krankheit nämlich nur dann vor, wenn sowohl ein regelwidriger Gesundheitszustand als auch dessen Behandlungsbedürftigkeit gegeben ist.* Damit ist nicht jede Störung des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens automatisch eine Krankheit im Rechtssinne. So definiert aber die WHO aus medizinischer Sicht den Begriff der Gesundheit. Dh, dass der rechtliche Krankheitsbegriff des ASVG nicht mit dem medizinischen Krankheitsbegriff gleichzusetzen ist; letzterer ist weiter.* Der Gesetzgeber des ASVG hat also einen eigenen sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff geschaffen, der durch die Regelwidrigkeit und die Behandlungsbedürftigkeit bestimmt wird.* Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, besteht auch ein Anspruch auf Krankenbehandlung.
Allerdings hat es der Gesetzgeber verabsäumt klarzustellen, in welchen Fällen von einem regelwidrigen und behandlungsbedürftigen Gesundheitszustand auszugehen ist. In § 133 Abs 2 ASVG findet sich lediglich der Hinweis, dass durch die Krankenbehandlung die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Krankenbehandlung einen bestimmten Zweck erfüllen soll.* Die Herstellung des vollen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens gehört nicht dazu. Darüber hinaus muss die Krankenbehandlung gem § 133 Abs 2 ASVG ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Nicht alles, was medizinisch möglich ist, löst also einen Anspruch gegenüber der sozialen KV aus.* Dh, dass der Gesetzgeber in § 133 Abs 2 ASVG sowohl qualitative als auch quantitative Grenzen des Krankenbehandlungsanspruches definiert hat.
Wo diese konkret verlaufen, bleibt freilich in Anbetracht des Gesetzestextes unklar. Eine gewisse Annährung ergibt sich allenfalls noch aus dem Umstand, dass seit der Stammfassung kosmetische Behandlungen* und Hilfe bei körperlichen Gebrechen, Verstümmelungen und Verunstaltungen* ausdrücklich nicht der Krankenbehandlung zuzurechnen sind. Damit hat der Gesetzgeber zu verstehen gegeben, dass er davon ausgeht, dass in all diesen Fällen keine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne vorliegt. Der Grund dafür besteht freilich weniger darin, dass kein regelwidriger Gesundheitszustand gegeben wäre, sondern in der fehlenden Behandlungsbedürftigkeit.
Im Falle kosmetischer Behandlungen wird die Behandlungsbedürftigkeit vom Gesetzgeber dann verneint, wenn sie nicht der Beseitigung anatomischer oder funktioneller Krankheitszustände dient. Sie können gem § 133 Abs 3 ASVG allenfalls als freiwillige Leistungen gewährt werden, wenn sie zur vollen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit förderlich oder aus Berufsgründen notwendig sind. Dies wohl deshalb, weil der Eingriff somit einem vergleichbaren Zweck dient, wie die Krankenbehandlung gem § 133 Abs 2 ASVG. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber ansonsten kosmetischen Eingriffen die Behandlungsbedürftigkeit abspricht, weil sie gerade keinem gesellschaftlich anerkannten Ziel iSd § 133 Abs 2 ASVG dienen. In Bezug auf Hilfe bei körperlichen Gebrechen, Verunstaltungen oder Verstümmelungen geht dieses Argument hingegen ins Leere. Die Zurverfügungstellung einer Krücke im Falle einer Beinamputation verbessert mit Sicherheit die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen. Allerdings ändert die Krücke nichts am regelwidrigen Gesundheitszustand, konkret am fehlenden Bein. Sie „behandelt“ also nicht, sondern substituiert lediglich die fehlenden Körperfunktionen. Dient die Krücke hingegen der Entlastung des Beines nach einem Knochenbruch, so wird man kaum daran zweifeln können, dass damit die Wundheilung unterstützt wird. Sie ist in diesem Fall ein Instrument zur Behandlung eines regelwidrigen Gesundheitszustandes. Entscheidend ist also weniger das zum Einsatz kommende Mittel als der Gesundheitszustand selbst. Ein regelwidriger, aber bereits abgeschlossener Gesundheits-477zustand ist nach der Judikatur mangels Behandlungsbedürftigkeit nicht als Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu qualifizieren und löst damit auch keinen Krankenbehandlungsanspruch aus.* Ab welchem Zeitpunkt freilich von einem „abgeschlossenen“ Gesundheitszustand auszugehen ist, lässt sich in der Praxis nur schwer eruieren.* Der OGH zieht die Untergrenze eines noch beeinflussbaren Gesundheitszustandes nämlich dort, wo noch eine Schmerzlinderung oder Verhütung von Verschlimmerungen bewirkt werden kann.* Darüber hinaus scheint der Gesetzgeber davon auszugehen, dass es so etwas wie eine „Zwischenphase“ gibt. Denn gem § 154a ASVG können dem/der Versicherten im Anschluss an eine Krankenbehandlung auch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation gewährt werden, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder die Folgen der Krankheit zu erleichtern. Diese sind aber weder Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG noch Hilfe bei körperlichen Gebrechen iSd § 154 ASVG.*
Eine Analyse der gesetzlichen Bestimmungen des ASVG zeigt, dass die Grenzen des Krankenbehandlungsanspruches vom Gesetzgeber durch eine Vielzahl unterschiedlicher Determinanten bestimmt werden.* Zum einen durch den Gesundheitszustand: Dieser muss bereits regelwidrig, darf aber noch nicht abgeschlossen sein. Zum anderen durch die Funktion der Krankenbehandlung bzw ihren Zweck. Aber auch das eingesetzte Mittel ist ausschlaggebend: dieses muss ausreichend, wenngleich das Maß des Notwendigen nicht übersteigend, aber auch zweckentsprechend sein.
Schließlich definiert sich der Krankenbehandlungsanspruch aber auch über die LeistungsanbieterInnen. So darf ärztliche Hilfe gem § 135 ASVG nur von ÄrztInnen oder gleichgestellten Gesundheitsberufen erbracht werden. Letztere dürfen nur nach ärztlicher Verschreibung tätig werden. Die einzige Ausnahme bilden die PsychotherapeutInnen, bei denen die Anerkennung der Leistung als Krankenbehandlung iSd ASVG nur eine ärztliche Untersuchung vor oder am Beginn der Behandlung, nicht aber eine ärztliche Verschreibung voraussetzt.* Selbstmedikation schließt eine Leistung der KV aus, auch wenn sie auf ärztliche Empfehlung erfolgt.* Völlig richtig hat daher der OGH einen Kostenersatz für eine Hautcreme schon deshalb abgelehnt, weil ein Heilmitteleinsatz ohne ärztliche Verordnung auch dann keine Krankenbehandlung darstellt, wenn er erfolgreich war.* Heilmittel dürfen grundsätzlich nur von Apotheken abgegeben werden. Das legt zumindest der Wortlaut des § 136 Abs 2 ASVG nahe, wonach die Kosten vom Krankenversicherungsträger durch Abrechnung mit den Apotheken übernommen werden.*
Damit hat der Gesetzgeber einen denkbar komplizierten Ansatz gewählt. Nicht nur, dass jede dieser Determinanten für sich alleine schon schwierig zu bestimmen ist, da jeweils medizinische und juristische Maßstäbe aufeinandertreffen. Sie greifen auch noch ineinander und lassen sich kaum voneinander trennen. Das schafft in der Praxis schwierige Abgrenzungsprobleme. Der Hauptverband versucht, diese durch die ihm vom Gesetz gewährte Richtlinienkompetenz zu entschärfen. Im Rahmen der Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RÖV)* und über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung (RÖK)* werden im Zusammenspiel mit den Gesamtverträgen und dem Erstattungskodex de facto auch die Grenzen des Krankenbehandlungsanspruches definiert. Allerdings vertritt der OGH die Ansicht, dass weder die Richtlinien noch der Gesamtvertrag bzw der Erstattungskodex den Krankenbehandlungsanspruch des/der Versicherten einschränken können.* Letztlich obliegt es also der Rsp, die einzelnen gesetzlichen Determinanten im Wege der Auslegung zu bestimmen.
Schon eine der ersten Entscheidungen des OGH* zu den Grenzen der Krankenbehandlung war spektakulär. Ein Mittel zur Desinfektion einer Wohnung bzw von Einrichtungsgegenständen könne ein Heilmittel sein, wenn es aufgrund seiner spezifischen Wirkung zur Beseitigung oder Linderung einer Krankheit oder der Sicherung des Heilerfolges zum Einsatz komme und daher für gesunde Menschen nicht angeschafft werde.* Es diene auch nicht bloß der Prophylaxe. Konkret ging es um einen Versicherten mit Hausstaubmilbenallergie, der insb heftige asthmatische Beschwerden hatte. Durch die Desinfektion mit dem vom Arzt verschriebenen Mittel (ACAROSAN) sind die allergischen Beschwerden verschwunden. Dass dieses Mittel nicht im Heilmittelverzeichnis enthalten war, sah der OGH als nicht ausschlaggebend an, weil durch478das Heilmittelverzeichnis das Recht des Patienten auf die ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung nicht eingeschränkt werde.
In der E ging es in erster Linie um eine Auslegung des Heilmittelbegriffs, der nicht nur Arzneimittel, sondern auch die sonstigen Mittel umfasst, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilungserfolges dienen (§ 136 Abs 1 ASVG, § 92 Abs 1 GSVG, § 86 Abs 1 BSVG, § 64 Abs 1 B-KUVG). Der äußerst weit gefasste Wortlaut spricht für die Richtigkeit der E. Es kommt offenbar nicht darauf an, ob die Mittel am oder im menschlichen Körper angewendet werden, sondern ob sie geeignet sind, die Krankheit zu bekämpfen oder wenigstens der Sicherung des Heilerfolges dienen.* Das Desinfektionsmittel konnte zwar nicht die Krankheit (die Hausstaubmilbenallergie) heilen, es hat auch keinen Heilerfolg gebracht (die Allergie bestand weiter), es hat aber immerhin zur Linderung der Krankheitsfolgen beigetragen. Das ist eine Parallele zur Schmerzlinderung, bei der auch kein Heilerfolg eintritt. Eine lindernde Wirkung können allerdings auch Kräutertees, Alkohol, Diäten oder der Besuch eines Thermalbades haben. Der OGH hat – offenbar deshalb – als Zusatzvoraussetzung gefordert, dass das Mittel für gesunde Menschen nicht angeschafft wird. Freilich ist dieses Kriterium nicht immer brauchbar. Insb dürfen daraus keine falschen Schlüsse gezogen werden. So wird man nicht behaupten können, dass etwa elastische Binden deshalb kein Heilmittel sind, weil sie nicht nur im Rahmen einer Krankenbehandlung, sondern auch von gesunden Sportlern verwendet werden.* Auch als Zusatzvoraussetzung ist die Anschaffung nur für Krankheitszwecke nicht ausreichend. Muss die Kasse etwa ein Buch bezahlen, das sich speziell mit krankhafter Prüfungsangst beschäftigt, weil es letztlich zum Heilerfolg beitragen kann und von gesunden Menschen kaum jemals angeschafft wird? Das kann man wohl nicht mehr unter den Begriff „Heilmittel“ subsumieren. Ebenso lassen sich die Mittel des täglichen Bedarfs mit diesem Kriterium nur zT aus dem Heilmittelbegriff ausscheiden. Der OGH hat allerdings in anderen Entscheidungen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens (zB Kräutertees, Fieberthermometer, Wundbenzin,* aber auch Reinigungsund Pflegemittel des täglichen Bedarfs* oder Thermalbäder ohne ärztliche Aufsicht*) nicht als sonstige Heilmittel angesehen.
Im Fall ACAROSAN war eigentlich noch ein anderes Problem verborgen, auf das der OGH nicht gesondert eingegangen ist. Durch das Desinfektionsmittel wurde – gemäß der Feststellungen – nicht auf die Krankheit (Allergie) eingewirkt, sondern auf deren Folgen (Asthma). Man hätte also auch die Meinung vertreten können, dass das Mittel nicht geeignet ist, den Erfolg der Heilung der Krankheit zu sichern und es sich deshalb um kein Heilmittel handelt. Das wiederum hätte zur Konsequenz, dass entweder die Versicherten auf Behandlungsmethoden verwiesen werden, die zur Heilung oder Linderung der Allergie beitragen können, oder dass die Allergie allenfalls sogar als Gebrechen qualifiziert wird, das nicht geheilt werden kann.* Andererseits spricht der enge Zusammenhang zwischen der Grunderkrankung (Allergie) und den typischen Folgen (Asthma) doch dafür, ein einheitliches Krankheitsgeschehen anzunehmen. Das unterscheidet den konkreten Fall von den psychischen Folgeerkrankungen.*
Dazu gibt es eine Vielzahl oberstgerichtlicher Entscheidungen. Schon in der ersten E aus 1989 wurde die Linie weitgehend festgelegt.* Im Zuge einer Akne-Behandlung wurden der Versicherten von Hautfachärzten Tabletten verordnet, die sie auf Anraten ihres Gynäkologen nicht einnahm, weil Kinderwunsch bestand. Nach einer laufenden Lokalbehandlung mit Laser bzw Infrarotlaser, verschiedenen Injektionen (Neuraltherapie bzw Eigenblut, letztere wurden von der Kasse bezahlt) und der Einnahme von Tropfen trat zunächst eine Verschlechterung, nach einem Monat aber eine deutliche Besserung der Hautveränderungen auf. Da der Krankheitsverlauf der Akne eine große Tendenz zu Spontanreaktionen zeigt, konnte die Wirkung der Therapie im konkreten Fall nicht festgestellt werden. Die durchgeführte Therapie war wissenschaftlich nicht anerkannt und in der Honorarordnung des Gesamtvertrags nicht enthalten. Nach dem OGH könne der Gesamtvertrag zwar den Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung nicht einschränken, stelle aber ein Indiz für die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit dar. Der Ersatz der Kosten für die Anwendung einer Außenseitermethode komme nur in Frage, wenn zur Behandlung des regelwidrigen Zustandes zunächst eine zumutbare, erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln versucht wurde, dies zumindest dann, wenn diese kostengünstiger ist. Voraussetzung für den Kostenersatzanspruch sei jedoch, dass von der Behandlung nach den Ergebnissen einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen ein Erfolg erwartet werden kann, oder dass die Methode beim/bei der Versicherten erfolgreich war.
Ganz ähnlich formulierte Leitsätze finden sich bei Entscheidungen über homöopathische Behandlungen, wobei die Kostenübernahme wegen Erfolglo-479sigkeit und Zumutbarkeit einer schulmedizinischen Behandlung abgelehnt,* in anderen Fällen wegen Misserfolgs der durchgeführten schulmedizinischen und festgestellten Erfolgs der Alternativbehandlung zugesprochen* oder wegen fehlender Feststellungen an das Erstgericht zurückverwiesen wurde.* Auch bei der Behandlung eines Patienten mit einem Nierenzellkarzinom hat der OGH diese Linie bestätigt.* Die schulmedizinisch anerkannte Methode (Interferon/Roferon) brachte wegen unerträglicher Nebenwirkungen nicht den gewünschten Erfolg, der Zustand verschlechterte sich vielmehr lebensbedrohlich. Der behandelnde Arzt verordnete dem Versicherten daher eine Ukraintherapie, deren Anwendung außerhalb der klinischen Prüfung nach einem Erlass des Gesundheitsministeriums untersagt war, weil noch kein Wirksamkeitsnachweis iSd Arzneimittelgesetzes (AMG) erbracht worden war. Der Gesundheitszustand des Patienten besserte sich nach Anwendung der Ukraintherapie angeblich nachhaltig. Die Untersagung eines Arzneimittels außerhalb einer klinischen Prüfung schließt nach dem OGH die Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers zum Kostenersatz nicht aus. Es hätte allerdings geprüft werden müssen, ob es noch andere zumutbare schulmedizinische Behandlungsmethoden neben der erfolglos angewendeten gegeben hätte.* Es reicht also nicht aus, eine einzige schulmedizinische Methode zu versuchen, diese Behandlungen sind generell vorrangig.*
Gegenüber den ersten Entscheidungen hat der OGH seinen Leitsatz insofern abgeändert und etwas eingeschränkt, als ein Kostenersatz für eine Außenseitermethode nur dann in Betracht kommt, wenn entweder eine zumutbare, Erfolg versprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln nicht zur Verfügung steht oder eine solche im Einzelfall erfolglos geblieben ist. Gibt es eine zumutbare und Erfolg versprechende schulmedizinische Methode, muss diese nun auch dann versucht werden, wenn sie teurer als die Alternativmethode ist.* Führen die Regelbehandlungen allerdings zu erheblichen unerwünschten Nebenwirkungen, während die Außenseitermethode den gleichen Behandlungserfolg ohne Nebenwirkungen erzielen kann, steht Kostenersatz zu.* Der Rsp des OGH zu Außenseitermethoden ist im Wesentlichen zuzustimmen. Es geht dabei um Behandlungsmethoden, die von der vorherrschenden Strömung in der medizinischen Wissenschaft wegen des fehlenden Beweises ihrer Wirksamkeit abgelehnt werden oder bei denen die Wirksamkeit jedenfalls in Zweifel gezogen wird. Die sogenannte Schulmedizin ist naturwissenschaftlich in dem Sinne orientiert, dass sie als Erkenntnisquelle ausschließlich sinnlich erfahrbare und messbare Beobachtungen zulässt. Die Wirkung von Außenseitermethoden (auch Alternativ- oder Komplementärmedizin) lässt sich aber idR gerade nicht messen bzw im Experiment nachweisen. Sehr oft gehen diese alternativen Methoden von einem ganzheitlichen Ansatz aus und versuchen nicht nur physische, sondern auch psychische und seelische Faktoren miteinzubeziehen. Häufig wird die Heilung über eine Verbesserung des Allgemeinzustandes und einer Stärkung der eigenen Abwehrkräfte des Körpers angestrebt. Gegen diese Zielsetzungen wird man kaum etwas einwenden können. Auch das Unbehagen an einer Schulmedizin, die manchmal über das Ziel hinausschießt (siehe etwa die Diskussion über den zu häufigen Einsatz von Antibiotika oder über zu hohe Operationszahlen), macht die Suche nach Alternativen verständlich. Gegen die relativ restriktive Haltung des OGH zu Außenseitermethoden könnte man einwenden, dass diese ja von ÄrztInnen angewendet (bzw bei Arzneimitteln von diesen verschrieben) werden, die die entsprechende Fachkompetenz aufweisen. Es gibt auch immer mehr ÄrztInnen, die Alternativmethoden ergänzend zur Schulmedizin anwenden. Es ist auch sicher richtig, dass ÄrztInnen bei der Wahl der Behandlungsmethode, die ja aufgrund der Informationen einer ex-ante-Beurteilung zu treffen ist, ein weiter Spielraum zuzugestehen ist. Trotzdem besteht keine völlig freie Therapiewahl, weil der Anspruch auf Krankenbehandlung immer nur im Rahmen der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit besteht. Das bedingt eine gewisse Abgrenzungsunschärfe. Während für den Regelfall schulmedizinische Methoden wirksam sind und ihre Wirksamkeit durch entsprechende Studien belegt werden kann, ist das bei Außenseitermethoden idR nicht der Fall. Deshalb ist es nachvollziehbar, einen vergleichbaren Wirksamkeitsnachweis oder den Erfolg im Einzelfall zu verlangen. Der Vorrang der Schulmedizin lässt sich auch damit rechtfertigen, dass die Krankenversicherungsträger vor überbordenden Ansprüchen der Versicherten geschützt werden sollen.* Dass die Frage, wann von einer wissenschaftlichen Anerkennung gesprochen werden kann, nicht immer eindeutig zu beantworten und der Übergang von der Alternativ- zur Schulmedizin fließend ist, manchmal frühere Außenseitermethoden von der Schulmedizin anerkannt werden,* spricht nicht für eine andere 480Beurteilung. Das gleiche Problem stellt sich auch für neue schulmedizinische Methoden. Es ist zwar richtig, dass letztlich die ärztlichen Sachverständigen und ihre (mehr oder weniger vorhandene) Aufgeschlossenheit gegenüber neuen bzw alternativen Methoden im Verfahren einen großen Einfluss auf das Ergebnis haben. Andere Beurteilungsmöglichkeiten stehen aber nicht zur Verfügung, wenn man nicht von vornherein auf gesetzlicher Ebene eine ausdrückliche Regelung für die Leistungspflicht bei Alternativbehandlungen trifft.
Ausschlaggebend für die Leistungspflicht der KV ist nach dem OGH, ob der Leidenszustand durch Maßnahmen der Krankenbehandlung (noch) beeinflusst werden kann, wobei die Untergrenze in der Schmerzlinderung bzw in der Verhütung von Verschlimmerungen liegt.* Selbst die Notwendigkeit ärztlicher Überwachung oder die Anordnung einer bestimmten Lebensweise durch den Arzt/die Ärztin, weil therapeutische Maßnahmen (nach einer Operation) nicht erforderlich sind, wurde als ausreichend angesehen.* Der Krankenbehandlungsanspruch ist auch nicht vom Erfolg der eingesetzten Therapie abhängig. Eine vollständige Heilung muss nicht nachgewiesen werden, selbst eine Verbesserung oder Verhütung von Verschlimmerungen muss dadurch nicht tatsächlich eintreten. Es reicht bereits die bloße Eignung der Behandlung.* Diese ist ex ante und nicht ex post zu beurteilen. Daraus ergibt sich auch, dass bei der „ersten“ Diagnose ein hohes Maß an subjektiver Patienteneinschätzung ausreicht.* Generell darf bei der Erstabklärung kein zu strenger Maßstab angelegt werden, weil meist erst anlässlich der ärztlichen Diagnoseerstellung die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt werden kann (zB ob bloße Alkoholisierung oder Alkoholvergiftung vorliegt).*
Es liegt aber noch keine Krankenbehandlung vor, wenn bloß das Risiko von Folgeerkrankungen reduziert wird. Wird bei einer Inkontinenz durch Einlagen nicht das vorhandene Gebrechen in irgendeiner Weise positiv beeinflusst, sondern nur die Gefahr von Blasenentzündungen und Hautveränderungen reduziert, besteht kein Anspruch auf den entsprechenden Heilbehelf.* Auch die bloße Möglichkeit des Umschlagens eines bestehenden Körper- oder Geisteszustands (wegen Kinderlosigkeit) in eine (psychische) Krankheit löst noch keinen Krankenbehandlungsanspruch aus.* Eine Ausnahme macht die Rsp nur dort, wo es für den/die Versicherte/n unzumutbar erscheint, bis zum Eintritt der tatsächlichen Krankheit, die schwere gesundheitliche Nachteile zur Folge hätte, zu warten, um eine erforderliche medizinische Maßnahme in Anspruch nehmen zu können. Eine solche Vorverlegung des Krankenbehandlungsanspruchs hat der OGH zB im Falle einer Sterilisation bejaht, wenn eine Schwangerschaft schwere gesundheitliche Folgen für die Versicherte bedeutet hätte.*
Keine bloße Prophylaxe, sondern echte Krankenbehandlung iSd § 133 liegt hingegen vor, wenn eine medizinische Behandlung dazu dient, die Remission, dh das temporäre oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen, ohne jedoch eine tatsächliche Genesung zu erzielen, zu verlängern. Ein Krebspatient muss daher mit einer – zweckmäßigen und notwendigen – Behandlung nicht zuwarten, bis der Tumor wieder auflebt, auch wenn die Wahrscheinlichkeit des Wiederauflebens gering ist.*
Der OGH hat die Kostenübernahme für die In-Vitro-Fertilisation in mehreren Entscheidungen abgelehnt. Zunächst wurde festgestellt, dass eine künstliche Insemination wegen Zeugungsunfähigkeit des Mannes keine Krankenbehandlung der zu einer natürlichen Empfängnis fähigen Frau sein könne.* Die Zuständigkeit der KV wurde auch für den Fall abgelehnt, dass die In-Vitro-Fertilisation zur Behandlung einer – durch den unerfüllten Kinderwunsch ausgelösten – Depression geeignet sei. Soweit bloß die Gefahr einer Depression bestehe, liege noch gar keine Krankheit vor. Eine bereits eingetretene Depression sei psychiatrisch und nicht gynäkologisch zu behandeln. Im Übrigen werde ein Nachweis der Kausalität zwischen unerfülltem Kinderwunsch und Depression kaum zu führen sein.* Auch der regelwidrige Körperzustand einer sterilen Frau bestehe nicht im Fehlen einer Schwangerschaft, sondern in der Unfähigkeit zur Empfängnis. Es werde durch die In-Vitro-Fertilisation nicht die Ursache der bestehenden Regelwidrigkeit, nämlich die Unfruchtbarkeit, behandelt. Die bezweckte Erfüllung eines Kinderwunsches sei generell nicht der Risikosphäre der KV zuzurechnen.*
Richtigerweise hält der OGH der Kritik, dass in anderen Fällen der Behandlung von dauerhaften körperlichen Beeinträchtigungen ohne Heilungsaussicht Krankenbehandlung angenommen wurde (zB Behandlung von Diabetes mit Insulin) entgegen, dass hier eine Verschlechterung verhindert würde, was schon anspruchsbegründend sei. Der Gesundheitszustand der betroffenen Frau würde sich hingegen ohne In-Vitro-Fertilisation grundsätzlich nicht verschlechtern.* Den zutref-481fenden Argumenten des OGH kann mittlerweile hinzugefügt werden, dass durch das IVF-G eine eigenständige Rechtsgrundlage geschaffen wurde, wonach vom IVF-Fonds (der von der KV mitfinanziert wird) unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten einer In-Vitro-Fertilisation übernommen werden. Diese Regelung war eine Folge der OGH-Entscheidungen, weshalb eine Zuständigkeit für In-Vitro-Fertilisation im Rahmen der sozialen KV nunmehr auch aus diesem Grund ausgeschlossen werden kann.
In mehreren Entscheidungen musste sich der OGH mit der Kostenübernahme der Behandlung von erektiler Dysfunktion als Folge einer behandlungsbedürftigen Grunderkrankung beschäftigen. Die dabei verabreichten Arzneimittel steigern kurz fristig die Erektionsfähigkeit, führen aber nicht zur Heilung oder nachhaltigen Verbesserung der erektilen Dysfunktion. Nach Ansicht des OGH handelt es sich dabei um einen regelwidrigen Zustand, der aber nicht behandlungsbedürftig ist, weil die Kohabitationsfähigkeit nach den herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen nicht zu den lebenswichtigen persönlichen Bedürfnissen zähle. Die Grenze der Leistungspflicht liege dort, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre der Versicherten in den Vordergrund treten.* Es bestehe auch dann kein Anspruch auf die Zurverfügungstellung eines entsprechenden Medikaments, wenn durch die Einnahme nach einer Prostataoperation verhindert werden soll, dass eine postoperativ eingetretene vorübergehende Störung der Erektionsfähigkeit in eine dauernde übergeht.* Eine Ausnahme sei nur dann möglich, wenn die erektile Dysfunktion bereits zu psychischen Leidenszuständen geführt hat, die mit Potenzmitteln behandelt werden könnten.*
Die Aussage, dass die Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr nicht zu den lebenswichtigen persönlichen Bedürfnissen zählt, kann man zweifellos in Frage stellen. Wie wurden die angeblich herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen erhoben? Der OGH begibt sich mit solchen Aussagen auf gefährliches Terrain. Zuzustimmen ist dem OGH aber darin, dass der Einsatz von Potenzmitteln zur Ermöglichung des Geschlechtsverkehrs nicht unmittelbar dazu dient, den Gesundheitszustand zu verbessern oder wenigstens eine Verschlechterung hintanzuhalten, sondern – ähnlich wie der Einsatz eines Hilfsmittels beim Gebrechen – (nur) das Funktionieren eines an sich nicht funktionierenden Körperteils ermöglicht.* Eine Operation oder medikamentöse Behandlung, die die Dysfunktion ganz oder teilweise behebt oder wenigstens eine Verschlechterung abwendet, ist allerdings Krankenbehandlung. Kann durch ein Potenzmittel daher verhindert werden, dass eine vorübergehende Dysfunktion in eine dauernde übergeht, ist die Behandlung zweckmäßig und die KV (wenn das Maß des Notwendigen nicht überschritten wird) leistungspflichtig.*
Nicht überzeugend ist es, dass der OGH eine Leistungspflicht der Kasse annimmt, wenn durch den Einsatz eines Potenzmittels eine psychische Folgeerkrankung zweckmäßig behandelt werden kann.* Dies steht in auffälligem Widerspruch zur Ablehnung des Anspruchs bei In-Vitro-Fertilisation, bei der die Versicherte auf den Einsatz einer psychiatrischen Behandlung verwiesen wurde.* Auch wenn die Erfüllung eines Kinderwunsches nicht zur „Risikosphäre“ der KV gehört, geht es doch um die generelle Frage, ob eine Leistungspflicht für eine Behandlung besteht, die an der Grunderkrankung nichts verändert, sondern allenfalls auf eine Folgeerkrankung einwirkt, für die es lege artis (andere) Behandlungsmöglichkeiten gibt. Deutlich restriktiver war wiederum die E zum Haarausfall nach Bestrahlung eines Krebskranken. Eine Kostenübernahme für ein Haarwuchsmittel komme zwar in Betracht, wenn der Haarausfall zu einem psychischen Leiden führt, das seinerseits als eigenes Grundleiden die Krankenbehandlung erforderlich mache. Der Versicherte müsse allerdings nachweisen, dass der durch die Strahlenbehandlung hervorgerufene Haarverlust der einzige Grund für den Eintritt der psychischen Erkrankung ist.* Da dem Versicherten der Nachweis kaum gelingen wird, dass die psychische Erkrankung nur durch den Haarverlust und nicht auch durch die im Allgemeinen die Psyche viel schwerer belastende Krebserkrankung verursacht wurde, wird damit der Anspruch im Ergebnis verneint bzw auf die Fälle eingeschränkt, in denen sich ein/e Sachverständige/r findet, der/die eine solche eindeutige Kausalität bestätigt. Letztlich ist es daher nicht einleuchtend, dass der OGH die Kostenübernahme bei psychischen Folgeerkrankungen je nach Grundleiden unterschiedlich beurteilt.*
Die Judikatur des OGH ist augenscheinlich von dem Anliegen geprägt, einerseits dem Gesetzeswortlaut gerecht zu werden, andererseits aber auch der Einzelfallgerechtigkeit ausreichend Platz zu lassen. Dies erweist sich freilich in der Praxis als ein schwieriger Spagat. Einerseits scheint der OGH den Krankenbehandlungsanspruch denkbar weit zu interpretieren,* wenn er immer dann von einer Behandlungsbedürftigkeit ausgeht, sobald der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber 482gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern.* Die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung ist demnach grundsätzlich immer dann indiziert, wenn ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durch ärztliche Hilfe, Heilmittel oder Heilbehelfe gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann.* Gleichzeitig erweist sich der OGH in seiner Auslegung des § 133 ASVG aber auch als restriktiv, wenn er vertritt, dass die Krankenbehandlung nicht dazu diene, Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des/der einzelnen Versicherten zu befriedigen* oder wenn er verlangt, dass zuerst (alle?) anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmethoden versucht werden, bevor auf Außenseitermethoden zurückgegriffen werden kann.* Bei der Beurteilung psychischer Folgeerkrankungen scheint es noch keine gefestigte Rsp zu geben.* Die Analyse der höchstgerichtlichen Rsp hinterlässt somit im Ergebnis ein ambivalentes Bild. Das führt dazu, dass in bestimmten Fallkonstellationen die Grenzen des Krankenbehandlungsanspruches diffus bleiben. Das soll in der Folge anhand einiger ausgewählter Beispiele verdeutlicht werden.
Bloß subjektiv empfundene Beeinträchtigungen der Lebensqualität lösen auch dann keinen Leistungsanspruch aus, wenn sie medizinisch behandelt werden. Im Einzelnen ist freilich die Abgrenzung zwischen Anspruch auf Krankenbehandlung und eigenverantwortlichem Bereich keineswegs klar. Das zeigt sich vor allem bei der sogenannten „Lifestyle-Medizin“.* Konkret geht es um Behandlungen und vor allem Arzneimittel bei erektiler Dysfunktion, zur Potenzsteigerung, Körpergewichtsregulierung (insb Appetitzügler), Raucherentwöhnung, Verbesserung des Haarwuchses und Hemmung des Altersprozesses („Anti-Aging“) sowie diverse kosmetische Anwendungen. Die Unklarheit wird einerseits dadurch herbeigeführt, dass nach der Rsp uU psychische Folgeerkrankungen leistungsbegründend sein können.* Andererseits schließt auch das Gesetz einen Anspruch bei unmittelbarer Behandlung der Beeinträchtigung nicht dezidiert aus. Nach § 351c Abs 2 ASVG hat zwar der Hauptverband eine Liste jener Arzneimittelkategorien zu erstellen, die „im Allgemeinen“ nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind, da sie zB überwiegend (ua) zur Prophylaxe verwendbar sind. In der vom Hauptverband gem § 351c Abs 2 erstellten Liste sind fast alle „Lifestyle-Produkte“ genannt.* Eine ärztliche Verordnung auf Kassenkosten ist damit aber nicht generell ausgeschlossen, weil die Liste entsprechend der gesetzlichen Vorgabe nur „Kategorien“ von Arzneimitteln enthält, die „im Allgemeinen“ nicht zur Krankenbehandlung geeignet sind.* Die Liste enthält eine „Vermutung“ der Nichtverschreibbarkeit,* die im Einzelfall durch den Nachweis der ausnahmsweisen Eignung widerlegt werden kann. Da nicht einmal der Erstattungskodex den Anspruch auf Krankenbehandlung einschränken kann,* muss dies umso mehr für die Liste nach § 351c Abs 2 gelten.* Letztlich entscheiden also wieder die Gerichte, ob ein Anspruch besteht.*
Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass Lifestyle-Produkte ausnahmsweise zur Heilung von Krankheiten bzw zur Hintanhaltung von Verschlimmerungen eingesetzt werden können. Keinesfalls ist es aber der Zweck der Krankenbehandlung, Defizite in der Willensstärke auszugleichen, um von einem ungesunden Lebensstil wegzukommen. Wenn daher ein Appetitzügler das Abnehmen unterstützt oder ein Nikotinpflaster die Reduktion oder Einstellung des Tabakkonsums, kann das sinnvoll sein, es fällt aber in die Sphäre der Eigenverantwortung bzw der Prophylaxe. Die „richtige“ Vorgangsweise wäre die Änderung des Lebensstils (zB Umstellung der Essgewohnheiten, Sport). Soweit aus medizinischer Sicht schon eine Krankheit vorliegt, wird man zu differenzieren haben. So ist etwa Nikotinsucht nicht iSd § 120 Z 1 ASVG behandlungsbedürftig. Anders als Alkohol- oder Drogenkonsum beeinträchtigt die Nikotinsucht unmittelbar weder die Gesundheit noch die Arbeitsfähigkeit oder die Fähigkeit, für die persönlichen Bedürfnisse zu sorgen. Übermäßiger Nikotinkonsum kann allenfalls zu Folgeerkrankungen, wie zB Lungenkrebs, führen. Solange sich allerdings diese Krankheit noch nicht manifestiert hat, besteht kein Anspruch auf Krankenbehandlung gegenüber der sozialen KV. Rein prophylaktische Maßnahmen zählen nicht zu deren Aufgabenspektrum.* Auch in anderen Fällen (zB Fettsucht), in denen eine Behandlungsbedürftigkeit gegeben ist, ist es idR für die Betroffenen zumutbar – allenfalls nach ärztlichem Plan –, 483den Lebensstil (Ernährung, Bewegungsverhalten) umzustellen. Nur in Extremfällen wird der Einsatz medizinischer Mittel (Operation, Arzneimittel) für eine Heilung oder Linderung des Leidenszustands erforderlich sein. Die durch den Lebensstil ausgelösten Krankheiten fallen hingegen – sofern sie behandlungsbedürftig sind – wieder in die Sphäre der Krankenbehandlung.*
Schwierigkeiten bereiten die gesetzlichen Regelungen des § 133 ASVG sowie deren Auslegung durch die Judikatur, wenn es um die Abgrenzung der Krankenbehandlung von der Hilfe bei körperlichen Gebrechen, Verstümmelungen und Verunstaltungen geht. Die Judikatur zieht aus dieser Differenzierung im Leistungsrecht den Schluss, dass der Gesetzgeber zwischen dem Versicherungsfall der Krankheit und dem Versicherungsfall des Gebrechens unterscheidet.* Gesetzlich geregelt ist allerdings nur die Krankheit, die – wie bereits eingangs dargelegt – einen regelwidrigen und behandlungsbedürftigen Gesundheitszustand voraussetzt. Das Gebrechen lässt sich demnach nur im Wege einer negativen Abgrenzung von der Krankheit definieren. Nach der stRsp des OGH liegt ein Gebrechen immer dann vor, wenn zwar ein regelwidriger Körperzustand gegeben ist, aber keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht, da mit den Mitteln der Krankenbehandlung nicht mehr auf den Gesundheitszustand des/der Versicherten eingewirkt werden kann.* Ein Anhaltspunkt für diese Definition lässt sich daraus gewinnen, dass das Gebrechen in § 154 Abs 1 ASVG in einem Zug mit Verstümmelungen und Verunstaltungen genannt wird und in all diesen Fällen Kostenzuschüsse für die Anschaffung entsprechender Hilfsmittel gewährt werden können. Als Hilfsmittel sind dabei ausdrücklich Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen, und Krankenfahrstühle anzusehen. Diesen ist grundsätzlich gemein, dass sie nicht auf den Gesundheitszustand des/der Versicherten direkt einwirken, sondern lediglich Funktionen des Körpers, die auf Grund der Regelwidrigkeit ausgefallen sind, zu substituieren versuchen, ohne dass sich dadurch etwas an der Regelwidrigkeit selbst ändert. Das gilt zB für eine Krücke im Falle einer Beinamputation.
In der Praxis lässt sich freilich nicht immer klar sagen, ob eine Vorrichtung lediglich eine ausgefallene Körperfunktion substituiert oder aber auf den Gesundheitszustand „einwirkt“. Das gilt insb deshalb, weil der OGH von einem sehr weiten Begriff der Behandlungsbedürftigkeit iSd § 120 Z 1 ASVG ausgeht.* Diese ist nach stRsp immer bereits dann indiziert, wenn durch Mittel der Krankenbehandlung der/die Versicherte vor einer Verschlimmerung seines/ihres Gesundheitszustandes bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern.* Gerade Vorrichtungen, die ausgefallene Körperfunktionen kompensieren sollen, dienen aber oftmals der Linderung von Schmerzen oder Beschwerden oder sollen zumindest eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes hintanhalten. Auch die Klarstellung der Judikatur, dass es sich nur dann um Krankenbehandlung handeln kann, wenn auch ein Mittel der Krankenbehandlung zum Einsatz kommt, hilft im Ergebnis nur wenig weiter. Denn zu den Mitteln der Krankenbehandlung zählen neben der ärztlichen Hilfe auch Heilmittel und Heilbehelfe. Beide Begriffe sind denkbar weit. Zu den Heilmitteln zählen nämlich gem § 136 Abs 1 lit b ASVG nicht nur die Arzneien, sondern auch alle sonstigen Mittel, die zur Beseitigung und Linderung der Krankheit oder Sicherstellung des Heilungserfolgs dienen. Nach der Judikatur des OGH kann daher sogar ein Desinfektionsmittel zur Reinigung der Wohnung ein Heilmittel sein.* Heilbehelfe werden wiederum in § 137 Abs 1 ASVG nur beispielhaft aufgezählt; genannt werden ausdrücklich Brillen, orthopädische Schuheinlagen und Bruchbänder. Eine klare Abgrenzung zu den Hilfsmitteln des § 154 ASVG lässt sich aus dieser Aufzählung nicht gewinnen. Eine Brille könnte man genauso auch als Vorrichtung verstehen, welche ausgefallene Köperfunktionen kompensiert. Tatsächlich lässt sich also über die eingesetzten Mittel eine Grenzziehung zwischen dem Krankenbehandlungsanspruch auf der einen Seite und der Hilfe bei körperlichen Gebrechen auf der anderen Seite nicht vornehmen. Das sieht auch der OGH so. Zu Recht weist er darauf hin, dass ein und dasselbe Mittel einmal ein Heilbehelf und einmal ein Hilfsmittel sein kann.* Für den OGH ist daher letztlich allein entscheidend, ob der Zustand des/der Versicherten durch die betreffende Maßnahme noch beeinflusst werden kann, wobei die Untergrenze in der Schmerzlinderung bzw in der Verhinderung einer Verschlimmerung des Leidenszustands zu sehen ist.*
Wie dehnbar dieser Maßstab ist, zeigen Beispiele aus der Judikatur. Während der OGH im Jahr 1998 noch die Ansicht vertreten hatte, dass Inkontinenzeinlagen bei einer Versicherten mit Harninkontinenz mangels Einwirkung auf diese Regelwidrigkeit kein Mittel der Krankenbehandlung seien, auch wenn dadurch Folgeerkrankungen wie Blasenentzündungen oder Hautveränderungen deut-484lich reduziert werden könnten,* kam er im Jahr 2011 zu dem Ergebnis, dass ein Krankenfahrstuhl ein Heilbehelf sein könne, wenn dadurch bei einer Versicherten mit Multipler Sklerose das Risiko der Folgeerkrankung „Wundsitzen“ reduziert werde und es demnach zu einer Hintanhaltung von Verschlimmerungen komme.* In seiner Begründung wies er darauf hin, dass nunmehr auch die Verhinderung von Folgeerkrankungen einen Anspruch auf Krankenbehandlung auslöse, sobald eine konkrete Gefährdung bestehe und es dem Versicherten somit nicht zuzumuten sei, auf den Eintritt der Krankheit zuzuwarten. In einer E aus dem Jahr 2003 hatte er wiederum festgehalten, dass ein Krankenfahrstuhl nur dann als Heilbehelf zu qualifizieren sei, wenn er während einer Krankenbehandlung zur Entlastung der Beine benötigt wird.* Es müsse also maW ein Zusammenhang zu einer bereits laufenden Krankenbehandlung bestehen. Dieses Argument der Notwendigkeit eines Zusammenhangs mit einer Krankenbehandlung findet sich auch in der bereits zitierten E aus dem Jahr 2011. Überzeugend ist es allerdings nicht. Wenn der Krankenfahrstuhl eine Linderung der Beschwerden bewirkt (zB Schmerzen in den Beinen) oder eine Verschlimmerung des Zustandes hintanhält, dann ist bereits Behandlungsbedürftigkeit gegeben und zwar unabhängig davon, ob zusätzlich noch andere Krankenbehandlungsmaßnahmen gesetzt werden. Der Krankenfahrstuhl selbst ist dann bereits eine Maßnahme der Krankenbehandlung.
Eine klare Grenze lässt sich maW nicht ziehen. Tatsächlich kann sich diese durch den Fortschritt der Medizin auch jeweils verschieben.* Das liegt zum einen daran, dass es keine eindeutige Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln auf der einen Seite und Heilbehelfen und Heilmittel auf der anderen Seite gibt. Zum anderen lässt sich eine Grenzziehung deshalb nur schwer vornehmen, weil der OGH die Behandlungsbedürftigkeit als Voraussetzung für das Vorliegen einer Krankheit sehr weit versteht. Auch regelwidrige Dauerzustände, bei denen keinerlei Aussicht auf Heilung besteht, können nach diesem Verständnis eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sein und folglich einen Anspruch auf Krankenbehandlung auslösen.* Vor diesem Hintergrund hilft die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Leiden ebenfalls nicht weiter.* Die Judikatur ist deshalb angehalten, für den jeweiligen Einzelfall die wesentlichen Determinanten zu ermitteln. Eine zentrale Rolle nimmt dabei der/die medizinische GutachterIn ein. Denn die Frage, ob das eingesetzte Mittel zumindest eine Schmerzlinderung oder Hintanhaltung von Verschlimmerungen bewirkt, ist letztlich nach medizinischen Maßstäben zu beurteilen. Vorhersehbare Entscheidungen lassen sich auf diese Weise nur schwer fällen. Für die Versicherten, aber auch für die Krankenversicherungsträger, ist dies ein unbefriedigender Zustand.
Aus den beschriebenen Abgrenzungsproblemen zwischen dem Versicherungsfall der Krankheit und jenem des Gebrechens ergibt sich noch ein weiterer Problemkreis; nämlich die Frage, wo die Grenze zwischen Krankenbehandlungen und reinen Pflegemaßnahmen verläuft. Gerade bei schweren Erkrankungen, die zB zu einer Einschränkung des Bewegungsapparates und damit der Selbsterhaltungsfähigkeit führen, ist dies von praktischer Bedeutung. Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, ob die soziale KV für die Erbringung konkreter Maßnahmen zuständig ist oder, ob eine Abgeltung durch das Bundespflegegeld zu erfolgen hat. Tatsächlich kann es hier auch zu Überschneidungen kommen.*
Eine klare Grenze lässt sich deshalb nur schwer ziehen, weil der Gesetzgeber weder definiert, was konkret unter Krankenbehandlung noch unter Pflege zu verstehen ist. Gewisse Rückschlüsse lassen sich allenfalls aus § 1 Abs 2 und Abs 3 EinstufungsVO zum BPGG ziehen. Darin werden beispielhaft jene Verrichtungen aufgezählt, die regelmäßig einen Anspruch auf Bundespflegegeld auslösen, wie Hilfe beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung der Notdurft, der Einnahme von Medikamenten und der Mobilität. Der OGH leitet daraus ab, dass unter den Begriff der Pflegeleistung grundsätzlich alle zumindest iwS lebenswichtigen Verrichtungen nichtmedizinischer Art zu subsumieren sind, die ein – ansonsten – nicht behinderter Mensch gewöhnlich selbst vornehmen kann.* Unklar ist allerdings, was konkret unter einer Verrichtung „nichtmedizinischer Art“ zu verstehen ist. Ist eine Maßnahme bereits dann „nichtmedizinisch“, wenn sie nicht von einem Arzt/einer Ärztin durchgeführt wird oder kommt es da rauf an, ob fachspezifisches medizinisches Wissen für ihren Einsatz erforderlich ist?
In Bezug auf spezielle Therapiemethoden, wie Bobath oder Votja, vertritt der OGH, dass diese nicht der Pflege zuzuordnen seien, weil es sich um therapeutische Verfahren bzw krankengymnastische Behandlungsmethoden und damit um „medizinische Verrichtungen“ handle.* Das gelte selbst dann, wenn die Therapien von einem Familienangehörigen nach entsprechender Einschulung vorgenommen werden. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Beurteilung der Frage, ob eine Maßnahme 485„medizinischer“ oder „nicht medizinischer Art“ ist, nicht vom Leistungsanbieter abhängt. Die praktische Konsequenz dieser Rsp ist, dass der anfallende Zeitaufwand für die Therapie nicht für die Bestimmung der Pflegestufe zu berücksichtigen ist. Implizit sagt der OGH damit wohl, dass derartige Therapiemethoden als „medizinische Verrichtungen“ materiell als Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG zu qualifizieren sind und folglich in die Zuständigkeit der sozialen KV fallen. Ob in den genannten Beispielen tatsächlich auch ein Anspruch gegenüber dieser bestanden hätte, ist allerdings fraglich, weil die Therapie nicht von einem qualifizierten Dienstleistungserbringer iSd § 135 ASVG, sondern lediglich von einem Angehörigen durchgeführt wurde.
Besonders virulent ist die Differenzierung zwischen „medizinischen“ und „nichtmedizinischen Verrichtungen“ bei der medizinischen Hauskrankenpflege. Medizinische Hauskrankenpflege ist grundsätzlich immer dann zu gewähren, wenn ärztliche Hilfe als Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG nicht mehr ausreicht und eigentlich Anstaltspflege erforderlich wäre, jedoch auf Grund der Krankheit auch eine medizinische Versorgung zu Hause in Frage kommt. Die medizinische Hauskrankenpflege ist also krankenhausersetzend.* Ihr kommt gegenüber der Anstaltspflege der Vorrang zu.* Ein Anspruch auf medizinische Hauskrankenpflege besteht gem § 151 Abs 1 ASVG, „wenn und solange es die Krankheit“ erfordert. Daraus ergibt sich klar, dass sie aus dem Versicherungsfall der Krankheit – und nicht des Gebrechens – gebührt.* Dh, dass die konkreten Maßnahmen, die im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege erbracht werden, zumindest eine Verhütung von Verschlimmerungen bzw eine Linderung von Schmerzen oder sonstigen Beschwerden bewirken müssen. Die Besonderheit gegenüber der ärztlichen Hilfe besteht darin, dass sie nicht nur von ÄrztInnen bzw gleichgestellten Berufen iSd § 135 ASVG, sondern auch von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege iSd § 12 GuKG aufgrund ärztlicher Anordnung erbracht werden kann. Dieser Erweiterung des Kreises der LeistungsanbieterInnen ist es letztlich geschuldet, dass gerade im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege eine Abgrenzung von reinen „nichtmedizinischen“ Pflegeleistungen notwendig ist.* Das ergibt sich auch klar aus dem Gesetz. Während qualifizierte Pflegeleistungen, wie die Verabreichung von Injektionen, Sondenernährung oder Dekubitusversorgung noch der medizinischen Hauskrankenpflege zuzuordnen sind, gehört die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung gem § 151 Abs 3 ASVG ausdrücklich nicht dazu. Diese werden allenfalls mit dem Pflegegeld abgegolten und fallen somit nicht in den Zuständigkeitsbereich der sozialen KV. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Anstaltspflege gem § 144 ASVG. Diese wird vom OGH als eine „einheitliche und unteilbare Gesamtleistung“ qualifiziert, die neben der eigentlichen Heilbehandlung auch die Unterkunft, Verköstigung und Pflege beinhaltet.*
Die Frage, ob eine konkrete Maßnahme noch eine qualifizierte Pflegeleistung oder bloße Grundpflege ist, stellt sich also nur bei der medizinischen Hauskrankenpflege, nicht bei der Anstaltspflege. Die Judikatur orientiert sich in diesem Zusammenhang in erster Linie an einem formalen Kriterium. So wird der Umfang der medizinischen Hauskrankenpflege nach dem GuKG bestimmt und auf jene Leistungen beschränkt, die tatsächlich nur von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege* und nicht auch von bloßen PflegehelferInnen* erbracht werden dürfen.* Aus diesem Grund hat der OGH in einer E aus dem Jahr 2009 die Ansicht vertreten, dass nur das Legen einer Magensonde als „medizinische Verrichtung“ der medizinischen Hauskrankenpflege zuzuordnen sei, während das Durchführen der Sondenernährung lediglich als Pflegeaufwand bei der Bemessung des Pflegegeldes zu berücksichtigen sei. Das Durchführen der Sondenernährung falle nämlich in die Zuständigkeit der PflegehelferInnen gem § 84 Abs 4 Z 4 GuKG und könne auch von ansonsten gesunden Personen mit implantierter Magensonde nach einer kurzen Einschulung selbständig durchgeführt werden.* Folglich handle es sich um eine „nichtmedizinische Verrichtung“. Selbiges müsste man wohl auch für Tätigkeiten wie Blutdruck- oder Pulsmessen vertreten, weil sie idR von Gesunden vorgenommen werden können und gem § 84 Abs 4 GuKG von bloßen PflegehelferInnen verrichtet werden dürfen. Das gilt selbst dann, wenn im konkreten Fall qualifiziertes Pflegepersonal auf Grund ärztlicher Anordnung tätig wird und klar ist, dass eine Krankheit iSd § 120 ASVG vorliegt. Beides ist nämlich überhaupt Voraussetzung, damit von medizinischer Hauskrankenpflege iSd § 151 ASVG gesprochen werden kann.
Ein so eng verstandener Begriff der Pflege könnte freilich die Abgrenzung zum Krankenbehandlungsanspruch gem § 133 ASVG auch im Rahmen der ärztlichen Hilfe in einem anderen Licht erscheinen lassen. Gemeinhin würde wohl niemand daran zweifeln, dass eine Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG vorliegt, wenn ein Arzt im Rahmen einer Ordination bei Vorliegen einer Krankheit den Blutdruck oder den Puls misst; konkret handelt es sich um notwendige Tätigkeiten zur Erstellung einer Diagnose. Allerdings findet sich das Blutdruck- und Pulsmessen in der Aufzählung jener Verrichtungen 486des § 84 Abs 4 Z 4 GuKG, die auch bloße PflegehelferInnen vornehmen dürfen, und die der OGH deshalb im Kontext der medizinischen Hauskrankenpflege als „nichtmedizinische“ Pflegeleistungen qualifiziert. Müsste man daher nicht konsequenterweise die Ansicht vertreten, dass derartige „nichtmedizinische“ Verrichtungen, die von einem Arzt im Rahmen der ärztlichen Hilfe erbracht werden, ebenfalls Pflege und nicht Krankenbehandlung sind? Denn aus dem Blickwinkel des Pflegerechts scheint es für die Qualifikation als „medizinische“ oder „nichtmedizinische Verrichtung“ unerheblich zu sein, von wem die Leistung erbracht wird. Die soziale KV wäre also im genannten Beispiel gar nicht zuständig. Ein solches Ergebnis entspricht mit Sicherheit weder dem Wortlaut noch der gesetzgeberischen Intention des ASVG.
Die wohl gravierendsten Abgrenzungsprobleme stellen sich freilich im Verhältnis zu Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Gem § 154a ASVG können die Krankenversicherungsträger Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation als freiwillige Leistung im Anschluss an eine Krankenbehandlung gewähren, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder die Folgen der Krankheit zu erleichtern. Daraus ergibt sich klar, dass Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation keine Maßnahmen der Krankenbehandlung sind. Sie gebühren nach den verba legalia erst „im Anschluss“ an eine Krankenbehandlung. Der OGH leitet daraus ab, dass sie zeitlich nachgeschalten sein und in einem ursächlichen zeitlichen Konnex zur Krankenbehandlung stehen muss.* In einer E aus dem Jahr 2013 ist der OGH daher zu dem Ergebnis gekommen, dass eine C-Leg-Prothese, die von einer Versicherten vierzig Jahre nach Abnahme des Beines beantragt wurde, keine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, sondern allenfalls ein Hilfsmittel iSd § 154 ASVG ist.*
Daraus folgt wiederum, dass Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation etwas anderes als Hilfsmittel iSd § 154 ASVG sind und folglich nicht aus dem Versicherungsfall des Gebrechens gebühren.* Das ergibt sich bereits aus dem systematischen Zusammenhang. Wenn aber die Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sowohl von der Krankenbehandlung als auch von den Hilfsmitteln abzugrenzen sind, so stellt sich die Frage, welcher Gesundheitszustand dann einen Anspruch auf medizinische Rehabilitation auslöst. Es muss wohl eine Zwischenphase sein, die eher zwischen Krankheit und Gesundheit anzusiedeln ist. Vollkommen ausgeheilt darf aber der/die Versicherte auch nicht sein. Der Gesetzgeber hat nämlich in § 155 ASVG ausdrücklich und gesondert jene Maßnahmen geregelt, die der Festigung der Gesundheit und der Krankheitsverhütung dienen.
Aus alledem kann nur der Schluss gezogen werden, dass Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation – auch wenn es sich um keine Krankenbehandlung handelt – dennoch aus dem Versicherungsfall der Krankheit gebühren. Davon scheint auch der Gesetzgeber auszugehen, wenn er in § 154a Abs 1 ASVG regelt, dass Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation nach Maßgabe des § 133 Abs 2 ASVG zu gewähren sind.* Das bedeutet allerdings, dass der Versicherungsfall selbst kein taugliches Kriterium ist, um die Krankenbehandlung von den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation abzugrenzen.
Eine eindeutige Grenzziehung lässt sich jedoch auch dann nicht vornehmen, wenn man sich vor Augen führt, welche Maßnahmen konkret aus dem Titel der medizinischen Rehabilitation gebühren. In diesem Punkt bleibt der Gesetzestext diffus. Gem § 154a Abs 2 ASVG zählen neben der Unterbringung in einer Krankenanstalt, die vorwiegend der Rehabilitation dient, auch die ärztliche Hilfe sowie Heilmittel und Heilbehelfe dazu. Letztere sind aber gleichzeitig Mittel der Krankenbehandlung. Die zum Einsatz kommenden Mittel bilden somit kein taugliches Abgrenzungskriterium.* Deshalb hilft es auch nicht weiter, wenn in § 144 Abs 4 ASVG klargestellt wird, dass die Aufnahme eines/einer Versicherten in eine Sonderkrankenanstalt, die vorwiegend der Rehabilitation der Versicherten dient, keine Anstaltspflege ist. Denn um definieren zu können, welche Einrichtungen konkret unter diese Ausnahme fallen, müsste man wissen, was unter „Rehabilitation“ iSd ASVG zu verstehen ist. Nicht die Einrichtung bestimmt den Rehabilitationsbegriff, sondern umgekehrt. Die gegenseitige Verweisung in § 144 Abs 4 ASVG und § 154a Abs 2 Z 1 ASVG geht deshalb ins Leere.
Auch der Zweck der medizinischen Rehabilitation schafft letztlich keine Klarheit. Gem § 154a Abs 1 ASVG dient die medizinische Rehabilitation dem Ziel, den Gesundheitszustand der Versicherten und ihrer Angehörigen so weit wiederherzustellen, dass sie in der Lage sind, in der Gemeinschaft einen ihnen angemessenen Platz möglichst dauernd und ohne Betreuung und Hilfe einzunehmen. Das bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als dass die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, wiederhergestellt werden sollen. Genau das sind aber die Ziele der Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG.
Das einzige Kriterium das somit bleibt, ist das zeitliche. Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation gebühren „im Anschluss“ an eine Krankenbehandlung. Das hilft allerdings in der Praxis nicht weiter. Wenn sich nämlich die Mittel sowie die LeistungsanbieterInnen nicht voneinander unterscheiden lassen, so kann auch nicht festgestellt werden, ab wann eine Krankenbehandlung beendet ist und ab 487wann eine Rehab-Maßnahme anfängt. Abgesehen davon entspricht diese zeitliche Abfolge auch nicht der Realität. Tatsächlich wird mit der Rehabilitation aus medizinischen Gründen so früh als möglich, oftmals bereits parallel zur Krankenbehandlung begonnen.*
Eine vernünftige Abgrenzung der Krankenbehandlung von den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation lässt sich demnach nicht vornehmen.* Das ist insofern problematisch, als auf Krankenbehandlungsmaßnahmen ein Rechtsanspruch des/der Versicherten besteht, während Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation lediglich als freiwillige Leistung gewährt werden. Wenn aber der jeweilige Tatbestand nicht klar vom anderen abgrenzbar ist, so stellt sich die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung iSd Art 7 B-VG für derart unterschiedliche Rechtsfolgen aus Sicht der Versicherten.
Der Krankenbehandlungsanspruch wird sich nie generell exakt und zweifelsfrei abgrenzen lassen. Zu unterschiedlich sind die Fallgestaltungen, zu sehr verändern sich die Voraussetzungen durch medizinischen Fortschritt und gesellschaftliche Ansprüche. Der Rsp ist zugute zu halten, dass sie die meisten Auslegungsprobleme stimmig und konsistent bewältigt hat. Widersprüche oder Unstimmigkeiten innerhalb der Judikatur* sind in erster Linie auf nicht ausreichend klare Anordnungen des Gesetzgebers zurückzuführen. Das betrifft sowohl die Frage, ob und wie (vor allem psychische) Folgeerkrankungen bei Behandlungsanspruch zu berücksichtigen sind, als auch die Abgrenzung bei der sogenannten Lifestyle-Medizin, die Regelung von sonstigen Mitteln im Rahmen der Heilmittel sowie der Heilbehelfe und vor allem auch das Verhältnis von Krankenbehandlung zu Pflege und Rehabilitation.
Sieht man sich die demografische Entwicklung, den medizinischen Fortschritt und die vielfältigen Erwartungshaltungen in der Gesellschaft an, wird die Finanzierung der KV in Zukunft noch wesentlich schwieriger werden. Alleine die Belastungen durch neue Diagnose- und Behandlungsmethoden sowie Medikamente (zB Hepatitis C, Chemo- und Immuntherapie bei Krebs) stellen große Herausforderungen dar. Um auch teure Behandlungen für alle Versicherten finanzieren zu können, wird es notwendig sein, im Rand- und Bagatellbereich restriktiv zu sein. So ist es durchaus zumutbar, dass der/die einzelne Betroffene die Kosten für Behandlungen und Mittel, die die Abkehr von der Nikotinsucht unterstützen, oder für Potenzmittel, Appetitzügler und Haarwuchsmittel selbst übernimmt. Das sollte nach dem Vorbild der deutschen Regelung in § 34 SGB V besser direkt im Gesetz (mit einer Verordnungskompetenz für den Hauptverband zur Festlegung der Details) erfolgen. Die derzeitige Regelung (Liste des Hauptverbands nach § 351c Abs 2 ASVG) schränkt den Krankenbehandlungsanspruch nicht ein und ist daher eine Quelle der Unsicherheit. Das gilt im Übrigen auch für die Mittel, für die nach § 8 der RöV „im Allgemeinen“ keine Kosten übernommen werden.
Die größte Herausforderung wird wohl aber auch in Zukunft die rechtliche Abgrenzung der Krankheit vom Gebrechen sein. Denn hier führt der Fortschritt in der Medizin laufend zu einer Verschiebung der Grenzen. Umso wichtiger wäre es daher klar zu regeln, welche Mittel konkret Mittel der Krankenbehandlung sind. Nach geltendem Recht lässt sich eine eindeutige Antwort auf diese Frage nicht geben. Heilmittel, Heilbehelfe und Hilfsmittel lassen sich in der Praxis oftmals nur schwer oder gar nicht voneinander unterscheiden. Die bestehenden Regelungen sind entweder zu vage – es sei bloß an den weiten Begriff der „sonstigen Mittel“ gem § 136 Abs 1 lit b ASVG erinnert – oder im Einzelnen nicht nachvollziehbar. Weshalb eine Brille ein Heilbehelf und kein Hilfsmittel ist, lässt sich kaum erklären. Durch eine gesetzliche Konkretisierung jener Mittel, die der Krankenbehandlung zuzuordnen sind, ließen sich auch die praktisch bedeutsamen Abgrenzungsprobleme im Verhältnis zur Pflege und zur medizinischen Rehabilitation entschärfen. Diese stellen sich ja in erster Linie deshalb, weil weder klar ist, was unter einer Krankenbehandlung, noch was unter Pflegeleistungen oder Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zu verstehen ist.
Nach 60 Jahren scheint also die Zeit für eine behutsame und punktuelle Änderung der gesetzlichen Regelung zur Krankenbehandlung zu sein, um auch in Zukunft eine bestmögliche und gleichzeitig leistbare Gesundheitsversorgung sicherstellen zu können.488