Die Entwicklung der Pensionsversicherung der unselbständig Erwerbstätigen
Die Entwicklung der Pensionsversicherung der unselbständig Erwerbstätigen
Die Geschichte der österreichischen PV würde eingehenderer wissenschaftlicher Untersuchungen bedürfen als hier dargestellt werden kann. Allerdings will der Themenschwerpunkt „60 Jahre ASVG“ ohne eine auf das Wesentliche beschränkte Besinnung auf die Entwicklung der PV und ihrer Wesensmerkmale, verbunden mit einem kurzen Streifzug durch ihre vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Probleme nicht auskommen. Diesem Anliegen sollen die folgenden Ausführungen dienen, die hinsichtlich der unmittelbaren Vorgeschichte der Entstehung des ASVG durch einen eigenen Beitrag in diesem Heft ergänzt werden. Die Darstellung konzentriert sich schon aus Raumgründen im Wesentlichen auf den Kernbereich des Leistungsrechts; vieles, wie zB die Entwicklung der Hinterbliebenenpensionen, der Zuschläge und der Versicherungszeiten musste daher ausgespart bleiben.
Wie alles begonnen hat
Kriegszeit und Inflation
Das Angestelltenversicherungsgesetz 1927
Einige sozialpolitische Voraussetzungen
Der erste Kodifikationsschritt – alle Angestellten sind pensionsversichert
Das GSVG 1935 – die Arbeiter noch immer vor der Tür
Die dunklen Zeiten – aber Pensionsversicherung auch für Arbeiter
Die Nachkriegszeit von WK II
Die Zusammenführung unselbständig Erwerbstätiger – das ASVG
Die Kodifikation
Das „Goldene Zeitalter“ der Pensionsversicherung
Erste Wolken am Horizont
Das Zeitalter der permanenten Pensionsreform
Mehrfache Verschlechterung der Pensionsformel
Abkoppelung der Pensionsanpassung von der Lohnentwicklung
Schrittweise Abschaffung vorzeitiger Alterspensionen
Pensionskonto und Invaliditätspensionsreform
Resümee und Ausblick
Ein verpflichtendes Pensionsversicherungssystem mit Kapitaldeckungsverfahren, ohne ein festgelegtes Pensionsantrittsalter jedoch mit Leistungsanspruch nach einer Anwartschaft im Ausmaß von 480 Monaten, mit einem gesetzlichen Mindestrahmen für Pflichtversicherung und Leistungen verbunden mit der Möglichkeit, die Versicherungspflicht auch dadurch zu erfüllen, dass man sich ua bei einer privaten Versicherungsanstalt selbst versichert. Ein Pensionsversicherungsmodell der Zukunft?
Weit gefehlt: Wir befinden uns im Dezember 1906. Anton Blechschmidt, langjähriger Obmann des „Ersten Allgemeinen Beamtenvereins“, sieht sich mit seinen, bereits Ende 1888 mit einer an Regierung, Reichsrat und Herrenhaus gerichteten Petition eingeleiteten Bemühungen um eine Altersversorgung der „Privatbeamten“, nach 18 Jahren endlich am Ziel,* als Kaiser Franz Joseph, der gerade in Budapest weilte, dort am 16.12.1906 das „Gesetz, betreffend die Pensionsversicherung der in privaten Diensten und einiger in öffentlichen Diensten Angestellten
“ gegenzeichnete, damit dieses als RGBl 1907/1 am 1.1.1907 „ausgegeben und versendet“ werden konnte. Es ist am 1.1.1909 in Kraft getreten.*489
Das eben geschilderte Modell war der Einstieg in die gesetzliche PV. Es sollte den „Beamten“ der Privatwirtschaft* eine Altersversorgung sichern, wie sie bis dahin nur im öffentlichen Dienst, also im Dienste des Kaisers, bekannt war. Sie wurde auf Angestellte mit „Beamtencharakter“ beschränkt, dh nur auf solche mit „ausschließlich oder vorwiegend geistigen Dienstleistungen“.* Man tat sich am Anfang mit dieser Definition recht schwer: Es sei daran erinnert, dass es im Jahr 1906 noch lange kein Angestelltengesetz mit der dann klassisch gewordenen Definition der Angestelltentätigkeiten als „kaufmännische oder höhere nicht kaufmännische Dienste oder Kanzleidienste“ gegeben hat.* In Gewerbebetrieben wieder sollte es darauf ankommen, dass die Dienste gegenüber der gewerblichen Lohnarbeit höher qualifiziert sein mussten, wozu insb Aufsichts- und Leitungstätigkeiten gezählt wurden.* Schon die 1. Novelle fügte in § 1a Abs 2 ff eine umfangreiche demonstrative Aufzählung versicherungspflichtiger und nicht versicherungspflichtiger Beschäftigungen in das Gesetz ein.*
Zum ersten Eintritt in die Versicherung durfte man nicht jünger als 18 und nicht älter als 55 Jahre alt sein (§ 2)* und man musste (als Versicherungsgrenze) ein jährliches Mindesteinkommen von 600 Kronen jährlich (das sind umgerechnet etwa € 3.000,–) aufweisen.* Es gab sechs (Jahres-)Gehaltsklassen, wobei das Gesetz von einem umfassenden, auch Naturalentlohnung (wie zB Wohnung) einschließenden Gehaltsbegriff ausging (§ 3). Mehrfachversicherung war ausgeschlossen; versichert war nur die Haupttätigkeit (§ 3 vorl Satz). Die Beiträge (Prämien genannt) bewegten sich zwischen 8 und 12 % des Gehalts. Die PV war streng versicherungsmathematisch ausgerichtet und beruhte auf Sterbetafeln für Männer aufgrund der „Zimmermannschen Zahlen“ bezüglich des „Nichtfahrpersonals“ Deutscher Eisenbahnverwaltungen zwischen 1868 und 1884, hinsichtlich der Frauen hingegen auf der Volkssterbetafel für deutsche Frauen aus der Beobachtungsperiode 1871-1881.* Als Versicherungsträger wurde die „Pensionsanstalt“ eingerichtet.
Diese erste PV kannte bereits den Versicherungszwang und – vor allem – die sogenannte „ipso iure“-Versicherung, die dem „Privatbeamten“ bereits kraft Anstellung und unabhängig davon, ob eine Meldung erstattet und Prämien entrichtet wurden, Versicherungsansprüche vermittelte. Dieser Umstand sollte sich allerdings ungünstig auswirkten, weil die Risken mitunter erst bei der Anspruchstellung auf eine Leistung schlagend wurden, während die Versicherungspflicht dann rückwärtsgewandt beurteilt und die Prämien dafür eingetrieben werden mussten.
An Leistungen waren Alters-, Invaliditäts- und Witwenrenten sowie Erziehungsbeiträge für verwaiste Kinder (der Sache nach Waisenrenten) vorgesehen, wobei das Gesetz keine „Altersrente“ im eigentlichen Sinne kannte: Es regelte nach seinem Selbstverständnis eine Invalidenversicherung. Dem Versicherungsgedanken entsprach es aber offenbar, dass eine Leistung unabhängig von Invalidität jedenfalls nach 480 Beitragsmonaten anfallen konnte (§ 11);* bei Invalidität, die damals der Erwerbsunfähigkeit gleichkam, hingegen schon nach frühestens 120 Beitragsmonaten, nach Arbeitsunfällen auch ohne diese Voraussetzung. Die Rentenbemessung hatte zwei Komponenten: einen Grundbetrag nach der Gehaltsklasse im Zeitpunkt des Ablaufs der Wartezeit und einem Steigerungsbetrag nach dem Prinzip der Durchrechnung aller durchlaufenen Gehaltsklassen. Die niederste Rente betrug 180 Kronen (€ 900,–) und die höchste Rente 2.250 Kronen (€ 11.250,–) jährlich.
Pensionsanwartschaften konnten durch Verlust des Arbeitsplatzes verloren gehen. Die dadurch aus der Versicherung vorzeitig ausscheidenden Personen hatten nach Ablauf von drei Monaten nach ihrem Ausscheiden aber Anspruch auf Auszahlung der sogenannten Prämienreserve (das war eine verpflichtende Rücklage, die rechnerisch die Differenz zwischen den für Leistungen verfügbaren Prämienzahlungen und der Höhe der künftig zu erwartenden Ansprüche decken sollte, also nur aus einem Teil der Prämien gebildet wurde), womit alle Ansprüche bis dahin „entfertigt“ wurden. Wurde die Prämienrückerstattung nicht verlangt, so blieben die Anwartschaften zunächst verloren; sie lebten nur im Falle des Eintritts einer neuerlichen Pflichtversicherung innerhalb von zwölf Jahren wieder auf, bei späterem Wiedereintritt nur im Ausmaß von fünf Jahren (§ 27). Es war aber auch eine freiwillige Weiterversicherung zur Anwartschaftswahrung möglich (§ 28) und innerhalb von fünf Jahren nach Wiedereintritt in die Versicherung 490konnten auch entfertigte Zeiten wieder erworben werden,* allerdings nur unter teilweiser Anrechnung auf die Wartezeit (§ 31).
Das PensionsversicherungsG 1906 kannte auch noch kein Versicherungsmonopol. Es sah in den §§ 64 ff ein Ersatzkassensystem für „Pensionsinstitute, Pensions- und Provisionskassen und dergleichen, ferner bereits registrierte Hilfskassen“ (§ 65 Einleitungssatz) vor und ließ alternativ auch Versicherungsverträge bei einer zum Geschäftsbetrieb im Inland zugelassenen Versicherungsanstalt zu.
Die Rsp des VwGH prägte den Rechtssatz, dass das Gesetz nicht so sehr die Pflichtversicherung für einzelne Individuen anstrebe, sondern für Berufsgruppen, weshalb es für die Einbeziehung in die Pflichtversicherung auf das Berufsgruppentypische ankomme, sodass Abweichungen im Einzelfall nicht versicherungsschädlich seien.* Das begünstigte die Einbeziehung einer größeren Zahl von Versicherten. Und noch etwas, das nicht in Vergessenheit geraten sollte: Die SV ressortierte fürs erste im BM für Inneres; sie wanderte erst Ende 1917 in das neu gegründete Ministerium für soziale Fürsorge.
Zwei bis heute anhaltende Traditionen wurden gleich zu Beginn der Geschichte der PV begründet, nämlich jene des relativ häufigen Novellierungsbedarfs und jene eines gewissen Widerstandes gegen die Beitragspflicht. Ein bereits 1908 und – wegen Beendigung der Legislaturperiode – 1909 erneut im Reichsrat eingebrachter Novellierungsantrag beklagte die „gegen das Gesetz gerichtete Haltung aller Beteiligten“, der daraus resultierenden „außerordentlich anwachsenden Höhe der Beitragsrückstände“ und die Gefahr „die unter diesen Umständen eine ipso iure Versicherung für die Versicherungsträger bedeutete“.* Dieses Problem wurde dadurch gelöst, dass – nicht anders als heute – der von der Beitragszahlung unabhängige Erwerb von Versicherungszeiten erst ab dem Zeitpunkt einer ordnungsgemäßen Meldung möglich war, allerdings immer noch auch zu einem Zeitpunkt nach Eintritt eines Versicherungsfalls; diese Lücke zur Spekulation wurde erst später geschlossen.
Die Erhaltung der Anwartschaft nach Beendigung des Dienstverhältnisses wurde erleichtert: Nach Erwerb von zehn Versicherungsjahren konnte die Anwartschaft durch einen Anerkennungsbeitrag von 4 Kronen jährlich zeitlich unbegrenzt aufrechterhalten werden. Vor der Meldung liegende, ungemeldete Zeiten konnten durch nachträgliche Beitragszahlung aber nur innerhalb einer Frist von 60 Monaten wirksam erworben werden, womit auch erstmals eine Beitragsverjährung eingeführt wurde. Ersatzeinrichtungen wurden vorerst noch beibehalten; ihre Voraussetzungen wurden aber verschärft, insb mussten sie um 20 % höhere Leistungen anbieten (§ 65 Abs 1 Z 1).
Eine Form der Invaliditätsrente gebührte bei Männern weiterhin nach 480 Versicherungsmonaten (also altersunabhängig), für Frauen hingegen schon nach 420 Beitragsmonaten, aber erst ab dem vollendeten 55. Lebensjahr (§ 11 Abs 1 Z 1 und 2). Damit war der Sache, wenn auch nicht dem Wortlaut nach, das in Österreich traditionell um 60 Monate unterschiedliche Pensionsalter von Männern und Frauen begründet. Nach der Begründung der Materialien würden Frauen „aus mannigfachen Ursachen“ deutlich früher invalid als Männer. Für (damals hochaltrige) Männer, die das 70. und für Frauen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, wurde erstmals ein Pensionsanspruch mit einer Wartezeit von nur 60 Versicherungsmonaten eingeführt. Ab dem (einheitlichen) 65. Lebensjahr sollte die Invaliditätspension unter der Voraussetzung der Beendigung des Dienstverhältnisses auch ohne Nachweis der Invalidität gebühren (§ 7 Abs 2). Außerdem wurden auf zwei Drittel gekürzte Renten schon nach einer Wartezeit von zehn Jahren, im Falle der Invalidität schon nach fünf Beitragsjahren, gewährt. Hintergrund dafür war, dass im Bereich des Handwerks viele DN erst nach längerer Berufsdauer erstmals Stellungen erreichten, die sie für die Pflichtversicherung in der PV qualifizierten (§ 8 Abs 4).* Die 1. Novelle trat am 1.10.1914 in Kraft.*
Das folgende Gesetz über die PV der Angestellten vom 23.7.1920, StGBl 1920/370 (formell 2. Novelle zum Pensionsversicherungsgesetz), beschränkte sich in der Hauptsache auf eine Zurückdrängung der Ersatzeinrichtungen.* Ferner wurde die ipso iure-Versicherung dadurch weiter eingeschränkt, dass eine nachträgliche Versicherungsmeldung, die erst nach Eintritt des Versicherungsfalles erstattet wurde, nunmehr ohne rechtliche Relevanz war. Diese Grundsätze für die wirksame Entrichtung von Beiträgen gelten im Wesentlichen bis heute.
Die Zeit der Inflation zwischen 1921* und 1923 machte sieben Novellen zur Pensionsanpassung notwendig, und führte dazu, dass sich Rentenerhöhungen und Prämienzuschläge nicht mehr nach den Prinzipien des bisherigen Anwartschaftsdeckungssystems richteten (dieses war praktisch am Ende), sondern dafür das Aufwandsdeckungssystem (Umlagesystem) eingeführt wurde, bei dem der erforderliche Aufwand nicht mehr aus angelegten Rücklagen getragen wird, sondern aus den jeweiligen Einnahmen aus Beiträgen bzw aus Staatszuschüssen.*491
Das Arbeitsrecht nahm nach dem Zusammenbruch der Monarchie im Jahr 1918 in den folgenden Jahren bis 1921 infolge der Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie einen großen Aufschwung. Es war allerdings nach beruflichen Kriterien fragmentiert: Neben den gewerblichen AN, deren Dienstvertrag in der GewO geregelt war, und den Dienstvertragsregeln des ABGB idF der 3. Teilnovelle, gibt es ab 11.5.1921 das Angestelltengesetz, welches das Handlungsgehilfengesetz aus 1911 abgelöst hat. § 1 dieses Gesetzes enthielt die bis heute gültige Definition der Angestellten, nämlich die Anstellung im Geschäftsbetrieb eines Kaufmanns zur Leistung kaufmännischer oder höherer, nicht kaufmännischer Dienste oder zu Kanzleiarbeiten.*
Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht schickte man sich demgemäß an, drei Sozialversicherungsgesetze vorzubereiten, nämlich für die Angestellten, die Arbeiter und für die Landarbeiter.* In Vorbereitung der grundlegenden Pensionsreform von 1927 durch Pensionsversicherungs-Überleitungsgesetze wurde – als für die weitere Entwicklung bedeutsamste Änderung – die bisherige Durchrechnung aller durchlaufenen Gehaltsklassen durch eine Bemessungsgrundlage ersetzt, die (vorerst) aus dem Durchschnitt des Arbeitsverdienstes der letzten zwölf Beitragsmonate gebildet wurde.
Wir erinnern uns: Bislang waren nur jene Angestellten pensionsversichert, die überwiegend geistig tätig waren. Das AngestelltenversicherungsG 1927* fasste nun erstmals die KV, UV und Invaliditätsversicherung zusammen und erweiterte den Geltungsbereich der PV auf alle Angestellten iSd mittlerweile in Kraft getretenen AngG zuzüglich jener Berufsgruppen, die von speziellen arbeitsrechtlichen Gesetzen für Angestellte bestimmter Berufsgruppen erfasst waren, sowie auch jener, die von der Rsp schon bisher in die Angestelltenversicherung einbezogen waren, obwohl sie arbeitsrechtlich anders qualifiziert wurden.* Die Invalidität wurde für die Angestellten durch die Berufsunfähigkeit ersetzt (§ 27) und blieb als Begriff künftig nur mehr für die Arbeiter reserviert.* Berufsunfähig war, wer wegen körperlicher Gebrechen oder Schwäche dauernd außerstande gewesen ist, „den Pflichten seiner letzten Berufsstellung nachzukommen oder eine andere Beschäftigung auszuüben, die ihm mit Rücksicht auf seine bisherige Beschäftigung, praktische Ausbildung und Vorbildung billigerweise zugemutet werden kann
“. Es gab also noch keinen Berufsschutz für Angestellte im heutigen Sinne; erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten wurden nur nach Maßgabe von Billigkeitsgründen berücksichtigt.
Angesichts dieser sehr hohen Latte für den Erwerb einer Berufsunfähigkeitspension kam den demgegenüber begünstigten Rentenarten, bei denen die Erreichung bestimmter Altersgrenzen den Nachweis der Berufsunfähigkeit ersetzte, besondere Bedeutung zu. Für den Anspruch auf die Altersrente „ohne Nachweis der Berufsunfähigkeit“ wurde erstmals auch für Männer ein Mindestalter festgesetzt, und zwar mit 65 und für Frauen mit 60 Jahren (§ 31 Abs 1 Z 1). Daneben wurde mit 60 Jahren für Männer bzw mit 55 Jahren für Frauen eine Art vorzeitige Alterspension nach mindestens 120 Beitragsmonaten eingeführt, deren weitere Voraussetzung allerdings war, dass die leistungsbeziehende Person in keinem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand; letztere Voraussetzung wurde von der ersten Novelle auf Angestelltentätigkeiten eingeschränkt (§ 31 Abs 1 Z 2). Die Bemessungsgrundlage wurde auf einen Durchrechnungszeitraum von 36 Monaten verlängert (§ 7) und erstmals nach dem Günstigkeitsprinzip eine alternative Bemessungsgrundlage zum Zeitpunkt der Vollendung des 45. Lebensjahres eingeführt.* Auch in der sonstigen Rentenbemessung setzte das AngVersG 1927 Maßstäbe, die für die österreichische PV durch Jahrzehnte kennzeichnend blieben: Es gab nunmehr einen von der Anzahl der erworbenen Versicherungsmonate unabhängigen „Grundbetrag“* (als Sockelbetrag einer Pension) und einen Steigerungsbetrag, dessen Höhe sich nach der Anzahl der erworbenen Versicherungsmonate richtete. Dieses System* blieb – mit der Unterbrechung durch das deutsche Sozialversicherungsrecht – bis 1985* wirksam. Eine ebenfalls für die folgenden Jahrzehnte maßgebliche Innovation des AngVersG 1927 war die Einführung einer gesetzlichen KV der Pensionisten und ihrer nächsten Familienangehörigen (§ 3). Bedingt durch den Entfall der Gehaltsklassen gab es nun eine Mindest- und eine Höchstbeitragsgrundlage (S 80,– [€ 224,–] bzw S 400,– [€ 1.120,–]* – § 7 Abs 1). Verheiratete Frauen, die den Haushalt ihrer Familie leiteten, waren bis zu 50 Monatsstunden und einem Bezug von S 80,– aus der PV ausgenommen (§ 2 Z 1 AngVG).* Eine wichtige Rolle für die Versorgung verheirateter Frauen spielte daher die Witwenpension, da damals Frauen häufig keine oder nur wenige eigene Versicherungszeiten erworben haben.492
Auch in organisatorischer Hinsicht (§§ 50 ff) stellte das AngVersG 1927 Weichen für die Zukunft: Die Krankenversicherungsträger in den Ländern wurden zur „Basisorganisation“ der gesamten SV gemacht. Ihnen oblag die „Standesführung“, aber auch die Kontrolle der Leistungsempfänger. Daher beschränkte sich das Gesetz auf einen einzigen Pensions- und Unfallversicherungsträger, die „Hauptanstalt für Angestelltenversicherung“.*
Die II. Novelle zum AngVersG* brachte erstmals die Schaffung eines Anrechnungszeitraums und von Deckungsvorschriften. Alle Beitragszeiten im Anrechnungszeitraum waren künftig für die Leistung zu berücksichtigen. Anrechnungszeitraum war der längste, unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles liegende Zeitraum, der zu dreiviertel durch Versicherungszeiten gedeckt war.
Die Arbeiter blieben in der PV weiterhin außen vor: Das ebenfalls 1927 verabschiedete Arbeiterversicherungsgesetz sah zwar erstmals auch eine Invalidenversicherung für Arbeiter vor, ließ die betreffenden Bestimmungen aber nur nach Maßgabe des Eintritts von wirtschaftlichen Bedingungen, die in einer sogenannten „Wohlstandsklausel“ aufgezählt waren, in Kraft treten.* Die in dieser Klausel geforderte rückläufige Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen unter 100.000 bzw eine entsprechende Entwicklung der Wirtschaft sollte nicht eintreten. Es gab für Arbeiter (wie übrigens auch für Angestellte, die keinen Pensionsanspruch hatten) nur ein Altersfürsorgesystem, das bei über 60-Jährigen einen Dauerbezug im Ausmaß von zwei Dritteln der Arbeitslosenunterstützung vorsah. Durch die Wirtschaftskrise der 30er-Jahre kam es im Rahmen eines „Fünfjahresplans“ zu einem Lastenausgleich zwischen AlV und PV, indem der im gemeinsamen Beitrag enthaltene Unfallversicherungsbeitrag erhöht und der Beitrag zur AlV gleichzeitig entsprechend gesenkt wurde. Kurz vor der Erlassung des GSVG 1935 kam es zu einer ersten gesetzlichen Kürzung der Pensionen für den Zeitraum März bis Mai 1935.*
Das wesentlichste Gesetz der SV im „Ständestaat“ war das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz (GSVG) vom 30.3.1935. Es regelte die SV und auch die AlV aller unselbständig Erwerbstätigen, mit Ausnahme der Landwirtschaft, der Eisenbahner und der Notare.
Es sah als Krisenbewältigungsmaßnahme zunächst einen Einheitsbeitrag für Arbeiter und Angestellte im Ausmaß von 20 % vor. Leistungskürzungen erwiesen sich trotz der Unterstützung der PV auf Kosten der AlV als unumgänglich. Im Leistungsrecht der PV gab es – wie schon zuletzt im AngVersG 1927 – einen Anrechnungszeitraum mit dem Erfordernis der Dreivierteldeckung (§ 251 GSVG). Die Zählung der Versicherungsmonate wurde missbrauchssicher gemacht, indem – anders als bis dahin – ein Versicherungstag nicht mehr zum Erwerb einen Versicherungsmonats führen konnte, sondern nur eine Mindestversicherungszeit von 15 Tagen (§ 71 GSVG – eine Regelung, die ihrem Inhalt nach bis heute gilt). Die Bemessungsgrundlage wurde im Wesentlichen (mit kleineren Korrekturen und Ausnahmen) aus den letzten 36 Versicherungsmonaten gebildet (§ 230 GSVG) bzw von den letzten 60 Versicherungsmonaten vor dem 45. Geburtstag für die bis dahin erworbenen Zeiten, wobei die Berücksichtigung der „Inflationsmonate“ vor dem 1.7.1926 mit zwölf Monaten begrenzt wurde. Der Grundbetrag der Pension wurde auf 30 % (statt vorher 35 %) gesenkt und der Steigerungsbetrag progressiv gestaffelt.* Das den Nachweis der Berufsunfähigkeit ersetzende Pensionsalter war 60/55, sofern im Anrechnungszeitraum eine Wartezeit von 180 Monaten erfüllt war. Ab Vollendung des 65./60. Lebensjahres genügte die allgemeine Wartezeit von 60 Versicherungsmonaten. Für die Arbeiter änderte sich weiterhin nichts – der in den §§ 197 ff GSVG 1935 ausformulierten Invalidenversicherung war in § 196 eine unerfüllbare Wohlstandsklausel vorangestellt.*
Die Machtübernahme durch das nationalsozialistische Deutsche Reich führte zur Einführung der deutschen Sozialversicherungsgesetze per 1.1.1939 durch die VO über die Einführung der SV im Landes Österreich vom 22.12.1938, DRGBl I S 1912, nämlich der für Arbeiter geltenden Reichsversicherungsordnung (RVO) und des für Angestellte geltenden Reichs-Angestelltenversicherungsgesetzes (RAVG).*
Die für Arbeiter geltende RVO sah im Vierten Buch eine Invalidenversicherung vor, wobei § 1253 RVO als allgemeine Anspruchsvoraussetzung für unbefristete Renten alternativ die dauernde Invalidität oder die Vollendung des 65. Lebensjahres (und zwar einheitlich für Männer und Frauen) vorsah; die letztgenannte Rente hieß im Sprachgebrauch des Gesetzes auch „Altersinvalidenrente“ und erforderte eine Anwartschaft von 780 Wochenbeiträgen (im Gegensatz zu 260 Wochenbeiträgen für die normale Invalidenrente – vgl § 1262 RVO). Die Anwartschaftserhaltung war daran geknüpft, dass 493für jedes Kalenderjahr mindestens 26 Wochenbeiträge entrichtet werden (jährliche Halbdeckung), widrigenfalls die Anwartschaft für die in diesem Jahr eingezahlten Beiträge erlosch (§ 1264 RVO). Außerdem musste beim Eintritt des Versicherungsfalls die Zeit seit dem ersten Eintritt in die Versicherung zur Hälfte mit Beiträgen belegt sein (§ 1265 RVO). Für die weitere Entwicklung des österreichischen Sozialversicherungsrechts nach dem zweiten Weltkrieg als dauerhaft bedeutsam erwies sich in gewissem Sinne nicht nur diese Halbdeckungsvorschrift, sondern auch das neue Rechtsinstitut der Ersatzzeiten, also beitragsfreier Versicherungszeiten, die für Wehrdienst, Arbeitsdienst, Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, Schwangerschaft oder Wochenbett sowie Arbeitslosigkeit (§ 1267 RVO) berücksichtigt wurden.
Die Rentenbemessung nach der RVO erfolgte – ähnlich dem frühen österreichischen Pensionsversicherungsrecht – in einem Durchrechnungssystem nach Lohn- und Beitragsklassen. Die Rente setzte sich aus einem im Gesetz festgelegten Grundbetrag zusammen (dieser hat zuletzt RM 72,– im Jahr, ab 1945 S 444,– betragen) und einem Steigerungsbetrag, der für jeden Wochenbeitrag je nach Lohnklasse einen gesetzlich festgelegten jährlichen Betrag vorsah (§ 1268 RVO*), mindestens aber RM 84,– im Jahr (§ 1269 RVO).
Der Invaliditätsbegriff für Arbeiter iSd § 1254 RVO entsprach im Wesentlichen dem Berufsunfähigkeitsbegriff des früheren österreichischen AngVersG 1927 und des GSVG 1935 bzw 1938* mit der Maßgabe, dass die verbliebene Resterwerbsmöglichkeit unter ein Drittel dessen gefallen sein musste, das eine gesunde Person vergleichbarer Kenntnisse in derselben Gegend zu verdienen pflegte.
Der Begriff der Berufsunfähigkeit für Angestellte in § 27 RAVG ließ hingegen nicht nur schon den Abfall unter die „Lohnhälfte“ (ein im österreichischen Sozialversicherungsrecht bis heute gültiges Kriterium) für den Rentenanspruch genügen, sondern beschränkte die Betrachtungsweise auch auf den Vergleichsverdienst „eines körperlich und geistig gesunden Versicherten ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten“, womit der Invaliditätsschutz in der Angestelltenversicherung – im Gegensatz zu jenem bei den Arbeitern – erstmals zu einem echten Berufsschutz wurde. Den Invalidenrenten der RVO entsprach das Ruhegeld (vgl § 26 RAVG). Nach § 397 RAVG galt jedoch auch als berufsunfähig, wer das 60. Lebensjahr vollendet hatte und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos war. Diese Pensionsform werden wir im ASVG wiederfinden. Die Pensionsberechnung nach dem RAVG entsprach im Wesentlichen jener der RVO.*
Die Nachkriegsinflation führte dazu, dass die (Alt-)Rentner insgesamt Gefahr liefen, ihre ohnehin sehr bescheidene Existenzgrundlage zu verlieren. Die Politik versuchte der Entwicklung mit den berühmten Lohn-Preisabkommen beizukommen. Dem entsprachen bis 1951 mehrere Sozialversicherungs- Anpassungsgesetze, die zum Ziel hatten, die Entwicklung der Renten an jene der Löhne aufgrund der Lohn-Preisabkommen anzugleichen.* Von besonderem Interesse ist das „Bundesgesetz vom 21. April 1948 über die Herabsetzung der Altersgrenze für weibliche Versicherte und Witwen in der gesetzlichen Sozialversicherung“, BGBl 1948/80, womit das Rentenalter für Altersinvalidenrente und Altersruhegeld für Frauen entsprechend der Vorkriegstradition wieder auf das vollendete 60. Lebensjahr herabgesetzt wurde.* Mit dem Sozialversicherungs-ÜberleitungsG, BGBl 1947/142, wurde im Wesentlichen die Organisation der österreichischen SV wiederhergestellt und der Hauptverband der Sozialversicherungsträger gegründet.
Das 1. Sozialversicherungs-NeuregelungsG (SVNG), BGBl 1952/86, schuf rund um die weitergeltenden Vorschriften der RVO und des RAVG ein Gerüst neuer allgemeiner Vorschriften: Es wurde erstmals das Rechtsinstitut des Versicherungsfalls eingeführt, die Versicherungsfälle des Alters von jenen der Invalidität und der Berufsunfähigkeit (und des Todes) erstmals deutlich geschieden und dafür jeweils gesonderte allgemeine und besondere Anspruchsvoraussetzungen definiert, ein System, das dann wenige Jahre später dauerhaft in das ASVG übernommen werden sollte.
Während für die Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit eine Wartezeit von 260 Wochenbeiträgen festgesetzt wurde, galt für Alterspensionen eine Wartezeit von nunmehr 780 Versicherungswochen oder 15 Versicherungsjahren. Damit hörte die Alterspension auf, eine begünstigte Invaliditätspension zu sein. Für die Anwartschaft wurde die Halbdeckung der RVO beibehalten, jedoch um die Dritteldeckung ergänzt: Es mussten die letzten 36 Monate vor Eintritt des Versicherungsfalls zu einem Drittel mit Versicherungszeiten gedeckt sein. Der Halbdeckungszeitraum wurde längstens auf den Zeitraum nach dem 31.12.1938 beschränkt: Reichte der Halbdeckungszeitraum auf den 1.1.1939 zurück, dann waren alle Versiche-494rungszeiten vor dem 1.1.1939 unabhängig von ihrer Lagerung anrechenbar (§ 5).*
In der Angestelltenversicherung waren sämtliche erworbenen Versicherungszeiten unter der Bedingung anrechenbar, dass bei Eintritt des Versicherungsfalles der Zeitraum seit dem Beginn der ersten Versicherungszeit mindestens zu drei Vierteln mit Versicherungszeiten ausgefüllt ist (§§ 29 und 30 SV-NG).
Die Kodifikation des Sozialversicherungsrechts im ASVG markierte nicht nur das Ende der reichsrechtlichen PV in Österreich, es fasste erneut alle Sparten der SV für Arbeiter und Angestellte (und eine kleine Gruppe gleichgestellter Selbständiger) in einem Gesetz zusammen. Das bedeutete aber nicht, dass Arbeiter und Angestellte in jeder Hinsicht gleichgestellt worden wären: Das zum Teil unterschiedlich ausgestaltete Leistungsrecht des deutschen Rechts wurde hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen bei der Invaliditätspension und beim Ruhegeld der Angestellten wegen Berufsunfähigkeit im Wesentlichen übernommen. Im Angestelltenpensionsrecht gab es die aus dem RAVG übernommene Berufsunfähigkeitspension ab dem 60. Lebensjahr unter der Voraussetzung einer Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr Dauer, nicht aber im Arbeiterpensionsrecht. Für Arbeiter wurden aber die Anspruchsvoraussetzungen bei der Invaliditätspension gegenüber der RVO insoweit verbessert, als an die Stelle des Lohndrittels die Lohnhälfte trat, bei deren Unterschreitung Invalidität angenommen wurde; es gab aber für Arbeiter vorerst keinen Berufsschutz: Das Verweisungsfeld blieb der gesamte Arbeitsmarkt.
Das ASVG kehrte zur Pensionsberechnung mittels Grundbetrag (30 %), progressiv sich mit der Zahl der Versicherungsmonate erhöhenden Steigerungsbetrag (wie schon im GSVG 1935) und einer Bemessungsgrundlage im Bemessungszeitraum von nunmehr den letzten 60 Monaten der Pflichtversicherung zurück. Die Anrechnungs- und Deckungsvorschriften entsprachen im Wesentlichen jenen des SV-NG. Die Bemessungsvorschriften des ASVG führten die Rentenhöhe wieder an die Höhe des in den letzten Jahren erzielten Erwerbseinkommens heran.
Es folgte eine lange Periode steigender Beschäftigtenzahlen, die schließlich in die Hochkonjunktur der Siebzigerjahre mündete.* Es stand – auch aus heutiger Sicht rückblickend – so etwas wie das „Goldene Zeitalter“ der PV bevor, das sich in einer stetigen Abfolge von sozialpolitischen Verbesserungen manifestierte. Eine der wichtigsten Maßnahmen war die Etablierung des Systems der Ausgleichszulagen für Renten unterhalb der Armutsgrenze und damit die Loslösung der Leistungsbezieher der SV aus dem (damaligen) Fürsorgerecht der Länder.
Das Leistungsrecht wurde schon in der 3. Novelle zum ASVG (1.1.1958) um die vorzeitige Alterspension (Alter 60/55) bei Arbeitslosigkeit auch für Arbeiter erweitert und damit eine Gleichstellung mit den Angestellten herbeigeführt.*
Ein Hauptproblem der Zeit seit dem zweiten Weltkrieg war aber die starke Fragmentierung der Pensionsbezieher, die Leistungen teils aus der Zeit des AngVersG 1927, teils gekürzte Renten nach dem GSVG, teils Renten nach den deutschen Rechtsvorschriften und teils Renten aus der allerersten Nachkriegszeit bezogen haben, die hinter den später angefallenen Renten deutlich zurückgeblieben waren.* Dieses „Altrentenproblem“ wurde durch Anhebung auf das Lohnniveau des Jahres 1959 im Rahmen der großen Reform der 8. Novelle zum ASVG, BGBl 1960/294, einigermaßen bewältigt. Die Rentenreform der 8. Novelle wurde wegen ihrer für die damalige Zeit enormen Kosten (allein in der PV der Arbeiter ist von 1,2 Mrd Schilling die Rede*) auf drei Jahre (1961 bis 1963) verteilt. Sie umfasste nicht nur die Einführung einer zweiten Rentensonderzahlung (also einer 14. Pension), sondern vor allem die etappenweise Einführung der vorzeitigen Alterspension (Pensionsalter 60/55) bei langer Versicherungsdauer, nämlich bei Vorliegen von 35 Versicherungsjahren. In Österreich hatte die Zahl der Invaliditätsrenten die Zahl der Altersrenten nicht unwesentlich überstiegen, woraus zufolge der Materialien der Schluss gezogen wurde, dass sehr viele AN schon vor Erreichung des derzeitigen Rentenalters infolge vorzeitigen Verbrauches ihrer Arbeitskraft gezwungen waren, aus dem Arbeitsprozess auszuscheiden.* Diese Novelle verbesserte auch den Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG: Es wurde in Gleichstellung mit495 den Angestellten ein Berufsschutz für Arbeiter in erlernten und angelernten Berufen eingeführt.
Pensionserhöhungen zum Zwecke der Anpassung an die Lohn- und Preisentwicklung wurden bis 1965 regelmäßig durch Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates bewirkt. Die 8. Novelle hat die ersten Voraussetzungen für die Verwirklichung eines Systems der laufenden Anpassung der Pensionen und Renten an die Entwicklung der Löhne und Gehälter geschaffen.* Mit dem PensionsanpassungsG, BGBl 1965/69, wurde schließlich die Rechtsgrundlage für eine laufende Anpassung der Geldleistungen aus der PV an die sich ändernden wirtschaftlichen Verhältnisse durch Verordnung hergestellt.*
Die 29. Novelle zum ASVG, BGBl 1973/31, sah ab 1.1.1973 erstmals „Belohnungen“ für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben vor: Es wurde ein Zuschlag zur Alterspension für Beschäftigungen im Höchstausmaß von 36 Monaten neben dem Pensionsbezug gewährt (1,5 % pro Versicherungsjahr), aber auch Zuschläge zur Pension für den Fall, dass der Pensionsantritt aufgeschoben wurde, und zwar zwischen dem 60. und dem 65. Lebensjahr pro Jahr 2 % und bis zum 70. Lebensjahr 3 %, ab dem 70. Lebensjahr 5 % Bonus, bemessen von jener Pension, die mit 65 (bei Frauen mit 60) gebührt hätte. Gleichzeitig wurden die Bestimmungen über den Wegfall der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer durch Erhöhung der Zuverdienstgrenze gemildert. Diese scheinbare Ambivalenz der 29. Novelle zeigt, dass es damals nicht etwa um die Milderung von Finanzierungsproblemen der PV ging, sondern um Anreize zur Vermehrung des Arbeitskräfteangebots in Zeiten eines Arbeitskräftemangels.*
Dragaschnig resümierte diese Zeit in einem Rückblick fast 20 Jahre nach Inkrafttreten des ASVG dahin, dass mit der 29. Novelle die Phase der „stürmischen Entwicklung“ der österreichischen SV abgeschlossen sei und nunmehr über allem die Forderung nach Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger stünde.*
Der zeitliche Zusammenhang dieser Äußerung mit dem ersten Ölpreisschock des Jahres 1973 ist kein Zufall. Allerdings führte die darauffolgende austrokeynesianische Beschäftigungspolitik* fürs erste zu keinem Einbruch der Vollbeschäftigung, wohl aber gingen die goldenen Jahre mit dem zweiten Ölpreisschock ab 1982/83 endgültig zu Ende; die Arbeitslosigkeit stieg von sagenhaften 1,9 % im Jahre 1980 auf 4,5 % in den Jahren 1982/84 und auf 5 % ab dem Jahr 1985. Die Politik reagierte zunächst mit einer Reduktion ausländischer Arbeitskräfte und mit der Erleichterung frühzeitiger Pensionierungen. Ab nun wurden die Probleme des Arbeitsmarktes zum guten Teil in die PV ausgelagert, was am Sinken des Pensionsantrittsalters in den Folgejahren gut ablesbar ist: Betrug das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bei Direktpensionen im Jahre 1970 bei Männern 61,9 und bei Frauen 60,45, so sank es in den Folgejahren bis zum Jahr 2000 kontinuierlich auf 58,5 (Männer) bzw auf 56,8 (Frauen), wobei besonders die vermehrte Inanspruchnahme von Invaliditätspensionen ins Gewicht fiel.* Während die demographischen Prognosen ab der Mitte der Siebzigerjahre eine Verbesserung des Verhältnisses der Erwerbstätigen zu den Pensionsbeziehern versprachen, verschlechterte sich diese Belastungsquote der PV durch den Konjunktureinbruch in einem unerwarteten Ausmaß.*
Die Reformzeit der PV setzte zuerst vorsichtig ein, wurde dann aber in immer rascheren und ausgreifenderen Schritten fortgesetzt, sodass im Ergebnis, gemessen an den Institutionen, welche die österreichische PV zwischen 1909 und 1984 bestimmten, kaum ein Stein auf dem anderen blieb.*
Erste Maßnahmen zur Sanierung der PV sah die 40. Novelle zum ASVG (in Kraft getreten am 1.1.1985) vor; auf der einen Seite wurde die Pensionsformel grundlegend geändert,* auf der anderen Seite wurde die Pensionsanpassung dadurch gedämpft, dass in die zu berücksichtigende Entwicklung der Löhne und Gehälter auch die Arbeitslosenrate eingebaut wurde.* Schon mit der 44. Novelle zum ASVG* folgte der nächste Reformschritt, und zwar mit einer schrittweisen Ausweitung des Bemessungszeitraumes ab 1.1.1988 zunächst auf die 180 besten Monate für Versicherte, die jünger als 50 Jahre alt waren. Die bisherige Bemessungsgrundlage nach Vollendung des 45. Lebensjahres (B 239) wurde durch die Bemessungsgrundlage bei Vollendung des 50. Lebensjahres mit einer zehnjährigen Bemessungszeit ersetzt.
Im Jahre 1997 erstattete der Darmstädter Professor Dr. Rürup für die Bundesregierung ein Gutachten zu den „Perspektiven der Pensionsversicherung in Österreich“, in dem er eine Beziehung zwischen der zu erwartenden Entwicklung der Bevölkerungspyramide in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts und der daraus resultierend wachsenden Finanzierungsprobleme der PV herstellte. Als Reaktion darauf sah zunächst das ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, nicht nur die Neuregelung des Kreises der Pflichtversicherten durch Einbeziehung aller Einkommen vor („Neue Selbständige“), sondern auch eine schrittweise Erweiterung des Bemessungszeitraums von den 180 besten auf 216 Beitragsmonate. Die Steigerungsbeträge wurden mit 2 % pro Jahr vereinheitlicht, dafür aber ein Abschlag von 2 % für jedes Jahr der Inanspruchnahme der Pension vor dem Regelpensionsalter, höchstens aber von 10 % vorgesehen. Die Bemessungszeit wurde schließlich durch das BudgetbegleitG 2003, BGBl I 2003/71, schrittweise bis 2028 von 15 Jahren auf 40 Jahre verlängert. Diese Entwicklung endete zwischenzeitig mit der Einführung des Pensionskontos (dazu unten).
Die Pensionsanpassung wurde in mehreren Schritten von der Entwicklung der Löhne und Gehälter abgekoppelt. Mit der 40. Novelle hatte man zunächst das Ausmaß der Arbeitslosigkeit in die Pensionsanpassung als „Dämpfer“ eingebaut, womit die Pensionisten zunächst am Arbeitsmarktrisiko der Aktiven beteiligt wurden. Mit der 51. Novelle zum ASVG (von den Materialien und in der politischen Diskussion erneut als Pensionsreform bezeichnet) wurde eine Umstellung der Pensionsanpassung auf die Nettoanpassung (dh ohne Sozialversicherungsbeträge) vorgenommen.* Schließlich wurde mit dem Pensionsharmonisierungsgesetz 2004, BGBl I 2004/142, die gänzliche Trennung von der Lohnentwicklung vollzogen und die Pensionsanpassung künftig inflationsgebunden.*
Aber auch die verschiedenen Pensionsleistungen wurden zum Teil grundlegend reformiert: Die 51. Novelle zum ASVG (SRÄG 1993, BGBl 1993/335)* sah eine Neustrukturierung der Steigerungsbeträge für Alterspensionen,* die Einführung einer Gleitpension als Teilpension zwischen 50 % und 70 % sowie eine Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung ab 1.1.1995* vor. Mit dem SRÄG 2000, BGBl 2000/101, wurde die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit abgeschafft* und das Pensionsanfallsalter für die vorzeitige Alterspension ab 1.10.2000 schrittweise bis 1.10.2002 um 18 Monate erhöht. Der Pensionsmalus für eine frühere Inanspruchnahme der Leistung wurde auf 3 % erhöht.
Der nach Umfang und Bedeutung wuchtigste Paukenschlag in das Pensionssystem erfolgte mit dem BudgetbegleitG 2003, BGBl I 2003/71,* das eine völlige Umgestaltung auf dem Gebiet der vorzeiti-497gen Pensionen mit 1.1.2004 vorsah: Die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit wurde abgeschafft, ebenso die Gleitpension. Die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer wurde ab 1.7.2004 schrittweise aufgehoben, nämlich unter etappenweiser Hinaufsetzung des Anfallsalters bis 2009 auf die Höhe des Regelpensionsalters mit einer Übergangsregelung für insgesamt zehn Geburtenjahrgänge. Die Abschaffung wird also für die Geburtsjahrgänge ab 1959 (Männer) und 1964 (Frauen) wirksam. Dafür wurde für Langzeitversicherte eine „Hacklerpension“ bei besonders langer Versicherungsdauer für eine Übergangszeit bis 2019 vorgesehen, ebenso eine begünstigte Inanspruchnahme vorzeitiger Pensionen (60/55) durch Schwerarbeiter. Der Steigerungsbetrag wurde auf 1,78 % pro Jahr abgesenkt, wodurch die Höchstpension von 80 % der Bemessungsgrundlage künftig erst nach 45 Versicherungsjahren erreichbar wurde. Gleichzeitig wurde für neu anfallende Pensionen die erstmalige Pensionsanpassung auf das dem Stichtag zweitfolgende Kalenderjahr verschoben.* Mit dem 2. Stabilitätsgesetz, BGBl I 2012/35, wurden schließlich ab 1.1.2013 (§ 666 Abs 1 Z 2 ASVG) die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension und für die bis zum Jahr 2017 auslaufende (und insb für weibliche Versicherte relevante) vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer weiter verschärft.
Mit dem Pensionsharmonisierungsgesetz, BGBl I 2004/142, folgt der nächste Schritt.* Als ein „wichtiger Baustein eines zukunftsweisenden und modernen Pensionsrechts in Österreich“ wird in diesem Zusammenhang die Einrichtung von einem „beitragsorientierten, persönlichen Pensionskonto mit einer leistungsorientierten Komponente“ in einem neuen Gesetz (dem Allgemeinen Pensionsgesetz [APG]) in Angriff genommen, das für Beitragszeiten ab dem 1.1.2005 anstelle der bisherigen Bemessungsgrundlage die Zuordnung jährlicher Anwartschaften vorsieht und auf diese Weise das allmähliche Anwachsen des Pensionsanspruches mit Fortdauer der Pflichtversicherung sichtbar macht. Dieses neue System gilt ab 1.1.2005 für die unter 50-Jährigen.* Für die Pensionsberechnung wurde zunächst eine Parallelrechnung nach altem Recht und nach neuem Recht vorgesehen, die aber mit dem 2. Stabilitätsgesetz 2012, BGBl I 2012/35, wieder abgeschafft und durch eine Erstgutschrift auf dem Pensionskonto für die in der Vergangenheit erworbenen Versicherungsmonate ersetzt wurde.* Damit ist für den davon betroffenen Teil der Versicherten im Ergebnis eine lebenslange Durchrechnung eingeführt. Es wurde ferner eine Korridorpension zwischen dem 62. und dem 68. Lebensjahr eingeführt, bei der höhere Zu- und Abschläge in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Inanspruchnahme vorgesehen sind.
Den bisherigen Schlusspunkt der Reformmaßnahmen setzte eine Reform der Invaliditätspension, die deren Zurückdrängung zugunsten von Rehabilitationsmaßnahmen und die Abschaffung der befristeten Invaliditätspension mit sich brachte.*
Die Vollendung einer Altersgrenze ersetzte noch in der RVO bloß den Nachweis der Invalidität. Der Verlust der Erwerbsfähigkeit (und damit der finanziellen Existenz) durch Krankheit und/oder Alter war das Risiko, das die frühe Invalidenversicherung absichern wollte. Heute ist das Alter eher willkommener Anlass für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. In erster Linie liegt dieser Entwicklung der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung zugrunde.* Blieb sie nach 1945 bis in die Siebzigerjahre bei Männern im Erwerbsalter von 45 bzw 60 Jahren zunächst noch ziemlich konstant bei etwa 26 bzw 15 Jahren, während sie bei 45-jährigen Frauen von knapp 30 auf 32 und bei 60-Jährigen von rund 17 auf rund 19 Jahre kletterte, so steigt sie seither bei beiden Geschlechtern stetig. Sie betrug 2014 bei Männern mit 45 Jahren 35,3 bzw mit 60 Jahren 22 und bei Frauen im Alter von 45 39,7 und im Alter von 60 Jahren 25,8 weitere Lebensjahre.* Das Alter ist heute als eigener Lebensabschnitt nicht selten halb so lang wie der gesamte Zeitraum der Erwerbstätigkeit.
Dieser gesellschaftliche Wandel hatte Rückwirkungen auf das Pensionsversicherungsrecht: Wurde es zunächst als ein wichtiger sozialpolitischer Fortschritt gefeiert, eine besonders lange Versicherungsdauer mit früherer Verrentung zu „belohnen“, so erleichterte es das bis Anfang der Achtzigerjahre geschaffene Instrumentarium im Pensionsrecht (auch der geminderten Arbeitsfähigkeit),* durch viele Jahre hindurch den schwieriger gewordenen Arbeitsmarkt in die PV zu entlasten. Signifikant dafür scheint mir die Entwicklung der Quote der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung zu sein, die in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen zwischen 1971 und 2001 von 40,8 % auf 25,3 % gesunken ist.* Das faktische Pensionsantrittsalter der Männer sank dementsprechend zwischen 1970 und 1995 von 61,9 auf 58,1 (Frauen von 60,4 auf 56,7) und steigt seither als Folge der Reformmaßnahmen erst langsam wieder an.*
Das von der Pensionskommission gem § 108e ASVG im Jahr 2014 beschlossene Langzeitgutachten zeigt uns weiterhin die „unerbittliche“ demographische 498Entwicklung, die dazu führen wird, dass bis 2060 der nicht beitragsgedeckte Anteil an den prognostizierten Aufwendungen (also der erforderliche Bundesbeitrag) von 2,5 % des BIP 2014* bis auf 4,8 % des BIP 2060 steigen wird. Der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird von derzeit ca 18 % auf 29 % steigen. Dem steht jedoch eine nahezu gleichhohe gegenläufige Entwicklung im Bereich der Beamtenpensionen gegenüber, die darauf zurückzuführen ist, dass die Pragmatisierung weitestgehend zurückgedrängt wurde und die große Zahl der öffentlich Bediensteten künftig mit ihrer Altersversorgung das System des ASVG belasten wird. Gleicht man diese Mehraufwendungen in der gesetzlichen PV mit den Einsparungen bei den Ausgaben für die Beamtenpensionen aus (diese werden bis 2060 von zuletzt 3,5 % auf 1,4 % des BIP sinken), dann bleiben die Gesamtausgaben des Bundes (abgesehen von einer kleinen Spitze in den Jahren 2047–2052) bis 2060, gemessen am BIP, im Wesentlichen nahezu konstant. Das ist freilich nicht mehr als eine aktuelle Prognose, die eine Funktion der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung ist. Auch wenn der Prozentsatz des Bundeszuschusses am BIP nahezu konstant bleibt, gilt es, den jeweils erforderlichen Bundesbeitrag* im Budget über die Jahre verfügbar zu halten. Das benötigt einen entsprechenden politischen Willen und eine Wirtschaftsentwicklung, die diesen Spielraum erhält.
„Luft nach unten“ gibt es nicht viel, bedenkt man, dass die Durchschnittspension bei der Alterspension € 1.207,– beträgt,* und bei den Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit € 1.104,–.* Die höchsten Durchschnittspensionen beziehen männliche Angestellte mit rund € 2.000,–.* Man kann also nicht sagen, dass die Pensionen in der gesetzlichen SV im Schnitt zu hoch wären. Das Hauptaugenmerk wird daher weiterhin auf einer Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters liegen müssen, wobei das größte Potenzial in einer weiteren Verringerung der Pensionsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit liegen dürfte. Freilich wird man dazu schon früh im Erwerbsleben und vor allem bei der Erhaltung der psychischen Gesundheit am und durch den Arbeitsplatz ansetzen müssen.*
Die sozialpolitisch vertretbarsten Spielräume bestehen derzeit bei der Anpassung des Frauenpensionsalters,* deren Vorziehung immer wieder diskutiert wird, aber auch in einer Anhebung des Regelpensionsalters um ein oder zwei Jahre.* Dies setzt aber vor allem voraus, dass auch die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen weiter ansteigt, sodass sich einerseits die Beitragseinnahmen erhöhen und die spätere Inanspruchnahme von Pensionsleistungen nicht durch andere budgetwirksame Sozialleistungen, wie Rehabilitationsgeld oder Arbeitslosengeld kompensiert werden muss, wie dies derzeit noch der Fall ist.
Komplexe Herausforderungen, die sich auch in Zukunft nicht nur an die Politik, sondern vor allem auch an die Wirtschaftstreibenden richten. Aber die gesetzliche PV hat in ihrer Geschichte – wie wir gesehen haben – schon öfter schwierige Zeiten erfolgreich bewältigt. Ihr Wert für den Fortbestand des sozialen Friedens in einer solidarischen Gesellschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.499