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Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld auf Basis ausländischen Einkommens

DOMENICORIEF (INNSBRUCK)
  1. Die in § 24 Abs 1 Z 2 iVm § 24 Abs 2 KBGG enthaltene Beschränkung auf eine lediglich in Österreich ausgeübte sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ist als unionsrechtswidrig zu qualifizieren und daher wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unbeachtet zu lassen (RS0109951 [T1]).

  2. § 15 Abs 1a MSchG schließt zwar eine gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz nach dem MSchG durch beide Elternteile grundsätzlich aus. Es lässt sich dieser Bestimmung jedoch nicht entnehmen, dass auch die Inanspruchnahme der deutschen Elternzeit durch einen Elternteil die gleichzeitige Inanspruchnahme einer österreichischen Karenz durch den anderen Elternteil ausschließt.

  3. Ein Lebensmonat endet an dem Tag, der dem nach seiner Zahl dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangeht. Denn die Berechnung von Altersstufen ist nicht nach § 902 Abs 2 ABGB vorzunehmen; der Tag der Geburt wird mitgerechnet.

  4. Die Ansicht, dass die Höhe des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes 0 sein müsste, wenn keine österreichischen Einkünfte vorliegen, aufgrund derer ein für die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes maßgebliches fiktives Wochengeld berechnet werden könne, ist unrichtig. Erwerbseinkommen von Personen, die nicht den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats unterliegen, ist für die Berechnung von einkommensabhängigen Familienleistungen dem Grunde nach zu berücksichtigen.

Der Kl ist Vater eines am 29.3.2013 geborenen Sohnes. Er lebt mit dem Kind und dessen Mutter im gemeinsamen Haushalt in Österreich. Sie alle sind österreichische Staatsbürger und haben ihren Lebensmittelpunkt in Österreich. Für das Kind wird die österreichische Familienbeihilfe bezogen. In den letzten sechs Monaten vor der Geburt des Kindes übte der Kl in Österreich keine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit aus. Er ist seit 1999 in Deutschland beschäftigt und auch in den letzten sechs Monaten vor der Geburt des Kindes einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit in Deutschland nachgegangen.

Die Mutter des Kindes und Ehefrau des Kl ist seit August 2007 in Österreich beschäftigt. Sie bezog bis 26.6.2013 Wochengeld und vom 27.6. bis 31.8.2013 einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld von 55,51 € täglich. Während der Karenz seiner Ehefrau nach dem MSchG war der Kl vom 1.9. bis 31.10.2013 in deutscher Elternzeit.

Die bekl Gebietskrankenkasse lehnte mit Bescheid vom 27.11.2013 die Gewährung eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 1.9. bis 31.10.2013 an den Kl ab, weil er in den letzten sechs Monaten vor der Geburt des Kindes in Österreich keine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. [...]

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Der Kl ist Grenzgänger gemäß der Definition nach Art 1 lit f VO (EG) 883/2004 (im Folgenden VO 883/2004), in deren persönlichen Geltungsbereich er sowie seine Ehefrau und sein Kind (Familienangehörige gem Art 1 lit i VO 883/2004) fallen.

2. Der sachliche Geltungsbereich der Verordnung umfasst ua alle Rechtsvorschriften (Art 1 lit l VO 883/2004), die Leistungen bei Krankheit und bei Mutterschaft sowie gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft (Art 3 Abs 1 lit a und b VO 883/2004) und Familienleistungen (Art 3 Abs 1 lit j VO 883/2004) betreffen.

2.1 Familienleistungen definiert Art 1 lit z VO 883/2004 dahin, dass darunter alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten fallen, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I. Das österreichische Kinderbetreuungsgeld fällt unter diesen Begriff der Familienleistung (10 ObS 117/14z; 10 ObS 27/08f, SSV-NF 22/65 = DRdA 2010/24, 310 [Spiegel] mwN ua; RIS Justiz RS0122905; Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 1 VO 883/2004 Rz 80; vgl EuGHC-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg 2005, I-5049). Es ist wie auch das Elterngeld nach dem deutschen Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz BEEG (vgl EuGHC-347/12, Wiering, EU:C:2014:300, Rz 27 ff und 43) eine Geldleistung an Eltern, die im Hinblick auf die Betreuung (Erziehung) des Kindes für eine bestimmte Zeit nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sind. [...]

3. Familienleistungen werden nach den Bestimmungen des Titels III Kapitel 8 der VO 883/2004 koordiniert (Art 67 69 VO):

3.1 Art 67 VO 883/2004 sieht einen Anspruch auf Export von Familienleistungen für Familienangehörige vor, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Zuständig für den Export von Familienleistungen ist jener Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften gem Art 11 ff VO 883/2004 anwendbar sind. Nach der Grundregelung in Art 11 Abs 1 VO 883/2004 unterliegen Personen, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsordnung hiefür in Frage kommt, bestimmt Art 11 Abs 3 VO 883/2004. Nach dem im gegebenen Zusammenhang relevanten Art 11 Abs 3 lit a VO 883/2004 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Vorschriften dieses Mitgliedstaats.

3.2 Art 68 Abs 1 VO 883/2004 normiert Prioritätsregeln, wenn Ansprüche auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen zusammentreffen. Diese Bestimmung legt somit, um Doppelleistungen zu vermeiden, für den Fall der Kumulierung von Anspruchsberechtigungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten fest, welche Staaten vorrangig zuständig sind. Art 60 Abs 1 zweiter Satz VO (EG) 987/2009 bestimmt für259 die Anwendung von Art 67 und 68 VO 883/2004, insb was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, dass vom zuständigen Träger die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen („Familienbetrachtungsweise“). Dies bedeutet, dass für die Frage, ob ein Anspruch auf Familienleistungen besteht und in welcher Höhe dieser gebührt, die gesamte Situation der Familie vom zuständigen Träger zu berücksichtigen ist, auch wenn gewisse Sachverhaltselemente (zB Wohnsitz oder Beschäftigungsort) in einem anderen Mitgliedstaat liegen oder dort eingetreten sind (zB Arbeitsverdienst bzw Erwerbseinkommen). Die Familienbetrachtungsweise stellt somit im Ergebnis eine spezielle Ausprägung der Sachverhaltsgleichstellung iSd Art 5 VO 883/2004 dar (Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 60 VO 987/2009 Rz 1).

3.3 Die Prioritätsregeln selbst sind in Art 68 Abs 1 VO 883/2004 in Form einer Kaskade aufgebaut. Die Rangfolge wird danach bestimmt, aus welchem Grund die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zur Anwendung kommen. Das anzuwendende Recht wird durch Art 11 Abs 3 VO 883/2004 festgelegt. Gem Art 68 Abs 1 lit a VO 883/2004 stehen an erster Stelle Ansprüche, die deshalb bestehen, weil die betreffende Person im jeweiligen Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt. Diesen nachgereiht sind Ansprüche, die durch eine Rente ausgelöst werden. Darauf folgen an letzter Stelle Ansprüche, die aufgrund des Wohnsitzes bestehen. Unerheblich ist hingegen, ob nach innerstaatlicher Systematik der Anspruch auf Familienleistungen durch eine Beschäftigung oder durch den Wohnsitz im Inland ausgelöst wird. Für den Fall, dass ein Anspruchskonflikt deshalb besteht, weil die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten jeweils aus dem gleichen Grund (nämlich Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit; Rentenbezug; Wohnort) zur Anwendung kommen, bestimmt Art 68 Abs 1 lit b VO 883/2004 jenen Staat als vorrangig zuständig, in dem auch die Kinder ihren Wohnort haben (Felten in

Spiegel
, Art 68 VO 883/2004 Rz 2 ff). Wohnt daher eine Familie beispielsweise in Österreich und gehen sowohl Vater als auch Mutter einer Beschäftigung nach, wobei aber der Vater in Deutschland als AN beschäftigt ist, so sind sowohl die deutschen als auch die österreichischen Rechtsvorschriften anzuwenden; beide aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung. In diesem Fall ist gem Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO 883/2004 Österreich vorrangig zuständig, da hier auch die Kinder ihren Wohnsitz haben. In diesem Sinne gingen die Vorinstanzen davon aus, dass der Kl aufgrund seiner Beschäftigung in Deutschland Anspruch auf Elterngeld (§ 1 BEEG) nach deutschem Recht hat, seine Ehefrau aufgrund ihrer Beschäftigung in Österreich Anspruch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld nach österreichischem Recht hat, wobei Österreich gem Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO 883/2004 vorrangig zuständig ist, weil das Kind in Österreich wohnt.

3.4 Dieser Auffassung war auch die Bekl noch im Berufungsverfahren. In ihrer Revision vertritt sie jedoch nunmehr den Standpunkt, da der Kl mit Wissen und Willen seiner Ehefrau vom 1.9. bis 31.10.2013 in deutscher Karenz gewesen sei, sei ein Ende der Karenz der Ehefrau mit Beginn der Karenz des Kl anzunehmen. Nach österreichischem Recht sei nämlich eine gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz durch beide Elternteile nicht zulässig. Im Zeitraum vom 1.9. bis 31.10.2013 habe die Ehefrau des Kl keine Beschäftigung ausgeübt und sich mangels Vorliegens einer Karenz nach dem MSchG auch nicht in einer gleichgestellten Situation befunden. Die Ehefrau des Kl sei daher im verfahrensgegenständlichen Zeitraum den österreichischen Rechtsvorschriften nicht aufgrund einer Beschäftigung, sondern aufgrund des Wohnorts unterlegen. Es sei somit Deutschland vorrangig leistungszuständig. [...] Im Übrigen schließt zwar § 15 Abs 1a MSchG eine gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz nach dem MSchG durch beide Elternteile grundsätzlich aus. Es lässt sich dieser Bestimmung jedoch nicht entnehmen, dass auch die Inanspruchnahme der deutschen Elternzeit durch einen Elternteil die gleichzeitige Inanspruchnahme einer österreichischen Karenz durch den anderen Elternteil ausschließt.

3.8 Da somit die Karenzzeit der Ehefrau des Kl als „Beschäftigung“ iSd Art 68 VO 883/2004 anzusehen ist, ist nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen Österreich gem Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO 883/2004 der für die Gewährung von Familienleistungen im verfahrensgegenständlichen Zeitraum vorrangig zuständige Mitgliedstaat, weil hier auch der Wohnort des Kindes ist (vgl Felten in

Spiegel
, Art 60 VO 987/2009 Rz 2). [...]

4. Unzutreffend ist die Ansicht der Bekl, die vom Kl begehrte Bezugsdauer erfülle im Hinblick auf § 902 Abs 2 ABGB nicht das Erfordernis des § 5 Abs 4 KBGG, wonach die Leistung in einem Block von mindestens zwei Monaten beansprucht werden könne. Da der Kinderbetreuungsgeldbezug am 1.9.2013 beginnen solle, ende die zweimonatige Mindestfrist (erst) am 1.11.2013.

4.1 Eigentlicher Anwendungsbereich der §§ 902 bis 904 ABGB sind alle materiell rechtlichen Fristen des Privatrechts (9 ObA 803/94; Reischauer in

Rummel/Lukas
, ABGB4 § 902 Rz 1). Die Mindestbezugsdauer nach § 5 Abs 4 KBGG wie auch die Dauer der Ansprüche nach dem KBGG sind aber materielles öffentliches Recht. Der Ablauf einer materiellen Frist des Verwaltungsrechts ist in analoger Anwendung der §§ 902 f ABGB zu ermitteln, soweit es an spezifischen verwaltungsrechtlichen Regeln mangelt ( Ob 9/03k1, SZ 2003/29 = RIS Justiz RS0117587; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 902 Rz 13 mwN).

4.2 Aus § 4 Abs 1 KBGG, wonach das Kinderbetreuungsgeld (frühestens) ab dem Tag der Geburt des Kindes gebührt, ergibt sich, dass die Leistung bereits am ereignisauslösenden Tag zu erbringen ist. Die je nach Kinderbetreuungsgeldvariante unterschiedliche Höchstanspruchsdauer stellt auf die Vollendung bestimmter Lebensmonate des Kindes ab (§ 5 Abs 1, 2 und 4a, § 5a Abs 3, § 5b Abs 3, § 5c Abs 3, § 24b KBGG). Ein Lebensmo-260nat endet an dem Tag, der dem nach seiner Zahl dem Geburtstag entsprechenden Tag vorangeht (vgl ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 62 zum KBGG). Denn die Berechnung von Altersstufen ist nicht nach § 902 Abs 2 ABGB vorzunehmen; der Tag der Geburt wird mitgerechnet (vgl Reischauer in

Rummel/ Lukas
, ABGB4 § 902 Rz 6; Binder/Kolmasch in
Schwimann/Kodek
, ABGB4 § 902 f Rz 29; Kietaibl in
Kletecka/Schauer
, ABGB ON1.01 § 902 Rz 13; Aichberger/Beig in
Fenyves/Kerschner/Vonkilch
, Klang3 § 903 Rz 9). Diese Bestimmungen über den Beginn und den Endzeitpunkt der maximalen Anspruchsdauer stehen der Regel, dass der den Fristenlauf auslösende Tag bei Tages-, Monatsoder Jahresfristen nicht einzurechnen ist (§ 902 Abs 1 und 2 ABGB), entgegen. Der vom Kl beantragte Bezugszeitraum erfüllt daher die Mindestbezugsdauer von zwei Monaten. [...]

5. Eine besondere Voraussetzung des Anspruchs eines Elternteils auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind als Ersatz des Erwerbseinkommens (§§ 24 bis 24d KBGG) ist, dass dieser Elternteil in den letzten sechs Monaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes in Österreich eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat (§ 24 Abs 1 Z 2 iVm § 24 Abs 2 KBGG). [...]

5.2 Weiters erfordert das in Art 5 VO 883/2004 enthaltene Gebot der Tatbestandsgleichstellung, dass jeder Mitgliedstaat (bzw deren zuständiger Träger) bei der Anwendung und Auslegung des eigenen Rechts der sozialen Sicherheit die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats verwirklichten Rechtstatbestände oder die in einem anderen Mitgliedstaat verwirklichten Sachverhalte berücksichtigt, als hätten sich diese nach den eigenen Rechtsvorschriften oder auf dem eigenen Staatsgebiet ereignet, sofern es sich um gleichartige Verhältnisse oder entsprechende Sachverhalte handelt. In diesem Sinne müssen nach der Judikatur des EuGH beispielsweise ausländische Krankheits- und Arbeitslosigkeitszeiten dieselbe neutralisierende Wirkung wie entsprechende inländische Zeiten haben. Auch Kindererziehungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat müssen wie entsprechende inländische Zeiten in der PV berücksichtigt werden. Wenn Zeiten der Meldung als Arbeitssuchender die Bezugsdauer einer Familienleistung verlängern können, muss das auch für entsprechende ausländische Zeiten gelten (vgl Spiegel in

Spiegel
, Art 5 VO 883/2004 Rz 9 mwN).

5.3 Aufgrund dieser Erwägungen ist die in § 24 Abs 1 Z 2 iVm § 24 Abs 2 KBGG enthaltene Beschränkung auf eine lediglich in Österreich ausgeübte sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit als unionsrechtswidrig zu qualifizieren (vgl Felten in

Spiegel
, Art 60 VO 987/2009 Rz 3) und daher wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unbeachtet zu lassen (vgl 10 ObS 117/14z; RIS-Justiz RS0109951 [T1]). [...]

6. Die Revisionswerberin meint weiters zu Unrecht, selbst bei einer Gleichstellung der deutschen Beschäftigungszeiten des Kl müsste die Höhe des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes für den Kl 0 sein, weil er keine österreichischen Einkünfte habe, aufgrund derer ein für die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes Kinderbetreuungsgeldes maßgebliches fiktives Wochengeld (§ 24 Abs 1 Z 3 KBGG) berechnet werden könne.

6.1 Aus dem Urteil des EuGH in der Rs C-257/10, Bergström, EU:C:2011:839, Rz 52, ergibt sich nämlich, dass das Erwerbseinkommen von Personen, die nicht den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats unterliegen, für die Berechnung von einkommensabhängigen Familienleistungen dem Grunde nach zu berücksichtigen ist, auch wenn nach den Koordinierungsregeln für die Berechnung des Betrags der Familienleistung das Recht des Mitgliedstaats des zuständigen Trägers anzuwenden ist und dieses für die Berechnung auf Einkommen im betreffenden Mitgliedstaat abstellt. Sonst erlangte die Auslegung des Art 6 VO 883/2004 keine praktische Wirksamkeit und würde dem Gleichbehandlungsgebot (Art 4 VO 883/2004) nicht Genüge getan.

7. Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren des Kl mit einem Grundurteil nach § 89 Abs 2 ASGG erledigt und der Bekl gleichzeitig aufgetragen, dem Kl bis zur Erlassung eines die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung zu erbringen. Damit wurde der Entscheidungsstoff durch das Grundurteil auf den Grund des Klagebegehrens eingeschränkt, während die Bestimmung der Anspruchshöhe dem Versicherungsträger überantwortet wurde. Dessen Bescheid über die Höhe des dem Grunde nach vom Gericht zuerkannten Anspruchs kann (erneut) bei Gericht angefochten werden (Neumayr in Zell-Komm2 § 89 ASGG Rz 3 ff mwN). Auf die Frage, ob iSd zur Rechtslage nach der VO (EWG) 1408/71 ergangenen Urteils des EuGH in der Rs C-257/10, Bergström, EU:C:2011:839, das wochengeldwirksame Einkommen des Kl unter Berücksichtigung des Einkommens einer Person berechnet werden muss, die in Österreich eine Tätigkeit ausübt und über eine berufliche Erfahrung und berufliche Qualifikation verfügt, die mit denen des Kl vergleichbar sind, oder der Berechnung im Hinblick auf die in Art 5 VO 883/2004 angeordnete Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen das in Deutschland aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen des Kl zugrunde zu legen ist (vgl Felten in

Spiegel
, Art 60 VO 987/2009 Rz 3), muss daher im vorliegenden Verfahren nicht eingegangen werden.

Der Revision der Bekl war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen.

ANMERKUNG

Dieses Urteil löst zwei insb für GrenzgängerInnen wichtige Fragen, nämlich einerseits, ob ihnen entgegen dem Wortlaut des § 24 KBGG Kinderbetreuungsgeld auch in der einkommensabhängigen Variante zusteht und andererseits, ob eine gleichzeitige Inanspruchnahme von deutscher Elternzeit und österreichischer Karenz für beide Elternteile auch nach österreichischem Recht erlaubt ist. Das deutsche Recht ist in diesem Punkt nämlich deutlich familienfreundlicher und stellt es den Eltern frei, auch gemeinsam ihre Elternzeit zu verbringen. Neben-261bei wird auch noch ein Fristenberechnungsproblem gelöst, das in der Praxis bei „unerwünschten“ AntragstellerInnen von den Krankenversicherungsträgern gern als letztes Argument herangezogen wird, um sich die Zahlung von Kinderbetreuungsgeld in der gerade bei Vätern sehr beliebten Dauer von zwei Monaten mit der Begründung zu ersparen, die Mindestdauer sei nicht eingehalten worden.

1.
Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für GrenzgängerInnen

Dass die Beschränkung auf eine lediglich in Österreich ausgeübte sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld als unionsrechtswidrig zu qualifizieren ist, lag auf der Hand. Es war aber im Hinblick auf die auszahlenden Krankenversicherungsträger und das weisungsbefugte BMFJ höchst an der Zeit, dass sechs Jahre nach Inkrafttreten dieser Regelung der offensichtlichen Diskriminierung von im EU-Ausland beschäftigten AN mit Wohnsitz in Österreich höchstgerichtlich ein Ende gesetzt wurde.

2.
Gleichzeitige Inanspruchnahme von deutscher Elternzeit und österreichischer Karenz

In jenen Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens, in denen ein Elternteil dem deutschen (beispielsweise als GrenzgängerIn) und der andere Elternteil dem österreichischen Arbeitsrecht unterliegt, kommt häufig die Frage auf, ob eine gleichzeitige Inanspruchnahme der österreichischen Karenz mit der deutschen Elternzeit aus Sicht des in Österreich beschäftigten Elternteils möglich und erlaubt ist. § 15 Abs 3 des deutschen Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (BGBl I, 2748 ff) gestattet ausdrücklich, dass Elternzeit auch von beiden Elternteilen gemeinsam und zeitgleich in Anspruch genommen werden kann. § 15 Abs 1a des österreichischen MSchG ist hingegen in seinem Wortlaut sehr eindeutig und verbietet mit Ausnahme eines überlappenden Monats aus Anlass des erstmaligen Wechsels (§ 15a Abs 2 MSchG) die gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz durch beide Elternteile. Die deutsche Elternzeit ist eine arbeitsrechtliche Freistellung zur Kindererziehung und entspricht in gewisser Weise der österreichischen Karenz (so auch vom OGH in einem Klammerausdruck festgehalten), sie kann aber auch mit Teilzeitarbeit bis zu 30 Stunden verbunden werden und würde in dieser Form eher mit unserer Elternteilzeit verglichen werden können. Bei einer europarechtlichen Interpretation des Wortes Karenz in § 15 Abs 1a MSchG lag es bisher nahe, dass jeglicher Freistellungsanspruch in den ersten Lebensmonaten bzw Lebensjahren nach der Geburt für unselbständig beschäftigte Eltern, unabhängig davon, ob dieser auf das österreichische MSchG/VKG oder auf eine arbeitsrechtliche Rechtsquelle eines anderen EU-Mitgliedstaates gestützt wird, darunter zu verstehen ist. Erstens spricht § 15 Abs 1a MSchG nicht von Karenz iS dieses Gesetzes, sondern verwendet nur das Wort Karenz. Würde nun dieser Begriff im deutschen Recht auch Karenz und nicht Elternzeit lauten, wäre dann eine gleichzeitige Inanspruchnahme nicht erlaubt? Und wie ist mit Übersetzungen aus anderen Sprachen umzugehen? Es kann doch keinen Unterschied machen, ob ein Anspruch „parental leave“, „congedo parentale“ oder eben „Elternzeit“ heißt. Der OGH geht in diesem Urteil nicht näher darauf ein, sondern stellt kurzerhand fest, dass sich dem MSchG nicht entnehmen lässt, dass die Inanspruchnahme der deutschen Elternzeit durch einen Elternteil die gleichzeitige Inanspruchnahme einer österreichischen Karenz durch den anderen Elternteil ausschließt. Das mag durchaus daran liegen, dass diese Frage erst im Rahmen der Revision von der Bekl aufgeworfen wurde und der OGH das Vorbringen, dass die Karenz der Mutter dadurch zwei Monate früher endete, dem Neuerungsverbot unterwarf, was ebenfalls kritisch gesehen werden kann. Eine nähere Betrachtung dieses Aspekts des Urteils würde diese Ausführungen aber sprengen und rein prozessualer Natur sein.

Summa summarum eröffnet der OGH durch diesen Spruch Paaren, die in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten arbeiten, die Möglichkeit, zeitgleich eine Freistellung zur Erziehung der Kinder in Anspruch zu nehmen, was rein innerösterreichischen Familienkonstellationen leider nach wie vor verwehrt bleibt. Anstatt aus Anlass dieses Urteils die österreichische Rechtslage der familienfreundlicheren deutschen Regelung anzupassen und die Bestimmung des § 15 Abs 1a MSchG (bzw den gleichlautenden letzten Satz des § 2 Abs 1 VKG) zu streichen, hat der österreichische Gesetzgeber exakt gegenteilig reagiert. Der Entwurf zur Änderung des KBGG zur Einführung eines Kinderbetreuungsgeldkontos, welcher vom BM für Familien und Jugend Ende Januar 2016 in Begutachtung geschickt wurde (Begutachtungsverfahren zum Entwurf eines BG, mit dem ein Gesetz über die Gewährung eines Bonus für Väter während der Familienzeit [FamilienzeitbonusgesetzFamZeitbG] erlassen wird sowie das KBGG, das ASVG, das FLAG 1967, die EO und das EStG 1988 geändert werden; BMFJ-524600/0001-BMFJ – I/3/2016), will entgegen dem klaren Wortlaut dieses OGH-Urteils der gleichzeitigen Inanspruchnahme von österreichischer Karenz und deutscher Elternzeit in Zukunft einen Riegel vorschieben (vgl Erl zu Art 2 Z 32, zweiter Absatz, S 11 zum oben genannten Entwurf).

3.
Fristenberechnung im KBGG

Gerade bei der Mindestbezugsdauer von zwei Monaten spielt die richtige Berechnung dieser Frist eine bedeutende Rolle. Müsste diese – wie nicht nur von der Bekl des Ausgangsverfahrens, sondern auch in anderen Fällen von Krankenversicherungsträgern bereits gefordert (vgl LG Innsbruck 10.11.2015, 76 Cgs 60/15p) – tatsächlich gem § 902 Abs 2 ABGB berechnet werden, hätte dies insb für Väter oftmals den gänzlichen Verlust des Kinderbetreuungsgeldanspruches zur Folge. Diese Berechnung hätte übertragen auf die 20+4-Variante des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes auch262 eine Kollision mit der maximalen Anspruchsdauer der Karenz nach dem MSchG/VKG herbeigeführt, die gem § 15 MSchG bzw § 2 VKG mit Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes endet, somit auch am Tag vor dem zweiten Geburtstag. Im Übrigen entspricht die vom OGH als richtig bestätigte Berechnungsart der allgemein üblichen Praxis, die meiner Erfahrung nach bislang nur bei grenzüberschreitenden Fällen von den Krankenversicherungsträgern thematisiert und angezweifelt wurde.

4.
Die Berechnung der Anspruchshöhe bleibt ungeklärt

Eine letzte wichtige Frage, die im Zuge dieses Urteils letztinstanzlich hätte geklärt werden können, bleibt für den Kl des Ausgangsverfahrens offen und wird wohl – wie der OGH bereits andeutet (der „Bescheid über die Höhe des dem Grunde nach vom Gericht zuerkannten Anspruchs kann [erneut] bei Gericht angefochten werden“ [OGH 22.10.2015, 10 ObS 148/14h, Rn 7]) – in einem späteren Verfahren einer Lösung zugeführt werden müssen. Es geht um die Berechnung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens auf Basis des ausländischen Einkommens. Der OGH beschränkt sich hier darauf, in Anlehnung an den EuGH in der Rs Bergström (C-257/10, EU:C:2011:839) festzustellen, dass das ausländische Einkommen dem Grunde nach zu berücksichtigen ist. Die Krux liegt hier jedoch im Detail, nämlich darin, ob das ausländische Brutto- (Arg „dem Grunde nach“) oder Nettoeinkommen herangezogen werden muss bzw welche Abzüge vom Bruttoeinkommens zu berücksichtigen sind. GrenzgängerInnen, wie auch der Kl des Ausgangsverfahrens, sind gem Art 11 Abs 3 lit a) der VO 883/2004/EU jedenfalls im Beschäftigungsstaat, hier Deutschland, sozialversicherungspflichtig. Ihre Steuer müssen AN, die täglich von Österreich nach Deutschland pendeln und innerhalb der Grenzzone wohnen bzw arbeiten und somit die GrenzgängerInneneigenschaften aus steuerrechtlicher Sicht erfüllen, gem Art 15 Abs 6 DBA Österreich-Deutschland (Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl III 2002/182 idF BGBl III 2012/32) hingegen in Österreich abführen. Handelt es sich jedoch nicht um eine/n GrenzgängerIn iSd Art 15 DBA oder ist er/sie im öffentlichen Dienst in Deutschland beschäftigt (Art 19 DBA), liegt die Steuerpflicht in Deutschland. In diesem Fall ist das deutsche Einkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gem Art 23 Abs 2 DBA von der österreichischen Einkommenssteuer befreit. Zur konkreten Steuerpflicht des Kl im Ausgangsverfahren ergibt sich nichts aus den Sachverhaltsdarstellungen im Urteil.

Ein fiktives Wochengeld für Österreich zu berechnen, um gem § 24a Abs 1 Z 3 KBGG auf die Höhe des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes zu kommen, dürfte bei Vorliegen einer Sozialversicherungs- und Steuerpflicht in Deutschland zwar komplizierter sein, ist aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Gem § 162 Abs 3 ASVG berechnet sich das Wochengeld nach dem Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft vermindert um die gesetzlichen Abzüge. Die gesetzlichen Abzüge des Kl sind hier eben nicht die österreichischen, sondern die deutschen Sozialversicherungsabgaben und eventuell anfallende Steuern. Dies ergibt sich bereits aus einer wörtlichen Auslegung des § 162 Abs 3 ASVG und wird auch durch die teleologische Interpretation gestützt. Immerhin soll mit dem Wochengeld während des Beschäftigungsverbotes das bisherige Nettoeinkommen erzielt werden und dieses ergibt sich nur durch Berücksichtigung der tatsächlichen ausländischen Abzüge. Die alternative Heran ziehung der fiktiven österreichischen Abzüge auf Basis des Bruttogehaltes dürfte vom Sinn und Zweck der Wochengeldberechnung daher nicht gedeckt sein. Zudem würde diese Vorgehensweise dem Gebot der Gleichstellung von Einkünften gem Art 5 lit a) VO 883/2004/EU widersprechen. ME müsste somit die Bekl des Ausgangsverfahrens auf Basis des realen Nettoeinkommens des Kl das fiktive Wochengeld und daraus das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld berechnen.

Alternativ – aber mE nur subsidiär, wenn das fiktive Wochengeld unmöglich zu berechnen ist (vgl § 24a Abs 1 Z 5: „sofern Z 1 bis 4 nicht anwendbar sind“) – müsste für die Berechnung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auf die Formel des § 24a Abs 1 Z 5 zurückgegriffen werden. Hierfür sind die maßgeblichen Einkünfte gem § 24a Abs 3 KBGG zu definieren. § 24a Abs 3 KBGG verweist auf den Einkommenssteuerbescheid, nimmt aber keinerlei Bezug darauf, ob es sich um einen österreichischen Einkommenssteuerbescheid handeln muss. In europarechtskonformer Auslegung kann dies auch nicht gemeint sein, selbst wenn dieser Paragraph bei der Definition der Einkünfte auf das österreichische EStG verweist und dies systematisch näher läge. § 2 Abs 3 Z 4 EStG, auf den hier verwiesen wird, spricht nur von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die der Kl des Ausgangsverfahrens durch sein Dienstverhältnis in Deutschland vorweisen kann. Nicht nur das Abstellen auf österreichische Einkünfte – wie es von der Bekl vorgebracht und vom OGH hier bereits für europarechtswidrig erklärt wurde –, sondern auch das Abstellen auf einen österreichischen Einkommenssteuerbescheid widerspräche eindeutig dem Gleichbehandlungsgebot der Art 4 und 5 der VO 883/2004/EU sowie dem allgemeinen Diskriminierungs- bzw Beschränkungsverbot, das sich aus der AN-Freizügigkeit (Art 45 AEUV) ergibt. Das Verlangen eines österreichischen Einkommenssteuerbescheides beschränkt einerseits ÖsterreicherInnen, die im EU-Ausland arbeiten möchten, da die Inanspruchnahme der AN-Freizügigkeit außerhalb der Grenzzone weniger attraktiv würde, und diskriminiert andererseits in mittelbarer Weise insb UnionsbürgerInnen, die als (steuerrechtliche) GrenzgängerInnen in Österreich arbeiten, aber in Deutschland steuerpflichtig bleiben. Ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der diese Diskriminierung/Beschränkung rechtfertigen könnte, ist mE nicht gegeben.263