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Weiterhin keine Bescheidpflicht bei pflichtgemäßem Ermessen der Pensionsversicherung

WOLFGANGPANHÖLZL (WIEN)
  1. Nach § 222 Abs 3 ASVG idF SRÄG 2012 treffen die Pensionsversicherungsträger „überdies – unbeschadet der Leistungen nach Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 Z 2 lit a“ aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit – Maßnahmen der Rehabilitation (§ 301 ASVG). Korrespondierend dazu bestimmt § 301 Abs 1 ASVG idF SRÄG 2012, dass die Pensionsversicherungsträger die Maßnahmen der Rehabilitation nach den §§ 302 bis 304 ASVG – unbeschadet der §§ 253f, 270b und 276f ASVG – nach pflichtgemäßem Ermessen gewähren.

  2. § 367 Abs 1 ASVG idF SRÄG 2012 ist daher einschränkend dahin auszulegen, dass eine Bescheidpflicht über die Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation aus der PV nur nach dem § 253f bzw § 270b ASVG besteht. Auch im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 ist demnach weiterhin an der Rsp festzuhalten, nach der Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation ohne Zusammenhang mit einem Pensionsverfahren vom Pensionsversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Bescheidpflicht zu erbringen sind.

  3. In der PV besteht damit ein „Nebeneinander“ von medizinischer Rehabilitation als Pflichtleistung und medizinischer Rehabilitation nach pflichtgemäßen Ermessen. Auf erstere besteht im Zusammenhang mit einem Pensionsantrag ein Rechtsanspruch mit Bescheidpflicht des Pensionsversicherungsträgers, zweitere (ohne Pensionsantrag) wird nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Bescheidpflicht des Pensionsversicherungsträgers gewährt.

Der Kl ist seit einem Verkehrsunfall im Jahr 1981 oberschenkelamputiert und derzeit bei einer Versicherung im Außendienst tätig. Am 5.7.2012 beantragte er bei der bekl Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation durch Übernahme der Kosten für eine Oberschenkelprothese mit einem mikroprozessorgesteuerten Genium-Bionic-Kniegelenk in Höhe von 63.281,34 €.

Nachdem die Bekl diesen Antrag mittels formloser Mitteilung vom 9.4.2014 abgelehnt hatte, stellte der Kl mit Schreiben vom 12.5.2014 einen Antrag auf Ausstellung eines Bescheids.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23.6.2014 wies die Bekl diesen Antrag gem den §§ 253f, 300, 301, 302 iVm § 367 ASVG zurück. Als Begründung wurde ausgeführt, dass die Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation außerhalb eines Leistungsfeststellungsverfahrens im Rahmen eines Pensionsantrags als freiwillige Leistung weiterhin nicht mit individuellem Rechtsanspruch ausgestattet sei und nicht der Bescheidpflicht unterliege. Auf außerhalb eines Leistungsfeststellungsverfahrens gestellte Anträge auf Gewährung medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen sei die Neuregelung des § 367 Abs 1 ASVG durch das SRÄG 2012, BGBl I 2013/3 nicht anwendbar.

Der Kl brachte dazu im Wesentlichen vor, er benötige zum Ausgleich seiner Behinderung und zur Bewältigung seines beruflichen und privaten Alltags die beantragte Oberschenkelprothese mit dem Genium-Bionic-Kniegelenkssystem. Diese Prothese sei unbedingt erforderlich und übersteige nicht das Maß des Notwendigen. Sein Antrag auf Bescheiderlassung sei nach dem Inkrafttreten der Neuregelung des § 367 Abs 1 ASVG durch das SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, erfolgt, welche ausdrücklich eine Bescheidpflicht auch bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation aus der PV vorsehe. Es liege mit dem angefochtenen Bescheid auch inhaltlich eine Sachentscheidung vor, weil in der Begründung darauf hingewiesen werde, dass die beantragte Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation nicht erfolge, weil die bestehende Versorgung für ausreichend erachtet werde. [...]

Die Bekl beantragte die Zurück- bzw Abweisung der Klage und wendete im Wesentlichen ein, nach § 367 ASVG seien Leistungen aus der PV nach § 222 Abs 1 Z 2 lit a ASVG, somit Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, von der Bescheidpflicht ausdrücklich ausgenommen. Ein Anspruch auf Bescheiderlassung würde nur dann bestehen, wenn es sich um ein Leistungsfeststellungsverfahren nach § 253f ASVG handeln würde, somit vom Versicherten ein Antrag auf Invaliditätspension gestellt worden wäre und im Falle des Vorliegens vorübergehender Invalidität über Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation abzusprechen sei. Ein diesbezüglicher Antrag des Kl liege jedoch nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

[...] Es ist daher die zwischen den Parteien strittige Frage zu prüfen, ob die Bekl zur Erlassung eines Bescheids über die vom Kl beantragte Gewährung medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation in der PV gem § 302 Abs 1 Z 2 ASVG (Gewährung von Körperersatzstücken) verpflichtet war.

1. § 367 Abs 1 ASVG stellt eine verfahrensrechtliche Norm dar, die dem Abschnitt II „Verfahren in Leistungssachen“ zugeordnet ist und die Bescheide der Versicherungsträger in Leistungssachen regelt. Hat man sie auszulegen, ist sie nicht isoliert für sich zu sehen, sondern nur nach dem Gesetzeszusammenhang, also im Kontext mit den das (materielle) Leistungsrecht betreffenden Neuerungen des SRÄG 2012. Diese Neuerungen lassen sich – soweit für die vorliegende Frage relevant – wie folgt zusammenfassen:

1.1. Seit 1.1.2014 gilt für Versicherte, die nach dem 1.1.1964 geboren sind (also auch für den Kl), das neue Leistungsregime des SRÄG 2012. Für diese Personengruppe besteht ein Anspruch auf Invaliditätspension – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – nur mehr dann, wenn Invalidität (§ 255) aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands voraussichtlich dauerhaft vorliegt [...].

1.2. Bei Ablehnung einer beantragten Leistung auf Invaliditätspension mangels Vorliegens dauernder349 Invalidität hat der Versicherungsträger gem § 367 Abs 4 ASVG idF BGBl I 2015/2 von Amts wegen festzustellen, ob Invalidität iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG oder iSd § 255 Abs 3 ASVG vorliegt und wann sie eingetreten ist; ob die Invalidität voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird [...].

1.3. Personen, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität iSd § 255 Abs 1 und 2 oder 3 ASVG im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt, haben gem § 253f Abs 1 ASVG Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (§ 302 Abs 1), wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustands zweckmäßig ist. Die Maßnahmen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, dürfen jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Sie sind vom Pensionsversicherungsträger unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands und der Zumutbarkeit für die versicherte Person zu erbringen (§ 253f Abs 2 ASVG).

1.4. Personen, für die auf Antrag bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig (§ 303 Abs 3) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs 4) sind, haben gem § 143a ASVG ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität für deren Dauer Anspruch auf Rehabilitationsgeld.

2. Mit dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, ist für bestimmte Personengruppen (für die Jahrgänge ab 1964) somit ein Rechtsanspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation im Fall der Ablehnung der beantragten Pensionsleistung mangels Vorliegens dauernder Invalidität (Berufsunfähigkeit) und bei Feststellung vorübergehender Invalidität (Berufsunfähigkeit) im Ausmaß von mindestens sechs Monaten eingeführt worden (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 22). Leistungen der medizinischen Rehabilitation wurden daher in den Pflichtleistungskatalog der PV aufgenommen (vgl § 222 Abs 1 Z 2 lit a ASVG idF BGBl I 2015/2). Dieser Rechtsanspruch besteht – wie sich aus § 253f Abs 1 bzw § 270b Abs 1 ASVG eindeutig ergibt – im Wirkungsbereich der PV aber nur für jene Personen, deren Pensionsantrag iSd § 367 Abs 4 ASVG abgelehnt worden ist. Diese Personen haben einen Rechtsanspruch auf Leistung von (medizinischen) Rehabilitationsmaßnahmen, wenn derartige Maßnahmen zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit notwendig und nach dem Gesundheitszustand der versicherten Person zweckmäßig sind (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 22; Bergauer in

Mosler/Müller/Pfeil
, SV-Komm § 301 ASVG Rz 14; Müller, Pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation in der Arbeitslosenversicherung, DRdA 2014, 375 [378]).

3. Nach § 222 Abs 3 ASVG idF SRÄG 2012 treffen die Pensionsversicherungsträger „überdies – unbeschadet der Leistungen nach Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 Z 2 lit a“ aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit – Maßnahmen der Rehabilitation (§ 301 ASVG). Korrespondierend dazu bestimmt § 301 Abs 1 ASVG idF SRÄG 2012, dass die Pensionsversicherungsträger die Maßnahmen der Rehabilitation nach den §§ 302 bis 304 ASVG – unbeschadet der §§ 253f, 270b und 276f ASVG – nach pflichtgemäßem Ermessen gewähren.

3.1. Aus den beiden letzteren Regelungen folgt, dass die Pensionsversicherungsträger auch nach dem Inkrafttreten des SRÄG 2012 unbeschadet des Rechtsanspruchs auf medizinische Rehabilitation gem § 222 Abs 1 Z 2 lit a ASVG und unbeschadet der §§ 253f, 270b und 276f ASVG weiterhin Maßnahmen der Rehabilitation in der PV nach pflichtgemäßem Ermessen gewähren (Panhölzl in

Mosler/Müller/Pfeil
, SV-Komm § 222 ASVG Rz 28). Es besteht nach dem SRÄG 2012 somit ein „Nebeneinander“ von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der PV, die im Zusammenhang mit einem Pensionsantrag stehen und als Leistungssachen (Pflichtleistungen) mit bedingter Bescheidpflicht (siehe § 367 Abs 1 ASVG) ausgestaltet sind, und solchen Leistungen der medizinischen Rehabilitation aus der PV, die unabhängig von einem Pensionsantrag begehrt werden und vom Pensionsversicherungsträger – wie nach der Rechtslage vor dem SRÄG 2012 – nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen sind. Die Art der in Betracht kommenden Maßnahmen ist jedoch bei der nach pflichtgemäßem Ermessen (freiwilligen) zu erbringenden medizinischen Rehabilitation und bei jener mit Rechtsanspruch gleich und findet sich in der der freiwilligen Rehabilitation gewidmeten Bestimmung (§ 302 ASVG).

4. Dem Revisionsrekurswerber ist zuzugestehen, dass nach dem Wortlaut des § 367 Abs 1 Satz 1 ASVG die Bescheidpflicht (im Fall einer zumindest teilweisen Antragsablehnung über entsprechendes Begehren) nicht bloß auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation nach dem § 253f bzw § 270b ASVG eingeschränkt ist. Bei der Auslegung des § 367 Abs 1 ASVG ist aber auf das Ziel der mit dem SRÄG 2012 eingeführten Änderungen abzustellen, die Wiedereingliederung des Versicherten in den Arbeitsmarkt zu erreichen, zu welchem Zweck der Rechtsanspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation für Personen, die am 1.1.2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eingeführt wurde, deren Pensionsantrag wegen mangelnder dauernder Arbeitsunfähigkeit abgelehnt wurde (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 2). Berücksichtigt man weiters, dass diese medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen denjenigen entsprechen, die – wie in den Gesetzesmaterialien ausgeführt wird – “schon derzeit als freiwillige Leistungen gewährt werden“ (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 22), wird ersichtlich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine Bescheidpflicht des Versicherungsträgers über die Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation in der PV nach dem § 253f bzw § 270b ASVG geschaffen werden sollte, während weiterhin keine bescheidmäßige Erledigung für unabhängig von einem Pensionsantrag gestellte Anträge auf Gewährung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation aus der PV vorgesehen ist. Eine grundsätzliche Änderung der Rechtslage hinsichtlich der fehlenden Bescheidpflicht bei Anträgen auf Gewährung von350 medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen ohne Zusammenhang mit einem Pensionsantrag sollte mit dem SRÄG 2012 nicht herbeigeführt werden.

5. § 367 Abs 1 ASVG idF SRÄG 2012 ist daher einschränkend dahin auszulegen, dass eine Bescheidpflicht über die Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation aus der PV nur nach dem § 253f bzw § 270b ASVG besteht. Auch im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 ist demnach weiterhin an der Rsp festzuhalten, nach der Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation ohne Zusammenhang mit einem Pensionsverfahren vom Pensionsversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Bescheidpflicht zu erbringen sind (RIS-Justiz RS0084894; siehe auch Ziegelbauer in Sonntag, ASVG6 § 301 Rz 1).

6. Im vorliegenden Fall hat der Kl ausschließlich einen Antrag auf Gewährung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation unabhängig von einem Pensionsantrag gestellt, sodass sowie nach der Rechtslage vor dem SRÄG 2012 keine Verpflichtung des Pensionsversicherungsträgers zur Erlassung eines Bescheids gegeben ist (siehe RISJustiz RS0084894 [T1]). [...].

Die Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs erfolgte somit zu Recht. Der Revisionsrekurs bleibt daher ohne Erfolg.

ANMERKUNG

Die isolierte Auseinandersetzung mit dem SRÄG 2012 weicht der entscheidenden Frage aus, warum die Bescheidpflicht, die für die medizinische Rehabilitation in der KV gilt, nicht auch für die medizinische Rehabilitation in der PV gelten soll. Mit dieser Frage hat sich zwar die OGH-E vom 9.2.2010, 10 ObS 68/09m, bereits beschäftigt, aber die ihr nachfolgenden Reformen durch das BudgBeglG 2011 und das SRÄG 2012 haben den Bereich der Rehabilitation so weit verändert, dass sie neuerlich beantwortet werden muss.

1.
Die Entwicklung der medizinischen und beruflichen Rehabilitation

Bis zur 32. ASVG-Novelle war die Rehabilitation dem freien Ermessen der PV überlassen. § 300 regelte, die Pensionsversicherungsträger können Mittel aufwenden, um durch allgemeine Maßnahmen oder Maßnahmen im Einzelfall den Eintritt vorzeitiger Minderung der Arbeitsfähigkeit der Versicherten zu verhüten. Mit der 32. ASVGNovelle (BGBl 1976/704) wurde die Rehabilitation in der PV zur Pflichtaufgabe nach pflichtgemäßem Ermessen erhoben, aber einen Rechtsanspruch des Einzelnen wollte man vermeiden, weil die finanzielle und organisatorische Belastung nicht absehbar war. Wichtig im gegebenen Zusammenhang ist, dass für die Rehabilitation in der PV eine „Leistungsverpflichtung“ geschaffen wurde, die sich klar von den freiwilligen Leistungen der Festigung der Gesundheit (zB Kuraufenthalte) unterscheiden sollte (vgl 181 BlgNR 14. GP 44). Zudem waren die Maßnahmen auf „behinderte Personen“ zur Vermeidung einer Invaliditätspension beschränkt (vgl § 300 Abs 2 idF BGBl 1976/704).

Die 50. ASVG-Novelle (BGBl 1991/676) führte 1992 mit § 154a ergänzend zur pensionsvermeidenden medizinischen Rehabilitation in der PV eine medizinische Rehabilitation für Anschlussheilbehandlungen in der KV ein; und zwar ausdrücklich als Pflichtaufgabe nach dem Vorbild der Rehabilitation der PV: „Vorbild für diese Regelung ist die diesbezügliche im Bereich der Pensionsversicherung bestehende Rechtslage“ (284 BlgNR 18. GP 27).

Durch das BudgBeglG 2011 wurde der unmittelbare Zusammenhang der Rehabilitation in der PV mit einer (drohenden) Invalidität durch eine entsprechende Änderung des § 300 aufgegeben und gleichzeitig mit § 253e ein weitgezogener Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation eingeführt. Verfahrensrechtlich hat der Gesetzgeber in § 367 Abs 1 klargestellt, dass beim Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation nicht jedenfalls ein Bescheid zu erfolgen hat, sondern nur im Fall der Ablehnung oder auf Antrag. Erst mit diesen Änderungen durch das BudgBeglG 2011 wurde ein „Nebeneinander“ von beruflicher Rehabilitation mit Rechtsanspruch zur Vermeidung der Pension und darüber hinaus nach pflichtgemäßem Ermessen eingeführt.

Mit dem SRÄG 2012 (BGBl I 2013/3) wurde der Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation (§ 253e) wieder aufgehoben und stattdessen ein pensionsvermeidender Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation geschaffen und in § 367 Abs 1 die entsprechende Anpassung vorgenommen. § 300 ASVG wurde durch das SRÄG 2012 nicht verändert, damit bleibt die Zielgruppe der Rehabilitationsmaßnahmen der PV verschwommen. Insgesamt kann man dem Gesetzgeber den Vorwurf nicht ersparen, dass er im Bereich der Rehabilitation mit den letzten beiden größeren Gesetzespaketen sehr unsystematisch vorgegangen ist und dadurch die „Zersplitterung“ im Bereich der Rehabilitation ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat (vgl Teschner in

Tomandl
[Hrsg], System des österreichischen Sozialversicherungsrechts [26. ErgLfg] 2.4.7. oder 416/2).

2.
Herleitung der Bescheidpflicht für Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch nach § 367 ASVG

Die Differenzierung der möglichen Bescheide gem § 367 Abs 1 in Leistungsbescheide und Bescheide zur Ermessenskontrolle erfolgte erstmals im Jahr 2003 mit der OGH-E vom 18.2.2003, 10 ObS 258/02t, in der der erkennende Senat dem Drängen der Lehre nach Rechtsschutz nachgab. Bis zu diesem Zeitpunkt bezog sich die Bescheidpflicht des § 367 Abs 1 auf Leistungssachen ieS gem § 354 Abs 1 ASVG, dh auf Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Bei den sogenannten „freiwilligen Leistungen“ vertrat man die Auffassung, Ermessensentscheidungen des Sozialversicherungsträgers seien vor den Sozialgerichten nicht anfechtbar. Dagegen wurden massive Beden-351ken vorgebracht. Das Konzept der österreichischen Bundesverfassung (Art 130 Abs 3 B-VG) räume ein Recht auf fehlerfreien Gebrauch des Ermessens ein und der Anspruch auf Entscheidung iSd Gesetzes könne verfassungskonform auch als Anspruch iSd § 354 Z 1 verstanden werden. Anders formuliert resultiere aus dem Anspruch auf fehlerfreie Handhabung des Ermessens auch ein (materieller) Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Leistung, sofern die am Gesetzessinn orientierte Ermessensübung zu einer positiven Entscheidung führe. Nur auf diese Weise könne eine wirksame Rechtskontrolle (Art 6 MRK) und eine Gewährleistung einer Gleichbehandlung (Art 7 B-VG) erreicht werden (vgl dazu Jabornegg/Resch, Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 65 ff [69 ff] ua; Oberndorfer, Grundprobleme des Verwaltungsverfahrens in der österreichischen Sozialversicherung in ZAS 1973, 203 ff [215 f] sowie in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts [9. ErgLfg] 652 ff; Schrammel, Verfügungen über Leistungsansprüche aus der Sozialversicherung [1982] 76 ff, in

Tomandl
[Hrsg], Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht Bd 17; M. Binder in der Entscheidungsbesprechung in ZAS 1992/12, 100 ff; Bernard, Rechtsschutz bei Verweigerung freiwilliger Leistungen aus der Krankenversicherung in ZAS 1992, 114 ff; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995] 155 ff).

Der OGH schloss sich in der E 10 ObS 258/02t dieser breiten Lehrmeinung „jedenfalls für den Bereich der Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch“ an. Bei solchen Pflichtleistungen handle es sich um eine dritte Kategorie von Versicherungsleistungen zwischen Pflichtleistungen mit Individualanspruch und rein freiwilligen Leistungen (vgl Jabornegg/Resch, Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 72). Eine Ablehnung einer Pflichtaufgabe trotz Vorliegens der Voraussetzungen käme der Verweigerung einer Pflichtleistung gleich, weshalb die fehlerfreie Ermessensübung von jedem Leistungsberechtigten im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht geltend gemacht werden könne. Freilich sind in diesem Verfahren auch andere Kriterien, insb die finanzielle Lage des Versicherungsträgers, zu berücksichtigen. Der Anspruch auf fehlerfreie Handhabung des Ermessens wurde weder von der Lehre noch vom OGH in der zitierten E auf die KV beschränkt.

3.
Wieso gelten die rechtsstaatlichen Prinzipien nicht auch für die Rehabilitation in der Pensionsversicherung?

Mit dieser Frage hat sich der OGH in der E vom 9.2.2010, 10 ObS 68/09m, ausführlich beschäftigt. Er kommt darin zum Schluss, dass die Bescheidpflicht für die Pflichtaufgaben der PV nicht besteht. Er führt im Wesentlichen drei Argumente an:

3.1.
Kein Anknüpfungspunkt in § 367 Abs 1

Im Gegensatz zur Pflichtaufgabe der medizinischen Rehabilitation in der KV gem § 154a könne für die Pflichtaufgabe der medizinischen Rehabilitation in der PV gem § 300 ff in § 367 Abs 1 kein Ansatzpunkt für eine Bescheidverpflichtung gefunden werden. Anders formuliert enthalte § 367 Abs 1 keine allgemeine Bescheidverpflichtung für Leistungen aus der PV, sehr wohl aber für die KV.

Diese Entscheidungsbegründung wurde von Binder, „Seit 1.1.2011 (BGBl I 2010/111): Rechtsweg bei Maßnahmen der Rehabilitation in der PV zulässig“, DRdA 2012/2, zutreffend kritisiert. Er stellt die Frage, warum die in der OGH-E vom 18.2.2003, 10 ObS 258/02t, breit erörterten rechtsstaatlichen Prinzipien aus einfachgesetzlichen Erwägungen heraus für die Pflichtaufgaben der PV nicht gelten sollen und fordert eine verfassungskonforme Interpretation des § 367 Abs 1.

Historisch betrachtet wurde die Pflichtaufgabe medizinische Rehabilitation in der KV gem § 154a der Pflichtaufgabe Rehabilitation in der PV gem § 300 nachgebildet (vgl 284 BlgNR 18. GP 27). Es handelt sich hinsichtlich der rechtlichen Konzeption um wesensgleiche Leistungen, für die der Gesetzgeber den Sozialversicherungsträgern eine Leistungsverpflichtung auferlegt hat und die aus diesem Grund der Hoheitsverwaltung zuzuordnen sind. Verfassungskonform interpretiert führt das Fehlen einer ausdrücklichen Bescheidverpflichtung in § 367 Abs 1 für Pflichtaufgaben der PV zu einer planwidrigen Regelungslücke, die durch Verfahrensanalogie zu schließen ist. Übergeordnete rechtsstaatliche Prinzipien können wohl nicht durch eine einfachgesetzliche Lücke ausgehebelt werden. Binder folgend ist auch der Schluss zu ziehen, dass der unzureichende Text des § 367 Abs 1 ansonsten verfassungswidrig wäre.

3.2.
Das Argument Privatwirtschaftsverwaltung

Der OGH hegt im Gegenzug keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber die Pflichtaufgabe der Rehabilitation in der PV der Privatwirtschaftsverwaltung zuordne. Diese Zuordnung sieht er in Anlehnung an Walter (Staatshaftung aus Sicht der Sozialversicherungsträger, SozSi 1986, 107) dadurch gegeben, dass § 367 Abs 1 keine ausdrückliche Bescheidverpflichtung für die Pflichtaufgaben der PV enthält. Die Bezugnahme auf Walter ist jedoch nicht stichhaltig. Zum einen stammt der Aufsatz aus der Zeit vor Einführung der Sozialgerichtsbarkeit. Zum anderen ist der Leistungstyp der „Pflichtaufgaben“ in seinem Beitrag kein Thema; schon gar nicht die der PV. Die gesamte Erörterung von Walter bezieht sich einzig auf den Bereich der UV und darin ordnet er in einem kurzen Absatz lediglich bestimmte freiwillige Leistungen aus der UV der Privatwirtschaftsverwaltung zu.

Auch inhaltlich hat das Argument der Privatwirtschaftsverwaltung Schwächen, auf die schon Binder hingewiesen hat (vgl DRdA 2012/2). Zudem führt die Argumentation in einen offenen Widerspruch. Einerseits begründet man die Bescheidpflicht für Pflichtaufgaben in der KV mit deren Zuordnung zur Hoheitsverwaltung. Andererseits argumentiert man die Zuordnung der Pflichtaufgaben der PV zur352 Privatwirtschaftsverwaltung mit der mangelnden Bescheidpflicht. Wenn sich die Bescheidpflicht von der materiellen Zuordnung zur Hoheitsverwaltung ableitet, muss dies für alle Pflichtaufgaben der SV gelten.

3.3.
Das Argument „eigenartiger Weg“ in längst überholten Entscheidungen

Der OGH verweist in seiner aktuellen stRsp auf seine E vom 10.5.1988, 10 ObS 55/88, und vom 14.4.1994, 10 ObS 28/94, in denen er den Befund von Teschner in Tomandl zitiert, der Gesetzgeber der 32. ASVG-Novelle sei mit der Schaffung einer Pflichtaufgabe ohne individuellen Rechtschutz „einen eigenartigen Weg“ gegangen. Mehr sagt Teschner aber schon nicht. Dieser nackte Befund ist wohl eher Ausdruck der Ratlosigkeit des Autors über den neuen Leistungstyp als jene fundamentale rechtliche Einschätzung, als die sie der OGH auch noch Jahrzehnte später zur Abwehr der Bescheidpflicht heranzieht.

Fest steht, der Gesetzgeber wollte eine eigene Kategorie von Leistungen schaffen, die zwar dem Versicherungsträger eine Leistungspflicht auferlegt, ohne jedoch dem Versicherten einen Rechtsanspruch einzuräumen. Ausdrücklich wollte der Gesetzgeber damit einen Leistungstypus schaffen, der den Leistungsbereich Rehabilitation in der PV aus dem „freien Ermessen“ auf eine höhere Verpflichtungsebene hebt (vgl 181 BlgNR 14. GP 44). Man kann dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellen, dass er für diesen neuen Leistungstypus neben dem Rechtsanspruch auch die Ermessenskontrolle ausschließen wollte. Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkt. Die Ermessenskontrolle durch die Sozialgerichtsbarkeit konnte 1976 auch schwerlich Thema sein, nachdem diese erst 1987 eingeführt wurde.

Hinzu kommt, dass in den zitierten Entscheidungen die Ermessenskontrolle in keiner Hinsicht vorkommt. In 10 ObS 55/88 argumentiert der OGH sogar in die Gegenrichtung, nämlich, dass die Kl einen Anspruch auf medizinische Rehabilitation in der SV habe „Es wäre an der Klägerin gelegen, bereits zu dem Zeitpunkt, als die Schwierigkeiten mit der nicht passenden Prothese auftraten, ihren Anspruch auf Beistellung eines passenden Körperersatzstückes geltend zu machen.“ Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, welcher Begründungszusammenhang zwischen der Ablehnung der bescheidmäßigen Ermessenskontrolle gem § 367 Abs 1 in der aktuellen Rsp und den genannten alten Entscheidungen bestehen soll.

Der OGH selbst hat in der E vom 18.2.2003, 10 ObS 258/02t, die Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch unter die Leistungssachen gem § 354 Abs 1 subsumiert. Mit diesem Kunstgriff hat er – mit erheblichem Begründungsaufwand und wohl an der Grenze seiner Rechtsfortbildungskompetenz – die Ermessenskontrolle in § 367 Abs 1 hineingezwängt. In der OGH-E vom 9.2.2010, 10 ObS 68/09m, hat er sich davon wieder distanziert. Seither stützt der Gerichtshof seine E auf ältere, überholte Begründungen, die mit der aus rechtsstaatlichen Erwägungen abgeleiteten Bescheidpflicht für Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen nicht das Geringste zu tun haben.

4.
Zusammenfassung

Der OGH prüft in der E ausführlich, ob das SRÄG 2012 durch die Aufnahme der medizinischen Rehabilitation in § 367 Abs 1 eine allgemeine (oder zweifache) Bescheidpflicht normiert habe; nämlich einerseits für den Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation im Rahmen eines Pensionsverfahrens gem § 253f und andererseits für die Pflichtaufgabe Rehabilitation im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens gem § 301 Abs 1. Diese Fragestellung ist jedoch nur relevant, wenn man davon ausgeht, dass § 367 Abs 1 verfassungskonform die Pflichtaufgabe der Rehabilitation in der PV von der Ermessenskontrolle ausschließt.

Dagegen sprechen jedoch gewichtige Argumente: Mit der Pflichtaufgabe Rehabilitation in der PV wurde eine „Leistungsverpflichtung“ geschaffen, die sich klar von den freiwilligen Leistungen der Festigung der Gesundheit (zB Kuraufenthalte) unterscheiden sollte (vgl 181 BlgNR 14. GP 44). Bei solchen Pflichtleistungen handelt es sich um eine dritte Kategorie von Versicherungsleistungen zwischen Pflichtleistungen mit Individualanspruch und rein freiwilligen Leistungen. Ausdrücklich wollte der Gesetzgeber damit einen Leistungstypus schaffen, der den Leistungsbereich Rehabilitation in der PV aus dem „freien Ermessen“ auf die höhere Verpflichtungsebene des „pflichtgemäßen Ermessens“ hebt. Das Konzept der österreichischen Bundesverfassung (Art 130 Abs 3 B-VG) räumt ein Recht auf fehlerfreien Gebrauch des Ermessens ein, denn nur auf diese Weise kann eine wirksame Rechtskontrolle (Art 6 MRK) und eine Gewährleistung einer Gleichbehandlung (Art 7 B-VG) erreicht werden. Die herrschende Lehrmeinung vertritt die Auffassung, dass eine Ablehnung einer Pflichtaufgabe trotz Vorliegens der Voraussetzungen der Verweigerung einer Pflichtleistung gleichkomme. Deshalb sollte die fehlerfreie Ermessensübung von jedem Leistungsberechtigten im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht geltend gemacht werden können.

Der OGH schloss sich in der E 10 ObS 258/02t dieser breiten Lehrmeinung „jedenfalls für den Bereich der Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch“ an. Die Argumente, die der OGH in der E 10 ObS 68/09m und folgende zur Ablehnung der Bescheidpflicht für Pflichtaufgaben der PV anzieht, können in keiner Hinsicht überzeugen. Verfassungskonform interpretiert führt das Fehlen einer ausdrücklichen Bescheidverpflichtung in § 367 Abs 1 für Pflichtaufgaben der PV zu einer planwidrigen Regelungslücke, die durch Verfahrensanalogie zu schließen ist. Übergeordnete rechtsstaatliche Prinzipien können nicht durch eine einfachgesetzliche Lücke ausgehebelt werden.

Das Rechtsschutzinteresse ist im konkreten Fall auch offensichtlich. Der Kl muss sich mit einer formlosen Mitteilung des Inhalts abfinden, dass nach Ansicht des Trägers ein Genium-Bionic-Kniegelenk nicht erforderlich sei, weil die bestehende353 Versorgung ausreiche. Der Kl hat keine Möglichkeit, diese Erledigung nach pflichtgemäßem Ermessen überprüfen zu lassen.

Die E zeigt jedenfalls Handlungsbedarf für den Gesetzgeber auf. Zum einen sollte klargestellt werden, dass auch für die Pflichtaufgaben der PV eine Bescheidpflicht zur Ermessenskontrolle besteht und andererseits sollte die Zuständigkeit der PV für die Pflichtaufgabe medizinische Rehabilitation wieder klar von der der KV abgegrenzt werden. MaW sollte die PV Leistungen der medizinischen Rehabilitation mit dem Ziel erbringen, eine vorliegende oder drohende Invalidität zu vermeiden, so wie es die §§ 300 ff idF vor dem BudgBeglG 2011 vorsahen. Alternativ ist § 367 Abs 1 auch auf seine Verfassungskonformität hin zu überprüfen.