Medizinische Rehabilitation im sozialgerichtlichen Verfahren

MARTINSONNTAG (WIEN)
Durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2012 (SRÄG)* wurde die befristete Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension für Versicherte, die das 50. Lebensjahr ab dem 1.1.2014 vollenden, abgeschafft sowie ein Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation bei vorübergehender Invalidität/Berufsunfähigkeit und die neuen Leistungen des Rehabilitations- und Umschulungsgeldes für diese Personengruppe eingeführt. Verfahrens- und materiellrechtliche Probleme im Zusammenhang mit dem neuen Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation nach § 253f ASVG haben die Rsp bisher nur punktuell beschäftigt. Mit dem vorliegenden Beitrag* sollen praxisrelevante Fragen aufgezeigt und Lösungsansätze angeboten werden.
  1. Zulässigkeit des Rechtswegs

    1. Konzeption des Gesetzgebers

    2. Praxis

  2. Abgrenzung zur Krankenbehandlung

    1. Gesetzliche Definitionen

    2. Literatur

    3. Rechtsprechung

    4. Relevanz der Unterscheidung

  3. Rechtsanspruch auf bestimmte Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation?

  4. Verletzung der Mitwirkungspflicht als Entziehungsgrund für das Rehabilitationsgeld

    1. Verweigerung der medizinischen Rehabilitation

    2. Verweigerung der Krankenbehandlung

      1. Historische Argumente

      2. Systematische und teleologische Argumente

      3. Verfassungsrechtliche Argumente

  5. Resümee

1.
Zulässigkeit des Rechtswegs

Vor Eingehen auf materiellrechtliche Probleme ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf medizinische Rehabilitation nach § 253f ASVG zum Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens werden kann.

1.1.
Konzeption des Gesetzgebers

Ein Antrag auf eine Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit gilt gem § 361 Abs 2 Satz 2 ASVG vorrangig ua als Antrag auf Leistung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation und von Rehabilitationsgeld. Über den Antrag auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aus der PV ist gem § 367 Abs 1 Z 2 ASVG ein Bescheid zu erlassen, wenn die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt (sogenannte bedingte Bescheidpflicht*).

Die Gewährung einer konkreten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme hat nach dem Gesetz daher jedenfalls ohne Bescheid zu erfolgen und ist nicht mit Klage an das Sozialgericht bekämpfbar, es sei denn, es wurde im Pensionsantrag bereits eine konkrete Maßnahme beantragt und statt dieser eine andere Maßnahme gewährt. Diesfalls läge inhaltlich eine Ablehnung vor, hinsichtlich der ein Bescheid verlangt werden könnte.

Bei Vorliegen vorübergehender Invalidität bzw Berufsunfähigkeit ist die Erledigung des Antrags auf medizinische Rehabilitation kein Gegenstand des gem § 367 Abs 4 ASVG zu erlassenden Bescheids. Die Ablehnung dieses Antrags hat formlos zu181 erfolgen, wobei auch der (formlose) Ausspruch, es seien der weitere Krankheitsverlauf/das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen/eine Besserung durch Gewöhnung an den Leidenszustand abzuwarten, eine Ablehnung des Antrags darstellt, weil es sich dabei gerade nicht um Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation handelt.*

Liegt Invalidität bzw Berufsunfähigkeit nicht vor, sodass der Pensionsantrag mit Bescheid abgewiesen wird, so wäre der Antrag auf medizinische Rehabilitation zusätzlich formlos abzulehnen. Verlangt die Partei in den beiden letztgenannten Konstellationen keinen Bescheid, ist der Rechtsweg weder für die Bescheid- noch für die Säumnisklage* auf eine Leistung der medizinischen Rehabilitation zulässig.*

1.2.
Praxis

In der Praxis nimmt die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) die Gewährung einer konkreten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation bei vorübergehender geminderter Arbeitsfähigkeit in den Bescheid nach § 367 Abs 4 ASVG auf. Damit ist der Rechtsweg an das Sozialgericht zulässig. Die Partei kann in ihrer Klage zB eine andere Maßnahme oder deren Entfall begehren.*

Häufig sind in der Praxis auch die Aussprüche in Bescheiden nach § 367 Abs 4 ASVG, als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei der weitere Krankheitsverlauf/das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen/eine Besserung durch Gewöhnung an den Leidenszustand abzuwarten. Auch diese Aussprüche stellen eine Entscheidung über den Antrag auf medizinische Rehabilitation dar, der eine Klage auf Gewährung einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zulässig macht.* Auch in ablehnende Pensionsbescheide mangels Invalidität bzw Berufsunfähigkeit wird in der Praxis der PVA die Ablehnung des Antrags auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation mitaufgenommen, sodass auch in diesem Fall der Rechtsweg zulässig ist.*

2.
Abgrenzung zur Krankenbehandlung
2.1.
Gesetzliche Definitionen

Gem § 253f Abs 1 ASVG besteht für Personen mit bescheidmäßig festgestellter vorübergehender Invalidität* Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (§ 302 Abs 1), wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustands zweckmäßig ist. Die Maßnahmen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, sie dürfen jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und sind vom Pensionsversicherungsträger zu erbringen (§ 253f Abs 2 ASVG). Der verwiesene § 302 Abs 1 ASVG nennt insb die Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen, Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation und die Gewährung ärztlicher Hilfe. Sie sollen denjenigen entsprechen, die schon bisher als freiwillige Leistung gewährt wurden.*

Demgegenüber gewähren die Krankenversicherungsträger gem § 154a ASVG im Anschluss an die Krankenbehandlung medizinische Maßnahmen der Rehabilitation, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder die Folgen der Krankheit zu erleichtern.

2.2.
Literatur

§ 253f ASVG scheint insofern inkonsequent und systemwidrig als er von einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit spricht, die jedoch Aufgabe der Krankenbehandlung ist.*

Felten/Mosler führen zur Abgrenzung der Krankenbehandlung zur medizinischen Rehabilitation nach § 154a ASVG aus, weder die zum Einsatz kommenden Mittel noch der Zweck bildeten ein taugliches Abgrenzungskriterium, weil sich beide letztlich deckten. Auch das zeitliche Kriterium helfe nicht weiter. Mangels Unterscheidbarkeit der Mittel und der Leistungsanbieter könne nicht festgestellt werden, wann eine Krankenbehandlung beendet sei und wann eine Rehabilitationsmaßnahme beginne. Tatsächlich werde mit der Rehabilitation oftmals parallel zur Krankenbehandlung begonnen. Eine vernünftige Abgrenzung lasse sich nicht vornehmen.*

Burger/Ivansits schlagen zur Abgrenzung zwischen Krankenbehandlung und medizinischer Rehabilitation nach § 154a ASVG vor, unter letzterer alle Maßnahmen zu qualifizieren, die nicht Krankenbehandlungen seien, sofern sie der Erfolgssicherung und Erleichterung der Krankheitsfolgen dienten. Der Begriff der Krankenbehandlung sei nämlich rechtlich weitgehend abgesichert.*

Beide Behandlungsformen umfassen jeweils auch Elemente der anderen.* Versteht man die medizinische Rehabilitation als gleichzeitig mit der Krankenbehandlung durchzuführende Maßnahme, die diese unterstützen soll, kann auch dem Gesetzestext des § 253f ASVG eine sinnvolle Deutung gegeben werden.*

2.3.
Rechtsprechung

In der Judikatur wurden eine stationäre Alkoholentwöhnungskur* und eine stationäre psychiatrische182 Behandlung* als (zumutbare) Krankenbehandlungen vorübergehend invalider Personen qualifiziert. Hingegen stellt eine stationäre internistische Maßnahme zur Gewichtsreduktion eine medizinische Rehabilitation gem § 253f ASVG dar.* Eine Beschäftigungstherapie in einer geschützten Einrichtung (Filzwerkstatt) stellt keine Maßnahme der medizinischen, sondern eine der beruflichen Rehabilitation dar.*

2.4.
Relevanz der Unterscheidung

Die Zuordnung zu einer der beiden Behandlungsformen hat weitreichende verfahrens- und materiellrechtliche Folgen:

Für die Krankenbehandlung ist der Krankenversicherungsträger, für die medizinische Rehabilitation der Pensionsversicherungsträger zuständig. Im sozialgerichtlichen Verfahren kann das Klagebegehren auf eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation gerichtet werden. Sofern nach den Beweisergebnissen eine derartige Maßnahme zweckmäßig erscheint, ist die Fassung des Klagebegehrens mit der Partei zu erörtern.* Handelt es sich bei der von der Partei zur Besserung des Gesundheitszustands vorzunehmenden Maßnahme um Krankenbehandlung, steht die Belehrung über die Mitwirkungspflicht und der Folgen bei deren Verletzung im Mittelpunkt.*

Wird zB Psychotherapie als ambulante Rehabilitationsmaßnahme gem § 302 Abs 1a gewährt, so hat die Partei keinerlei Kosten zu tragen. Wird sie hingegen extramural als Krankenbehandlung gem § 135 Abs 1 Z 3 ASVG gewährt, so ist gem § 135 Abs 6 bei Bestehen von Gesamtverträgen ein Behandlungsbeitrag zu leisten. Da derzeit kein Gesamtvertrag besteht, sind die Versicherten auf Kostenzuschüsse nach § 131b ASVG verwiesen, wenn sie nicht im Rahmen der „Vereinslösungen“ aufgrund vordringlichen Bedarfs einen Platz im Behandlungskontingent finden.*

Bei Weigerung, an einer zumutbaren medizinischen Maßnahme der Rehabilitation mitzuwirken, sieht der Gesetzgeber in § 99 Abs 1a explizit einen Entziehungsgrund für das Rehabilitationsgeld vor, der eine Entziehung unter für den Pensionsversicherungsträger „günstigen“ Bedingungen vorsieht.* Ob das Rehabilitationsgeld wegen der Verweigerung einer zumutbaren Krankenbehandlung überhaupt entzogen werden kann, ist hingegen strittig.*

3.
Rechtsanspruch auf bestimmte Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation?

Müller hat jüngst* die Auffassung vertreten, der Anspruch auf medizinische Rehabilitation könne nicht in der Weise durchgesetzt werden, dass bestimmte Therapiemaßnahmen eingeklagt werden, weil die Rsp in vergleichbaren Fällen nur einen Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensübung anerkenne. Realistischerweise werde der Versicherungsträger nicht allen Rehabilitationsanwärtern Maßnahmen gewähren können, sodass auch eine „Nullvariante“ eine zulässige Option der Ermessensübung sein müsse. Es müsse ungeachtet der Textierung des § 253f ASVG ein (weiter) Ermessensspielraum des Versicherungsträgers iS eines Auswahlermessens aus mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen und eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf gesetzmäßige Ermessensübung angenommen werden.

Diese Auffassung ist mE aus folgenden Überlegungen nicht zutreffend:

Der vom SRÄG 2012 eingeführte Rechtsanspruch auf medizinische Rehabilitation hätte ohne Anspruch auf konkrete Maßnahmen für die Versicherten nur einen geringen Wert. Anders als die §§ 154a und 301 ASVG stellt § 253f ASVG gerade nicht auf das „pflichtgemäße Ermessen“ ab. Die Rsp zu § 154a ASVG, wonach kein individueller Rechtsanspruch auf die dort genannte Leistung bestehe, sondern bloß ein Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensübung, und bei der Konkretisierung der Leistung ein erheblicher Ermessensspielraum vorliege,* ist daher nicht auf § 253f ASVG übertragbar. Zum vergleichbar formulierten Anspruch auf berufliche Rehabilitation gem § 253e ASVG idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 (BBG)* führte der OGH aus, es sei der klagenden Partei Gelegenheit zu geben, ein Klagebegehren auf Gewährung der konkreten Maßnahmen zu stellen.* Dass materiellrechtlich nur ein Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensübung bestehe, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Auch die bedingte Bescheidpflicht nach § 367 Abs 1 Z 2 ASVG spricht nicht gegen den Rechtsanspruch auf konkrete Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, zumal über den Anspruch auf berufliche Rehabilitation nach § 253e ASVG ebenfalls nur über Verlangen des/der Versicherten ein Bescheid zu erlassen war.

Zu § 202 Abs 1 ASVG entschied der OGH, der Versehrte habe bloß einen Grundanspruch auf die erforderliche Versorgung, nicht jedoch einen Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel. Die Entscheidung, welches Hilfsmittel im Einzelfall geeignet sei, treffe der Unfallversicherungsträger im Rahmen des ihm gem § 193 ASVG eingeräumten freien Ermessens.* Eine § 193 ASVG vergleichbare Bestimmung gilt für die medizinische Rehabilitation vorübergehend invalider Personen jedoch gerade nicht. Zwar kommt dem Versicherungsträger bei der konkreten Auswahl der dem/der Versicherten zumutbaren medizinischen Rehabilitationsmaßnahme letztlich die Entscheidungsbefugnis zu,* dies183 ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Ermessensspielraum.

Zusammengefasst spricht nichts dagegen, dem/der Versicherten einen Anspruch auf eine bestimmte Maßnahme der medizinischen Rehabilitation einzuräumen, der nach den Kriterien des § 253f Abs 1 und 2 zu prüfen ist. Die Rechtslage ist insofern keine andere wie bei der Prüfung einer bestimmten Maßnahme der Krankenbehandlung nach § 133 Abs 2 ASVG, die Kriterien sind dieselben.*

4.
Verletzung der Mitwirkungspflicht als Entziehungsgrund für das Rehabilitationsgeld
4.1.
Verweigerung der medizinischen Rehabilitation

Zu den Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit judiziert der OGH, dass die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht zur Duldung einer Heilbehandlung, durch welche eine relevante Verbesserung des Gesundheitszustandes eintreten könnte, ein neuer Umstand ist, der zur Entziehung der Leistung gem § 99 Abs 1 ASVG berechtige.* Der Verlust des Pensionsanspruchs tritt ab dem Zeitpunkt ein, in dem die Heilbehandlung zu einer Verbesserung des Zustandes geführt hätte.* Für die Weigerung, an zumutbaren Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation mitzuwirken, sieht § 99 Abs 1a ASVG einen eigenen Entziehungstatbestand für das Rehabilitationsgeld vor.

Die teilweise Zweckerreichung durch eine Eigenbehandlung hebt die Verletzung der Mitwirkungspflicht nach der ersten Grundsatzentscheidung des OGH zu diesem Entziehungsgrund nicht auf, weil bei der konkreten Auswahl der zumutbaren Maßnahme letztlich dem Versicherungsträger die Entscheidungsbefugnis zukomme.* Wäre der Erfolg auch bei einer Mitwirkung an der Rehabilitationsmaßnahme noch nicht sofort zur Gänze eingetreten, weil die Maßnahme nur ein erster Schritt sein sollte, ist das Rehabilitationsgeld nach dieser Entscheidung dennoch zu entziehen und zwar bereits mit dem Zeitpunkt der ungerechtfertigten Weigerung des/der Versicherten, an der Maßnahme mitzuwirken.

Die Rechtslage unterscheidet sich somit fundamental von jener betreffend Entziehung von Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, sowohl was die Kausalitätsprüfung der Verletzung der Mitwirkungspflicht betrifft, als auch hinsichtlich des Zeitpunkts der Entziehung. Sollte sich im Sozialgerichtsverfahren jedoch herausstellen, dass die Rehabilitationsmaßnahme auch nicht zu einem Teilerfolg geführt hätte, so kommt mE eine Entziehung des Rehabilitationsgeldes nicht in Betracht, weil es an jeglicher Kausalität der Pflichtverletzung fehlt.

Die Beweislast für eine Verletzung der Mitwirkungspflicht und der Besserung des Gesundheitszustandes im Falle der Mitwirkung trifft ebenso wie bei den Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit* den Versicherungsträger. Ist dieser Beweis erbracht, muss der/die Versicherte beweisen, dass die Maßnahme zu keiner die Arbeitsfähigkeit beseitigenden Besserung des Gesundheitszustandes geführt hätte.*

4.2.
Verweigerung der Krankenbehandlung

Der OGH leitete die Pflicht des/der Versicherten zur Mitwirkung an einer zumutbaren Krankenbehandlung bei Bezug einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit aus § 1304 ABGB und verschiedenen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts (zB § 143 Abs 6 Z 2 ASVG) ab.* Das SRÄG 2012 enthielt keine Regelung über das weitere Schicksal des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld, wenn der/die Versicherte seine/ihre Mitwirkungspflicht durch Nichtdurchführung einer zumutbaren Krankenbehandlung verletzt. Die Gesetzesmaterialien schweigen sich zu dieser Frage aus.* Das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz (SVAG)* normiert in § 143a Abs 5 ASVG einen Ruhenstatbestand für Verletzungen der Mitwirkungspflichten im Rahmen des Case Managements nach § 143b ASVG.

Zu untersuchen ist, ob es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handelte, der eine Entziehung des Rehabilitationsgeldes auf den Fall der Verweigerung einer zumutbaren medizinischen Rehabilitation beschränken wollte, oder ob – wie bisher – auch die Verweigerung einer zumutbaren Krankenbehandlung zum Leistungsverlust führt.

4.2.1.
Historische Argumente

Ausgangspunkt jeglicher Auslegung muss mE sein, dass das Rehabilitationsgeld die befristeten Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ersetzt. Dem Gesetzgeber des SRÄG 2012 war die oben zu 4.1. dargestellte Rsp bekannt. Den Materialien ist nicht zu entnehmen, dass im Bereich des Rehabilitationsgeldes die Grundsätze der Mitwirkungspflicht an zumutbaren Krankenbehandlungen plötzlich außer Kraft gesetzt werden sollten.*

4.2.2.
Systematische und teleologische Argumente

Erklärtes Ziel des SRÄG 2012 ist es, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach Maßnahmen der medizinischen/beruflichen Rehabilitation soweit integrationsfähig sind, dass sie in der Lage sind, zumindest eine Teilzeitbeschäftigung wieder aufzunehmen.* Mit diesem Ziel ist ein Bezug von Rehabilitationsgeld – unter184

Umständen bis zum Regelpensionsalter – trotz Verweigerung zumutbarer Maßnahmen der Krankenbehandlung völlig unvereinbar. Auch die durch das SVAG neu eingeführte Ruhensregelung des § 143a Abs 5 ASVG spricht für die hier vertretene Lösung: Sie stellt auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten im Rahmen des Case Managements ab. § 143b ASVG spricht mehrfach von Krankenbehandlung als Gegenstand des Case Managements. Der neue Ruhenstatbestand zeigt, dass der Gesetzgeber die Verletzung von Mitwirkungspflichten auch die Krankenbehandlung betreffend weiterhin sanktionieren möchte. Da er das Ruhen nach den Materialien nur für geringfügige Verletzungen der Mitwirkungspflicht eingesetzt wissen will, muss es für massive Verletzungen der Mitwirkungspflicht durch Nichtdurchführung einer zumutbaren Behandlung schwerwiegendere Folgen als das Ruhen geben.*

4.2.3.
Verfassungsrechtliche Argumente

Das Auslegungsergebnis, eine Besserung des Gesundheitszustandes „von selbst“ führe zur Entziehung der Leistung, nicht aber eine zumindest leicht fahrlässige Verweigerung einer zumutbaren Krankenbehandlung, begegnet starken Bedenken im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz: Die Versicherten hätten es dann gleichsam in der Hand, den Leistungsbezug zu steuern. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass § 256 über die befristete Invaliditätspension für jene Versicherten, die das 50. Lebensjahr vor dem 1.1.2014 bereits vollendet haben, weiter gilt (§ 669 Abs 5 ASVG). Für diese Gruppe der – älteren – Versicherten gelten jedenfalls weiterhin die oben dargestellten Grundsätze der Verletzung der Mitwirkungspflicht durch Nichtdurchführung zumutbarer Krankenbehandlungen. Die jüngeren Versicherten hätten demgegenüber den „Bonus“, nur an medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen teilnehmen zu müssen. Dies würde im Verhältnis zwischen den beiden Gruppen zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führen.*

5.
Resümee

Probleme der medizinischen Rehabilitation nehmen in der Praxis des sozialgerichtlichen Verfahrens bisher keinen großen Raum ein. Die höchstgerichtliche Rsp hat punktuell einige Fragen geklärt, so die Zulässigkeit des Rechtswegs in einer bestimmten Bescheidkonstellation, die Einordnungsfrage einzelner Therapien bzw Behandlungen und die Bedingungen der Entziehung des Rehabilitationsgeldes wegen Verweigerung der Mitwirkung an der medizinischen Rehabilitation. Grundsätzliche Fragen der Abgrenzung zur Krankenbehandlung (mit weitreichenden Folgen), des Rechtsanspruchs auf konkrete Maßnahmen und der Folgen der Verletzung der Mitwirkungspflicht bei einer Krankenbehandlung auf den Anspruch auf Rehabilitationsgeld blieben bisher ungelöst. Auf Basis der Rsp zu verwandten Fragestellungen können jedoch Lösungsansätze entwickelt werden. Daraus ergibt sich ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf konkrete Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und die Möglichkeit der Entziehung des Rehabilitationsgeldes bei Verweigerung einer zumutbaren Krankenbehandlung.185