HeißlGrundrechtskollisionen am Beispiel von Persönlichkeitseingriffen sowie Überwachungen und Ermittlungen im Internet

Verlag Österreich, Wien 2017 624 Seiten, broschiert, € 138,–

WOLFGANGGORICNIK (SALZBURG)

Das vorliegende Werk ist ein Teil der Habilitationsschrift des Autors, der am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck tätig ist, und ist im Rahmen der Reihe „Forschungen aus Staat und Recht“ erschienen. Dargestellt werden Grundrechtskollisionen am Beispiel von Persönlichkeitseingriffen sowie Überwachungen und Übermittlungen im Internet.

Der erste Teil des Werkes beschäftigt sich mit Grundrechtskollisionen im Allgemeinen und Vorschlägen der Lehre sowie der Judikatur zur entsprechenden Lösung dieser Kollisionen.

Während im zweiten Teil des Werkes, der sich mit Persönlichkeitseingriffen im Internet befasst, im Rahmen der dargestellten Kollision zwischen dem Recht auf Achtung des Privatlebens und dem der Meinungsfreiheit auch ausführlich auf das Verhältnis zwischen Privaten eingegangen wird (zB wird das Urteil des EuGH in der Rs Google ausführlich dargestellt), widmet sich der dritte Teil Überwachungen und Ermittlungen im Internet als Beispiel der Über- und Unterordnung zwischen Staat und Bürgern; diesfalls kommt es zu Grundrechtskollisionen nämlich dann, wenn eine – aus Grundrechten ableitbare – Verpflichtung des Staates besteht, diese Ermittlungen auch tatsächlich durchzuführen, die in die Grundrechte Privater eingreifen können.

Die im Rahmen seiner Habilitationsschrift zusätzlich verfasste Darstellung und Bewertung des einfachgesetzlichen Rahmens für Persönlichkeitseingriffe im Internet wird Gregor Heißl nach seinen Angaben mit dem selbständigen Werk „Persönlichkeitseingriffe im Internet. Einfachgesetzlicher Rahmen“ glaublich 2017 gesondert veröffentlichen.

Sehr informativ zu lesen ist der Exkurs „Aufstieg und Fall der Vorratsdatenspeicherung“ im dritten Teil; spannend ist in diesem Zusammenhang insb die Schlussfolgerung von Gregor Heißl, dass mit der vom EuGH judizierten Unvereinbarkeit der entsprechenden RL 2006/24/EG mit den Art 7 und 8 GRC auch die innerstaatlich im TKG 2003 mit BGBl I 2013/96 umgesetzten einfachgesetzlichen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung im Widerspruch zur Grundrechtecharta (GRC) und somit zum Unionsrecht standen, damit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechtes unterlagen und in Folge dessen auch im Anlassfall der konkreten Normenprüfung durch den VfGH nicht (mehr) anwendbar waren; dh die entsprechenden Individualanträge auf Normenprüfung hätten auf Grund des Fehlens der Präjudizialität als unzulässig zurückgewiesen werden müssen (!), da die angefochtenen Regelungen auf Grund des Widerspruchs zur GRC nicht mehr anwendbar gewesen waren. Das klingt zwar auf den ersten Blick bestechend logisch, trifft aus Sicht des Rezensenten aber letztlich dennoch nicht zu, da die angefochtenen Normen trotz des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorranges formell noch Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung blieben und somit der vom EuGH judizierten „Rechtsbereinigungspflicht“ unterfielen, dh der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, diejenigen Bestimmungen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung aufzuheben, die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind, um die betroffenen Normadressaten nicht in einem Zustand der Ungewissheit zu belassen (vgl etwa EuGH 2.7.1996, C-290/94, Kommission/Griechische Republik). Insofern nahm der VfGH mit seiner Aufhebung der fraglichen Bestimmungen diese gemeinschaftsrechtliche Pflicht wahr, die ja ihrerseits wieder einen Anwendungsvorrang vor innerstaatlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für das konkrete Normenprüfungsverfahren erheischt.

Im vierten Teil seines Werkes trifft Gregor Heißl Schlussfolgerungen für die Lösung von Grundrechtskollisionen. Dabei führt er zu Recht aus, dass nicht von einem Primat des Gesetzgebers zur Lösung von Grundrechtskollisionen auszugehen ist; vielmehr fordert die vorzunehmende Einzelfallabwägung von der Vollziehung die Berücksichtigung verschiedenster Umstände. Schließlich sei es für Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) irrelevant, auf welcher Gesetzesebene eine allfällige Priorisierung327eines Grundrechts vorgenommen werde. Es könnte sogar eine Kollisionslösung durch den Gesetzgeber im Rang des Verfassungsrechts zu Spannungen mit EMRK-Rechten führen, die dann vom EGMR aufgegriffen würden. Sohin sei der Gesetzgeber höchstens dazu verpflichtet, die bei Grundrechtskollisionen zu beurteilenden Kriterien vorzugeben.

Gregor Heißl bietet im Zusammenspiel zwischen der Erfüllung von Gewährleistungspflichten des einen Grundrechts und dem Verbot des ungebührlichen Eingriffs in das andere Grundrecht auch ein auf dem etablierten Verhältnismäßigkeitsprinzip aufbauendes Lösungskonzept in drei aufeinanderfolgenden Schritten für Grundrechtskollisionen an, indem er insb auch allgemeingültige und auch praktisch nachvollziehbare Abwägungsleitlinien ausformuliert. In diesem Zusammenhang lehnt er dogmatisch überzeugend sowohl jede Form der Einbeziehung ökonomischer Bewertungskriterien (dh eine „Monetarisierung“ von Interessen) als auch eine Majorisierung von Interessen (dh eine Gewichtung nach der Zahl der betroffenen Grundrechtsträger) ab; weder mit der Wirtschaft zusammenhängende Grundrechte noch öffentliche Interessen sollten regelmäßig prävalieren, vielmehr sollten Grundrechte gerade Einzelne (gegenüber dem Staat und somit im weiteren Sinne vor der Mehrheit der Bevölkerung) schützen.

Die komprimierte Darstellung samt dem ausführlichen Fußnotenapparat (insb mit zahlreichen Judikaturnachweisen) verlangt dem Leser höchste Konzentration ab. Lässt man sich allerdings auf das Studium des Werkes ein, erfolgt die Belohnung in Form der konsistenten Nachvollziehbarkeit der Spannungsfelder dieser komplexen Rechtsthematiken (der Rezensent hat das Werk mit großem Gewinn gelesen). Dies ist der vorzüglich analytischen und systematischen Darstellung des Autors geschuldet, zu welcher diesem nur gratuliert werden kann.

Insofern lohnt sich die Lektüre dieses verdienstvollen Werkes für all jene, die sich mit persönlichkeitsrechtlichen Fragestellungen im öffentlichen Recht oder aber auch im Privatrecht beschäftigen.328