Strafbare Unterentlohnung nach dem LSD-BG und Verfall von Entgeltansprüchen

ELIASFELTEN (LINZ)WALTERJ.PFEIL (SALZBURG)
Der Gesetzgeber hat bereits im Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) und nun mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) die Nichteinhaltung zwingender Lohnvorschriften unter Strafe gestellt. Damit wird erstmals die Einhaltung privatrechtlicher Ansprüche von AN durch Verwaltungsstrafen abgesichert. Dieses Ineinandergreifen von Arbeits- bzw Zivilrecht auf der einen und Verwaltungsstrafrecht auf der anderen Seite wirft eine Reihe von Rechtsfragen auf. Eine davon wurde zuletzt in der Literatur kontrovers diskutiert und soll daher im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags stehen: Erfüllen Entgeltdifferenzen, die auf Grund von Verjährung oder Verfall zivilrechtlich nicht mehr geltend gemacht werden können, den Straftatbestand der Unterentlohnung nach dem LSD-BG?*
  1. Einleitung

  2. Problemstellung

  3. Verfall und Verjährung arbeitsrechtlicher Entgeltansprüche

  4. Der Straftatbestand der Unterentlohnung

    1. „Gebührendes“ Entgelt als Anknüpfung der Strafbarkeit

      1. Ausgangssituation

      2. Auswirkungen der Verfolgungsverjährung

      3. „Gebührendes“ Entgelt im ASVG

      4. Schlussfolgerungen vor dem Hintergrund der Ziele des LSD-BG sowie des Zwecks von Verfallsfristen

    2. Nachzahlung verfallener Entgeltdifferenzen

  5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.
Einleitung

Mit dem im Jahr 2011 als Sammelgesetz erlassenen Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (BGBl I 2011/24) wurde erstmals ein spezieller Straftatbestand normiert, der arbeitsrechtliche Unterentlohnung mit Verwaltungsstrafe bedroht. Diese Bestimmung wurde zwischenzeitlich mehrmals novelliert* und lautet seit 1.1.2017 wie folgt:

„Wer als Arbeitgeber einen Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen.“*

Auch wenn Verwaltungsstrafen im Arbeitsrecht keine Besonderheit sind,* ist der Straftatbestand der „Unterentlohnung“ doch bemerkenswert. Denn der Entgeltanspruch des/der AN ergibt sich, selbst wenn er auf einem Gesetz oder – was der Regelfall ist – auf KollV beruht, aus dem Arbeitsvertrag. Eine Unterentlohnung begründet daher in erster Linie eine Vertragsverletzung. Diese ist nach den allgemeinen Regeln des Zivilrechts nicht von Amts wegen, sondern vom/von der betroffenen AN selbst gerichtlich geltend zu machen. Der/die AN muss also die Entgeltdifferenz einklagen. Das geschieht jedoch in der Praxis nur selten. Viele AN scheuen davor zurück, im aufrechten Arbeitsverhältnis offene Entgeltansprüche klageweise gel-79tend zu machen, weil sie fürchten, der/die AG könnte darauf mit einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages reagieren.* MaW: AN nehmen es oftmals in Kauf, weniger zu verdienen, als ihnen zustehen würde, um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Das gilt umso mehr, wenn der/die AN nur vorübergehend im Rahmen einer Entsendung in Österreich beschäftigt wird. Das dem Arbeitsverhältnis innewohnende Abhängigkeitsverhältnis bewirkt im Ergebnis, dass Vertragsverletzungen oftmals geduldet und nicht mittels zivilrechtlicher Leistungsklage geltend gemacht werden. Das hat zur Konsequenz, dass mit den Mitteln des Privatrechts rechtswidrigen Unterentlohnungen vielfach kaum beizukommen ist. Leidtragende sind in erster Linie die AN, die in ihren Entgeltansprüchen rechtswidrig verkürzt werden. Tatsächlich wirken die negativen Folgen auch auf gesamtwirtschaftlicher und letztlich auch gesellschaftlicher Ebene. Lohndumping hat zum einen erhebliche wettbewerbsverzerrende Wirkungen und benachteiligt jene AG, die sich rechtskonform verhalten und zu höheren Lohnkosten produzieren oder anbieten müssen, was wiederum die dort beschäftigten AN und deren Arbeitsplätze unter Druck bringt. Zum anderen führt es auch zu geringeren Abgaben- und Beitragsleistungen und belastet damit die Budgets der jeweiligen Gebietskörperschaften oder Sozialversicherungsträger bzw führt zu einer unfairen Verschiebung dieser Belastungen.

Aus diesem Grund sah sich letztlich der Gesetzgeber zu handeln veranlasst.* Das Ergebnis war ein fast revolutionärer Schritt: Die Ahndung von Lohndumping – und damit letztlich von Vertragsverletzungen – sollte nicht mehr dem/der einzelnen betroffenen AN überlassen bleiben, sondern (zusätzlich) in die Hände der Behörden gelegt werden. Durch die amtswegige Ermittlung von Unterentlohnungen, zB im Rahmen sogenannter GPLA-Prüfungen (vgl § 41a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG]), und die Verhängung von Verwaltungsstrafen sollen AG dazu bewegt werden, sich rechtskonform zu verhalten und AN das ihnen zustehende Entgelt auszuzahlen. Ziel des LSD-BG (und seiner Vorgängerregelungen)* ist also nicht nur, einen fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen sowie die Leistung der vorgegebenen Abgaben und Beiträge sicherzustellen.* Vielmehr will das LSD-BG auch gewährleisten, dass die in ihren Ansprüchen verkürzten AN das ihnen zustehende Entgelt auch tatsächlich erhalten. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich klar, dass das Ziel des Verwaltungsstraftatbestandes der „Unterentlohnung“ nicht die Verhängung von Geldstrafen, sondern die Sicherstellung des zustehenden Mindestentgelts ist. Dh, der Straftatbestand der Unterentlohnung hat weniger pönalisierenden, sondern primär präventiven Charakter.* Aus diesem Grund hat es auch strafbefreiende Wirkung, wenn der/die AG dem/der AN das ausständige Entgelt nachträglich ausbezahlt. Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt die Entgeltdifferenz beglichen wird, besteht Straffreiheit oder ist von der Verhängung einer Strafe abzusehen.*

2.
Problemstellung

Die Besonderheit des LSD-BG besteht also darin, dass die Verletzung eines privatrechtlichen Vertrags mit öffentlich-rechtlichen Mitteln sanktioniert wird. Das zeigt sich deutlich am Straftatbestand der Unterentlohnung gem § 29 LSD-BG (bzw bisher § 7i Abs 5 AVRAG). Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Unterentlohnung ist, dass der/die AN einen privatrechtlichen Entgeltanspruch hat, der sich aus dem Gesetz, einer VO oder einem KollV ergibt. Das Gesetz spricht ausdrücklich vom nach Gesetz, VO oder KollV „gebührenden“ (§ 29 Abs 1 LSD-BG) bzw „zustehenden“ (§ 7i Abs 5 AVRAG) Entgelt. Die Behörde hat daher in einem ersten Schritt zu prüfen, ob dem/der AN ein bestimmtes Entgelt „gebührt“; oder anders ausgedrückt, ob ein Anspruch des/der AN auf das Entgelt besteht. Das ist nach allgemeinen privatrechtlichen Kriterien zu beurteilen. In diesem Punkt kommt es zu einer Verzahnung von Privatrecht und Verwaltungs(straf-)recht. Derartiges kennt man bereits aus dem Sozialversicherungsrecht. Auch dort stellt die öffentlichrechtliche Beitragspflicht gem § 44 iVm § 49 ASVG auf das Bestehen eines privatrechtlichen Entgeltanspruches ab.* Die Frage, ob eine strafbare Unterentlohnung vorliegt, kann daher nicht losgelöst von der konkreten privatrechtlichen Vereinbarung beantwortet werden.

Das lässt sich am Beispiel des Überstundenentgelts deutlich zeigen. Da sich der Anspruch auf Überstundenentgelt unmittelbar aus § 10 Abs 1 AZG ergibt, ist er zwar grundsätzlich vom Straftatbestand der Unterentlohnung erfasst, handelt es sich doch um ein „nach Gesetz gebührendes“ Entgelt. Die Strafbarkeit nach dem LSD-BG hängt jedoch letztlich von den getroffenen Vereinbarungen ab. Es macht nämlich einen Unterschied, ob sich die Parteien auf eine Einzelverrechnung der Überstunden oder eine Überstundenpauschale geeinigt haben. Ist letzteres der Fall, kann erst nach Ablauf des für die Deckungsprüfung maßgeblichen Zeitraums festgestellt werden,* ob überhaupt ein Anspruch auf Überstundenentgelt besteht.* Die privatrechtliche Vereinbarung schlägt hier also unmittelbar auf die verwaltungsrechtliche Strafbarkeit durch.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das ebenso für die Vereinbarung des Verfalls gilt, der dann eintritt, wenn ein bestimmter Entgelt-80anspruch vom/von der AN nicht innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich oder außergerichtlich geltend gemacht wird. Zuletzt wurde wiederholt die Ansicht vertreten, dass nach Ablauf privatrechtlicher Verfallsfristen kein Anspruch verbleibe und somit die privatrechtlichen Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach dem LSD-BG nicht gegeben seien.* Nach Eintritt des Verfalls und seiner Rechtsfolge – nämlich der vollständigen Anspruchsvernichtung – gäbe es gar kein Entgelt mehr, das dem/der AN „gebühre“.* Die gegenteilige Ansicht würde zu dem Ergebnis führen, dass der/die AG, um der Strafbarkeit zu entgehen, Entgeltleistungen erbringen müsste, für die kein Rechtsgrund mehr besteht. Der/die AG könnte im Zweifelsfall diese rechtsgrundlosen Zahlungen bereicherungsrechtlich zurückfordern.*

Im Kern wird demnach vorgebracht, dass die Anwendbarkeit des LSD-BG auf verfallene Entgeltansprüche dazu führen würde, dass der privatrechtliche Verfall seine Bedeutung verlöre.* Eine solche Absicht sei dem Gesetzgeber des LSD-BG nicht zu unterstellen, weshalb verfallene Entgeltansprüche nicht vom Straftatbestand der Unterentlohnung erfasst und folglich auch nicht strafbewehrt sein sollen.* Damit wird freilich der Anwendungsbereich des Straftatbestands der Unterentlohnung erheblich eingeschränkt, da Verfallsfristen zum typischen Inhalt von Kollektivverträgen gehören und somit großflächig zum Einsatz kommen. Aus diesem Grund wurde ebenso bereits die Meinung vertreten, dass verfallene Entgeltansprüche in den Straftatbestand der Unterentlohnung miteinzubeziehen sind. Es würde der generalpräventiven Wirkung des LSD-BG widersprechen, wollte man verfallene Entgeltansprüche für die Strafbarkeit nicht berücksichtigen.*

Letztlich geht es also um die Frage, ob dem privatrechtlichen Verfall oder der öffentlich-rechtlichen Strafverfolgung Vorrang zukommt. Denn während privatrechtlich zumeist nur ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum von wenigen Monaten zur Verfügung steht, um Entgeltdifferenzen einzufordern, beträgt die Frist zur Verfolgung einer Unterentlohnung nach § 29 Abs 3 LSD-BG drei Jahre ab Fälligkeit des Entgelts.* Da der Gesetzgeber dazu schweigt, muss im Wege der Interpretation eine Antwort gefunden werden. Zu diesem Zweck soll in einem ersten Schritt der Verfall und seine Rechtsfolgen einer näheren Analyse unterzogen werden (3.), um dann in weiterer Folge zu untersuchen, ob sich aus dem LSD-BG Anhaltspunkte zur Lösung dieser Problemstellung gewinnen lassen (4.).

3.
Verfall und Verjährung arbeitsrechtlicher Entgeltansprüche

Verfallsfristen werden nicht nur auf einzelvertraglicher Ebene häufig vereinbart, sie gehören auch zum typischen Inhalt von Kollektivverträgen. In der Regel handelt es sich dabei um relativ kurze Fristen zwischen drei und sechs Monaten. Zumeist wird vereinbart, dass Entgeltansprüche innerhalb einer vorgegebenen Frist außergerichtlich geltend gemacht werden müssen, damit die dreijährige Verjährungsfrist gem § 1486 Z 5 ABGB gewahrt bleibt.* Lässt der/die AN die Frist verstreichen, ohne seine/ihre Ansprüche entsprechend anzumelden, so ist eine klageweise Geltendmachung nicht mehr möglich, selbst wenn die gesetzliche Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Nach der jedenfalls bisher hA geht mit Ablauf der Verfallsfrist der Anspruch dem Grunde nach unter. Im Gegensatz zur Verjährung soll also nicht mal mehr eine Naturalobligation verbleiben.* Auch wenn es offenkundig ist, dass AN durch derartige Vereinbarungen massiv in ihren Rechten eingeschränkt werden, hält der OGH Verfallsklauseln grundsätzlich für zulässig, und zwar unabhängig davon, ob sie im Arbeitsvertrag oder im KollV vereinbart wurden und ob sie sich auf dispositive oder zwingende Entgeltansprüche beziehen.*

Die sachliche Rechtfertigung für die Vereinbarung von Verfallsfristen sieht der OGH in ihrer Bereinigungsfunktion: Strittige Ansprüche sollen möglichst schnell einer Klärung zugeführt werden, da die Beweisschwierigkeiten zunehmen, je mehr Zeit vergeht.* Im Zeitalter digitaler Zeiterfassungs- und Lohnabrechnungssysteme erscheint die Richtigkeit dieser These zunehmend fraglich. Vor allem aber hat der Gesetzgeber der Bereinigungsfunktion ohnehin Rechnung getragen, indem er die allgemeine Verjährungsfrist von 30 Jahren in Bezug auf Entgeltansprüche von AN auf drei Jahre reduziert hat. Der OGH sieht das freilich anders. Sittenwidrig seien nur unverhältnismäßig kurze Verfallsfristen, durch welche die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschwert wird. Dabei legt der OGH einen relativ großzügigen Maßstab an. Lediglich Fristen von weniger als drei Monaten sollen problematisch sein.*81

Die hL steht privatrechtlichen Verfallsfristen im Hinblick auf unabdingbare AN-Ansprüche hingegen überwiegend ablehnend gegenüber.* Im Zentrum der Kritik steht die vom OGH vorgenommene künstliche Differenzierung zwischen dem Anspruch selbst und seiner Geltendmachung. Nach Ansicht des Gerichtshofs steht die zwingende Wirkung des Arbeitsrechts kurzen Verfallsfristen deshalb nicht entgegen, da ja nicht der Anspruch, sondern nur seine Geltendmachung eingeschränkt werde.* Was nützt allerdings ein Anspruch, der nicht geltend gemacht werden kann? Bereits Holzner hat darauf hingewiesen, dass wertungsmäßig zwischen der Vereinbarung eines Verzichts auf zwingende Ansprüche und der Vereinbarung des Verfalls kein Unterschied besteht.* Ersteres hält der OGH jedoch mit der zwingenden Wirkung des Arbeitsrechts ausdrücklich für nicht vereinbar.* Warum das beim Verfall anders sein soll, ist nicht einsichtig.

Dieser Wertungswiderspruch wird besonders augenfällig, wenn man die Verfallsfristen mit Jabornegg nicht als Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen, sondern als Fristen zur Anmeldung des Bestehens eines Anspruches versteht.* In diese Richtung weist der Umstand, dass die in der Praxis üblichen Verfallsfristen lediglich eine außergerichtliche Geltendmachung vorsehen, die in weiterer Folge die dreijährige Verjährungsfrist wahrt. Es geht also tatsächlich gar nicht um die Geltendmachung des Anspruches – diese erfolgt erst zu einem späteren Zeitpunkt und zwar im Klageweg –, sondern um die Sicherstellung des Anspruches dem Grunde nach. Jabornegg ist vollinhaltlich beizupflichten, wenn er daher die Vereinbarung des Verfalls einer auflösenden Bedingung gleichhält.* Dass letztere in Bezug auf zwingende arbeitsrechtliche Ansprüche rechtsgültig nicht vereinbart werden kann, ist jedoch unstrittig.*

Zuletzt hat der OGH die Differenzierung zwischen dem Anspruch dem Grunde nach und seiner Geltendmachung dadurch zu rechtfertigen versucht, dass der Gesetzgeber selbst in diesem Sinne unterscheide.* Das zeige sich daran, dass nach § 1164 ABGB sowohl der Anspruch auf Kündigungsentschädigung gem § 1162b als auch die Frist zu dessen Geltendmachung gem § 1162d relativ zwingend seien. Bestünde zwischen dem Anspruch selbst und seiner Geltendmachung kein Unterschied, so hätte der Gesetzgeber in § 1164 nicht differenzieren müssen.

Dieses Argument ist freilich wenig überzeugend. Dass der Gesetzgeber ausdrücklich die Regelung des § 1162d in die Auflistung des § 1164 ABGB aufgenommen hat, ist allein dem Umstand geschuldet, dass die Frist zur Geltendmachung der Kündigungsentschädigung in einem eigenen Paragraphen geregelt ist. Es ist daher nur logisch, dass diese eigenständige Bestimmung gesondert genannt wird, damit kein Zweifel besteht, dass dieser ebenso zwingende Wirkung zukommt. Dies gilt umso mehr, als die allgemeine Frist zur Geltendmachung von Entgeltansprüchen gem § 1486 Z 5 ABGB normalerweise drei Jahre beträgt. Die gesonderte Nennung in § 1164 ABGB hat also lediglich klarstellenden Charakter. Darüber hinausgehende Rechtsfolgen lassen sich daraus nicht ableiten – außer eben, dass die Frist zwingend ist.*

Ähnlich verhält es sich mit den Regelungen des § 11 Abs 2 Z 5 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) sowie des § 26 Abs 9 AZG. Beide Bestimmungen enthalten Vorschriften zum Schutz der AN vor Verfallsfristen. Der OGH will daraus ableiten, dass der Gesetzgeber von der grundsätzlichen Zulässigkeit von Verfallsfristen ausgeht, da ja beide Bestimmungen deren Existenz voraussetzen.* Auch hier ist allerdings der Gegenschluss möglich – und eigentlich näherliegend. Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber zur Zulässigkeit von Verfallsfristen weiterhin schweigt und lediglich für bestimmte Fälle, die von einem besonderen Schutzbedürfnis der AN gekennzeichnet sind, eine ausdrückliche, den Verfall beschränkende Regelung getroffen hat, kann auch dahin verstanden werden, dass der Gesetzgeber Verfallsfristen prinzipiell kritisch gegenübersteht. Das wurde mit der Regelung des § 11 Abs 2 Z 5 AÜG bzw § 26 Abs 8 AZG klargestellt. Es ist wenig überzeugend, daraus den Schluss ziehen zu wollen, dass auf diese Weise Verfallsfristen legitimiert werden sollten.*

Als letztes Argument des OGH, dem Gewicht zukommt, verbleibt damit, dass gem § 1502 ABGB ausdrücklich nur eine Verlängerung der gesetzlichen Verjährungsfristen verboten ist. Daraus soll sich im Umkehrschluss ergeben, dass eine Verkürzung grundsätzlich zulässig sein muss.* Diese Auffassung entspricht grundsätzlich der hL.* Damit ist allerdings noch nicht belegt, dass eine Verkürzung der Verjährungsfristen bezüglich jedweder Ansprüche vereinbart werden kann. Der OGH bejaht das freilich und beruft sich in diesem Zusammenhang auf Holzner, der sich mit dieser Frage aus einer historischen Perspektive beschäftigt und die Materialien der Stammfassung des ABGB dazu ausgewertet hat.* Dass der Gerichtshof82 gerade diesen Autor für seine Ansicht in Anspruch nimmt, ist allerdings verwunderlich. Denn Holzner hat klar herausgearbeitet, dass die Väter des ABGB zwar Fristverkürzungen mit § 1502 ABGB grundsätzlich für vereinbar hielten, jedoch ursprünglich sogar eine ausdrückliche Ausnahme für zwingende Ansprüche vorsehen wollten.*Holzner kommt daher dezidiert zu dem Ergebnis, dass sich angesichts dieser Vorgeschichte aus § 1502 ABGB nur die Zulässigkeit einer Fristverkürzung für dispositive Ansprüche ableiten lässt.* Dafür, dass das Schweigen des Gesetzgebers so zu interpretieren ist, dass auch zwingende Ansprüche erfasst sein sollen, gibt es demnach keinen Anhaltspunkt. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.*

Der Verweis des OGH auf § 1502 ABGB ist aber im gegebenen Kontext aus einem anderen Grund von Interesse. Diese Bestimmung befasst sich ausdrücklich nur mit der Frage, ob die gesetzlichen Verjährungsfristen durch privatautonome Vereinbarung modifiziert werden können. § 1502 ABGB sagt nichts über die Zulässigkeit der Vereinbarung von Verfallsfristen aus. Wenn sich also der OGH zur Rechtfertigung seiner Judikatur auf diese Bestimmung beruft, so lässt dies nur einen Schluss zu: Er scheint nicht zwischen Verfall und Verjährung in dem Sinne zu differenzieren, dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Rechtsinstitute handelt. Vielmehr scheint das Höchstgericht die Vereinbarung des Verfalls mit der Vereinbarung einer Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen gleichzusetzen. Auch wenn der OGH dies nicht ausdrücklich ausspricht, so weist die Begründung der E vom 26.2.2014, 9 ObA 1/14h, tatsächlich in diese Richtung, wird doch etwa ausgeführt:

Die Kritiker machen ferner geltend, dass die kürzeren vertraglichen Verfallsfristen doch auch dort greifen würden, wo es um eindeutige und unbestreitbare Ansprüche des AN gehen würde [...]. Dazu ist darauf zu verweisen, dass der OGH stets betont hat, dass nur sachlich begründbare, die Geltendmachung nicht unzumutbar einschränkende Verkürzungen der Verjährungsfristen vor dem Sittenwidrigkeitskalkül des § 879 ABGB Bestand haben können [...]“. Oder andernorts: „Es fehlt also im Ergebnis an einer gesetzlichen Anordnung, die es rechtfertigen würde, allgemein von einer Unzulässigkeit der Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen bei unabdingbaren Ansprüchen im Arbeitsverhältnis auszugehen. Die vorliegende Vereinbarung einer dreimonatigen Frist für die außergerichtliche schriftliche Geltendmachung kann [...] nicht als unsachlich und gegen § 879 ABGB verstoßend angesehen werden.

Diese Ausführungen lassen eigentlich keinen Zweifel daran, dass der OGH unter der gegenständlichen „Verfallsfrist“ nichts anderes als die bloße Vereinbarung der Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist versteht. Tatsächlich wird auch in der Lehre vermehrt bestritten, dass es sich bei Verjährung und Verfall um zwei unterschiedliche Rechtsinstitute handelt.* Vielmehr seien auch auf sogenannte „Verfalls“- oder „Präklusions“fristen die allgemeinen Verjährungsregeln anzuwenden.* Zwar werden durch die Annahme der Vereinbarung verkürzter Verjährungsfristen anstelle des Verfalls die Wertungswidersprüche zur zwingenden Wirkung des Arbeitsrechts nicht beseitigt. Das Grundproblem bleibt dasselbe. Für die Frage, ob verfallene Entgeltansprüche im Rahmen einer Unterentlohnung nach dem LSD-BG zu berücksichtigen sind, ist sie jedoch von wesentlicher Bedeutung. Denn versteht man unter der Vereinbarung des Verfalls lediglich die Vereinbarung der Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfristen, so besteht kein Zweifel, dass auch nach Ablauf der vereinbarten Frist der Anspruch dem Grunde nach – als Naturalobligation – bestehen bleibt. Das betroffene Entgelt „gebührt“ maW weiterhin, lediglich das Recht zur Geltendmachung ist allenfalls verloren gegangen. Damit ist allerdings das Hauptargument jener, die verfallene Entgeltansprüche deshalb von der Strafbarkeit nach dem LSD-BG ausnehmen wollen, weil nach Ablauf der Verfallsfrist kein privatrechtlicher Anspruch mehr existiert,* entkräftet.

Diese Ansicht kann aber selbst dann nicht überzeugen, wenn man an der überkommenen, traditionellen Differenzierung zwischen Verjährung und Verfall festhielte. Sowohl Wortlaut als auch Regelungszusammenhang des LSD-BG sprechen eindeutig dafür, dass auch Entgeltdifferenzen, die privatrechtlich bereits verfallen sind, den Straftatbestand der Unterentlohnung gem § 29 Abs 1 LSDBG bzw § 7i Abs 5 AVRAG begründen können.

4.
Der Straftatbestand der Unterentlohnung
4.1.
„Gebührendes“ Entgelt als Anknüpfung der Strafbarkeit
4.1.1.
Ausgangssituation

Strafbar gem § 29 Abs 1 LSD-BG bzw § 7i Abs 5 AVRAG macht sich, um es noch einmal zu betonen, wer als AG eine/n AN beschäftigt (hat), ohne ihm/ihr das nach Gesetz, VO oder KollV „gebührende“ bzw „zustehende“ Entgelt zu leisten. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung wird zT abgeleitet, dass verfallene Entgeltdifferenzen keine Strafbarkeit begründen könnten, da nach Eintritt des Verfalls kein Anspruch mehr bestünde, der dem/der AN „gebühre“ bzw „zustehe“. Auf Grund des im Verwaltungsstrafrecht bestehenden Analogieverbots könne daher die Strafbarkeit nicht auf privatrechtlich verfallene Entgeltansprüche ausgedehnt werden.*) Dieser Rechtsansicht liegt freilich ein bestimmtes, aber gerade erst zu83 belegendes Begriffsverständnis zu Grunde. Es wird unterstellt, dass nur dann ein Entgelt „zusteht“, wenn zum Zeitpunkt der Strafverhängung noch die Möglichkeit der privatrechtlichen Geltendmachung besteht. Diese Auslegung ist keineswegs zwingend. Stellt man bspw auf den Zeitpunkt der privatrechtlichen Fälligkeit ab – in dem Sinn, dass jedes fällige Entgelt dem/der AN auch „gebührt“ –, so wäre ein später eintretender Verfall oder eine später eintretende Verfristung unerheblich. Darauf hat bereits Eypeltauer hingewiesen.* Tatsächlich lässt der Wortlaut offen, zu welchem Zeitpunkt der Anspruch bestehen muss, damit von einem „gebührenden/zustehenden“ Entgelt ausgegangen werden kann. Es stellt sich folglich die Frage, ob sich aus dem systematischen Zusammenhang und dem Regelungszweck Anhaltspunkte für den maßgeblichen Zeitpunkt gewinnen lassen.

4.1.2.
Auswirkungen der Verfolgungsverjährung

In diesem Kontext erscheint es durchaus beachtlich, dass der Gesetzgeber für den Straftatbestand der Unterentlohnung in § 29 Abs 4 LSD-BG bzw § 7i Abs 7 AVRAG eine spezielle Frist für die Verfolgungsverjährung festgelegt hat. Diese beträgt anders als noch idF des BGBl 2011/24BGBl 2011/24 und vor allem im Gegensatz zum allgemeinen Verwaltungsstrafrecht (§ 31 Abs 1 VStG) nicht ein Jahr, sondern seit BGBl I 2014/94drei Jahre.* Der Fristenlauf beginnt ausdrücklich mit der Fälligkeit des Entgelts. Ab diesem Zeitpunkt muss innerhalb von drei Jahren eine taugliche Verfolgungshandlung gesetzt werden, damit Verjährung nicht eintritt. Gem § 32 Abs 2 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) ist eine „Verfolgungshandlung“ jede „von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Strafverfügung udgl), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat“. Der Begriff der „Verfolgungshandlung“ ist somit niederschwellig. Voraussetzung ist lediglich die Verfolgung einer konkreten Verwaltungsübertretung gegenüber einer bestimmten Person durch eine Behörde.* Neben der ausdrücklich genannten „Ladung“ und „Vernehmung“ von Beschuldigten stellt nach der Judikatur des VwGH bereits ein Zurkenntnisbringen des Anzeigeinhalts mit der Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme zur Rechtfertigung eine Verfolgungshandlung dar, wenn die Anzeige alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale enthält.* Nicht von Relevanz ist, ob die Behörde zur Vornahme der Verfolgungshandlung zuständig ist. Auch unzuständige Behörden können taugliche Verfolgungshandlungen setzen. Die Behördeneigenschaft muss allerdings erfüllt sein. Die Feststellung einer Unterentlohnung durch den BR in Ausübung der Mitwirkungsrechte nach § 89 ArbVG oder durch Arbeiterkammer bzw Gewerkschaft und deren Anzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde sind somit nicht als Verfolgungshandlung zu qualifizieren.

Weniger eindeutig ist die rechtliche Beurteilung von Handlungen, welche die Krankenversicherungsträger im Rahmen einer gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) setzen. Auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung sind die Krankenversicherungsträger verpflichtet, Anzeige an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu erstatten, wenn sie – zB im Rahmen einer GPLA – feststellen, dass der/die AG dem/der AN nicht das ihm/ihr zustehende Entgelt geleistet hat (vgl § 14 Abs 1 iVm § 13 Abs 4 LSD-BG bzw § 7g AVRAG). Dh, dass die Krankenversicherungsträger berechtigt sind, Ermittlungshandlungen, wie bspw Vernehmungen, zur Feststellung einer Unterentlohnung nach dem LSD-BG zu setzen. Darüber hinaus besteht kein Zweifel, dass den Krankenversicherungsträgern gerade im Rahmen der GPLA Behördeneigenschaft zukommt, selbst wenn Sie gleichzeitig Selbstverwaltungskörper sind.* Allerdings liegt dem VStG ein eigener, engerer Behördenbegriff zu Grunde. Behörden iSd § 31 bzw § 32 VStG sind nach hA nur solche, die auch das VStG anzuwenden haben.* Das trifft auf die Krankenversicherungsträger nicht zu. Folglich liegt keine Verfolgungshandlung iSd § 32 Abs 2 VStG vor, wenn die Krankenversicherungsträger im Rahmen einer GPLA Vernehmungen vornehmen; auch wenn sich diese auf eine Unterentlohnung nach dem LSD-BG beziehen. In der Regel wird daher erst, wenn die Bezirksverwaltungsbehörde auf Grundlage einer Anzeige eines Krankenversicherungsträgers konkrete Schritte gegen einen Beschuldigten gesetzt hat, die Frist zur Verfolgungsverjährung unterbrochen.

Sollte es um eine Unterentlohnung gehen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfasst, beginnt der Fristenlauf der Verfolgungsverjährung seit 1.1.2015 (vgl § 19 Abs 1 Z 31 AVRAG) mit Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung. Auch in diesem Punkt weicht das LSD-BG also vom VStG ab, das auf jenen Zeitpunkt abstellt, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat (vgl § 31 Abs 1 VStG). Gerade beim Dauerdelikt der Unterentlohnung lässt sich dieser Zeitpunkt nur schwer festmachen. Ist die strafbare Tätigkeit erst dann abgeschlossen, wenn der AG zum kollektivvertraglichen Mindestlohn zurückkehrt oder auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis beendet und gar kein Entgelt mehr geleistet wird?* Diese84 Zweifel wollte der Gesetzgeber mit dem LSD-BG ausräumen.* Nunmehr ist klar, dass im Falle einer Unterentlohnung über mehrere, durchgehende Lohnzahlungszeiträume die Frist zur Verfolgungsverjährung erst mit Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum zu laufen beginnt. Das ist entweder jener Zeitpunkt, zu dem der/die AG zur korrekten Entlohnung zurückkehrt oder jener, mit dem das Arbeitsverhältnis endet; und zwar unabhängig davon, wie lange die Unterentlohnung zuvor angedauert hat.* Sollte also der/die AG bspw zehn Jahre hinweg nicht den kollektivvertraglichen Mindestlohn geleistet haben, so kann die Unterentlohnung für den gesamten Zeitraum geahndet werden, wenn innerhalb von drei Jahren ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Verfolgungshandlung iSd § 32 Abs 2 VStG gesetzt wird. Das ist freilich erst für die Zukunft von Bedeutung, da dieser spezielle Fristenlauf erst für Sachverhalte nach dem 1.1.2015 gilt.

Weshalb der Gesetzgeber die Frist zur Verfolgungsverjährung von einem Jahr auf drei Jahre ausgedehnt hat, liegt auf der Hand: Die gesetzliche Verjährungsfrist für die privatrechtliche Geltendmachung von Entgeltansprüchen beträgt gem § 1486 Z 5 ABGB ebenfalls drei Jahre und beginnt grundsätzlich ebenso mit Fälligkeit des Entgeltanspruches zu laufen.* Der Gesetzgeber wollte also offenkundig die Frist zur Verfolgungsverjährung mit der allgemeinen Verjährungsfrist des § 1486 Z 5 ABGB gleichschalten. Der Grund dafür liegt in der präventiven Wirkung des LSD-BG.* Ein Hauptanliegen dieses Gesetzes ist, dass der/die AN, der/die rechtswidrig in seinem/ihrem Entgeltanspruch verkürzt wurde, das ihm/ihr zustehende Entgelt tatsächlich erhält. Solange der/die AG nicht freiwillig die Entgeltdifferenz leistet, um der Strafe zu entgehen, ist diese nur klageweise am Zivilrechtsweg durchsetzbar. Das setzt freilich die Kenntnis des/der AN von einer Anzeige wegen Lohndumpings gegenüber dem/der AG voraus. Seit BGBl I 2015/113 besteht deshalb auch gem § 7g Abs 3 AVRAG bzw nun § 14 Abs 3 LSD-BG eine entsprechende Informationspflicht der Behörden gegenüber dem/der AN.* Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Ausdehnung der Frist für die Verfolgungsverjährung sinnvoll und logisch, da ein behördliches Einschreiten in der Praxis zumeist erst die Bereitschaft schafft, Entgeltdifferenzen am Zivilrechtsweg einzuklagen.

Neben der Frist zur Verfolgungsverjährung wurde auch die Frist der Strafbarkeitsverjährung gegenüber dem VStG ausgedehnt. Anstelle der normalerweise geltenden dreijährigen Frist gem § 31 Abs 2 VStG, gilt gem § 29 Abs 4 LSD-BG bzw § 7i Abs 7 AVRAG eine Frist von fünf Jahren. Auch in diesem Fall ist der Grund für die Fristverlängerung offenkundig: Es soll eine effektive Strafverfolgung durch die zuständigen Behörden ermöglicht werden. Der Gesetzgeber hat also für die Strafbarkeit nach dem LSD-BG bewusst den privatrechtlichen Verfall und die privatrechtliche Verjährung ausgeklammert. Die gegenteilige Ansicht würde zu absurden Ergebnissen führen. Es wäre höchst widersprüchlich, die Frist zur Verfolgungsverjährung auf drei Jahre auszudehnen, wenn ein Großteil der Verfolgungshandlungen deshalb wieder eingestellt werden müsste, weil die festgestellten Entgeltdifferenzen zivilrechtlich bereits verfallen sind. Dass der Gesetzgeber nicht bedacht hat, dass in der Praxis neben der gesetzlichen Verjährungsfrist auch ungleich kürzere Verfallsfristen zur Anwendung kommen, kann in Anbetracht der sozialpolitischen Bedeutung derartiger Regelungen und der damit in Verbindung stehenden Diskussionen nicht ernsthaft behauptet werden.

Ganz im Gegenteil! Ist nicht vielmehr der Umstand, dass der Gesetzgeber den privatrechtlichen Verfall für die Frage der Strafbarkeit von Unterentlohnungen offenkundig für unbeachtlich hält, ein gewichtiges Argument dafür, dass Verfallsfristen überhaupt unzulässig sein sollen? Oder anders ausgedrückt: Müsste man nicht, um der präventiven Wirkung des LSD-BG tatsächlich zum Durchbruch zu verhelfen, die Ansicht vertreten, dass dem/der AN – unabhängig von der privatrechtlichen Geltung einzel- oder kollektivvertraglicher Verfallsfristen – immer die gesetzlichen Verjährungsfristen zur Verfügung stehen müssen, damit auch im Zivilrecht die Gleichschaltung mit der Frist für die Verfolgungsverjährung ihre intendierte Wirkung erfüllen kann?*

Selbst wenn man nicht so weit gehen will, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang klar, welcher Zeitpunkt maßgeblich für die Beurteilung der Strafbarkeit wegen Unterentlohnung gem § 29 Abs 1 LSD-BG bzw § 7i Abs 5 AVRAG ist: Die Fälligkeit des nicht oder nicht im erforderlichen Ausmaß geleisteten Entgelts.* Es wäre geradezu absurd, an die Möglichkeit der Strafverfolgung und die Strafbarkeit selbst unterschiedliche Maßstäbe anzulegen. Dem Gesetzgeber kann vernünftiger Weise nicht unterstellt werden, dass er sinnlose Verfolgungshandlungen zulassen wollte.*

4.1.3.
„Gebührendes“ Entgelt im ASVG

Darüber hinaus entspricht diese Interpretation, dem gängigen öffentlich-rechtlichen Verständnis von „zustehendem“ oder „gebührendem“ Entgelt. Das gilt insb für das ASVG. Da § 7i Abs 5 AVRAG ebenso wie nun § 29 Abs 1 LSD-BG ausdrücklich auf § 49 Abs 3 ASVG verweist und somit einen direkten Konnex zum Sozialversicherungsrecht herstellt, scheint es von wesentlicher Bedeutung, wie dort der Begriff ausgelegt wird. Gem § 44 Abs 1 ASVG bemisst sich die Beitragspflicht von dem im Beitragszeitraum „gebührenden“ Arbeitsverdienst, wobei als Arbeitsverdienst das Entgelt iSd § 49 Abs 1 ASVG anzusehen ist. Der VwGH versteht darunter nach stRsp jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages85 ein Rechtsanspruch bestand.* Dh, dass auf das fragliche Entgelt iSd § 49 Abs 1 ASVG im Beitragszeitraum ein Anspruch bestehen muss.* Es muss maW fällig sein. Die Möglichkeit der privatrechtlichen Geltendmachung wird hingegen nicht vorausgesetzt. Auch im Sozialversicherungsrecht wird also auf die Fälligkeit des Anspruches als das den Tatbestand auslösende Ereignis abgestellt. Das hat zur Folge, dass eine nachträgliche Vereinbarung im zivilen Rechtsbereich diese öffentlich-rechtlichen Ansprüche gem § 44 Abs 1 und § 49 Abs 1 ASVG nicht berühren kann.*

Das ist für die Frage der Feststellungsverjährung der Beitragspflicht von Bedeutung. Gem § 68 Abs 1 ASVG kann die Verpflichtung zur Zahlung von (gar nicht oder in einer zu geringen Höhe geleisteten) Beiträgen jedenfalls drei Jahre rückwirkend festgestellt werden, wobei die Verjährungsfrist mit Fälligkeit der Beiträge zu laufen beginnt. Der Beitrag wird gem § 58 Abs 1 ASVG mit Ablauf jenes Monats fällig, in den das Ende des Beitragszeitraums fällt, für den der entsprechende Arbeitsverdienst „gebührt“. Die Bemessung der Beitragsnachforderung richtet sich folglich nach dem Entgelt, auf das der/die AN im entsprechenden Zeitraum Anspruch hatte. Dh, auch in diesem Zusammenhang ist lediglich die Fälligkeit des Entgeltanspruches maßgeblich. Es kommt nicht darauf an, ob der Entgeltanspruch im Zeitpunkt der Feststellung der Beitragspflicht noch durchsetzbar ist. Mit Auer-Mayer ist daher davon auszugehen, dass auch zwischenzeitig verjährte oder verfallene Entgeltansprüche in die Beitragsgrundlage innerhalb der Frist für die Feststellungsverjährung einzubeziehen sind.* Der Grund dafür liegt auf der Hand: AN und AG sollen nicht privatrechtliche Vereinbarungen treffen können, die zu Lasten der Sozialversicherungsträger gehen. Oder anders ausgedrückt: Die Vereinbarung des privatrechtlichen Verfalls soll nicht zu einer Minderung der öffentlich-rechtlichen Beitragspflicht gegenüber dem Sozialversicherungsträger führen.

4.1.4.
Schlussfolgerungen vor dem Hintergrund der Ziele des LSD-BG sowie des Zwecks von Verfallsfristen

Nichts anderes kann im Anwendungsbereich des LSD-BG gelten. Würde man es zulassen, dass die Vereinbarung des Verfalls die Straffreiheit von rechtswidrigen Unterentlohnungen bewirkt, so würde dies den Zweck des LSD-BG als Ganzes in Frage stellen. Die Gegenmeinung würde dazu führen, dass zwar das Lohndumping weiterhin eine allseits unerwünschte und missbilligte Wettbewerbsverzerrung bewirkt, jedoch AG und AN durch privatrechtliche Vereinbarung verhindern könnten, dass diese vom Staat geahndet wird. Dass dieses Ergebnis vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist oder gar gewollt war, kann vernünftiger Weise nicht behauptet werden. Es würde die gesetzlichen Maßnahmen zur Verhinderung von Lohndumping – ein Kernstück der aktuellen sozialpolitischen Reformagenda – ad absurdum führen.*

Auch der Zweck von Verfallsfristen verlangt nicht die verwaltungsrechtliche Straffreiheit von Entgeltdifferenzen, die zivilrechtlich nicht mehr eingeklagt werden können. Nach der stRsp des OGH besteht ein berechtigtes Interesse vor allem auf AG-Seite, strittige Ansprüche möglichst schnell einer Klärung zuzuführen, um nicht im Nachhinein mit Forderungen konfrontiert zu sein, deren Richtigkeit sich – je mehr Zeit vergeht – immer schwerer überprüfen lässt.* Der insoweit unstrittige Zweck von Verfallsfristen besteht also – wie bereits ausgeführt – in ihrer Bereinigungsfunktion. Der/die AN soll nicht ohne Not mit der Geltendmachung eines Anspruches zuwarten und damit den/die AG in einen Beweisnotstand bringen.* Der Verfall betrifft demnach ausschließlich das Verhältnis zwischen AG und AN. Lohndumping hat allerdings gesamtwirtschaftliche Auswirkungen. Es wirkt sich sowohl auf die Abgaben- und Beitragsleistungen und damit auf den Staat als auch auf den Wettbewerb und damit auf andere Unternehmen und die dort Beschäftigten negativ aus. In diesem Verhältnis kann gerade kein Bedarf nach einer raschen Bereinigung anerkannt werden. Genau deshalb hat der Gesetzgeber sowohl die Frist zur Verfolgungs- als auch zur Strafbarkeitsverjährung gegenüber dem VStG ausgedehnt. Der eigentliche Zweck der Verfallsfrist geht in diesem Zusammenhang also ins Leere. Damit fehlt auch aus privatrechtlicher Sicht die sachliche Rechtfertigung für ein Durchschlagen des Verfalls auf die verwaltungsrechtliche Strafbarkeit.

Vor diesem Hintergrund kann kein Zweifel bestehen, dass die Strafbarkeit wegen Unterentlohnung nach § 29 Abs 1 LSD-BG bzw § 7i Abs 5 AVRAG lediglich die Fälligkeit des Entgeltanspruches voraussetzt, nicht hingegen auch die privatrechtliche Möglichkeit der klageweisen Geltendmachung. Dafür sprechen nicht zuletzt die Gesetzesmaterialien. In diesen wird klargestellt, dass, sobald Fälligkeit eingetreten ist, selbst eine nachträgliche Zahlung des Entgelts nichts am Beginn des Fristenlaufs zu ändern vermag.* Nachträgliche privatrechtliche Handlungen ändern maW nichts an der Strafbarkeit. Dasselbe muss für privatrechtliche Vereinbarungen gelten. Dh, dass der Verfall keinerlei Auswirkungen auf den Straftatbestand der Unterentlohnung hat.

4.2.
Nachzahlung verfallener Entgeltdifferenzen

Freilich wurde in der Literatur noch ein weiteres Argument für ein Durchschlagen des privatrechtlichen Verfalls auf die Strafbarkeit nach dem LSD-BG86 bemüht: Hielte man den privatrechtlichen Verfall für unbeachtlich, so würde das dazu führen, dass der/die AG rechtsgrundlose Leistungen erbringen müsste, um sich der Strafbarkeit zu entziehen.* Denn gem § 29 Abs 2 und Abs 3 LSD-BG bzw § 7i Abs 5a und Abs 6 AVRAG besteht Straffreiheit bzw ist die Strafe nachzusehen, wenn der/die AG die Entgeltdifferenz tatsächlich nachzahlt. Sollte diese privatrechtlich bereits verfallen sein, könnte der/die AG die Entgeltdifferenz bereicherungsrechtlich zurückfordern, weil der/die AN unrechtmäßig bereichert wäre.* Das sei vom Gesetzgeber nicht intendiert gewesen.

Diese Auffassung fußt allerdings auf der Prämisse, dass nach Ablauf der Verfallsfrist zivilrechtlich nicht einmal eine Naturalobligation verbleibt. In Anbetracht der jüngeren Rsp des OGH und eines beachtlichen Teils der Lehre darf die Richtigkeit dieser These jedoch bezweifelt werden. Der Verfall stellt nichts anderes als die Vereinbarung der Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist dar.* Das hat zur Folge, dass auf den „Verfall“ die allgemeinen Verjährungsregeln zur Anwendung kommen. Verjährte Entgeltansprüche können demnach mit schuldbefreiender Wirkung geleistet werden, deren bereicherungsrechtliche Rückforderung ist gem § 1432 ABGB ausgeschlossen. Damit ist der Annahme, die Nachzahlung bereits verfallener Entgeltdifferenzen würde zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des/der AN führen, die Grundlage entzogen.

Selbst für den Fall einer anspruchsvernichtenden Wirkung des Verfalls sind die vorgebrachten Argumente nicht überzeugend. Zum einen können gem § 1432 ABGB wissentlich geleistete Nichtschulden nicht zurückgefordert werden. Begleicht also der/die AG die Entgeltdifferenz, obwohl privatrechtlich Verfall eingetreten ist, so kann er/sie im Wissen darüber die geleisteten Zahlungen gerade nicht mehr kondizieren. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er/sie das ausständige Entgelt deshalb nachgezahlt hat, um einer Strafbarkeit nach dem LSD-BG zu entgehen. Das begründet – entgegen der von Königsberger/Scala vertretenen Auffassung* – keine der Ausübung von Zwang (§ 870 ABGB) gleichzuhaltende Drucksituation, die gem § 1431 ABGB die Möglichkeit einer Rückforderung trotz des Bewusstseins, zu dieser nicht verpflichtet zu sein, eröffnen würde. Zwar hat die Rsp die Leistung einer wissentlichen Nichtschuld zur Abwendung eines Strafverfahrens bereits als Drucksituation dem Grunde nach anerkannt.* Jedoch hat der OGH unter Berufung auf die hL ebenso festgehalten, dass die Beurteilung der Frage, ob in bestimmten Fallkonstellationen die Leistung kondiziert werden kann, nicht bloß nach dem Grad des Zwanges, sondern auch danach zu erfolgen hat, ob und inwieweit der Empfänger der Leistung gut- oder schlechtgläubig ist.*

Ist der Empfänger schlechtgläubig, so kann die Leistung trotz Wissens über deren Rechtsgrundlosigkeit eher zurückgefordert werden. Im vorliegenden Fall kann aber keine Rede davon sein, dass der/die AN schlechtgläubig ist. Königsberger/Scala weisen selbst darauf hin, dass eine unzulässige Drucksituation nur dann anzunehmen ist, wenn der/die AN durch Drohung mit einer verwaltungsstrafrechtlichen Anzeige einen Anspruch durchsetzen will, der ihm/ihr nicht zusteht.* Hier geht es aber um Entgeltansprüche, die dem/der AN gebühren. Andernfalls würden das LSD-BG und die Nachzahlungspflicht gar nicht greifen. Folglich erweist sich bereits die Annahme als falsch, der/die AG könnte verfallene Entgeltansprüche, die er zur Abwehr einer Strafbarkeit nach dem LSD-BG leistet, zivilrechtlich wieder zurückfordern.

Zum anderen verkennt diese These die Zielsetzung des LSD-BG. Für die Vermeidung wettbewerbsverzerrender Effekte reicht es nicht aus, dass Lohndumping unter Strafe gestellt wird. Vielmehr muss sichergestellt sein, dass der/die in seinen/ihren Ansprüchen verkürzte AN, das zustehende Entgelt auch tatsächlich erhält. Diese präventive Zielsetzung des LSD-BG ergibt sich klar aus den Materialien.* Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auch die Straffreiheit bzw Nachsicht der Strafbarkeit für den Fall vorgesehen, dass der/die AG die Entgeltdifferenz nachträglich begleicht. Es ist daher keineswegs widersinnig, sondern – im Gegenteil – iSd Gesetzes, wenn der/die AG sich nur dann der Strafbarkeit entziehen kann, wenn er innerhalb der Frist für die Verfolgungsverjährung alle fälligen Entgeltdifferenzen nachzahlt.* Würde man bereits verfallene Entgeltdifferenzen ausklammern, so hätte dies zum Ergebnis, dass sich der/die AG durch eine privatautonome Vereinbarung der Strafbarkeit entziehen könnte, ohne die wettbewerbsverzerrende Wirkung des Lohndumpings aufgeben zu müssen. Eines der Hauptziele des LSD-BG wäre auf diese Weise konterkariert.* Dass der Gesetzgeber dies in Kauf genommen hat, kann nicht unterstellt werden. Aus diesem Grund gehen auch die LSDB-Richtlinien 2015 davon aus, dass zivilrechtliche Verjährungs- und Verfallsfristen hinsichtlich der Nachzahlung unbeachtlich sind.* Für die Unbeachtlichkeit derartiger Verfalls- und Verjährungsbestimmungen spricht schließlich auch, dass die Verpflichtung zur Nachzahlung des ausständigen Entgelts zur Vermeidung der Strafbarkeit (§ 29 Abs 2 LSD-BG bzw § 7i Abs 5a AVRAG) im Ergebnis nichts anderes als eine Konkretisierung der „tätigen Reue“ ist.* Der Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue setzt Rechtzeitigkeit, Freiwilligkeit und vollständige Schadenswiedergutmachung voraus.* Nach der Rsp des OGH geht87 es darum, den vorherigen Zustand – dh, jenen Zustand, der vor der Tatbegehung bzw vor dem schädigenden Ereignis bestand – wiederherzustellen.* Umgelegt auf das LSD-BG bedeutet dies, dass jenes Entgelt nachzuzahlen ist, das zum Zeitpunkt des Beginns der Unterentlohnung und damit zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Entgelts gebührte. Sollte es um eine Unterentlohnung über mehrere, durchgehende Lohnzahlungszeiträume gehen, ist also das auf den gesamten Zeitraum entfallende, ausständige Entgelt zurückzuzahlen. § 29 Abs 5 LSD-BG bzw § 7i Abs 7a AVRAG spricht ausdrücklich von der nachträglichen Leistung des für „den betroffenen Zeitraum der Unterentlohnung“ gebührenden Entgelts.* Das Gesetz sieht also keinerlei zeitliche Beschränkung vor. Folglich darf auch der nachträgliche Eintritt des Verfalls oder der Verjährung keine Auswirkungen auf die Nachzahlungspflicht des/der AG haben, um noch von tätiger Reue sprechen zu können.* Das muss umso mehr für die Nachsichtregelung des § 29 Abs 3 LSD-BG bzw § 7i Abs 6 AVRAG gelten, da hier die Zahlung des/der AG auf Grund des behördlichen Einschreitens weder rechtzeitig noch freiwillig erfolgt. Folglich ist an das Kriterium der vollständigen Schadenswiederherstellung ein ungleich strengerer Maßstab anzulegen. Ließe man zu, dass durch zivilrechtliche Verfallsvereinbarungen die Nachzahlungspflicht verringert würde, hieße das im Ergebnis, dass der erlittene Schaden des/der AN eben nicht vollständig wieder gut gemacht worden wäre. Es fehlte damit an der Voraussetzung für eine Strafaufhebung bzw Nachsicht der Strafbarkeit.

Zusammengefasst lässt sich auch aus der Nachzahlungspflicht des/der AG kein tragfähiges Argument dafür gewinnen, dass Entgeltdifferenzen, die dem privatrechtlichen Verfall unterliegen, nicht als strafbare Unterentlohnung nach dem LSD-BG bzw AVRAG zu qualifizieren sind. Ganz im Gegenteil: Eine Rechtfertigung für die Straffreiheit bei Nachzahlung rechtswidriger Entgeltdifferenzen besteht nur dann, wenn der vollständige, zum Zeitpunkt der Tatbegehung fällige Entgeltanspruch unbeachtlich etwaiger Verfalls- und Verjährungsbestimmungen beglichen wird.

5.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die zuletzt in der Literatur mehrfach vertretene Ansicht, dass Entgeltdifferenzen, die privatrechtlich verfallen und deshalb klageweise nicht mehr geltend gemacht werden können, keine strafbare Unterentlohnung iSd § 29 Abs 1 LSD-BG bzw § 7i Abs 5 AVRAG begründen, erweist sich als verfehlt. Bereits die Grundthese, die Strafbarkeit scheitere daran, dass auf Grund des privatrechtlichen Verfalls gar kein Anspruch mehr bestehe und folglich das Entgelt auch nicht (mehr) „gebühre“, kann mit guten Gründen in Frage gestellt werden. Der OGH scheint nämlich inzwischen auf dem Standpunkt zu stehen, dass es sich beim Verfall um kein eigenes zivilrechtliches Rechtsinstitut, sondern lediglich um die Vereinbarung der Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist handelt.

Das hat zur Folge, dass auf sogenannte „Verfalls“- oder „Präklusiv“fristen die allgemeinen Verjährungsregeln zur Anwendung kommen. Auch nach Eintritt des Verfalls bleibt somit eine Naturalobligation. Nicht der Anspruch selbst geht verloren, sondern bloß die Möglichkeit seiner Geltendmachung. Damit steht fest, dass auch nach Ablauf einer vereinbarten, kürzeren Verjährungsfrist das in Rede stehende Entgelt dem/der AN weiterhin „gebührt“ bzw „zusteht“. Die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit wegen Unterentlohnung nach dem LSD-BG sind demnach erfüllt.

Das gilt selbst dann, wenn man die anspruchsvernichtende Wirkung des Verfalls anerkennt. Sowohl eine zweckorientierte als auch eine systematische Interpretation des Straftatbestandes der Unterentlohnung spricht dafür, dass für die Beurteilung, ob ein Entgelt „gebührt“, allein auf den Zeitpunkt der zivilrechtlichen Fälligkeit abzustellen ist. Das hat zur Folge, dass ein nachträglich eingetretener Verfall oder eine nachträglich eingetretene Verjährung für die Strafbarkeit nach dem LSD-BG unbeachtlich ist.

In diese Richtung weisen auch die Parallelen zum ASVG. Es würde den Regelungszweck des LSD-BG ad absurdum führen, wenn man es zuließe, dass sich AG durch die privatautonome Vereinbarung des Verfalls der Strafbarkeit entziehen könnten, ohne die Wettbewerbsverzerrung des Lohndumpings aufgeben oder ausgleichen zu müssen.

Aus diesem Grund ist auch aus der Nachzahlungspflicht des/der AG kein Gegenargument zu gewinnen. Vielmehr besteht die Rechtfertigung für die Straffreiheit bei Nachzahlung rechtswidriger Entgeltdifferenzen nach dem LSD-BG nur dann, wenn der vollständige, zum Zeitpunkt der Tatbegehung fällige Entgeltanspruch unbeachtlich etwaiger privatrechtlicher Verfalls- und Verjährungsbestimmungen beglichen wird.

Zusammengefasst kann also festgehalten werden, dass der privatrechtliche Verfall nicht auf die öffentlich-rechtliche Strafbarkeit nach dem LSDBG durchgreift. Es bleibt freilich dabei: Dass man einerseits privatrechtlich eine Verkürzung der Fristen zur Geltendmachung von Entgeltansprüchen – allenfalls sogar bei gänzlichem Erlöschen des formellen und materiellen Rechtsanspruches – für unbedenklich hält, jedoch andererseits AG mit einer Verwaltungsstrafe belegt, wenn sie innerhalb von drei Jahren ab Fälligkeit das nach Gesetz oder KollV gebührende Entgelt nicht leisten, ist gelinde gesagt paradox.* Die Schlussfolgerung daraus kann allerdings nicht sein, dass man dem privatrechtlichen Verfall Vorrang gegenüber der öffentlich-rechtlichen Strafbarkeit einräumt.* Viel näher liegt der gegenteilige Schluss!88

Der Umstand, dass der Gesetzgeber den privatrechtlichen Verfall im Anwendungsbereich des LSD-BG für unbeachtlich hält, um auf diese Weise sicherzustellen, dass auch verfallene Entgeltansprüche nachgezahlt werden, ist sogar ein gewichtiges Argument dafür, dass die Vereinbarung kürzerer Verfalls- oder Verjährungsfristen in Bezug auf zwingende arbeitsrechtliche Ansprüche auch im Zivilrecht als sittenwidrige Praxis anzusehen ist. Müsste man daher nicht zumindest die Wertung des § 26 Abs 9 AZG verallgemeinern und vertreten, dass solange die Frist zur Verfolgungsverjährung gem § 29 Abs 4 LSD-BG bzw § 7i Abs 7 AVRAG noch nicht abgelaufen ist, privatautonom vereinbarte Verfalls- und Verjährungsfristen in Bezug auf offene Entgeltansprüche in ihrem Lauf gehemmt werden, um nicht eine rechtswidrige Praxis des/der AG abzusichern? Damit würde sowohl der zwingenden Wirkung des Arbeitsrechts als auch dem präventiven Regelungszweck des LSD-BG Rechnung getragen. Tatsächlich macht sowohl die Gleichschaltung der Frist zur Verfolgungsverjährung nach dem LSD-BG mit der allgemeinen gesetzlichen Verjährungsfrist des § 1486 Z 5 ABGB sowie die Einführung einer behördlichen Informationspflicht von AN über festgestellte Unterentlohnungen nur dann Sinn, wenn die betroffenen AN auch noch die Möglichkeit haben, ihre Ansprüche am Zivilrechtsweg geltend zu machen. Genau das wird in der Praxis jedoch durch die Geltung einzel- oder kollektivvertraglicher Verfallsfristen verhindert.

Aus alledem lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Die Vereinbarung verkürzter Verfalls- und Verjährungsfristen schließt die Strafbarkeit von Unterentlohnung nach dem LSD-BG nicht aus. Darüber hinaus steht auch die privatrechtliche Zulässigkeit solcher Vereinbarungen in klarem Widerspruch zum LSDBG und seinen Wertungen und sollte daher – auch von der Judikatur – noch einmal gründlich überdacht werden.89