MathyHaftung des Betriebsratsmitgliedes?

Verlag des ÖGB, Wien 2016 140 Seiten, kartoniert, € 29,90

HANNESSCHNELLER (WIEN)

Die vorliegende, rund 130 Seiten umfassende Arbeit beruht auf der im Mai 2016 an der Johannes Kepler Universität Linz approbierten Diplomarbeit des Autors. Einen schwierigen und weithin noch unerforschten Problembereich hat sich Thomas Mathy hier vorgenommen, denn zur schadenersatzrechtlichen Haftung von Betriebsratsmitgliedern gibt es recht wenig an aktueller Literatur und auch die Rsp musste sich bis dato nur „am Rande“ mit einschlägigen Fragestellungen beschäftigen. In jüngerer Zeit war judiziell einschlägig: Die Ausübung des „Sperrrechts“ durch Betriebsratsbeschluss zum Nachteil eines ehemaligen Personalleiters. Der OGH schloss die Zulässigkeit der Prüfung des Betriebsratsbeschlusses hinsichtlich „adäquater Interessenabwägung“ deswegen aus, weil dies „auf die richterliche Nachprüfung der demokratischen Willensbildung eines Organs der Betriebsverfassung hinausliefe“ (OGH9 ObA 38/13yDRdA 2014, 319 [Jabornegg]).

Genau damit aber will sich Mathy offenbar nicht abfinden. Gleich zu Beginn des Buches stellt er in Abrede, dass dem zweiten Satz des § 115 Abs 2 ArbVG („Sie [die Betriebsratsmitglieder] sind nur der Betriebs(Gruppen)versammlung verantwortlich“) eine haftungsbeschränkende Bedeutung zukomme: Dass der in der Literatur überwiegend behauptete weitgehende Ausschluss zivilrechtlicher Sanktionen „nicht aus dem Wortlaut des § 115 Abs 2 allein geschlossen werden kann, sondern aus dem ganzen II. Teil des ArbVG178abgeleitet werden muss, wird wohl niemand ernsthaft bezweifeln“ (S 15). Auf diese Weise stellt der Autor eine These und gleichzeitig ein principium in den Raum (und an den Beginn seiner Arbeit), anhand dessen es sich trefflich im Wege einiger petitii principii am Untersuchungsgegenstand arbeiten lässt. Hierin liegt eine Ursache für die „Sprunghaftigkeit“ und auch für das Abschweifen sowie das weite Ausholen in den Argumentationsketten der Untersuchung. Auch lässt Mathy die offensichtlichen Parallelen zwischen staatspolitischen MandatarInnen und demokratisch gewählten BetriebsmandatarInnen kaum gelten.

Daraus resultiert zwangsläufig die Frage, ob nicht die Interessenvertretungsaufgabe, wie sie in den §§ 38 und 39 ArbVG ganz generell vorgegeben und in den §§ 89 ff ArbVG präzisiert wird, zu einer Garanten- oder Sachverständigenstellung der Betriebsratsmitglieder führen kann. Nukleus der Arbeit ist somit der Begriff „Interessenvertretungsaufgabe“, der auf rund 40 Seiten des Buches (allein hier finden sich 225 Fußnoten) abgehandelt wird. Bei deren Erörterung geht es dann wiederum ganz zentral um die Frage, ob die Interessenvertretungsaufgabe vorrangig oder sogar ausschließlich kollektiv geprägt ist, oder ob auch und stets individuelle Interessen zu berücksichtigen sind. Präzise wird nachgewiesen, dass auch sehr individualistisch anmutende Interessen im Rahmen der Betriebsverfassung als Kollektivinteressen zu verstehen sind. Aus der Ausgestaltung der juristischen Teilperson „Belegschaft (Arbeitnehmerschaft)“ als mit Betriebsverfassungsrechten ausgestattete Körperschaft folge sE die Maßgeblichkeit des Kollektivinteresses („der Resultierenden bzw Integrierenden der Individualinteressen“). Daher verbiete es sich, im Rahmen einer Schadenersatzprüfung auf Individualinteressen abzustellen, wenn die Rechtswidrigkeit des Verhaltens von Betriebsratsmitgliedern geprüft wird.

Angesichts des großen Umfangs dieses zentralen Kapitels „Interessenvertretungsaufgabe“ ist aus Lesersicht anzumerken, dass eine Unterteilung in Unterkapitel und die Einhaltung einer klareren Textstruktur sinnvoll gewesen wäre; denn gerade hier ist die Lesbarkeit nur unter Mühen gegeben. Das Hin- und Herspringen des Autors zwischen „uneingeschränkter Schadenersatzdogmatik“ und einzelnen dann doch stellenweise anerkannten Spezifika aufgrund „betriebspolitischer Ermessensausübung“ lässt den Leser leicht den Faden verlieren. Auch ist das 2016 erschienene Buch nicht immer aktuell, etwa wenn auf S 81 behauptet wird, dass es im Aktienrecht (recte: Recht der Kapitalgesellschaften) noch nicht zur Implementierung der Business Judgement Rule (BJR) gekommen sei, und dabei auf BGBl I 2015/112 vergessen wird (Grundsätze der BJR seit 2016 in § 84 Abs 1a AktG, § 25 Abs 1a GmbHG).

Letztlich kommt aber auch Mathy zum Ergebnis, dass ein Betriebsratsbeschluss nur dann gerichtlich aufgehoben werden könnte, wenn er seinem Inhalt nach – vor allem bei Kompetenzüberschreitung – gesetz- oder sittenwidrig wäre oder aber auf gesetz- oder sittenwidrigen Motiven beruhte, die keinesfalls im Belegschaftsinteresse liegen. Hier lässt er sehr wohl den Vergleich mit der Staatspolitik gelten: Auch der VfGH anerkennt einen weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und hebt ein Gesetz nur dann auf, wenn es keinesfalls im öffentlichen Interesse liegt (vgl S 68-76).

Zum Format des Buches ist kritisch anzumerken, dass hier die Diplomarbeit nahezu eins zu eins in Buchform gegossen wurde, weshalb die zahlreichen Fußnoten so gut wie nie in den Fließtext eingearbeitet sind. Die Lesbarkeit ist dadurch entsprechend eingeschränkt und die Arbeit ist wohl primär für LeserInnen geeignet, welche die Lektüre wissenschaftlicher Arbeiten oder Gutachten gewohnt sind. Beeindruckend ist jedenfalls die Tiefe der Forschung und die Genauigkeit der Auseinandersetzung mit der einschlägigen Judikatur und Literatur – auch zu Organ-Sorgfaltspflichten im Gesellschaftsrecht, zur erwähnten Business Judgement Rule und zum deutschen Stand der Lehre und Rsp.

Fazit: Viele Denkanstöße rund um die betriebsverfassungsrechtliche Interessenvertretungsaufgabe und deren Bedeutung zur Ermittlung von Rechtswidrigkeit, Normzwecken und Rechtswidrigkeitszusammenhang werden in diesem Buch gegeben. Ebenso zum gewichtigen Unterschied von Individual- und Kollektivinteressen. Wir wissen aber auch nach der Lektüre noch immer nicht wirklich genau, wo und wann der „Safe Harbour“ vom einzelnen, Ermessen ausübenden oder Pflichtbefugnisse wahrnehmenden (bzw unterlassenden) Betriebsratsmitglied erreicht wird. Trotz meiner Kritik an der zu sehr zivilrechtlich geprägten Sichtweise von Mathy liegt hier eine beeindruckende, dogmatisch recht sauber gearbeitete Auseinandersetzung mit einem äußerst spannenden und bis dato noch lange nicht ausreichend geklärten Thema vor.