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Das Angebot des Arbeitgebers zur einvernehmlichen Auflösung im Kontext des Frühwarnsystems

MICHAELGEIBLINGER (LINZ)
  1. Spiegelt sich die Absicht des AG, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen die Dienstverhältnisse einer den Schwellenwert des § 45a Abs 1 Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) überschreitenden Anzahl von AN zu beenden, bereits in den diesen AN unterbreiteten Angeboten zur einvernehmlichen Auflösung der Dienstverhältnisse wider, so löst dies die Anzeigepflicht nach § 45a Abs 1 AMFG aus.

  2. Auch die Zahl der einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen ist auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen nach § 45a Abs 1 AMFG anzurechnen.

  3. Die 30-tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG wandert kontinuierlich. Der AG kann daher durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern. Davon ist dann auszugehen, wenn die Streuung der Kündigungen über einen längeren als 30-tägigen Zeitraum schon in der ursprünglichen Absicht des AG zur Beendigung der Dienstverhältnisse lag, nicht aber, wenn sich die Kündigungserklärungen entgegen seiner ursprünglichen Intention – etwa infolge längerer Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze – faktisch über einen längeren Zeitraum erstrecken würde.

Der [...] ,Kl war bei der Bekl und ihrer Rechtsvorgängerin seit 1978 beschäftigt. [...] Der Kl wurde am 19.12.2013 zum 30.6.2014 gekündigt. [...] Soweit revisionsgegenständlich, beantragte der Kl die Feststellung des aufrechten Fortbestands seines Dienstverhältnisses über den 30.6.2014 hinaus. Die Kündigung sei (ua) wegen einer Verletzung des § 45a AMFG rechtsunwirksam, weil keine Verständigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) erfolgt sei. [...]

Die Bekl habe damals maximal 130 Beschäftigte gehabt. Die Kündigungsabsicht der Bekl von sieben Mitarbeitern sei bereits am 29.10.2013 festgestanden. Diese seien innerhalb von 30 Tagen im November/Dezember 2013 gekündigt worden. [...]

Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte [...] ein, dass sie das Frühwarnsystem des § 45a AMFG nicht ausgelöst habe. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung des Kl seien 136 Personen im Betrieb der Bekl [...] beschäftigt gewesen. [...] Das Frühwarnsystem werde erst bei einer Überschreitung von 5 % des Mitarbeiterstands ausgelöst, sohin bei sieben Personen. Sie habe im gegenständlichen Zeitraum aber nur vier wirksame Kündigungen ausgesprochen. [...]

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte zusammengefasst fest:

[...] In den letzten Monaten vor der Kündigung des Kl bestanden bei der Bekl [...] folgende Beschäftigtenzahlen: August 117; September 118; Oktober 119; November 119; Dezember 117. Am 2.10.2013 fand bei der Bekl eine Mitarbeiterversammlung statt, bei der der Geschäftsführer der Bekl [...] mitteilte, dass beim Personal Umstrukturierungen und ein Abbau erfolgen werde; Zahlen oder konkrete Namen nannte er nicht. [...] Mitte Oktober 2013 legte er [Anm: der Geschäftsführer] dem BR eine Liste mit acht Namen vor, ua jenem des Kl. Er sagte zum BR, dass beabsichtigt sei, sich von diesen Personen zu trennen, aber dass er bereit sei, ein Sozialpaket zu schnüren. [...] Da im Laufe der Verhandlungen über das Sozialpaket eine Mitarbeiterin von selbst kündigte, blieben noch sieben Personen. Der Geschäftsführer nahm in Aussicht, diesen Personen eine einvernehmliche Auflösung anzubieten, bei Nichtannahme sollte eine Kündigung erfolgen.

Am 29.10.2013 erhielten alle Mitarbeiter der Bekl vom Geschäftsführer eine E-Mail ua mit der Information, dass sieben MitarbeiterInnen übrig geblieben seien, die nicht im Unternehmen verbleiben könnten und mit diesen Einzelgespräche geführt worden seien.

Mit den sieben Mitarbeitern wurden unmittelbar danach Einzelgespräche geführt, sechs Einzelgespräche fanden am 30.10.2013, eines Anfang November 2013 statt. In diesen wurde den sieben Mitarbeitern jeweils ein Entwurf einer Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung vorgelegt, der ua ein Beendigungsdatum, eine allfällige [...] Abfertigung, einen Frühabschlussbonus für den Fall der Annahme eines Angebots bis zum 20.11.2013 und ein Outplacement bzw eine Ablöse für den Fall der Nichtinanspruchnahme desselben enthielt. [...] Es war allen Mitarbeitern klar, dass sie gekündigt werden, wenn sie dem Angebot einer einvernehmlichen Auflösung nicht innerhalb der vorgesehenen Frist zustimmten.

Mit einem Mitarbeiter vereinbarte die Bekl am 12.11.2013 eine einvernehmliche Auflösung, die anderen nahmen das Angebot der Bekl nicht an.

In der Folge kündigte die Bekl [...] am 28.11.2013 die Dienstverhältnisse von zwei Mitarbeitern und mit Schreiben vom 19.12.2013 die Dienstverhältnisse des Kl und von drei weiteren Mitarbeiterinnen jeweils zum 30.6.2014 [...].

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht zur Frage, ob der Schwellenwert des § 45a Abs 1 AMFG überschritten worden sei, aus, für den Zeitpunkt der Ermittlung des Beschäftigtenstands komme es nicht exakt auf die Anzahl im Kündigungszeitpunkt an, sondern erscheine der Durchschnitt der dem beabsichtigten Kündigungszeitpunkt vorangehenden drei Monate angemessen. [...] Der Durchschnitt der relevanten Beschäftigten in den Monaten August bis Oktober 2013 habe 118 Beschäftigte betragen. Die Anzeigepflicht des § 45a AMFG habe die Bekl daher dann getroffen, wenn sie beabsichtigt habe, Arbeitsverhältnisse von mindestens 5,9 AN innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen.

Bezüglich der Formen der Auflösung von Arbeitsverhältnissen seien auch einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen zu berücksichtigen, zumindest, wenn sie vom AG initiiert bzw242 veranlasst worden seien. Als Ereignis, das als Entlassung gelte, nenne der EuGH (C-188/03, Junk) „die Kündigungserklärung des AG“, also nicht das Ende der Kündigungsfrist oder den Zugang der Kündigung an den AN. Art 2 Abs 1 der MassenentlassungsRL sehe vor, dass die Konsultation vom AG vorzunehmen sei, wenn er „beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen“. Nach Art 3 Abs 1 der MassenentlassungsRL habe der AG „alle beabsichtigten Massenentlassungen [...] anzuzeigen“. Unter Bezugnahme auf diese beiden Bestimmungen führe der EuGH auch aus, dass das Tatbestandsmerkmal, dass ein AG Massenentlassungen „beabsichtige“, einem Fall entspreche, in dem noch keine E getroffen worden sei. Dagegen sei die Mitteilung der Kündigung des Arbeitsvertrags Ausdruck einer E, das Arbeitsverhältnis zu beenden, und dessen tatsächliche Beendigung mit dem Ablauf der Kündigungsfrist stelle nur die Wirkung dieser E dar. Die vom Gemeinschaftsgesetzgeber verwendeten Begriffe seien ein Indiz dafür, dass die Anzeigepflicht vor einer E des AG zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen entstehe. Dies werde auch durch das in Art 2 Abs 3 der MassenentlassungsRL vorgegebene Ziel, Kündigungen zu vermeiden oder ihre Zahl zu beschränken, bestätigt (EuGHC-188/03, Junk). Bei vom AG initiierten einvernehmlichen Auflösungen sei konsequenterweise nicht auf den vereinbarten Beendigungstermin, sondern ebenfalls auf einen Zeitpunkt abzustellen, in dem der AG seine Absicht, das Dienstverhältnis – sei es durch einvernehmliche Auflösung oder DG-Kündigung – zu beenden, erkläre.

Der 30-tägige Zeitraum des § 45a Abs 1 AMFG wandere kontinuierlich. Neben dem Kl habe die Bekl (zumindest) sieben weiteren Personen zwischen 30.10.2013 und 20.11.2013 eine einvernehmliche Auflösung angeboten [...]. Die am 19.12.2013 gegenüber dem Kl ausgesprochene Kündigung sei daher gem § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam. [...]

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl keine Folge. Die Bekl habe zwar mit ihren an alle Mitarbeiter gerichteten Schreiben vom 29.10.2013 unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie beabsichtigte, die Arbeitsverhältnisse von sieben Mitarbeitern aufzulösen [...]. Zum Zeitpunkt der ausdrücklich erklärten Absicht zur Beendigung von sieben Arbeitsverhältnissen habe sie insgesamt 119 AN gehabt, sodass mit den beabsichtigten sieben Kündigungen der Schwellenwert nach § 45a Abs 1 Z 2 AMFG überschritten worden wäre. [...] Aus dem Sachverhalt gehe allerdings nicht hervor, dass sie bereits am 29.10.2013 die Absicht gehabt hätte, die Kündigungen innerhalb des 30-tägigen Zeitraums vorzunehmen. Die 30-tägige Frist wandere kontinuierlich, sodass der AG durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts nach dieser Bestimmung verhindern könne. Daher sei jeweils auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärungen bzw den Abschluss der einvernehmlichen Auflösung abzustellen, weil sich spätestens darin die Kündigungsabsicht manifestiere.

Ausgehend von der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Kl am 19.12.2013 hätte die Bekl daher zumindest fünf [...] Mitarbeiter innerhalb eines 30-tägigen Zeitraums kündigen oder einvernehmlich auflösen müssen, um den Schwellenwert zu überschreiten. In dem Zeitraum von 30 Tagen vor der Kündigung des Kl (19.11.2013) bis 30 Tage nachher (18.1.2014) ließen sich aber nur fünf weitere Kündigungen einreihen. [...] Mit der Kündigung von sechs ihrer insgesamt 119 AN in einem Zeitraum von 30 Tagen habe die Bekl den Schwellenwert (119*5/100 = 5,95) knapp überschritten, weshalb sie ihre Anzeigepflicht verletzt habe. [...]

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, jedoch nicht berechtigt. [...]

Rechtliche Beurteilung

1. Gem § 45a Abs 1 Z 2 AMFG haben AG die nach dem Standort des Betriebs zuständige regionale Geschäftsstelle des AMS durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse von mindestens fünf vH der AN in Betrieben mit 100 bis 600 Beschäftigten innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen. Gem § 45a Abs 2 S 1 AMFG ist die Anzeige gem Abs 1 mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu erstatten. Gem § 45a Abs 5 Z 1 AMFG sind Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd § 45a Abs 1 AMFG bezwecken, rechtsunwirksam, wenn sie vor Einlangen der im Abs 1 genannten Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS ausgesprochen werden.

Ausgehend von einem Beschäftigungsstand der Bekl von 119 Mitarbeitern wäre der Schwellenwert daher schon mit ihrer Absicht, die Dienstverhältnisse von mehr als 5,95 Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen zu beenden, überschritten.

2. [...] Hervorzuheben ist, dass die Verständigungspflicht nach dem klaren Wortlaut des § 45a Abs 1 AMFG schon dann ausgelöst wird, wenn ein AG beabsichtigt, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen. Damit soll dem Zweck des Frühwarnsystems entsprechend erreicht werden, bereits vor Freisetzung einer arbeitsmarktpolitisch relevanten Zahl von Arbeitskräften Beratungen durchführen zu können (s § 45a Abs 6 AMFG), eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten zu erreichen und durch die Erfüllung der in den §§ 45a bis 45c auferlegten Verpflichtungen die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen [...]. Soll aber bereits die Absicht zur Freisetzung einer relevanten Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von 30 Tagen die Verständigungspflicht auslösen, um frühzeitig besondere Vermittlungsbemühungen anzustellen und den Arbeitsplatz gegebenenfalls noch sichern zu können, so wird daraus ersichtlich, dass die Verständigungspflicht nicht erst an den erfolgten Ausspruch der Kündigung oder die erfolgte einvernehmliche Auflösung eines Dienstverhältnisses anknüpfen kann.243

3. Im Hinblick auf einvernehmliche Auflösungen wurde schon in der E 8 ObA 258/95 festgehalten, dass die Absicht des AG, Arbeitsverhältnisse aufzulösen (§ 45a Abs 1 AMFG), sowohl zu einseitigen, empfangsbedürftigen Kündigungen, als auch zu annahmebedürftigen Anboten von Aufhebungsverträgen führen kann. Die unterschiedliche Gestaltung der Erklärung und die unterschiedliche Verhaltensweise des Erklärungsempfängers ändern nichts an der Gemeinsamkeit beider Erklärungsformen des AG, nämlich als wesentlichen Kern seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beabsichtigen [...].

4. Das Berufungsgericht vermisste idZ Anhaltspunkte dafür, dass die Bekl ihre schon am 29.10.2013 zum Ausdruck gebrachte Absicht, sich von sieben Mitarbeitern zu trennen, innerhalb von 30 Tagen umsetzen hätte wollen. Richtig ist, dass die Schreiben vom 29.10.2013 keinen Hinweis auf eine Trennung von den sieben Mitarbeitern innerhalb dieser Frist enthielten. Eine entsprechende Absicht der Bekl geht jedoch aus den Einzelgesprächen und den Auflösungsangeboten hervor:

Die Bekl unterbreitete sechs Mitarbeitern am 30.10.2013 und einer Mitarbeiterin Anfang November 2013 das Angebot zur einvernehmlichen Auflösung ihrer Dienstverhältnisse mit verschiedenen Abfertigungsleistungen und einem entsprechenden Frühabschlussbonus bis zum 20.11.2013, wobei klar war, dass die Mitarbeiter bei Nichtannahme des Angebots gekündigt würden. Das Interesse und die Absicht der Bekl, mehr als 5,95 (s oben) Arbeitsverhältnisse iSd § 45a Abs 1 AMF innerhalb von 30 Tagen aufzulösen, hat sich damit schon mit der Unterbreitung (des letzten) dieser Angebote, nicht erst mit den nachfolgenden Kündigungen manifestiert, war doch die Vereinbarung der Auflösung des jeweiligen Dienstverhältnisses nur noch von einer Annahme durch die AN, aber keinem weiteren Zutun der Bekl mehr abhängig. Die Bekl konnte zwar noch nicht wissen, ob die Mitarbeiter die Anbote annehmen und die Dienstverhältnisse tatsächlich innerhalb von 30 Tagen aufgelöst sein würden. Fraglos war hier aber die Anbotsannahme durch die Mitarbeiter nach dem Willen der Bekl sogleich möglich und verdeutlichte auch der angebotene Frühabschlussbonus für Anbotsannahmen innerhalb einer Frist von ca drei Wochen (20.11.2013) die Absicht der Bekl, die sieben AN frühzeitig abzubauen. Schon mit diesen Angeboten bestand daher jene Gefahr, der § 45a AMFG vorzubeugen sucht, nämlich die Gefahr, dass eine relevante Zahl von AN innerhalb kurzer Zeit (30 Tage) den Arbeitsplatz verlieren könnte und auf den Arbeitsmarkt freigesetzt würde. Wäre erst der tatsächliche Ausspruch der Kündigung oder – bei einvernehmlicher Auflösung – die Einigung darüber relevant, bliebe kein Raum für die Anzeige einer erst beabsichtigten Beendigung innerhalb von 30 Tagen und für die an die Anzeige anknüpfende Wartefrist von mindestens 30 Tagen (§ 45a Abs 2 AMFG). Derartige Kündigungen oder einvernehmliche Auflösungen müssten mangels Einhaltung des vorgeschriebenen Procedere daher von vornherein als rechtsunwirksam angesehen werden. Die Absicht zur Beendigung der Dienstverhältnisse von sieben Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen ist hier daher schon mit den zwischen 30.10.2013 und Anfang November 2013 unterbreiteten einvernehmlichen Angeboten auszumachen. [...]

6. Die Bekl berief sich im Verfahren auch auf die Rsp, dass die 30-tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG kontinuierlich wandert und der AG daher durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern kann [...]. Davon ist dann auszugehen, wenn die Streuung der Kündigungen über einen längeren als 30-tägigen Zeitraum schon in der ursprünglichen Absicht des DG zur Beendigung der Dienstverhältnisse lag, nicht aber, wenn sich die Kündigungserklärungen entgegen seiner ursprünglichen Intention – etwa infolge längerer Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze – faktisch über einen längeren Zeitraum erstrecken, würde doch sonst der genannte Zweck des Frühwarnsystems verfehlt, schon die Absicht eines DG, innerhalb kurzer Zeit eine arbeitsmarktpolitisch relevante Zahl von AN freizusetzen, zum Anlass von Vorkehrungen zu nehmen.

7. Ausgehend davon, dass sich die Absicht der Bekl, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen die Dienstverhältnisse von (mindestens) sieben Mitarbeitern zu beenden, bereits in den Angeboten zu den einvernehmlichen Auflösungen widerspiegelte, hätte die Bekl ihrer Anzeigepflicht nach § 45a Abs 1 AMFG zu entsprechen gehabt. Die Kündigung des Kl wurde danach zutreffend iSd § 45a Abs 5 Z 1 AMFG für rechtsunwirksam erklärt [...].

8. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Der OGH hatte in der gegenständlichen medial präsenten E (zB Kommenda, OGH verschärft Pflicht zur AMS-Frühwarnung, Die Presse 2018/29/01) die spannende Frage zu beantworten, ob bereits konkrete vom AG unterbreitete Angebote zu einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen eine Anzeigepflicht beim AMS nach dem Frühwarnsystem auslösen oder nicht. Während das Erstgericht die Angebote der einvernehmlichen Auflösungen durch den AG als maßgeblich für die Rechtsfolgen des § 45a AMFG erachtete und die gegenüber dem Kl ausgesprochene Kündigung für rechtsunwirksam erklärte, stellte das Berufungsgericht für die Maßgeblichkeit der Anzeige auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärungen bzw den Abschluss der einvernehmlichen Auflösungen ab, bestätigte jedoch ebenso die Unwirksamkeit der Kündigung des Kl. Die Tatsache der Unwirksamkeit der Kündigung wurde schließlich vom OGH unter Heranziehung der wesentlichen Argumente des Erstgerichts bestätigt.

2.
Die Rechtsgrundlagen

Die Lösung und Interpretation von Fragen zu Massenkündigungen und zum Frühwarnsystem ist in244zahlreiche Rechtsgrundlagen eingebettet, innerhalb dieser die Gerichte auch im gegenständlichen Fall zu prüfen hatten, ob angebotene einvernehmliche Auflösungen für die Anzeigepflicht bei Massenkündigungen maßgeblich sind.

Europarechtlich ist die RL 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (in der Folge kurz: MassenentlassungsRL) einschlägig. Auf nationaler Gesetzesebene regelt § 45a AMFG das Frühwarnsystem. Schließlich behandelt die Bundesrichtlinie zum Frühwarnsystem § 45a AMFG zur GZ BGS/SFU/1002/6362/2014 vom 1.5.2014 des AMS (in der Folge kurz: BundesRL zum Frühwarnsystem) das Verfahren bei der Entgegennahme und Bearbeitung von Anzeigen gem § 45a AMFG sowie die Unterstützung und Beratung des Betriebes und der voraussichtlich von Kündigung betroffenen AN aus der Sicht des AMS.

3.
Streitrelevante Entscheidungsthemen

In der gegenständlichen E war einmal mehr strittig, welche Arten von Auflösungen das Frühwarnsystem auslösen (vgl unten Pkt 3.2.), was als fristauslösendes Ereignis der 30-Tages-Frist gilt (vgl unten Pkt 3.3.) und wie der Schwellenwert zu berechnen ist (vgl unten Pkt 3.4). Bevor auf die streitrelevanten Themen in der E eingegangen werden kann, gebietet es allerdings der komplexe Sachverhalt der gegenständlichen E, die Hard Facts in Bezug auf die Freisetzung der AN Revue passieren zu lassen.

3.1.
Hard Facts

Erstmals wurde vom AG am 2.10.2013 ein inkonkreter Personalabbau bei der Mitarbeiterversammlung in den Raum gestellt. Mitte Oktober 2013 wurde dem BR vom AG eine Liste mit acht freizusetzenden Personen vorgelegt. Im Rahmen von Verhandlungen erfolgte eine AN-Kündigung. Am 29.10.2013 wurde allen AN vom AG per Mail mitgeteilt, dass sieben AN das Unternehmen zu verlassen haben. Am 30.10.2013 fanden sechs Einzelgespräche, Anfang November 2013 ein weiteres Einzelgespräch zwischen AG und den betreffenden AN statt, wobei konkrete einvernehmliche Auflösungen mit Annahmemöglichkeit bis 20.11.2013 unterbreitet wurden. Am 12.11.2013 erfolgte eine einvernehmliche Auflösung. Am 28.11.2013 erfolgten zwei AG-Kündigungen und schließlich am 19.12.2013 vier weitere AG-Kündigungen.

3.2.
Arten von Auflösungen

Das in § 45a AMFG verankerte Frühwarnsystem verpflichtet AG bei umfangreichen Personalkürzungen zur schriftlichen Verständigung des AMS (Schrattbauer, Angebot des Arbeitgebers zur einvernehmlichen Auflösung maßgeblich für Anzeigepflicht gem § 45a AMFG, DRdA-infas 2018, 285 [287]). § 45a AMFG nimmt dabei weder eine demonstrative noch eine taxative Aufzählung der das Frühwarnsystem auslösenden Beendigungsarten vor, sondern spricht lediglich allgemein von der „Auflösung von Arbeitsverhältnissen“ (zB in Abs 1 bis 3 leg cit) sowie konkret von „Kündigungen“ (zB in Abs 5 und 8 leg cit). Die sachverhaltsrelevanten Angebote zur einvernehmlichen Auflösungen sind also dezidiert nicht in § 45a AMFG erwähnt.

Der bestehende Interpretationsspielraum, welche Arten von Beendigungen unter § 45a AMFG zu subsumieren sind, verwundert insofern, als das Frühwarnsystem nach der Vorstellung des Gesetzgebers der frühzeitigen Verständigung der Arbeitsmarktverwaltung dienen und zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung sowie zur Verhütung von Arbeitslosigkeit beitragen soll (ErläutRV 149 BlgNR 14. GP 10; AB 274 BlgNR 14. GP 2). Insofern würde eine großzügige und konkrete Festlegung der Beendigungsarten in § 45a AMFG für Rechtssicherheit zu Gunsten des Normzwecks sorgen und wäre in Zusammenschau mit anderen arbeitsmarktpolitischen Gesetzen, die eine Aufzählung der Endigungstatbestände vornehmen, so zB § 2b Abs 2 Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz (AMPFG) in Bezug auf die Auflösungsabgabe, nur folgerichtig.

§ 45a AMFG ist aber jedenfalls unter Berücksichtigung der MassenentlassungRL europarechtskonform auszulegen (Olt, Das Frühwarnsystem bei „Massenkündigungen“ nach § 45a AMFG, ARD 6448/5/2015). In ErwGr 8 der MassenentlassungsRL wird empfohlen, für die Berechnung der Zahl der Entlassungen den Entlassungen andere Arten einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die auf Veranlassung des AG erfolgt, gleichzustellen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt. Folgerichtig normiert Pkt 6.1. BundesRL zum Frühwarnsystem, dass für die Ermittlung der Meldepflicht nicht nur Kündigungen, sondern ua auch vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösungen von Dienstverhältnissen zu zählen sind. Dass neben AG-Kündigungen auch vom AG veranlasste einvernehmliche Auflösungen des Arbeitsverhältnisses in die Meldepflicht einzubeziehen sind, wurde auch bereits gerichtlich festgestellt (OGH8 ObA 258/95

).

Gegenständlich beabsichtigte der AG ab 30.10.2013 den Abschluss von sieben einvernehmlichen Auflösungen, wobei es in der Folge zu einer einvernehmlichen Auflösung sowie zu sechs AG-Kündigungen kam. Dass es sich sowohl bei den (angebotenen) einvernehmlichen Auflösungen als auch bei den AG-Kündigungen um Beendigungen handelt, die auf Veranlassung des AG erfolgten und als Massenentlassungen iSd MassenentlassungsRL zu qualifizieren sowie unter § 45a AMFG zu subsumieren sind, ist für den Leser der E bei einer ex post-Betrachtung unstrittig. Umso mehr verwundert es, dass es der AG unterlassen hat, das Frühwarnsystem zu aktivieren.

3.3.
30-Tages-Zeitraum

§ 45a Abs 2 AMFG regelt, dass die Anzeige an das AMS mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu erstatten ist. Kündigungen und wohl auch vom AG245 veranlasste einvernehmliche Auflösungen (aA Olt, ARD 6448/5/2015, die aus § 45a Abs 5 AMFG lediglich eine Unwirksamkeit von Kündigungen ableitet, obwohl mE gem Art 4 Abs 1 MassenentlassungsRL alle Massenentlassungen – und sohin auch einvernehmliche Auflösungen – bei Nichteinhaltung des Frühwarnsystems unwirksam sind) sind gem § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam, wenn sie vor einer entsprechenden Anzeige beim AMS (Z 1) oder vor Ablauf der 30-tägigen Wartefrist (Z 2) ausgesprochen werden.

Gegenständlich erfolgte keine Anzeige beim AMS, weshalb sich im Nachhinein die Frage erhebt, zu welchem Zeitpunkt die Pflicht zur Verständigung des AMS entstand. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil es nach dem Wortlaut der Regelung auf die innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen beabsichtigten Beendigungen ankommt (Schrattbauer, DRdA-infas 2018, 285 [287]). Auch Pkt 11.1.2.2 BundesRL zum Frühwarnsystem stellt für die Feststellung, ob eine anzeigepflichtige Auflösung von Arbeitsverhältnissen innerhalb des Bezugszeitraums von 30 Tagen vorliegt, auf den jeweiligen Zeitpunkt des beabsichtigten Ausspruchs der Kündigung bzw den Zeitpunkt der Erklärung der einvernehmlichen Lösung ab.

Der OGH kam zum Ergebnis, dass gegenständlich schon mit der Unterbreitung der Angebote zur einvernehmlichen Auflösung am 30.10.2013 an sechs AN sowie Anfang November 2013 an einen weiteren AN die Absicht zur Auflösung von Arbeitsverhältnissen derart manifestiert war, dass das Frühwarnsystem hätte aktiviert werden müssen. Erheblich ins Treffen geführt wurde, dass es sich um besonders konkrete Angebote zu einvernehmlichen Auflösungen handelte und es den AN klar war, dass sie bei Ablehnung des Angebots gekündigt werden würden. Die Angebotsannahme durch die AN war jederzeit – auch durch den Bekl – möglich. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist hingegen nicht der Zeitpunkt der Kündigungserklärung oder der Abschluss einer einvernehmlichen Auflösung relevant, da zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur von einer Absicht gesprochen werden kann.

Somit ist festzuhalten, dass bereits am 30.10.2013 die erste Vereinbarung zwischen AG und AN über die einvernehmliche Auflösung hätte stattfinden können, zumal die Vereinbarung zu diesem Datum nur noch von der Zustimmung des AN abhängig war. Wenn aber bereits am 30.10.2013 potentiell die erste von sechs Auflösungen hätte stattfinden können, hätte iSd § 45a Abs 2 AMFG mindestens 30 Tage davor eine Anzeige beim AMS stattfinden müssen, denn auch bereits zu diesem Zeitpunkt war der Schwellenwert des § 45a Abs 1 AMFG überschritten. Die Anzeige hätte somit spätestens am Sonntag, den 29.9.2013 beim AMS einlangen müssen (gem § 33 Abs 1 AVG wäre der Beginn der 30-tägigen Frist durch den Sonntag nicht gehindert gewesen). Die Wartefrist für den rechtmäßigen Abschluss einer einvernehmlichen Auflösung hätte am 30.9.2013 begonnen und wäre am 29.10.2013 beendet gewesen und der frühestmögliche Auflösungszeitpunkt wäre dann der 30.10.2013 gewesen (vgl zu den Fristberechnungen auch Pkt 11.1.2.2 BundesRL zum Frühwarnsystem).

Nach der bisherigen Rsp des OGH wandert die 30-tägige Frist des § 45a Abs 1 AMFG kontinuierlich, wodurch der AG durch die zeitliche Streuung von Kündigungen das Erreichen des Schwellenwerts der genannten Bestimmung verhindern kann (RIS-Justiz RS0125464). An dieser Rsp, wonach es sich bei der 30-tägigen Frist um keinen starren Zeitraum, sondern um einen kontinuierlich wandernden Zeitraum (ein Tag fällt weg, einer kommt dazu) handelt (Schrattbauer, DRdA-infas 2018, 285 [287]), hielt der OGH im Wesentlichen zwar in dieser E fest. Der OGH sprach aber ebenso klar aus, dass eine Wanderung der 30-tägigen Frist nur dann in Frage kommt, wenn in der ursprünglichen Absicht des AG die Streuung der Kündigungen über einen längeren als 30-tägigen Zeitraum lag, nicht aber, wenn sich die Kündigungserklärungen entgegen der ursprünglichen Intention – etwa infolge längerer Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze – faktisch über einen längeren Zeitraum erstrecken würde, andernfalls wäre der genannte Zweck des Frühwarnsystems verfehlt. Gegenständlich lag jedoch die Absicht, eine größere Zahl von AN freizusetzen, schon mit der Unterbreitung der einvernehmlichen Auflösungen Ende Oktober 2013/Anfang November 2013 vor; eine Streuung der Freisetzungen über einen längeren als 30-tägigen Zeitraum war nicht die Intention des AG, weshalb eine Wanderung der Frist nicht in Frage gekommen ist.

3.4.
(Durchschnitts-)Berechnung bei Ermittlung des Schwellenwerts?

Der Schwellenwert, ab dem das Frühwarnsystem und damit die Anzeigepflicht ausgelöst wird, ist nach Betriebsgröße gestaffelt (Schrattbauer, DRdA-infas 2018, 285 [287]), wobei für die Berechnung des Schwellenwerts der Zeitpunkt der Unterbreitung der Angebote der einvernehmlichen Auflösungen war. Für den vorliegenden Fall lag der Schwellenwert für die Mitwirkung des AG im Frühwarnsystem gem § 45a Abs 1 Z 2 AMFG bei 5 % der AN, zumal im Betrieb zwischen 100 und 600 AN beschäftigt waren.

Interessant ist idZ die Ermittlung des Zeitpunkts des Beschäftigtenstandes, von dem der Prozentsatz 5 vH heranzuziehen ist. Art 11.1.2 BundesRL zum Frühwarnsystem führt dazu aus, dass für die Beurteilung, welche Beschäftigtenzahl ein Betrieb in der Regel aufweist, nicht die gegebene Beschäftigtenanzahl im Zeitpunkt der Anzeige, sondern der Durchschnitt der Beschäftigtenzahlen zu den letzten drei der Anzeige vorangegangenen Monatsletzten heranzuziehen ist. Die Festlegung einer Durchschnittsberechnung ist insofern interessant, denn weder die MassenentlassungsRL, noch § 45a AMFG treffen dazu nähere Regelungen oder klären gar die Frage der Zulässigkeit einer Durchschnittsberechnung (lediglich in § 45a Abs 3 AMFG wird indirekt hinweisend auf eine Durchschnittsberechnung von „Zahl und die Verwendung der regelmäßig beschäftigten ArbeitnehmerInnen“ gesprochen).246

Fakt ist, dass gegenständlich vom AG keine Anzeige erfolgte. Zieht man die fiktive Anzeigepflicht (vgl oben Pkt 3.3.) heran, so hätte die Anzeige spätestens am 29.9.2013 erfolgen müssen. Für die Durchschnittsberechnung wären unter Berücksichtigung der BundesRL zum Frühwarnsystem die Beschäftigtenzahlen zum 30.6.2013, zum 30.7.2013 sowie zum 30.8.2013 relevant gewesen. Mit Ausnahme von August 2013 finden sich jedoch im Sachverhalt keine Anhaltspunkte zur Beschäftigtenzahl, weshalb der mE tatsächlich relevante Schwellenwert nicht ermittelt werden kann.

Ganz generell spricht für die Bejahung einer Durchschnittsberechnung der Umstand, dass das Frühwarnsystem nicht dadurch umgangen werden soll, dass der AG bei beabsichtigten Massenentlassungen schon im Vorhinein kontinuierlich die Beschäftigtenzahlen reduziert, um das Frühwarnsystem zu umgehen.

Für laufende Verfahren hat der OGH am 8.7.1998 zu 9 ObA 146/98f bereits entschieden, dass die Meldung einer Kündigungsabsicht durch den AG bewirkt, dass ab diesem Zeitpunkt nach § 45a Abs 5 Z 2 AMFG keine AMFG-freien Kündigungen mehr erfolgen können, selbst wenn in diesem Zeitraum die Zahl der Beschäftigten sinken sollte. Auch Pkt 11.3.1 BundesRL zum Frühwarnsystem führt aus, dass, wenn im Zeitpunkt der Meldung die durchschnittliche Beschäftigtenzahl über dem Schwellenwert liegt, ein nach diesem Zeitpunkt erfolgtes Sinken des Beschäftigtenstands unter den Schwellenwert für das AMS ebenso wie für den meldepflichtigen AG unbeachtlich ist.

Schwellenzahlen bestehen im Arbeitsrecht zB auch bei Freistellungsansprüchen nach § 117 ArbVG. Zu Freistellungsansprüchen bei Betriebsräten haben die Gerichte bereits entschieden, dass ein vorübergehendes Über- oder Unterschreiten der jeweiligen Freistellungsgrenzen weder zu einer Begründung des Freistellungsanspruchs noch zum Erlöschen eines allenfalls vorhandenen Freistellungsanspruchs führen (VwGH1606/68

). Bei Fluktuation der Belegschaftszahl wird davon auszugehen sein, ob „das Normale“ über oder unter der Grenze liegt (EA Linz Re 21/68 Arb 8540). Selbiges – wenngleich im arbeitsmarktpolitischen Kontext unter Berücksichtigung des § 45a Abs 6 AMFG – hat mE für das Frühwarnsystem zu gelten. So soll eine kurzfristige Reduktion des Beschäftigtenstandes, weder vor der Anzeige an das AMS noch nach der Anzeige an das AMS, nicht dazu führen, dass das Frühwarnsystem noch nicht oder gar nicht greift.

Gegenständlich hat sich das Erstgericht einer Durchschnittsberechnung bedient. Als relevant wurden die Monate August 2013 mit 117 AN, September 2013 mit 118 AN und Oktober 2013 mit 119 AN, also jene Monate, die vor dem Ausspruch der Kündigung des Kl lagen, erachtet. Nach Ansicht des Erstgerichts erscheine der Durchschnitt der dem beabsichtigten Kündigungszeitpunkt vorangehenden drei Monate angemessen und sei nicht exakt auf die Anzahl im Kündigungszeitpunkt abzustellen. Bei einem Durchschnitt von 118 Beschäftigten habe die Anzeigepflicht nach Ansicht des Erstgerichts bestanden, da beabsichtigt gewesen war, Arbeitsverhältnisse von mindestens 5,9 AN innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen. Das Berufungsgericht ging von einem Beschäftigungsstand von 119 AN aus; das war jener Beschäftigtenstand, der zum Zeitpunkt der ausdrücklich erklärten Absicht zur Beendigung von sieben Arbeitsverhältnissen bestanden habe. Der OGH ging ebenso – aber ohne nähere Begründung – für die Berechnung des Schwellenwertes von einem Beschäftigungsstand von 119 AN aus. Auch bei Zugrundelegung einer anderen Berechnung des Schwellenwerts durch das Berufungsgericht und den OGH war aus der Sicht der zweiten und dritten Instanz der Schwellenwert überschritten, denn es habe die Absicht bestanden, Arbeitsverhältnisse von mehr als 5,95 AN zu beenden.

Unabhängig davon, ob man nun die Durchschnittsberechnung des Erstgerichts oder die (wohl starre) Berechnungsmethode des Berufungsgerichts sowie des OGH heranzieht, war definitiv beabsichtigt, Arbeitsverhältnisse von einer die Schwellenzahl übersteigenden Anzahl von AN aufzulösen und hätte der AG daher das Frühwarnsystem auslösen müssen. Da er dies nicht gemacht hatte, wurde die gegenüber dem Kl ausgesprochene Kündigung zu Recht für rechtsunwirksam erklärt. Der E des OGH kann meiner Meinung nach gefolgt werden.247