Die Arbeiterkammern im Verfassungsgefüge*

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)
Aus verfassungsrechtlicher Sicht war es um die Arbeiterkammern nach ihrer Einrichtung in der ersten Republik zunächst einmal ruhig, ehe sie im Jahre 1933 am Vorabend der Einführung des „Ständestaates“ durch die Einrichtung sogenannter „Verwaltungskommissionen“ gleichgeschaltet wurden.* Die zum Teil auch auf dem Feld der Rechtswissenschaft ausgetragenen interessenpolitischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit nach 1945 sollten die Wissenschaft und die Verfassungsgerichtsbarkeit ausführlich beschäftigen. Zwei der wichtigsten Diskussionspunkte, die beide die Arbeiterkammer (AK) existentiell in ihren Grundfesten (mit)betroffen haben, waren der Streit um die Vereinbarkeit der Selbstverwaltung an sich mit der Bundesverfassung und jener der Vereinbarkeit des KollV mit dem angeblich geschlossenen Rechtsquellensystem des B-VG.* Von diesen und anderen wichtigen verfassungsrechtlichen Fragen rund um die AK seit 1945 soll hier die Rede sein.
  1. Einleitung

  2. Verfassungsfragen der Selbstverwaltung

    1. Die literarische Debatte

    2. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes

    3. Die Novelle zum B-VG 2008

  3. Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten des Jahres 1979

    1. Die Ausnahme der nahen Angehörigen des Dienstgebers aus der Kammerzugehörigkeit

    2. Das Erkenntnis des VfGH zum Kammertagspräsidenten

    3. Gegnerfreiheit und Abgrenzung zur Landwirtschaft

  4. Zum Begriff der Dienststellen „in Vollziehung der Gesetze“

  5. Ausblick

1.
Einleitung

Mit dem Inkrafttreten des Arbeiterkammergesetzes (AKG), StGBl 1920/100 am 9.6.1920, war „die Schlacht um die Einrichtung einer gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer als Gegenstück zur Handelskammer ... geschlagen“*, eine Schlacht, die mehr als 70 Jahre gedauert hatte.*

Die Gründung der AK wird mitunter auch als „Geburtsstunde der Sozialpartnerschaft“ gefeiert*, die freilich noch nicht in das kontroversielle politische Klima der Dreißigerjahre passte.* Erst nach Aufeinanderfolge zweier Diktaturen, zuletzt der Katastrophe der Nazi-Herrschaft mit Krieg und Auslöschung von Millionen von Menschenleben an der Front und in den Konzentrationslagern, und unter dem Eindruck der Besetzung Österreichs durch die vier Befreiermächte, verbunden mit der Sorge um die Zukunft als demokratische Republik, war die Zeit für eine nachhaltige Zusammenarbeit der Unternehmer mit der AN-Vertretung reif. Sie verschaffte der zweiten Republik einen 17 nie gekannten wirtschaftlichen Aufschwung sowie eine nie dagewesene Phase des sozialen Friedens und des Wohlstandserwerbs breiter Bevölkerungskreise. Man möchte glauben, dass man ein solches Erfolgsmodell mit beiden Händen festhält. Zur hundertsten Wiederkehr der Geburtsstunde der Arbeiterkammern schaut es aber in den letzten Jahren auf der Unternehmerseite nicht unbedingt danach aus, dass man den Eindruck bekommen hätte, dass sie diesen Erfolgsweg unabhängig von politischen Konstellationen auf Regierungsebene fortsetzen möchte. Die vom gegenbeteiligten „Sozialpartner“ unterstützte Machtübernahme der Unternehmer gegen Arbeiterkammern und Gewerkschaften in der SV der unselbständig Erwerbstätigen, aber auch die Lobbyierung für eine Sozialgesetzgebung, die in erster Linie danach trachtet, wichtige sozialpolitische Errungenschaften abzubauen (Stichworte: „12-Stunden-Tag“, Abbau des untersten sozialen Netzes mittels Bundesgrundsatzgesetz, Abschaffung des Karfreitags als arbeitsfreier Feiertag für Angehörige der Evangelischen Kirchen, Zerschlagung funktionierender Gebiets- und Betriebskrankenkassen, permanente Bedrohung der finanziellen Grundlagen und damit der Existenz der Arbeiterkammern), sprechen eine deutlich andere Sprache. Es bleibt abzuwarten, ob sich das in Zukunft wieder ändert, sollten Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung den totalen politischen Windschatten, in dem sie während der (zweiten) rechtskonservativen Koalitionsregierung fast nach Belieben agieren konnten, je nach dem Ergebnis der aktuellen Koalitionsverhandlungen vielleicht doch nicht mehr im vollen Umfang genießen können.

Die Arbeiterkammern sind – worauf Karl Korinek frühzeitig hingewiesen hat – ein Element der Gewaltenteilung im Staate, sie sind – nicht anders als die Wirtschaftskammer als sozialer Gegenspieler – eine spezifische Form staatlich organisierter und demokratisch legitimierter Interessenrepräsentation,* die als „Gegenüber“ staatlicher Institutionen auch ein Element der Gewaltenverbindung, aber auch der Machtbeschränkung darstellt. Die Pflichtmitgliedschaft und die dadurch gegebene Repräsentativität verleiht der AK legitimatorisch mehr Gewicht als es den freiwilligen Berufsvereinigungen zukommt. Es ist die zentrale Aufgabe von Selbstverwaltungskörpern in demokratischer Willensbildung die mitunter durchaus auch divergierenden Interessen ihrer Mitglieder abzustimmen und aus Einzelinteressen das Gemeinsame herauszufiltern.*

2.
Verfassungsfragen der Selbstverwaltung
2.1.
Die literarische Debatte

Sozialpolitik ist bekanntlich auch Gesellschaftspolitik. Beginnend mit den Fünfzigerjahren hatte die Verfassungsdiskussion einen stark gesellschaftspolitischen Einschlag: Es ging um Selbstverwaltung und damit auch um den staatlichen Einfluss auf gesetzliche berufliche Vertretungen und es ging um die Debatte zwischen Individualrechten und kollektiven Rechten im Arbeitsrecht, insb im Lichte der Kollektivvertragsautonomie. Diese nicht nur für die Arbeiterkammern, sondern vor allem auch für die Gewerkschaften bedeutsamen Fragen wurden auf verschiedenen Ebenen und nicht immer mit offenem Visier ausgekämpft; ein überwiegender (sc. konservativer) Teil der Verfassungslehre gab der Interessenvertretung der AN in dieser politischen Auseinandersetzung starken Gegenwind.

Das ursprüngliche verfassungsrechtliche Problem der Selbstverwaltung war eine Kombination von zwei Umständen: Nach Art 20 Abs 1 B-VG führen unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählte Organe oder ernannte berufsmäßige Organe die Verwaltung. Sie sind, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt wird, an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden und diesen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich. Das Fehlen dieses Weisungszusammenhanges mit den obersten Organen ist zwar notwendige Voraussetzung dafür, dass von Selbstverwaltung überhaupt die Rede sein kann, steht aber in einem offenkundigen Spannungsverhältnis zu Art 20 Abs 1 B-VG. Das zweite Problem war, dass der Verfassungstext kein Wort über die nichtterritoriale Selbstverwaltung verloren hat. Das hat sich für die nicht territoriale Selbstverwaltung erst durch die B-VG-Novelle BGBl I 2008/2BGBl I 2008/2mit Einführung der Art 120a bis 120c B-VG geändert.

Das Schweigen des Verfassungsgesetzgebers ließ verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu: Man konnte der Meinung sein, der Verfassungsgesetzgeber habe mit Art 20 Abs 1 alle Formen der Verwaltungsführung in Bezug auf staatliche Aufgaben abschließend geregelt, dann wäre die Selbstverwaltung mit dem Inkrafttreten des B-VG verfassungswidrig und daher unzulässig geworden. Die in diese Richtung gehenden Stimmen beriefen sich im Wesentlichen darauf, dass die meisten Vorentwürfe zum B-VG klare Aussagen zur Selbstverwaltung enthalten hätten, das B-VG aber keine solche Aussage getroffen habe.* Man konnte das Schweigen der Verfassung aber auch als Akzeptanz einer Institution deuten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des B-VG zum festen und unstrittigen Bestand des Wirtschafts- und Soziallebens, wie zB auch des Sozialversicherungsrechts, gehörte.

Der Verfassungsstreit um die Selbstverwaltung entbrannte in der Lehre in den Fünfzigerjahren und – nach einem vorübergehenden Abebben – erneut in den Sechzigerjahren.* Exponenten der unterschiedlichen 18 Meinungen waren Felix Ermacora (der die zuerst genannte Auffassung einer abschließenden verfassungsrechtlichen Regelung vertreten hat*) und Leopold Werner (der seit 1950 dafür eingetreten ist, dass die Selbstverwaltung gerade nicht an Art 20 Abs 1 B-VG gemessen werden dürfe).* Der 3. Österreichische Juristentag (ÖJT) setzte das Thema 1963 auf seine Tagesordnung und bestellte Peter Pernthaler zum Gutachter und Kurt Ringhofer zu einem der Referenten. Dieser hatte in Fortentwicklung der Ideen Werners eine eher privatrechtlich gefärbte Sicht auf die Selbstverwaltung* und hat an ihrer Zulässigkeit in seinem Referat für den 3. ÖJT nicht gezweifelt;* soweit ersichtlich, war es Ringhofers Referat am 3. ÖJT, welches die weitere Richtung der Diskussion entscheidend beeinflusst hat. Ringhofer sah aus seiner der reinen Rechtslehre verpflichteten rechtstheoretischen Sicht in Privatautonomie, Selbstverwaltung und Staatsverwaltung nur verschiedene, sich in Staatsferne bzw Staatsnähe nur graduell voneinander unterscheidende Möglichkeiten der „(untergesetzlichen) Rechtskonkretisierung“ und in Art 20 Abs 1 B-VG (mit Werner) eine in erster Linie an die Staatsverwaltung gerichtete Regelung, die der Einrichtung von weisungsfreien, aber unter Staatsaufsicht stehenden Selbstverwaltungskörpern nicht im Wege stand. Und Ringhofer entwarf auch ein Konzept der Grenzen der Zulässigkeit für die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern und für die Bindung der Selbstverwaltung an ein zwischen Staatsverwaltung und Selbstverwaltung differenzierendes Legalitätsprinzip analog Art 118 Abs 4 B-VG.*

2.2.
Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes

Der VfGH hatte sich mit der beruflichen Selbstverwaltung schon in seinem Erk von 1953/VfSlg 2400 im Zusammenhang mit der Handelskammerorganisation eingehend befasst. Er hat in diesem Erk ausgeführt, dass die Bundesverfassung dem einfachen Gesetzgeber Schranken hinsichtlich des inneren Aufbaues der beruflichen Selbstverwaltung auferlegen würde. Es sei daher dem Bundesgesetzgeber auch nicht verwehrt, der beruflichen Vertretung der gewerblichen Wirtschaft in gewisser Beziehung einen hierarchischen Aufbau zu geben. Von einem Widerspruch zu Art 20 B-VG könne aber schon·deshalb keine Rede sein, weil es sich hier um Akte von Selbstverwaltungskörpern im selbständigen Wirkungskreis handle. Die Selbstverwaltung sei aber in diesem Bereich gegenüber der staatlichen Verwaltung gerade durch die relative Weisungsfreiheit gekennzeichnet. Zur Frage, ob durch die einfache Gesetzgebung überhaupt berufliche Selbstverwaltungskörper errichtet werden dürfen, stellt der VfGH fest:*„Es bedeutet zweifellos einen Mangel im organisatorischen Aufbau des B.-VG., daß die Fragen beruflicher Selbstverwaltung darin keine ausdrückliche Regelung gefunden haben. Gleichwohl muß aber daraus, daß die Kompetenzverteilung solche beruflichen Selbstverwaltungskörper tatbestandsmäßig anführt, gefolgert werden, daß das B.-VG. die Errichtung solcher Körperschaften durch die einfache Gesetzgebung als zulässig erkannt hat. Dies gilt im Besonderen auch für die im Art 10 Z 8 B.-VG. ausdrücklich angeführten Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie“.*

Als grundlegend expliziter Schluss der Debatte über die allgemeine verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Schaffung weisungsfreier Selbstverwaltungskörper und zugleich als wesentliche Weichenstellung für die weitere Entwicklung ist dann wohl erst das Erk des VfGH 1977 zur Salzburger Jägerschaft VfSlg 8215 anzusehen. Der VfGH konnte mittlerweile auf eine lange Judikaturkette seit 1953/VfSlg 2400 verweisen, die nahezu ausschließlich gesetzliche berufliche Vertretungen betroffen hat.* Der VfGH hatte aber auch in einer Reihe von Erkenntnissen mit anderen Selbstverwaltungskörpern zu tun gehabt, ohne je verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Organisation als Selbstverwaltung an sich gehegt zu haben, darunter auch in einem Erk betreffend den Hauptverband der Sozialversicherungsträger.*

Im vorhin zitierten Erk zur Salzburger Jägerschaft folgte dieser langjährigen impliziten Duldung der Selbstverwaltung durch den VfGH die explizite Absolution: Das Gericht kam zu der Auffassung, dass der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 19 Selbstverwaltung als Organisationsform nicht bloß gekannt, sondern – als dem Art 20 B-VG nicht entgegenstehend – auch vorausgesetzt und anerkannt hat.* Und der VfGH machte die Nagelprobe mit der Kontrollfrage, ob denn auch ein verfassungsrechtlicher Rahmen für die Selbstverwaltung auszumachen sei. Wenig überraschend fiel diese Prüfung positiv aus.* Der VfGH zeigt in der Folge drei wichtige verfassungsrechtliche Grenzen der Selbstverwaltung auf:*

Erstens darf Selbstverwaltung nur durch Gesetz unter Beachtung des sich aus Art 7 B-VG ergebenden Sachlichkeitsgebotes eingerichtet werden. Auch aus damaliger Sicht eher eine banale Selbstverständlichkeit, obwohl die Entwicklung des Gleichheitssatzes vom Exzessverbot zum Sachlichkeitsgebot* noch jungen Datums war.

Zweitens ist die staatliche Aufsicht über die Organe der Selbstverwaltungskörperschaften hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ihrer Verwaltungsführung geboten.*

Drittens ist zur Klärung der Frage nach den Grenzen zulässiger Selbstverwaltung auf die Formulierung zurückzugreifen, die Art 118 Abs 2 B-VG in Anlehnung an historische Vorbilder zur Umschreibung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde gebraucht hat. Daraus ergebe sich, dass einer Selbstverwaltungskörperschaft zur eigenverantwortlichen, weisungsfreien Besorgung nur solche Angelegenheiten der staatlichen Verwaltung überlassen werden dürfen, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zur Selbstverwaltungskörperschaft zusammengefassten Personen gelegen und geeignet sind, durch diese Gemeinschaft besorgt zu werden. Ich würde dieses dritte Gebot der Einfachheit halber das Homogenitätsgebot nennen.*

Sieben Jahre später hat der VfGH im Erkenntnis zum Arbeiterkammerpräsidenten aus dem Jahre 1979* einen vierten Grundsatz hervorgehoben, nämlich, dass dem Begriff der Selbstverwaltung – wie ihn die österreichische Rechtsordnung versteht – die Befugnis zur autonomen Bestellung der Organe innewohnt. Organe mit entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen müssen daher von dem Selbstverwaltungskörper selbst – autonom, dh aus dem Kreis der Mitglieder – bestellt werden. Die autonome Bestellung aus dem Kreis der Mitglieder verschafft den Organen der Selbstverwaltung jene erforderliche demokratische Legitimation, der sie sonst aufgrund der Weisungsfreiheit gegenüber den Obersten Organen entzogen wären.*

Was das differenzierende Legalitätsprinzip bei der Gesetzesbindung der Selbstverwaltung betrifft, ist der VfGH Ringhofer nicht gefolgt.* Er hat allerdings in Interpretation des Art 18 B-VG und in teilweiser Milderung seiner früheren, strengeren Rsp* ein eigenes Konzept eines differenzierenden Legalitätsprinzips entwickelt, das insofern hinter Ringhofer zurückbleibt, als es die Selbstverwaltung nicht vom Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 2 B-VG freizeichnet, andererseits aber über Ringhofers Vorschlag hinausgeht, da dieses Konzept für die gesamte staatliche Verwaltung gilt. Angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelung sein können, sei – so der VfGH in einem der Leiterkenntnisse – ganz allgemein davon auszugehen, dass Art 18 B-VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt.* Dieses Verständnis eines nach Lebenssachverhalten und Adressaten differenzierenden, dh der jeweiligen Frage sachangemessenen Legalitätsprinzips beachtet einerseits einen weiten Verständnishorizont der Normadressaten (zB bei Technikvorschriften* oder bei Kreditinstituten*), andererseits berücksichtigt es aber auch den Umstand, in welchem Genauigkeitsgrad eine Vorherbestimmung des verwaltungsbehördlichen Handelns (des Satzungs- bzw Verordnungsgebers) überhaupt möglich ist und in welchem Ausmaß ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine exakte Regelung besteht (wie zB im Strafrecht oder bei der Eingriffsverwaltung,* wie zB in Teilen des 20 Steuerrechts). Was möglich und erforderlich ist, kann – so der VfGH – aber nur im Hinblick auf die jeweils in Frage stehende Regelung nicht von einem Rechtsgebiet als Ganzes gesagt werden.* Je nach dem Fach- bzw Vorwissen, welches bei einem Adressatenkreis von Rechtsakten der Selbstverwaltung mit Grund zu erwarten ist, kommt diese Rsp zwar auch, aber nicht nur der Selbstverwaltung zugute.

2.3.
Die Novelle zum B-VG 2008

Mit der B-VG-Novelle BGBl I 2008/2BGBl I 2008/2hat sich an der normativen Verfassungsrechtslage zweierlei geändert: Erstens wurde die Wurzel des Gelehrtenstreits der Fünfziger- und Sechzigerjahre, nämlich die Weisungsbindung des Art 20 Abs 1 B-VG, in Art 20 Abs 2 durch die Novelle in einer Reihe von Fällen aufgebrochen, in denen der einfache Gesetzgeber weisungsfreie Behörden einrichten darf, wodurch zB auch alle weisungsfreien Regulierungsbehörden eine verfassungsrechtliche Grundlage erhalten haben, deren Weisungsfreiheit aufgrund des Unionsrechtes geboten ist. Zweitens kamen im Schatten des damals heftig diskutierten eigentlichen Hauptgegenstandes dieser Novelle, nämlich der Einrichtung eines Asylgerichtshofes und der Beseitigung der Kontrolle des VwGH in Asylsachen, die Art 120a bis 120c B-VG über die nichtterritoriale Selbstverwaltung* in das Gesetz, wenn auch erst im Verfassungsausschuss des Nationalrates.

Der VfGH selbst kommentierte in einer E die Novelle in diesem Zusammenhang dahin, er ergebe sich aus Art 120a ff B-VG im Hinblick auf die bisherige Rsp des VfGH zur Selbstverwaltung, dass lediglich Merkmale der nichtterritorialen Selbstverwaltung und Errichtungsschranken zusammengefasst worden seien, die bereits aus einzelnen Vorschriften des B-VG abgeleitet und – durch die Judikatur des VfGH bestätigt – geltendes Verfassungsrecht gewesen wären. Daher sei die genannte bisherige Judikatur des VfGH auch zu den neuen Bestimmungen weiterhin maßgeblich.*

Wenig Neues also, wenn man davon absieht, dass Art 120a Abs 2 B-VG, worin „die Republik ... die Rolle der Sozialpartner [anerkennt]“, deren Autonomie achtet und den sozialpartnerschaftlichen Dialog durch die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern fördert, infolge dieser expliziten Bezugnahme auf die Sozialpartnerschaft österreichischer Prägung kaum anders als eine gewisse Bestandsgarantie für die am sozialpartnerschaftlichen Dialog beteiligten Selbstverwaltungseinrichtungen in der überkommenen Form (dh gekennzeichnet durch Pflichtmitgliedschaft und demokratisch legitimiert durch Wahl) gelten kann.* Ferner stellt die Verfassungsbestimmung im Kern sicher (arg: „Achtung der Sozialpartnerschaft“, also bei einander gegenüberstehenden Institutionen mit gegenteiligen, auf den jeweils anderen bezogenen Interessen: jeweils beide Seiten), dass nicht eine der gegenbeteiligten Seiten durch gesetzgeberische Maßnahmen einseitig geschwächt werden darf.* Eine Verletzung dieses Grundsatzes läge insb dann vor, würde man einer der beiden gegenbeteiligten Institutionen entweder die zur Interessenwahrung erforderlichen Aufgaben oder bei Aufrechterhaltung der Aufgabenstellung die dafür erforderlichen finanziellen Mittel ganz oder teilweise entziehen.*

3.
Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten des Jahres 1979
3.1.
Die Ausnahme der nahen Angehörigen des Dienstgebers aus der Kammerzugehörigkeit

Das Jahr 1979 war von sozialpolitischen Auseinandersetzungen zwischen der mit absoluter Mehrheit regierenden SPÖ und der größten Oppositionspartei, der ÖVP, die immerhin über eine Mehrheit im Bundesrat verfügte, geprägt. Mit BGBl 1978/519 hatte die sozialdemokratische Mehrheit im Nationalrat mit Beharrungsbeschluss nach Einspruch des Bundesrates Änderungen des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG), des Landarbeitsgesetzes (LAG) und des AKG beschlossen. Mit dieser Novelle wurde der DN-Begriff des betriebsverfassungsrechtlichen Teils des ArbVG (und des LAG) dahin geändert, dass künftig Ehegatten des Betriebsinhabers auch im Arbeitsverhältnis nicht mehr zu den DN iSd Gesetzes gehörten. Das gleiche sollte für Personen, die mit dem Betriebsinhaber im ersten Grad verwandt oder verschwägert sind, ferner in Betrieben einer juristischen Person für Ehegatten von Mitgliedern des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, sowie für Personen, die mit Mitgliedern eines solchen Vertretungsorgans im ersten Grad verwandt oder verschwägert sind, gelten. Diese Personen sollten ferner auch nicht mehr wahlberechtigt nach § 5 AKG sein. *21

Die Novelle kam im Jahr vor der Arbeiterkammerwahl 1979 und war – soweit das AKG betroffen war – offenkundig (auch) der Versuch, der Fraktion sozialistischer Gewerkschafter (FSG) in Vorarlberg den AK-Präsidenten zurück zu bringen und in Tirol den AK-Präsidenten zu retten: Die engen Familienangehörigen des DG standen wohl nicht zu Unrecht „im Verdacht“, mehrheitlich der ÖVP und damit auch der Fraktion christlicher Gewerkschafter (FCG) nahezustehen.* Mit Erk vom 31.1.1979,* VfGH 1979/VfSlg 8485 hob der VfGH diese geänderten Bestimmungen jedoch als verfassungswidrig auf.*

Die mit den als verfassungswidrig aufgehobenen Regelungen in BGBl 1978/519verfolgten gesetzgeberischen Absichten muten aus heutiger Sicht etwas naiv an, hatte doch der VfGH schon mit Erk 1966/VfSlg 5319 die Ausnahme der Eltern und Kinder des DG, und mit VfGH-Erk 1968/VfSlg 5750 auch die Ausnahme der Ehegatten des DG von der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 1 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben. Die Begründung lautete jeweils im Wesentlichen, dass der Umstand, dass eine rechtliche oder sittliche Pflicht des einen Ehegatten (bzw Elternteils) als DG des anderen Ehegatten (bzw Kindes) zur Bereitstellung der Leistungen besteht, die sonst durch die SV geboten werden, nicht geeignet sei, die Differenzierung zu rechtfertigen. Es treffe nämlich nicht zu, dass jene Leistungen, die im Versicherungsfall die SV beistelle, dem DN, der Ehegatte des DG ist, auf Grund dieser engen familienrechtlichen Beziehungen gewährleistet seien. Dass der DG wirtschaftlich in der Lage sei, dem bei ihm beschäftigten Ehegatten oder Kinder im Krankheitsfalle jene Leistungen zukommen zu lassen, die der Träger der KV gewährt, sei nicht der Regelfall. Das Ehegattenverhältnis (enge Verwandtschaftsverhältnis) zwischen DG und DN reiche für sich allein nicht aus, um die mit der Ausnahme von der Pflichtversicherung verbundene sozialrechtliche Schlechterstellung zu rechtfertigen.* Es lag nahe, mit der gleichen Argumentation auch die arbeitsrechtliche Schlechterstellung in Bezug auf Kündigungsschutz und Versetzungsschutz und den Entzug anderer Rechtspositionen von DN, die sich aus dem ArbVG bzw aus der Kammermitgliedschaft ergeben haben, für verfassungswidrig zu erklären. Was es sozialwissenschaftlich mit der Gemengelage Ehe und Arbeitsrecht wirklich auf sich hat, steht auf einem anderen Blatt.

3.2.
Das Erkenntnis des VfGH zum Kammertagspräsidenten

1979 war aber auch in anderer Hinsicht für die AK verfassungsrechtlich turbulent: Der VfGH gab einem ÖVP-Drittelantrag statt und hob den § 24 AKG als verfassungswidrig auf.* Diese Bestimmung hatte in Abs 1 vorgesehen, dass der Präsident der Wiener Arbeiterkammer automatisch auch Präsident des Österreichischen Arbeiterkammertages (heute: Bundesarbeitskammer) sein sollte.* Der VfGH hielt dies für verfassungswidrig und nahm den Fall zum Anlass, Grundsätze der demokratischen Legitimation von wichtigen Organen in der nicht territorialen Selbstverwaltung festzulegen, ua deren Wahl aus dem Kreis der Mitglieder der Selbstverwaltung. Die Aufgaben und Befugnisse des Präsidenten des Arbeiterkammertages hätten ein besonderes Gewicht infolge der dem Arbeiterkammertag nach zahlreichen anderen Gesetzen übertragenen zusätzlichen Aufgaben (Mitwirkungs-, Vorschlags-, Nominierungs-, Anhörungsrechte udgl) erhalten. Nach der Verfassungsrechtslage müssten jedenfalls Organe des Arbeiterkammertages mit solchen entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen, wie sie dem Präsidenten des Arbeiterkammertages zukommen, von dem Selbstverwaltungskörper selbst – autonom – bestellt werden.*

3.3.
Gegnerfreiheit und Abgrenzung zur Landwirtschaft

Schließlich war 1979 auch ein drittes Erk für die AK wichtig, obwohl es die Landarbeiterkammer Steiermark betroffen hat: Im Zusammenhang mit einer Anfechtung der Landarbeiterkammerwahl 22 in der Steiermark hob der VfGH nicht nur einige Bestimmungen des diesbezüglichen Landesgesetzes auf, sondern postulierte auch für die gesetzlichen beruflichen Vertretungen der AN und der AG den Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit.* Die besondere Interessenlage familienangehöriger Arbeitskräfte vermittle dem Gesetzgeber einen gewissen rechtspolitischen Spielraum bei der Zuordnung zur Interessenvertretung. Es möge dabei sogar ein (allerdings nicht auf konkrete Einzelfragen bezogenes) Wahlrecht der Betroffenen zu erwägen sein. Die gleichzeitige Mitgliedschaft zu beiden Berufsvertretungen lasse sich aber – ohne Rücksicht auf ihr zahlenmäßiges Gewicht – angesichts der gesetzlichen Aufgabenstellung mit der besonderen Interessenlage nicht rechtfertigen. Ehefrauen von Landwirten konnten daher aufgrund ihrer Tätigkeit am Bauernhof nicht länger gleichzeitig Mitglieder der Landwirtschaftskammer und der Kammer für Arbeiter und Angestellte in der Landwirtschaft sein.

Ferner urteilte der VfGH, dass Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, die überwiegend im Bereich der gewerblichen Wirtschaft tätig sind, nicht als Betriebe der Forstwirtschaft gelten konnten.* Die Betätigung landwirtschaftlicher (forstwirtschaftlicher) Genossenschaften zähle nur dann zum landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Gebiet, sofern sie die in Art V lit a KdmPat zur GewO 1859 aufgestellten Merkmale aufweise oder im Betrieb von Sägen, Mühlen, Molkereien usw, im Verkauf unverarbeiteter landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse oder im Einkauf landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Betriebserfordernisse bestehe. Eine über diesen Rahmen hinausreichende Tätigkeit würde nicht mehr als eine solche auf landwirtschaftlichem und forstwirtschaftlichem Gebiet anzusehen sein, da nur der unmittelbare Zusammenhang mit der Landwirtschaft und Forstwirtschaft, nicht aber ein nur entfernter Berührungspunkt mit diesem Gebiet maßgeblich sein könne. Die wie immer geartete Tätigkeit des einzelnen AN müsse also im Rahmen des Betriebes der Land- und Forstwirtschaft entfaltet werden, um als landwirtschaftliche Tätigkeit gelten zu können. Ist ein Betrieb (Betriebszweig) kein land- und forstwirtschaftlicher (etwa weil die Hervorbringung von Pflanzen nur auf eigenem oder gepachtetem Grund zur Landwirtschaft zählt), sondern ein Gewerbebetrieb, so sind auch die dort beschäftigten DN nicht dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft zuzuzählen. Durch die Einbeziehung dieser Personen in den Kreis der Kammerangehörigen habe der Landesgesetzgeber daher seine Kompetenz überschritten. Für Mischbetriebe hat der VfGH in einem späteren Erk auf die überwiegende Verwendung abgestellt.*

Für die Abgrenzung der Land- und Forstwirtschaft gibt es nicht weniger als drei verfassungsrechtliche Schnittstellen, nämlich jene des B-VG BGBl 1948/139, betreffend DN in land- und forstwirtschaftlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, sofern in diesen eine bundesgesetzlich zu regelnde Anzahl von DN beschäftigt ist (gem § 10 Abs 1 Z 5 AKG 1992 sind dies fünf DN), dann jene der Ausnahme der auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiete tätigen AN (Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG) und Art V Abs 2 der B-VG-Novelle 1974, BGBl Nr 444, betreffend DN, die in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben von Gebietskörperschaften beschäftigt sind.*

Die Ausnahmebestimmungen zugunsten der Land- und Forstwirtschaft bergen aufgrund einer Verfassungsrechtslage, die in der Kompetenzausnahme des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG von AN handelt, die auf „land- und forstwirtschaftlichem Gebiet“ tätig sind, und in Art V Abs 2 der B-VG-Novelle 1974 von DN, die in „land- und forstwirtschaftlichen Betrieben von Gebietskörperschaften“ tätig sind, auch auf der Ebene des AKG entsprechende Tücken: Während die Verfassungsbestimmung des § 10 Abs 2 Z 1 lit c AKG 1992 jene DN ausnimmt, die in „land- und forstwirtschaftlichen Betrieben“ von Gebietskörperschaften beschäftigt sind, bezieht sich die Ausnahme des § 10 Abs 2 Z 6 AKG 1992 (die jener des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG Rechnung trägt) auf „land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte“. Der VfGH folgerte aus dieser unterschiedlichen Terminologie, dass es bei DN, die nicht bei Gebietskörperschaften beschäftigt sind, nicht darauf ankommt, ob der Betrieb, in dem sie arbeiten, ein land- und forstwirtschaftlicher ist, sondern ob sie – ungeachtet des Charakters des Betriebes – land- und forstwirtschaftliche Tätigkeiten verrichten, dh zumindest in einem solchen Betriebszweig des DG und damit auf „land- und forstwirtschaftlichem Gebiet“ tätig sind, mag der Betrieb selbst auch überwiegend ein nicht landwirtschaftlicher sein.* Dies gilt umgekehrt auch für DN, die arbeiterkammerzugehörig sind, weil sie zwar in einem (überwiegend) land- und forstwirtschaftlich geprägten Betrieb tätig sind, dort aber in einem nicht landwirtschaftlichen Betriebszweig arbeiten. Diese Unterscheidung war zB bei der Ausgliederung der Bundesforste aus der Bundesverwaltung von Bedeutung, da die Bediensteten nach der Ausgliederung nicht mehr in einem Betrieb einer Gebietskörperschaft tätig waren; es war daher auf sie nicht mehr die im Verfassungsrang stehende Ausnahmeregelung des § 10 Abs 2 lit c AKG 1992, sondern die einfachgesetzliche Ausnahme des § 10 Abs 2 Z 6 AKG 1992 maßgebend. Dadurch konnte 23 sich der Kreis der von der Kammerzugehörigkeit ausgenommenen Personen verändern.*

4.
Zum Begriff der Dienststellen „in Vollziehung der Gesetze“

Damit bin ich nach der Frage der Selbstverwaltung dem Problem der nahen Familienangehörigen und der komplexen Abgrenzung der Land- und Forstwirtschaft bei einem vierten verfassungsrechtlichen Problembereich gelandet, der die Arbeiterkammern viele Jahre beschäftigt hat, nämlich bei der Ausnahme von DN in Dienststellen, die in Vollziehung der Gesetze tätig sind. Zum Verfassungsproblem wurden diese Fragen nicht nur aufgrund der von vornherein gegebenen kompetenzrechtlichen Abgrenzungsprobleme, sondern dadurch, dass der Verfassungsgesetzgeber in das AKG DN als arbeiterkammerzugehörig einbezogen hat, die kompetenzrechtlich nicht in der Bundeskompetenz unterzubringen waren und umgekehrt und er dies daher durch Verfassungsbestimmungen vornehmen musste. Solche Verfassungsbestimmungen waren § 5 Abs 1 lit d und e AKG 1954 für die Einbeziehung von DN in Betrieben und Anstalten sowie in Stiftungen und Fonds von (allen) Gebietskörperschaften und § 5 Abs 2 lit a AKG 1954 für die Ausnahme der DN von Gebietskörperschaften, die dem Personalstand einer Dienststelle angehören und verwendet werden, die in Vollziehung der Gesetze tätig ist, sowie das wissenschaftliche Personal und die Bediensteten in landwirtschaftlichen Betrieben von Gebietskörperschaften. Diese Verfassungsbestimmungen finden sich nunmehr in § 10 Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 1 lit a und b AKG 1992.

Der VfGH lehnte es schon zum AKG 1954 ab, diese Verfassungsbestimmungen bloß als Kompetenzbestimmungen zu deuten, sondern deutete sie als Bestimmungen, aus denen den (je nachdem positiv oder negativ) betroffenen Personen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte erwuchsen.* Dies hatte zur Folge, dass derartige Abgrenzungsfragen aufgrund der seinerzeitigen Bestimmung des Art 133 Z 1 B-VG nur mehr in die Zuständigkeit des VfGH und nicht mehr in jene des VwGH gefallen sind. Genauer: Feststellungsbescheide des Bundesministers gem § 11 AKG 1992 konnten nur beim VfGH angefochten werden.* Vorschreibungen der Kammerumlage durch die Gebietskrankenkasse* nach Erschöpfung des Instanzenzuges hingegen auch beim VwGH, der dann die verfassungsrechtliche Frage der Kammerzugehörigkeit als Vorfrage zu prüfen hatte:* Damit waren Judikaturdivergenzen zwischen den beiden Höchstgerichten quasi mit eingeplant.*

Rechtsfragen der Kammerzugehörigkeit konnten also aufgrund des Verfassungsrangs einiger Bestimmungen über den persönlichen Geltungsbereich Verfassungsfragen sein. Darunter so banale, wie die Frage der Kammerzugehörigkeit eines Bediensteten des Bauhofs einer Gemeinde. Die Lösung dieser Frage hing nämlich davon ab, ob Bauhof und Gemeindeamt ein einheitlicher oder ob es zwei selbständige Betriebe gewesen sind. Im erstgenannten Fall eines sogenannten Regiebetriebs gehörte der Bedienstete als Folge der Betriebseinheit einer Dienststelle an, die (auch) „in Vollziehung der Gesetze“ tätig war, weshalb er von der Kammerzugehörigkeit ausgenommen war.* Im zweitgenannten Fall war er arbeiterkammerzugehörig. Vergleichbare Fragen stellten sich im Zusammenhang mit Abteilungen für Wildbach- und Lawinenverbauung des BM für Land- und Forstwirtschaft* oder im Zusammenhang mit Wasserbauämtern und Landesstraßenbauämtern der Ämter der Landesregierung.* Als Kriterien für die Eigenständigkeit einer Dienststelle bediente sich die Rsp sowohl des VfGH als auch des VwGH der Elemente des Betriebsbegriffes aus § 34 Abs 1 ArbVG,* wobei das Vorhandensein einer „relativen Selbständigkeit der Aufgabenbesorgung in einer organisatorisch verfestigten Form“ ausreichte.*

Um nichts weniger strittig war eine Zeit lang der Begriff der Dienststellen „in Vollziehung der Gesetze“, von dem der VwGH 1960 feststellte, dass damit nur die Hoheitsverwaltung gemeint sein konnte, also Verwaltungsbehörden, Gerichte und Wachkörper.* Der VfGH schloss sich dem mit der Einschränkung an, dass es sich um hoheitliche Tätigkeiten handeln musste, die für Dienststellen der Hoheitsverwaltung kennzeichnend und diesen vorbehalten sind.* Damit kam für Bedienstete eines Landesstraßenbauamtes eine Ausnahme von der Zugehörigkeit zur AK nicht in Betracht, da diese Dienststelle nur ausnahmsweise bestimmte hoheitliche Veranlassungen und Maßnahmen nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) zu treffen hatte, ihr also keine Regelkompetenz zur Setzung von Hoheitsakten zukam.* Bedienstete in der 24 sogenannten „schlichten Hoheitsverwaltung“ sind daher von der Zugehörigkeit zur AK nicht ausgenommen.*

In den letzten Jahren hat es meinem Eindruck nach nur noch wenige Verfahren zur Arbeiterkammerzugehörigkeit gegeben, welche die Höchstgerichte beschäftigt haben, sodass die schwierigsten Abgrenzungsfragen als weitgehend geklärt und allseits akzeptiert gelten können.

5.
Ausblick

Wichtige verfassungsrechtliche Streitfragen mögen entschieden oder nicht mehr strittig sein – die sozialpolitische Brisanz, welche allein die Existenz eines „Braintrust“ der Gewerkschaften, welcher die AK heute ist, für mächtige und finanziell im Zweifel überlegene soziale Gegenspieler darstellt, wird eine fortdauernde Gefährdung für die Arbeiterkammern sein, der nur durch höchste fachliche Qualität und Nähe zu ihren Mitgliedern in ihrer Tätigkeit begegnet werden kann. Qualität kann auf verschiedene Arten erreicht und gesichert werden. Dazu zählt ein Engagement der Arbeiterkammern an gesellschaftlich relevanten universitären Fächern (zB Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaft, aber auch Verfassungs- und Verwaltungsrecht), sei es durch Unterstützung von dort schon tätigen WissenschafterInnen durch wissenschaftliche Projekte, sei es durch Unterstützung geeigneter eigener MitarbeiterInnen bei der Habilitation, wie dies (Stichwort: Hans Floretta, Rudolf Strasser) guter Tradition der AK entspricht und auch vom sozialen Gegenspieler seit langem immer wieder mit Erfolg praktiziert wird. Es geht in gesellschaftspolitisch brisanten Fächern stets auch um die dahinter liegende Frage, welchen Blick auf und welches Verständnis für das soziale Umfeld jemand hat. Da genügt es nicht, mit DRdA die mittlerweile zweifellos führende arbeits- und sozialrechtliche Zeitschrift herauszugeben; da braucht es auch wissenschaftliches Personal, das – wenn schon nicht aus dem sprichwörtlichen Gemeindebau, so zumindest – aus einer AK kommt.

Der in der Wirtschaftskammer sozialisierte Karl Korinek, ein unvergessener und großer Gelehrter und Verfechter der Sozialpartnerschaft, schreibt in

,* dass Interessengegensätze der modernen Gesellschaft wesenseigen seien und zu den stärksten Antriebskräften des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts zählen würden. Es gäbe – auf den Gesamtstaat bezogen – nicht nur ein einheitliches Volksinteresse, sondern vielmehr ganz unterschiedliche Interessen in der Gesellschaft. In dieser pluralistisch strukturierten Gesellschaft sei eine Verwirklichung von Gemeinwohl ohne Würdigung und Befriedigung von Partialinteressen nicht vorstellbar. Das Staatsvolk ist nach Interessenbereichen gegliedert; die pluralistische Komponente ist neben der individualistischen die etatistische Grundlage des demokratischen Systems der österreichischen Verfassung.*

Treffender lässt es sich nicht formulieren: Ohne eine ungestörte Arbeit der Arbeiterkammern kann das berechtigte Partialinteresse der unselbständig Erwerbstätigen nicht gewürdigt und befriedigt werden; das Gemeinwohl würde leiden. Das sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die, wenn sie schon die Arbeiterkammern aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht abschaffen können, sie zumindest finanziell kaputtschrumpfen würden, wenn man sie ließe. Demokraten, gleich welcher Interessengruppe, sollten auch während der nächsten 100 Jahre auf die Erhaltung der österreichischen Form der gegliederten Interessenvertretung achten und im Interesse des Gemeinwohls fördern. Wir alle aber müssen wachsam bleiben.25