Der Arbeitsunfall im Homeoffice
Der Arbeitsunfall im Homeoffice
Einleitung
Ist die Grundregel des § 175 Abs 1 ASVG im Homeoffice unzureichend?
Fortbewegung als typische Unfallursache im Homeoffice
Bestandsaufnahme
Kritik
Alternativer Begründungsweg
Schutz vor der Gefahr des Arbeitsortes
Die Novelle BGBl I 2020/23
Die Begründung des Initiativantrages (IA) einer Novelle des § 175 ASVG im 3. Covid-19-Gesetz, BGBl I 2020/23BGBl I 2020/23,* will glauben machen, dass DN im Homeoffice ohne diese Novelle unzureichend geschützt wären.* Ein Schreiben des Maklers, mit Nähe zu einer großen österreichischen Versicherung, das mich während der Fertigstellung dieses Beitrages erreichte, behauptet „aufgrund der gegebenen Anlässe enorme Deckungslücken“ in der „gesetzlichen Unfallversicherung“, dies aber mit der Begründung, dass „für einen Freizeitunfall nie Leistungsanspruch über die gesetzliche Unfallversicherung“ bestehe. Auch Bremm/Mayr halten den gesetzlichen 311Unfallversicherungsschutz offenbar für unzureichend: Unter referierender Wiedergabe von Teilen des Aufsatzes von Brodil aus dem Jahr 2019* wird da gar der Abschluss einer privaten Versicherung* als Ergänzung der gesetzlichen UV empfohlen.*
Brodil ortet in seiner Arbeit die Probleme in der Vermengung von privatem Umfeld und beruflicher Tätigkeit. Dies schaffe einerseits „unterschiedliche Gefahrenlagen“ und andererseits Grenzfälle, die nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung der einen oder anderen Sphäre zugerechnet werden müssten. Allerdings scheint er die Lösung derartiger Fälle nach der Lehre von der wesentlichen Bedingung in befriedigender Weise für möglich zu halten.*
Die befristeten Gesetzesänderungen im 3. Covid-Gesetz bieten Anlass, sich den Unfallversicherungsschutz im Homeoffice anhand verschiedener Fallkonstellationen durchzudenken, die Rsp des OGH zu analysieren und nach dieser Befundaufnahme zu prüfen, ob und was § 175 Abs 1a und 1b ASVG für coronabedingtes Homeoffice daran ändern.
Ein Arbeitsunfall nach der Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG liegt vor, wenn sich der Unfall (positive Voraussetzung) unmittelbar bei der versicherten Beschäftigung ereignet hat und (negative Voraussetzung) nicht „kausal“ auf Ursachen aus dem Privatleben oder einem sonstigen nicht versicherten Lebensbereich zurückzuführen ist. Zur versicherten Beschäftigung zählt jede mit entsprechender Intention verrichtete Tätigkeit, die sich dem Schutzbereich in seinen verschiedenen Ausprägungen (DN, Selbständige, Landwirte, Schüler- und Studenten, teilversicherte Berufsgruppen etc) nach bestimmten Kriterien zurechnen lässt.*
Bei DN (aber auch selbständig Erwerbstätigen) sind dies Ausübungshandlungen, die nach der Verkehrsanschauung noch als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinen (äußere Handlungstendenz) und in dieser Intention (innere Handlungstendenz) entfaltet wurden.* Für die Zurechnung maßgebend sind die aus den gesetzlichen Bestimmungen ableitbaren Zurechnungskriterien (dienstvertragliche oder am Bestehen eines Dienstvertrages anknüpfende Verpflichtungen und Obliegenheiten des DN, Anordnung des DG, vom DN aus Eigenem unternommene, aber den Interessen des Betriebs dienliche Tätigkeit bzw Handlungen unter vertretbarer Annahme eines dieser Umstände durch die versicherte Person). Zusammengefasst wird dies als der „innere Zusammenhang“ mit der versicherten Tätigkeit verstanden.* Denn wenn sich am Ort und zu der Zeit, zu der eine betriebliche Tätigkeit im vorstehend genannten Sinne verrichtet wird, ein Unfall ereignet, für den diese Tätigkeit ursächlich ist, dann liegen die Voraussetzungen des § 175 Abs 1 ASVG, nämlich ein örtlicher, zeitlicher und ursächlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, definitionsgemäß vor.*
Für den Versicherungsschutz kommt es also nicht darauf an, ob die versicherte Tätigkeit in einem Betrieb oder außerhalb desselben (Dienstreise oder Homeoffice) verrichtet wird: Wo immer die zur Versicherungspflicht führende Beschäftigung verrichtet wird, dort ist nach dem Gesagten auch ein (wenngleich möglicherweise nur vorübergehender) Arbeitsort und dort ereignet sich ein allfälliger Unfall auch im „zeitlichen Zusammenhang“ mit der Beschäftigung iSd § 175 Abs 1 ASVG. Steht der Unfall auch in einem Ursachenzusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, dann stellen sich beim Homeoffice keine spezifischen, von den allgemeinen Regeln abweichenden Zurechnungsprobleme. Versichert sind jedenfalls die unmittelbaren Ausübungshandlungen in Erfüllung der Haupt- und Nebenpflichten der vertraglich vereinbarten Tätigkeiten und darüber hinaus jede über Verlangen oder Weisung des DG verrichtete sonstige Tätigkeit (§ 175 Abs 2 Z 3 ASVG).* Grundsätzlich gilt also: Wo und wann immer die versicherte berufliche Tätigkeit verrichtet wird, ist sie vom Schutz der gesetzlichen UV erfasst.*
Die Annahme, der Versicherungsschutz im Homeoffice sei unzureichend oder weise eine „enorme Deckungslücke“ auf, entbehrt daher der Grundlage. Die Aufklärung der Ursachenfrage kann sich im Homeoffice freilich schwieriger gestalten, weil sich die Sphären des Privatlebens und der betrieblichen Tätigkeit, die bei Verrichtung der Arbeit in einem Betrieb im Allgemeinen fein säuberlich voneinander getrennt sind, im Homeoffice vermengen,*312 sodass es nicht immer einfach ist, sie entweder zur betrieblichen Tätigkeit oder zu einer an-deren, nicht versicherten Sphäre (insb der privaten Freizeitsphäre) zuzurechnen. Hier sollte aber – wie auch sonst in diesen Fällen – die finale (innere) Handlungstendenz im Zeitpunkt des Unfalls für die Zurechnung den Ausschlag geben.
Da bei Arbeiten am PC oder am Laptop in sitzender Körperhaltung kaum Arbeitsunfälle vorkommen werden und selbst eine Verletzung durch eine Klammer aus der Heftmaschine keine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit nach sich ziehen wird, sind es vor allem Unfälle bei der Fortbewegung, die zu Stürzen mit oft schweren Folgen führen können, wie auch die bisherige Rsp zu derartigen Konstellationen in Österreich und in Deutschland zeigt. Da bedarf es nicht unbedingt einer Treppe in einem Haus, es genügt ein Umkippen, Überknöcheln oder gar eine harte Kante, auf der ein ungeschützter Kopf aufschlägt.* Fortbewegungen im eigenen Haushalt sind aber nicht eindeutig im vorgenannten Sinne zuordenbar. Das ist – wie die Rsp zeigt – ein Problem.
Die bisherige Judikatur des OGH behandelte im Wesentlichen Fälle von Treppenstürzen. In der OGH-E vom 13.1.1988, 9 ObS 30/87, führte die Treppe, auf der sich der Sturz ereignete, vom Wohnbereich in den Betriebsbereich (eine Gaststätte). Im Anschluss an die damalige deutsche Lehre und Rsp* entschied der OGH, dass dann, wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte in jeweils in sich abgeschlossenen verschiedenen Geschoßen eines mehrgeschoßigen Hauses mit einer durchgehenden Treppe befinden, der Unfallversicherungsschutz grundsätzlich erst an der Tür der Arbeitsstätte beginne. Auf dem Weg dorthin bestünde kein Unfallversicherungsschutz ungeachtet dessen, dass die Absicht bestand, dort eine betriebliche Tätigkeit zu verrichten. Wenn aber Teile eines Gebäudes sowohl privaten wie betrieblichen Zwecken dienen, dann beginne der Versicherungsschutz erst dann, wenn der rein persönliche Bereich verlassen und ein wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Teil des Gebäudes betreten werde. Bei Treppenstürzen sei darauf abzustellen, ob die Treppe in rechtlich wesentlichem Umfang für betriebliche Zwecke benützt werde. Gitter* hat in seiner Besprechung dieser E kritisch eingewendet, dass das Ausmaß der betrieblichen Nutzung saisonal verschieden und damit der Schutz der UV bei diesem Modell ein variabler sein könne, während ich* unter Berufung auf eine Mindermeinung der deutschen Lehre* darauf hingewiesen habe, dass in dieser E der Schutz von einer Überbetonung des örtlichen Elements abhänge, die vor dem Hintergrund der Anforderungen der Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG nicht richtig sein könne.
In 10 ObS 165/91* sprach der OGH aus, dass ein Treppensturz im Wohnhaus auf dem Weg zum angrenzenden Hotelgebäude nicht versichert sei, weil ein Arbeitsweg iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG erst an der Außenhaut des Gebäudes beginne. Die Variante Betriebsweg (im Wohnhaus befand sich das Büro) blieb ungeprüft.
Die OGH-E 10 ObS 2069/96d SSV-NF 10/47 betraf einen Sturz auf der Treppe, die von den ausschließlich privat genutzten Räumen des Obergeschoßes in das Erdgeschoß zu einer teilweise auch beruflich genutzten Wohndiele führte. Der OGH wiederholte den Grundsatz, dass vor dem Betreten der betrieblich genutzten Räume kein Unfallversicherungsschutz bestehe, und zwar auch dann nicht, wenn feststünde, dass dort ein berufsbedingter Telefonanruf entgegengenommen werden sollte. Denn: Die bloße Absicht, eine betriebliche Tätigkeit auszuüben bzw der Gang zu einer beabsichtigten beruflichen Arbeit innerhalb des Hauses begründe keinen Versicherungsschutz.
Aufgrund der überwiegend betrieblichen Nutzung des Unfallortes bejahte der OGH in 10 ObS 79/07a* hingegen den Versicherungsschutz für einen Treppensturz auf dem Weg von der Toilette ins Bürozimmer. Aus denselben Gründen wurde in OGH10 ObS 359/01v SSV-NF 15/132 der Versicherungsschutz für einen Treppensturz eines Außendienstmitarbeiters im eigenen Haus bejaht: Er war von seinem Büro im Wohnhaus aufgrund eines Anrufs in den Außendienst aufgebrochen. Es liege zwar kein Wegunfall nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG vor, doch sei der Unfall nach § 175 Abs 1 ASVG versichert, weil die Treppe wesentlich für Betriebszwecke genutzt worden sei.
Mich überzeugt der Begründungsansatz des OGH insgesamt nicht:*
Das Erfordernis der überwiegenden betrieblichen Nutzung des Unfallortes als Voraussetzung des Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice bedeutet, dass es für den Unfallversicherungsschutz an sich einen Unterschied macht, ob sich ein Unfall in einem eigenen, nur oder überwiegend betrieblich genutzten Bereich (Arbeitszimmer) ereignet oder in einem überwiegend privat genutzten Raum, 313 in dem sich uU auch der Arbeitsplatz befindet. Ungeachtet der steuerlichen Bedeutsamkeit für die Berücksichtigung anteiliger Betriebskosten kann diese Differenzierung keinen Unterschied beim Unfallversicherungsschutz machen: Denn selbst die ausschließliche Widmung eines Raums als Arbeitsraum führt zu keinem „Versicherungsbann“, nach welchem Unfälle in diesem Raum prinzipiell Arbeitsunfälle wären. Es kommt vielmehr sowohl in gemischt genutzten Räumen als auch im „echten“ Arbeitszimmer darauf an, ob sich der Unfall bei der Fortbewegung im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ereignet hat. Ob die versicherte Tätigkeit in diesem Raum häufiger oder seltener vorgenommen wird, muss dafür vollkommen irrelevant sein. Diese „Widmungsfrage“ scheint gerade bei Treppen (also im häufigsten Fall) absurd.
Gemeint ist offenbar, dass eine für sich mehrdeutige Begehung der Treppe dann den Schutzbereich begründen soll, wenn diese häufig oder überwiegend betrieblichen Zwecken dient. Ereignet sich aber ein Sturz auf der Treppe bei einer betriebsbedingten Fortbewegung, wäre es doch evident unsachlich und mit dem Zweck des § 175 Abs 1 ASVG schlechterdings unvereinbar, den Versicherungsschutz nur deshalb zu versagen, weil die Benützung der Treppe für diesen betrieblichen Zweck nur eine ausnahmsweise war; ereignet sich der Sturz aber bei einer Begehung der Treppe zu privaten Zwecken, dann wäre es ebenso unsachlich, den Versicherungsschutz nur deshalb zu gewähren, weil die Treppe sonst überwiegend zu beruflichen Zwecken begangen wird.
In dieser Rsp steckt aber ein zweiter Denkfehler: Wenn nach Auffassung des OGH eine Fortbewegung in der Absicht, die versicherte Tätigkeit im Büroraum aufzunehmen, den Versicherungsschutz auf der Treppe davor nicht zu begründen vermag, dann kann dieser Weg auch bei häufiger Wiederholung nicht dazu führen, dass eine Treppe in den Adel der „wesentlichen betrieblichen Nutzung“ aufsteigt.*
Die Frage, ob sich der Unfall an einem Ort des gemischt genutzten Gebäudes ereignet hat, der häufig oder typischerweise betriebsbedingt begangen wird, kann schon von Bedeutung sein, aber nur für die Tatsacheninstanzen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung, wenn zweifelhaft oder strittig ist, ob die betreffende Person im Zeitpunkt des Unfalls betrieblich tätig war: Für die Beweiswürdigung kann von Bedeutung sein, ob der Weg innerhalb oder außerhalb der Arbeitszeit zurückgelegt wurde, ob die Benützung der Treppe für diesen Weg typisch oder zumindest plausibel ist, ob die behauptete Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt zu verrichten war usw, nicht aber für die Rechtsfrage.
In zumindest zweien der oben angeführten Entscheidungen wäre der Weg vom häuslichen Büro zu einer auswärtigen, ebenso betrieblichen Verrichtung* ohnehin als Betriebsweg versichert gewesen. Betriebswege sind Fortbewegungen in Ausübung der versicherten Tätigkeit und damit selbst Teil der versicherten Tätigkeit.* Das kann zB ein Weg innerhalb der Wohnung vom Arbeitsplatz Nr 1 zu einem Servergerät als Arbeitsplatz Nr 2 sein, das kann aber auch ein (Transport-)Weg von der Wohnung zu einer außerhalb der Wohnung liegenden Bestimmungsadresse sein (zB zur Anschaffung eines Toners für den dienstlich genutzten Drucker, zur Lieferung eines ausgearbeiteten Konzeptes an eine Werbeagentur usw, oder der Weg eines im Homeoffice tätigen Journalisten zu einem Interview – der Phantasie sind hier fast keine Grenzen gesetzt). Ein solcher Betriebsweg kann bei Arbeitsplätzen in gemischt genutzten Gebäuden sowohl allein innerhalb des Gebäudes vorkommen als auch den Arbeitsplatz im Gebäude mit einer betrieblichen Verrichtung an einem Ort außerhalb desselben verbinden.
Wird der Betriebsweg nicht durch eigenwirtschaftliche Tätigkeiten unterbrochen,* dann ist er vom betrieblichen Ausgangspunkt (also vom Arbeitsplatz) bis zum Endpunkt und wieder zurück Teil der versicherten Tätigkeit und daher auch in diesem Umfang geschützt. Der Schutz beginnt und endet daher in der Heimarbeitskonstellation* – anders als beim Arbeitsweg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG* – nicht an der Außenhaut des jeweiligen Gebäudes. Ob ein Betriebsweg oder ein nicht versicherter Weg vorliegt, entscheidet sich – wie immer bei Vorgängen, die nach ihrer objektiven Erscheinungsform mehrere Deutungen zulassen* – nach der jeweiligen Handlungstendenz der vom Unfall betroffenen Person.
Von dem seinerzeit auch in Deutschland vertretenen Grundsatz, dass in gemischt genutzten Gebäuden der Versicherungsschutz erst einsetze, wenn ein „wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Teil des Gebäudes“ betreten werde, sodass es bei Treppenstürzen darauf ankomme, ob die Treppe in rechtlich wesentlichem Umfang für betriebliche Zwecke benützt wird, hat sich die Rsp des dt BSG kürzlich – und zwar ausdrücklich wegen der problematischen Ergebnisse dieser Rsp – verabschiedet. Maßgebend für den Schutz der UV sei nicht die Häufigkeit der Nutzung eines konkreten Unfallortes innerhalb des Hauses für betriebliche Zwecke, sondern es komme auf die Handlungstendenz der versicherten Person im Zeitpunkt des 314 Unfalls an, eine versicherte, zumindest aber eine dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt ist, dienende Tätigkeit ausüben zu wollen.*
Dem würde ich folgen: Das Begehen einer Treppe innerhalb eines Wohnhauses, wenngleich sich darin auch eine Arbeitsstätte befindet, ist – anders als dies in einem Betrieb der Fall wäre – eine dem äußeren Vorgang nach indifferente Handlung des täglichen Lebens. Ohne eine Vorstellung von der inneren Handlungstendenz der gehenden Person zu haben, können wir nicht beurteilen, ob dieser Vorgang versichert ist oder nicht.* Die Handlungstendenz, in der die Fortbewegung vorgenommen wird, macht diese entweder zum unversicherten privaten Weg* oder zum versicherten Betriebsweg.* Es kommt also für die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall bei der Fortbewegung in gemischt genutzten Gebäuden oder Wohnungen – nicht anders als im Betrieb – schlicht darauf an, ob im Zeitpunkt des Unfalls in irgendeiner Form die versicherte Tätigkeit ausgeübt wurde, und zwar auf jene Weise, wie sie auch im Betrieb zur Zurechnung zum Schutzbereich führen würde, häufig in der Form eines Betriebsweges.
Aber nicht nur an das Risiko der Fortbewegung ist zu denken. Es gibt auch das Risiko des Arbeitsortes* (zB Verletzungen durch herabfallende Teile, durch einen Brand oä). Dieses Risiko ist in Betriebsgebäuden jedenfalls insoweit versichert, als sich die verletzte Person an dem Ort des Unfalls aus Gründen der versicherten Beschäftigung aufhalten musste. Insoweit stellen sich die Fragen im Homeoffice deutlich anders. Der bloße Aufenthalt in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus begründet in der gesetzlichen UV grundsätzlich kein versichertes Risiko. Das Risiko des Ortes kann sich zB in einem Herabfallen einer schlecht montierten Lampe am Esstisch, der auch Arbeitstisch ist,* oder im Umfallen eines nicht an der Wand befestigten Bücherregals durch eine von außen kommende Erschütterung oder in irgendeinem anderen Zufall manifestieren. Seit der Abschaffung des historischen Modells der Betriebsversicherung zugunsten des Modells einer Personenversicherung* ist es für die Zurechnung zum Schutzbereich allerdings nicht mehr erforderlich, dass dem DG irgendeine Ingerenz auf schadenstiftende Umstände zukäme:* Ein Unfallversicherungsschutz gegen Ortsgefahren auf Dienstreisen, im Außendienst oder auf einem Betriebsausflug wäre sonst nicht denkbar. Wenn aber die Einflussmöglichkeit des DG auf die schadenstiftende Ursachenkette keine Voraussetzung des Unfallversicherungsschutzes ist, dann wäre es für diesen Schutz an sich unerheblich, wessen Einfluss sonst die Örtlichkeit unterliegt, von der eine schadenstiftende Kausalkette ausgegangen ist. Man könnte natürlich dort eine Grenze ziehen, wo privat produzierte Umstände (schlechte Montage) nach der Art eines Zeitzündereffekts Auslöser der Ursachenkette sind. Letzteres ist bei örtlichen Risken in der eigenen Behausung (am ständigen Wohnort) regelmäßig der Fall.*
Man kann aber auch danach unterscheiden, ob sich eine schlecht montierte Lampe während des Essens mit der Familie oder ob sie sich während einer betrieblichen Arbeit am PC löst und den Unfall herbeiführt:* Wenn der Aufenthalt unter der Lampe durch die betriebliche Arbeit bedingt ist, dann wirken zwei Unfallursachen zusammen. Der arbeitsbedingte Aufenthalt scheint mir als Bedingung für den Unfall jedenfalls wesentlicher zu sein als eine uU lange zurückliegende Montage der Lampe, deren Urheber gar nicht mehr feststellbar sein mag. Es lässt sich daher der Unfallversicherungsschutz nicht mit der Begründung verneinen, dass die schlechte Montage einer privaten Lampe nichts mit der versicherten Beschäftigung zu tun hat.* Die versicherte Tätigkeit ist in dieser Konstellation nicht nur Schauplatz, sondern (Mit-)Ursache des Aufenthaltsortes, welcher den Unfall eintreten lässt.*
Auch können zB am Boden laufende Kabel, die für die Vernetzung des PC oder des Laptop oder für die Verbindung mit einem Drucker oder Server vonnöten sind, Gefahren des Arbeitsortes hervorrufen, die wegen der betrieblichen „Installation“ mit der versicherten Beschäftigung zusammenhängen. 315 Ein Stolpern über ein solches Kabel wäre wegen des betrieblich geprägten Ausgangspunktes der Kausalkette auch dann versichert, wenn sich der Unfall in einer Arbeitspause bei einer privaten Tätigkeit (Staubsaugen, Kaffeeholen udgl) ereignete: Wäre ohne das betriebliche Kabel der Unfall nicht passiert, dann erwiese es sich schon deshalb als wesentliche Bedingung für den Unfall.* Ein solcher Unfall wäre daher versichert.*
„Jetzt gibt es leichter Geld bei Unfällen im Homeoffice“ titelte ein Beitrag zu dieser Novelle im Standard vom 22.4.2020, in dem der Sache nach die Auffassung vertreten wurde, dass mit dieser Novelle der Rsp des OGH, wonach es für den Unfallversicherungsschutz auf die überwiegende betriebliche Nutzung des Unfallortes ankomme, der Boden entzogen werde. § 175 Abs 1a ASVG idF des Art 25 des 3. COVID-Gesetzes normiert freilich nur, dass für die Dauer von Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 2020/12BGBl I 2020/12, Arbeitsunfälle auch Unfälle sind, „die sich im zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung am Aufenthaltsort der versicherten Person (Homeoffice) ereignen“.* Die Bestimmung ist im höchsten Maße überflüssig und unglücklich.
Für überflüssig halte ich die Norm deshalb, weil einerseits die Verrichtung der versicherten Beschäftigung bzw damit im Zusammenhang stehende Tätigkeiten schon nach bisher geltendem Recht immer geschützt sind, egal wo die Verrichtung erfolgt und weil andererseits private Tätigkeiten auch durch diese Bestimmung nicht geschützt sind und auch nicht geschützt werden sollten, wie auch die Materialien zeigen.* An dem Befund der Materialien, dass das Risiko, das den Unfall herbeigeführt hat, nach bisher geltendem Recht einen betrieblichen Bezug haben muss, ändert die Bestimmung mit Recht nichts, da sie die Formel des § 175 Abs 1 ASVG, an der auch die Rsp des OGH anknüpft, nur wiederholt und klarstellt, dass diese auch für Arbeiten im Homeoffice gilt. Die Norm enthält also keine Neuigkeit. Sie enthält weder die (sozialpolitisch durchaus überlegenswerte) widerlegbare Vermutung, dass Unfälle im Homeoffice Arbeitsunfälle sind, noch engt sie die bisherige Rsp des OGH, es komme auf die überwiegende Nutzung des Unfallortes an, in irgendeiner Weise ein.
Unglücklich ist Abs 1a deshalb, weil allein die Existenz der Norm Zweifel daran aufkommen lassen könnte, ob ihr Außerkrafttreten mit 31.12.2020 (oder die vorherige Beendigung von Maßnahmen nach dem COVID-19-Gesetz) die Rechtslage (nachteilig) ändern wird. Denn Homeoffice kommt ja nicht nur infolge der Corona-Krise vor. Teilt man die hier vertretene Auffassung, dass Abs 1a überflüssig ist, dann ändert sich freilich auch am 31.12.2020 nicht die Rechtslage.
Ähnliches gilt für Abs 1b: Die Tätigkeit im Homeoffice* macht den Ort der Verrichtung schon bisher zur Arbeitsstätte. Dies wiederholt § 175 Abs 1b jetzt ausdrücklich, aber beschränkt auf die Fälle von „Auch-Arbeitsunfällen“ nach Abs 2 Z 1 (Arbeitsweg), Z 2 (Arztweg), Z 5 (Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes, auch wenn dieses vom Versicherten beigestellt wird), Z 6 (mit der Beschäftigung zusammenhängenden Inanspruchnahme von gesetzlichen beruflichen Vertretungen oder Berufsvereinigungen), Z 7 (Weg zur und Verrichtung der Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse in der Nähe der Arbeits- oder Ausbildungsstätte), Z 8 (Bankweg) und Z 10 (Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte [Z 1] mit dem Zweck, ein Kind zu einer Kinderbetreuungseinrichtung, zur Tagesbetreuung, in fremde Obhut oder zu einer Schule zu bringen oder von dort abzuholen).
Bei all diesen Tatbeständen – mit Ausnahme der Z 10 – gäbe es auch ohne die Bestimmung des Abs 1b keinen Zweifel daran, dass der Weg vom Heimarbeitsplatz zum Arzt, zur Gewerkschaft, zur Bank oder im Zusammenhang mit der Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes versichert ist. Dies gilt im Wesentlichen auch für die Arbeitspausenregelung der Z 7, der ausnahmsweise die Verrichtung eigenwirtschaftlicher Tätigkeiten, wie Notdurft verrichten, sowie Essen und Trinken während einer Arbeitspause in der Nähe der Arbeitsstätte sowie den Weg dorthin schützt, nicht aber in der eigenen Wohnung. Daran ändert die „Arbeitsstättenerklärung“ der Wohnung nichts. Ebenso ändert die Norm nichts daran, dass es innerhalb der Wohnung keinen Arbeitsweg iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG gibt.
Hingegen wäre es zweckmäßig gewesen, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf den Weg zur Kinderbetreuung (Z 10) ausdrücklich klargestellt hätte, dass auch der Weg vom Heimarbeitsplatz zur Schule oder zum Kindergarten und von dort zurück zum Heimarbeitsplatz geschützt ist. Für Fälle einer Gemengelage von Arbeitsplatz und Wohnung hat der OGH nämlich entschieden, dass in diesem Fall auf Wegen zur oder von der Schule (dem Kindergarten) kein Versicherungsschutz besteht.* Dieser Rsp ausgerechnet damit den Boden entziehen zu wollen, dass die Wohnung zur Arbeitsstätte erklärt wird, zeigt mE von Unverständnis der Novellenverfasser. § 175 Abs 1b ASVG dürfte auch daran nichts 316 ändern, dass der Weg zum und vom Arzt während eines Krankenstandes mangels Zusammenhanges mit der versicherten Tätigkeit* auch weiterhin nicht vom Unfallversicherungsschutz erfasst ist.
Aber vielleicht räumt der OGH ja der in der Begründung des IA zur Novelle ausgedrückten Absicht, den Schutzbereich erweitern zu wollen, vor dem verkorksten Wortlaut der Novelle den Vorrang ein. Die Corona-Novelle des § 175 ASVG erweist sich dessen ungeachtet als eine überflüssige Fleißaufgabe, weil sie mehr Zweifelsfragen aufwirft, als sie beantworten kann und näher liegende sozialpolitische Anliegen unerledigt lässt. Zum Glück bietet aber schon das bisher geltende und nach Ende der Corona-Krise fortgeltende Recht – bei allem Begradigungsbedarf der Rsp des OGH* – auch im Homeoffice einen adäquaten Unfallversicherungsschutz.