Neuregelung der Mindestsicherung: Sozialhilfe und Ausgleichszulage*
Neuregelung der Mindestsicherung: Sozialhilfe und Ausgleichszulage*
Ausgangssituation und jüngere Entwicklungen
Ausgewählte Fragen: Sozialhilfe
Das SH-GG und seine erste Beurteilung durch den VfGH
Landes-Ausführungsregelungen: Einige interessante Beispiele
Ausgewählte Fragen: Ausgleichszulage
Stimmigkeit der Richtsätze
Ausgleichszulagen- und Pensionsbonus
Fazit und Perspektiven
Sozialleistungen spielen für die Sicherung eines Mindesteinkommens eine wichtige Rolle. Auch wenn das Risiko Armut nicht auf Einkommensarmut reduziert werden darf, tragen Leistungen zur monetären Mindestsicherung ganz wesentlich zur Verringerung des Armutsgefährdungsrisikos bei: So wären nach den Berechnungen der Statistik Austria im Jahr 2019 45 % der österreichischen Bevölkerung ohne soziale Transferleistungen (Pensionen und Sozialleistungen) armutsgefährdet gewesen, nach Sozialleistungen liegt diese Quote nur mehr bei 13 %.*
Zwei besonders wichtige Instrumente in diesem Zusammenhang sind die Ausgleichszulage in der gesetzlichen PV und die SH, die bis vor kurzem noch unter der Bezeichnung (Bedarfsorientierte) Mindestsicherung (BMS) firmierte.* Beiden Instrumenten ist – wie den meisten auf eine Mindestsicherung abzielenden Systemen – gemeinsam, dass sie nur subsidiär zum Tragen kommen, dh regelmäßig vom Ergebnis einer individuellen Bedarfsprüfung abhängen. Darüber hinaus ist die Gewährleistung eines Mindestbedarfs meist an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft, wie insb das Vorliegen eines tatsächlichen und rechtmäßigen Aufenthalts im Gebiet jener Gebietskörperschaft, von der entsprechende Leistungen in Anspruch genommen werden. Gemeinsam ist beiden Leistungen schließlich, und das war auch der Anlass für diesen Beitrag, dass sie zuletzt einige Änderungen erfahren haben.
Bei der Ausgleichszulage kommt als spezifische Voraussetzung dazu, dass eine Pension aus der gesetzlichen PV bezogen wird.* Das setzt wiederum ein Mindestmaß an Versicherungszeiten voraus, welche die betreffende Person selbst oder – im Fall von Hinterbliebenenpensionen – ein/e verstorbene/r Ehe-/eingetragene/r PartnerIn bzw Elternteil zurückgelegt hat.
Im System der SH werden solche Vorleistungen nicht verlangt. Die dortige Unterstützung stellt vielmehr auf den Bedarf als solchen ab und gebührt grundsätzlich auch unabhängig von dessen Ursache. Damit ergänzen diese Leistungen häufig auch andere Systeme, bei denen die Bedarfsdeckung keine oder nur eine geringe Rolle spielt. Das ist3etwa in der AlV der Fall, die nach wie vor kein der Ausgleichszulage vergleichbares Element enthält.* Personen, die SH als Ergänzung in Anspruch nehmen, werden meist als „AufstockerInnen“ bezeichnet und bilden – im Gegensatz zu verbreiteter politischer und öffentlicher Wahrnehmung – sogar die Mehrheit unter den SozialhilfebezieherInnen.
Deren Zahl war zuletzt wieder leicht rückläufig, während in den Jahren davor beträchtliche Steigerungen zu verzeichnen waren. Die folgenden Tabellen bilden die Werte aus drei ausgewählten Jahren ab: 2012, weil in diesem Jahr erstmals nach der 2010 erfolgten Implementierung der BMS umfassende Statistiken zur Verfügung gestanden sind; 2016, weil da die Auswirkungen der Flucht- und Migrationsbewegungen ihren Höhepunkt erreicht hatten; und 2019 als derzeit letztes zur Gänze ausgewertetes Jahr.
Werte für das ganze Jahr | Österreich | Niederösterreich | Salzburg | Vorarlberg | Wien | Minderjährige | AufstockerInnen | NichtösterreicherInnen | Schutzberechtigte |
2012 | 221.341 | 18.966 | 12.039 | 8.583 | 126.520 | ||||
2016 | 307.533 | 30.566 | 14.728 | 13.078 | 173.484 | ||||
2019 | 287.593* | 24.349 | 11.947 | 12.084 | 171.317 | 78.090 (<14 J.) | 139.164 (ohne NÖ) | 105.547 (ohne NÖ) | 98.161 |
Im Gegensatz dazu geht die Zahl der BezieherInnen einer Ausgleichszulage konstant zurück. Weiterhin sind über zwei Drittel davon Frauen, wie die nachfolgende Aufstellung aus denselben Vergleichsjahren* belegt:
Jeweils am 31.12. | Gesamtzahl Ausgleichszulage | davon Frauen | Ausgleichszulage zu Alterspensionen | zu Pens. bei geminderter Arbeitsfähigkeit | zu Witwenpensionen | zu Waisenpensionen |
2012 | 229.186 | 154.693 | 99.743 | 48.289 | 65.523 | 14.975 |
2016 | 211.237 | 142.824 | 101.057 | 38.560 | 55.901 | 15.083 |
2019 | 205.306 | 139.464 | 106.490 | 35.978 | 47.769 | 14.435 |
Was die Leistungshöhe betrifft, ist zu betonen, dass diese bei den „Richtsätzen“ für die Ausgleichszulage seit langem überproportional gestiegen ist. Die jährlichen Steigerungen liegen in den letzten 20 Jahren deutlich über der jeweiligen Pensionsanpassung und auch über dem Verbraucherpreisindex.* Auch für das Jahr 2021 ist eine außerordentliche Erhöhung vorgesehen, die neben der Ausgleichszulage auch für Pensionen bis € 1.000,– bei 3,5 % liegt (vgl nur § 744 Abs 5 bzw Abs 1 Z 1 ASVG), während darüber nur geringere Steigerungsraten und bei Pensionen über € 2.333,– sogar nur Fixbeträge von € 35,– vorgesehen sind.*
Die Höhe der Ausgleichszulage wurde im Zuge der Einführung der BMS auch ausdrücklich zur Referenzgröße für die dort vorgesehenen landesrechtlichen Leistungen. Nach Art 10 Abs 1 der seinerzeitigen Bund-Länder-Vereinbarung nach Art 15a Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) (BGBl I 2010/96, meist kurz: BMS-V) hatten sich die Länder verpflichtet, zur Deckung des Lebensunterhaltes und des angemessenen Wohnbedarfs monatliche Geldleistungen als Mindeststandards vorzusehen. Als „Ausgangswert“ diente nach Abs 2 dieser Bestimmung der für alleinstehende AusgleichszulagenbezieherInnen monatlich vorgesehene Betrag abzüglich des davon einzubehaltenden Beitrages zur KV. Dieser Ausgangswert bildete gleichzeitig den Mindeststandard für Alleinstehende und AlleinerzieherInnen, für andere Personen galten Prozentsätze davon, die sich jeweils an den Äquivalenzrelationen für verschiedene Haushaltskonstellationen nach EU-SILC* orientierten.
Auf denselben Wert* verweist nun auch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (BGBl I 2019/41, kurz: SH-GG) in seinem § 5 Abs 2. Dort handelt es sich aber zum einen grundsätzlich um Höchstsätze für die insgesamt von den Ländern zu gewährenden Geld- und Sachleistungen, die zusätzlich noch durch die Deckelung der Summe der Geldleistungen für die volljährigen Bezugsberechtigten in einer Haushaltsgemeinschaft nach Maßgabe des § 5 Abs 4 SH-GG begrenzt werden. Zum anderen sieht das SH-GG niedrigere Äquivalenzrelationen als die BMS-V vor, wobei allerdings die wohl schmerzhafteste Reduktion im Hinblick auf die Beträge für Minderjährige als verfassungswidrig aufgehoben wurde (dazu unten 2.1.).
Auch ein Gleichlauf mit den Erhöhungen der Ausgleichszulagenrichtsätze ist anders als noch in der BMS-V (vgl deren Art 10 Abs 5) im SH-GG nicht mehr vorgesehen und – vor dem Hintergrund, dass es sich nun um Höchstsätze handelt – auch nicht erforderlich. Ob und in welchem Ausmaß eine Anpassung erfolgt, ist daher eine Entscheidung der4Länder.* Mit dieser Maßgabe ergeben sich für das Jahr 2021 folgende theoretische, und auf ganze EUR kaufmännisch gerundete Beträge für einige typische Haushaltskonstellationen:
~ EUR/Monat | Ausgleichszulage (14×/Jahr, aber bereits abzügl. KV-Beitrag) | BMS (12×/Jahr) | SH-GG (12×/Jahr)* | Zum Vergleich: EU-SILC (für 2019, 14×/Jahr) |
Alleinstehende | 949 | mind. 949 | max. 949 | 1.103 |
Paar | 1.498 | mind. 1.424 | max. 1.329 | 1.654 |
Paar, 2 Kinder < 14 | 1.790 | mind. 1.765 | max. 1.708 | 2.316 |
Alleinerzieherin, 1 Kind <14 | 1.095 | mind. 1.120 | max. 1.300 | 1.433 |
Diese Beträge bilden freilich nur das Einkommen ab, das in der jeweiligen Haushaltskonstellation insgesamt zur Verfügung stehen müsste. Wie die folgenden (wieder gerundeten) Durchschnittswerte für 2019 verdeutlichen, sind die tatsächlich ausbezahlten Beträge deutlich niedriger, weil sie ja nur eine Aufstockung auf das im jeweiligen System vorgesehene (Mindest-)Niveau bewirken sollen:*
Ausgleichszulage | BMS: Österreich-Schnitt | Niederösterreich | Salzburg | Vorarlberg | Wien | |
~ EUR pro Haushalt und Monat | 295 | 668 | 692 | 557 | 805 | 683 |
Damit sind bereits Eckpunkte der jüngeren Entwicklung im Recht der Mindestsicherung angesprochen. In der SH wurde diese Entwicklung durch das Scheitern der damals eigentlich schon sehr weit gediehenen Verhandlungen über eine Verlängerung der BMS-V im Jahr 2016 eingeleitet.* Das damit weiter beschleunigte Auseinanderdriften der verschiedenen Landesregelungen war ein willkommenes politisches Argument für die Notwendigkeit des SH-GG, das nach seinem § 10 Abs 2 mit 1.6.2019 in Kraft getreten ist (dazu 2.1.).
Der dort den Ländern eingeräumten siebenmonatigen Frist für die Erlassung und Inkraftsetzung der Ausführungsgesetze (dazu 2.2.) haben nur Niederösterreich und Oberösterreich entsprochen.* Beide Gesetze mussten angepasst werden, nachdem der VfGH mit Erk vom 12.12.2019, G 164/2019 ua, zwei Kernstücke des SH-GG als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die Regelungen in Salzburg, Vorarlberg und Kärnten sind von vornherein erst mit 1.1.2021 in Kraft getreten,* in den anderen vier Bundesländern gibt es vorerst bloß zur Begutachtung versendete oder sogar nur interne Entwürfe.
Die Betrachtung der jüngeren Entwicklungen in Bezug auf die Ausgleichszulage könnten mit BGBl I 2010/111 beginnen, als die Beschränkung dieses Anspruchs auf Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt (und zwar bereits vor Inanspruchnahme dieser Leistung*) eingeführt wurde. Diese Änderung hat eine breite Diskussion ausgelöst, die aber im Wesentlichen als erschöpft angesehen werden kann und daher hier nicht wieder aufgenommen werden muss.* Wesentlich spannender scheint die (unten 3. folgende) Auseinandersetzung mit den jüngsten Änderungen im Ausgleichszulagenrecht, vor allem mit dem durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz (SVÄG) 2016 (BGBl I 2017/29) eingeführten erhöhten Richtsatz für Langzeitversicherte, der mit BGBl I 2019/84 durch den Ausgleichszulagen-/ Pensionsbonus abgelöst wurde. Dazu kommt noch die durch BGBl I 2020/73 – zumal rückwirkend zum 1.1.2020 – erfolgte Herabsetzung des „fiktiven Ausgedinges“.
Mit dem SH-GG wurden ausweislich seiner Materialien mehrere Ziele verfolgt:* Neben der Vermeidung von Armut und der raschestmöglichen (Re-) Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt sollten vor allem Anreize zur Zuwanderung in das österreichische Sozialsystem eingedämmt werden. Dadurch sollte auch der Kostenentwicklung Einhalt geboten werden, die insb auf gestiegene5Arbeitslosigkeit und Zuwanderung zurückgeführt wurde. Diese Entwicklung war in der Tat stark ansteigend, hat sich aber zuletzt – vorerst – wieder umgekehrt.*
Schließlich wurde das SH-GG, wie schon angedeutet, auch als Instrument der Angleichung der unterschiedlichen Modelle in den Ländern propagiert. Diese „Vereinheitlichung“ bestand freilich im Wesentlichen aus rigiden Begrenzungen, zum einen im Hinblick auf den Kreis der Anspruchsberechtigten – die entsprechende Regelung in § 4 trägt bezeichnenderweise die Überschrift „Ausschnitt von der Bezugsberechtigung“ –, zum anderen durch weitgehende Deckelung der Leistungen insb in Form von Höchstsätzen. Beide Aspekte standen im Zentrum breiter sozialpolitischer wie rechtlicher Kritik,* obwohl die historisch erstmalige Schaffung eines Bundes-Grundsatzgesetzes zum „Armenwesen“ iSd Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG an sich positiv zu bewerten wäre. Diese Kritik wurde in der Folge in einem „Drittelantrag“ von Mitgliedern des Bundesrates nach Art 140 Abs 1 Z 2 B-VG aufgegriffen, dem der VfGH im schon erwähnten Erk in zwei Punkten gefolgt ist.*
Der erste betraf die Aufhebung der (zu stark) degressiv ausgestalteten Höchstsätze für Minderjährige in § 5 Abs 2 Z 3 SH-GG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 7 B-VG und gegen Art 1 BVG-Kinderrechte (BGBl I 2011/14). Die aufgehobene Regelung, die einen Höchstsatz für das erste Kind mit 25 %, für das zweite mit 15 % und ab dem dritten Kind mit 5 % des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes bestimmt hatte, war unsachlich, weil letztlich (so Rz 94 des Erk) „eine gleichwertige Bedarfsdeckung bei Mehrkindfamilien im Verhältnis zu Haushaltskonstellationen mit weniger Personen nicht gewährleistet werden kann
“.
Die zweite Aufhebung galt dem „Arbeitsqualifizierungsbonus“ in § 5 Abs 6 bis 9 SH-GG, der bei eingeschränkter „Vermittelbarkeit“ eine Kürzung der jeweiligen Leistungen um zumindest 35 % bewirken sollte, an deren Stelle dann von den Ländern allenfalls sprach- oder berufsqualifizierende Sachleistungen angeboten werden sollten. Diese Vermittelbarkeit wurde in Abs 7 der genannten Bestimmung insb daran festgemacht, dass „zumindest das Sprachniveau B1 (Deutsch) oder C1 (Englisch) ... und die Erfüllung der integrationsrechtlichen Verpflichtungen ... nachgewiesen werden ...
“. Der VfGH hat darin einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz gesehen, „weil keine Gründe ersichtlich sind, weshalb ausschließlich bei Deutsch- und Englischkenntnissen auf diesem hohen Niveau eine Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt anzunehmen sein soll
“, zumal „Personen aus mannigfaltigen Gründen ... nicht ... ein derart hohes Sprachniveau ... erreichen, aber dennoch am Arbeitsmarkt vermittelbar sein können
“, zudem seien auch die „in § 5 Abs 6 und 8 SH-GG festgelegten Ausnahmen ... nicht geeignet, die Sachlichkeit der Regelung zu gewährleisten
“ (Rz 105). Gleiches hat der VfGH auch im Hinblick auf UnionsbürgerInnen angenommen, die ansonsten mittelbar diskriminiert wären (Rz 107). Bei Asylberechtigten ergibt sich diese (offenkundig ebenfalls mittelbare) Diskriminierung aus Art I des BVG gegen rassische Diskriminierung (BGBl 1973/390, vgl Rz 111 des Erk). Der „Trick“, im Hinblick auf das Leistungsausmaß nicht nach dem Status oder der Staatsangehörigkeit, sondern nach den Sprachkenntnissen der betreffenden Person zu differenzieren, funktioniert also auch bei anerkannten Flüchtlingen nicht.
Ansonsten hat der VfGH neuerlich* ausgesprochen, dass es – wohl zumindest abseits von Art 3 MRK – kein verfassungsrechtlich gebotenes Mindestniveau für Leistungen der SH gibt, und zudem die Konstruktion mit den Höchstsätzen für grundsätzlich zulässig erklärt. Allerdings muss das System kohärent, also in sich stimmig sein, was angesichts seiner grundsätzlichen Ausrichtung vor allem bedeutet, dass Abweichungen von der Bedarfsorientierung einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Damit darf auch in einem System wie der SH Eigenverantwortung eingefordert werden, aber eben nur soweit diese auch objektiv wahrgenommen werden kann. Differenzierungen nach der Aufenthaltsdauer, den Sprachkenntnissen, im Hinblick auf den Bedarf von Kindern oder Personen mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit oder auch die Ausblendung einer schwierigen und nicht verschuldeten Wohnsituation erfüllen diese Anforderungen idR nicht.*
Der VfGH hat im Übrigen anerkannt, dass bei der Bestimmung des Ausmaßes dieser Eigenverantwortung auch andere Ziele berücksichtigt werden dürfen. Das betrifft insb die in § 1 Z 2 und 3 SH-GG betonten integrationspolitischen und fremdenpolizeilichen Gesichtspunkte sowie die weitest mögliche Förderung der (Wieder-)Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben. Diese Fragen wurden vor allem im Lichte der kompetenzrechtlichen Deckung geprüft und mit Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG für vereinbar erklärt (Rz 68 ff). Nicht dezidiert eingegangen ist der VfGH allerdings* auf die Bedenken, welchen Beitrag Leistungen der SH zur6weitestmöglichen Förderung der „optimalen Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes“ leisten könnten. Auch wenn mit dem „Arbeitsqualifizierungsbonus“ die deutlichste Ausprägung dieses Teilziels aufgehoben wurde, wäre hier ebenso die Frage der sachlichen Rechtfertigung zu stellen (gewesen): Strengere Anforderungen an die Arbeitswilligkeit von LeistungsbezieherInnen setzen ja nicht nur diese unter Druck, sondern in der Folge auch aktuell Beschäftigte, zumal wenn sie weniger qualifiziert und/oder leicht ersetzbar sind. Diese Personen, die angeblich geschützt werden sollen, damit „sich Arbeit (wieder) lohnt“, geraten zunehmend in Konkurrenz mit Arbeitslosen, wenn diese praktisch jede Beschäftigung aufnehmen müssen, weil sie sonst auch die bisherigen SH-Leistungen verlieren würden. Derart „staatlich gefördertes Lohndumping“ kann aber kaum als sachlicher Beitrag zur „optimalen Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes“ gesehen werden. Davon abgesehen ist auch völlig unklar – und damit ist doch wieder die kompetenzrechtliche Frage angesprochen –, wie die Länder in ihren Ausführungsgesetzen diesem allgemeinen Ziel entsprechen könnten.
Nicht näher eingegangen ist der VfGH auch auf die Beschränkung der subsidiär Schutzberechtigten auf das Niveau der Grundversorgung. Dieses im letzten Satz des § 4 Abs 1 SH-GG normierte Verständnis von „Kernleistungen“ iSd Art 29 Abs 2 der (sogenannen Status-)RL 2011/95/EU kann sich zwar auf nationale Judikatur, auch des VfGH, stützen.*
Diese hat sich freilich nur mit der innerstaatlichen Dimension der Frage befasst, wogegen es sich hier um einen unionsrechtlichen Begriff handelt, dessen Reichweite verbindlich nur durch eine entsprechende (insb Vorab-)E des EuGH geklärt werden könnte. Dafür sollte es unerheblich sein, dass der österreichische Grundsatzgesetzgeber diese Kernleistung mit dem Niveau der Grundversorgung definiert. Entscheidend wird vielmehr zunächst sein, dass es sich um Leistungen handelt, die „zumindest eine Mindesteinkommensunterstützung sowie Unterstützung bei Krankheit oder bei Schwangerschaft und bei Elternschaft umfassen
“,* sowie der Umstand, dass diese Leis tungen eben Staatsangehörigen, die sich in der gleichen Situation (also in einer sozialen Notlage) befinden, im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen gewährt werden. Aus diesem Grund wird im Schrifttum ganz überwiegend ein breiteres Verständnis vertreten, das die Beschränkung in § 4 Abs 1 SH-GG als unionrechtswidrig erscheinen lässt.*
Auch sonst ist der VfGH mit den Regelungen des SH-GG eher „großzügig“ verfahren. Zahlreiche Kritikpunkte hat er nämlich unter Verweis auf den im Zweifel weiten Spielraum für die Ausführungsgesetze der Länder entkräftet. Auch wenn dem im Hinblick auf Art 15 Abs 6 vorletzter Satz B-VG grundsätzlich zuzustimmen ist, überrascht doch, welche Abweichungen vom Wortlaut des Grundsatzgesetzes und erst recht von den offenkundigen Intentionen, die seiner Beschlussfassung zu Grunde lagen, als zulässig anzusehen seien. Im vorliegenden Zusammenhang kann nur auf zwei Punkte eingegangen werden, die nicht nur praktisch wichtig erscheinen, sondern für die sich auch bemerkenswerte Beispiele in den landesrechtlichen Umsetzungen finden.*
Dabei geht es zunächst um die Möglichkeit, Leistungen vorzusehen, die über die – wie schon ausgeführt – als solche verfassungsrechtlich zulässigen Obergrenzen für Geldleistungen (§ 5 Abs 2 bis 5 SH-GG) hinausgehen. Die Ausführungsgesetzgebung könne nämlich nicht nur zusätzliche Sachleistungen zur Vermeidung von Härtefällen vorsehen, sondern verfügt auch gleichsam über die Definitionshoheit, wann der grundsätzliche Sachleistungsvorrang nach § 3 Abs 5 SH-GG nicht zum Tragen kommen soll, weil dadurch eine höhere Effizienz der Erfüllung der Leistungsziele, die allein den Sachleistungsvorrang rechtfertigen kann, nicht zu erwarten ist oder dies im Hinblick auf den Wohnbedarf unwirtschaftlich oder unzweckmäßig wäre (vgl Rz 48 des Erk).
Noch weiter ist der Spielraum in Bezug auf die Vorgaben für die Berücksichtigung von Leistungen Dritter und eigenen Mitteln in § 7 SH-GG, konkret in Bezug auf Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach Abs 6 dieser Bestimmung. Nach dem VfGH erfasst diese Ausnahme (offenbar quasi zufällig) nur eine bestimmte Gruppe von erwerbstätigen Bezugsberechtigten und schließe nicht aus, dass Landesgesetzgeber andere Konstellationen regeln und etwa sachliche Freibetragsgrenzen für (bereits) im Erwerbsleben stehende SozialhilfebezieherInnen (insb die AufstockerInnen) vorsehen (vgl Rz 54 bzw 116 des Erk).
Der erste Bereich, aus dem Umsetzungsbestimmungen hervorgehoben werden sollen, die diesen Spielraum zu nützen versuchen, betrifft demnach die Deckung des Wohnbedarfs. Dort wurden die rigiden Deckelungen von Anfang an als besonders problematisch angesehen, wobei wohl der Druck vor allem aus den westlichen Bundesländern auch ausschlaggebend dafür war,* dass in § 5 Abs 5 SH-GG eine Art „Öffnungsklausel“ zur Überschreitung der Höchstbeträge eingebaut wurde. Dies soll aber nur durch Sachleistungen möglich sein, auch wenn als solche nach dem letzten Satz des § 3 Abs 5 SH-GG „auch die unmittelbare Entgeltzahlung an eine Person [gilt], die eine Sachleistung zugunsten eines Bezugsberechtigten erbringt
“.7
Die Regelung in § 9 Abs 3 SbgSUG geht nun weit darüber hinaus, weil dort „als Sachleistungen ... auch Kostenerstattungen für Zahlungen zur Deckung des Wohnbedarfs [gelten], die auf Grund bestehender vertraglicher Verpflichtungen zu leisten sind oder bereits geleistet wurden
“. Für dieses extensive Verständnis wird auf die Begriffsbildung im Krankenversicherungsrecht verwiesen, wo die Kostenerstattung (zB nach § 131 ASVG) auch als Einlösung des Sachleistungsanspruchs angesehen wird.* Dass daraus ein allgemeiner, auch für die SH gültiger Sachleistungsbegriff abzuleiten wäre, erscheint zwar gewagt, im Lichte der oben angeführten Spielräume sollten aber keine Bedenken hinsichtlich einer Grundsatzgesetzwidrigkeit dieser Ausführungsregelung bestehen.
Gleiches gilt für die pauschalierte Geldleistung, die nach § 10 Abs 6 VbgSLG im Verordnungsweg von der Landesregierung „... für wiederkehrenden Aufwand für Hausrat, Heizung und Strom ... allgemeine Betriebskosten
“ vorgesehen werden kann. Hier kann also die Landesregierung die Vorrangregel des SH-GG umdrehen und in genereller Weise die Vergabe einer (zusätzlichen) Geld- statt einer Sachleistung vorsehen.
Die zweite Beispielgruppe betrifft den Erwerbstätigenfreibetrag und erneut die beiden eben genannten Bundesländer, die ungeachtet der grundsatzgesetzlichen Vorgaben bisher bewährte Regelungen fortgeschrieben haben. Dabei handelt es sich zum einen um das „Werbungskostenmodell“ in § 6 Abs 3 SbgSUG, das allen Erwerbstätigen zu Gute kommt, auch wenn sie ihre Tätigkeit bereits vor dem Sozialhilfebezug aufgenommen haben und/oder diese Aufstockung länger als zwölf Monate in Anspruch nehmen. Was an dieser Bestimmung allenfalls problematisiert werden könnte, ist nicht die Abweichung vom SH-GG,* sondern die sachliche Rechtfertigung der recht groben Abstufung des Freibetrags. Dieser differenziert nach dem Ausmaß der Beschäftigung und beläuft sich bei bis zu 20 Wochenstunden auf 9 %, bei einem höheren Beschäftigungsausmaß auf 18 % des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende.*
Keine Bedenken hinsichtlich der Sachlichkeit der Regelung können wohl bei § 8 Abs 4 VbgSLG bestehen, wo erneut eine Verordnungsermächtigung vorgesehen ist, die einen Freibetrag auch bei schon vor dem Leistungsbezug Erwerbstätigen ermöglicht. Sollte es sich dabei um Personen handeln, „die trotz vorgerückten Alters oder trotz starker Beschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit unter Aufwendung besonderer Tatkraft einem Erwerb nachgehen, kann ein Freibetrag auch über zwölf Monate hinaus eingeräumt werden
“.
Am auffälligsten ist die Nutzung des grundsatzfreien Raums – wenig überraschend – bei der Festsetzung der regelmäßigen Geldleistungen zum Lebensunterhalt für Minderjährige ausgefallen, wobei teilweise auf eine Degression verzichtet wurde. Die Prozentsätze in der nachfolgenden Tabelle sind durchwegs auf den Netto-Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende bezogen.
Kind/% des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende | Zum Vergleich: BMS-V (Mindestsätze!) | SH-GG (aufgehoben) | Kärnten | Niederösterreich | Oberösterreich | Salzburg | Vorarlberg |
1. | 18 | 25 | 21 | 25 | 25 | 21 | 27 |
2. | 18 | 15 | 21 | 20 | 20 | 21 | 27 |
3. | 18 | 5 | 21 | 15 | 15 | 21 | 27 |
4. | 15 | 5 | 21 | 12,5 | 12,5 | 21 | 17 |
Aus sozialpolitischer Sicht ist diesen Spielräumen Einiges abzugewinnen, einer Vereinheitlichung der Länderregelungen ist das großzügige Verständnis eines grundsatzfreien Raums allerdings nicht zuträglich. Allem Anschein nach war dies aber vom SH-GG gar nicht angestrebt, enthält dieses doch weder Regelungen zum Ersatz für in Anspruch genommene Leistungen noch zum Verfahrensrecht und sind die leistungsrechtlichen Vorgaben durchwegs als Obergrenzen zu verstehen. Das mag verfassungsrechtlich insoweit unbedenklich sein, als sich der Bund auf die Regelung wichtiger, bundesweit determinierungsbedürftiger Fragen beschränken darf.* Dennoch verfehlt das SH-GG damit den eigentlichen Zweck – und die rechtspolitische Legitimation – eines Grundsatzgesetzes nach Art 12 B-VG.
Auch für das Ausgleichszulagenrecht gilt, dass es keinen verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandard für die Höhe der dortigen Richtsätze* gibt. Das Sachlichkeitsgebot und die Notwendigkeit einer inneren Kohärenz muss freilich auch bei diesen Leistungen zur Mindestsicherung beachtet werden. Zumindest in drei Punkten scheint diese Anforderung de lege lata nicht erfüllt.
Der erste betrifft das System der Richtsätze bei Waisen, bei denen danach differenziert wird, ob es sich um Halb- oder Vollwaisen handelt. Dass bei Halbwaisen um etwa ein Drittel niedrigere Richtsätze vorgesehen sind,* kann durchaus damit gerechtfertigt werden, dass noch ein Elternteil vorhanden ist, der familienrechtlich zur Unterhalts-8leistung verpflichtet ist.* Genau dieser Unterhalt führt aber noch einmal zu einer Kürzung, sei es bei Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts durch die Pauschalanrechnung iHv 12 % des Nettoeinkommens des Elternteils (§ 294 Abs 1 lit c ASVG), sei es durch Anrechnung aller, und damit auch der im Rahmen des Unterhalts gewährten Geld- und Sachbezüge (§ 292 Abs 3 ASVG). Das kann zu einer doppelten Schlechterstellung gegenüber den Vollwaisen führen.
Diese strukturelle (und nicht nur in vielleicht „ausgerissenen“ Einzelfällen vorkommende) Benachteiligung muss umso weniger stimmig erscheinen, als das Ausgleichszulagenrecht sonst recht großzügig ausgestaltet ist: Zum einen wird weder eine Anspannung insb im Hinblick auf verwertbares Vermögen verlangt, noch findet ein solches Vermögen überhaupt Berücksichtigung.* Zum anderen bestehen doch recht willkürlich anmutende Begünstigungen,* wie etwa die Ausnahme des Kinderbetreuungsgeldes, von der Berücksichtigung als Einkommen (vgl § 292 Abs 4 lit n ASVG).
Ähnlich willkürlich erscheint auch die jüngste Änderung im Ausgleichszulagenrecht, die hier kurz als zweites Problemfeld anzusprechen ist. Dabei geht es um das Ausmaß des „fiktiven Ausgedinges“, also des nach Bestimmungen wie § 292 Abs 8 ASVG pauschaliert anzurechnenden fiktiven Einkommens nach Übergabe, Überlassung oder Verpachtung eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, sofern diese Übertragung durch die nun pensionsberechtigte Person in den letzten zehn Jahren vor dem Stichtag für die Pensionsbemessung (§ 223 Abs 2 ASVG) erfolgt ist. Der hier unterstellte Zufluss (insb in Form von Naturalleistungen) wurde durch BGBl I 2020/73 von 13 auf 10 % des jeweils anzuwendenden Ausgleichszulagenrichtsatzes reduziert. Schon die dafür genannte Begründung, die bisherige Höhe entspräche nicht mehr der landwirtschaftlichen Realität,* wirkt höchst lapidar. Dass diese Erleichterung aber – ebenso wie andere Begünstigungen im Bereich der Landwirtschaft (vgl § 373 Abs 1 und 2 BSVG) – rückwirkend zum 1.1.2020 in Kraft getreten ist und damit gegebenenfalls einen rückwirkenden Anspruch auf (eine höhere) Ausgleichszulage für das gesamte Jahr 2020 eröffnet, bedürfte angesichts der sonstigen strengen Begrenzung solcher Nachzahlungen (vgl insb § 296 Abs 2 Satz 3 ASVG) doch einer besonderen Rechtfertigung. Einschränkungen auf Grund der (Folgen der) Corona-Pandemie können dafür wohl nicht ins Treffen geführt werden, weil nicht ersichtlich ist, warum PensionistInnen aus der Land- und Forstwirtschaft davon stärker betroffen (gewesen) sein sollten als andere AusgleichszulagenbezieherInnen.
Noch stärker sind die Bedenken hinsichtlich der sachlichen Rechtfertigung beim dritten aus dem Ausgleichszulagenrecht anzusprechenden Element.* Dieses bestand ursprünglich aus einem erhöhten Richtsatz für Versicherte mit 360 Beitragsmonaten einer Pflichtversicherung aus eigener Erwerbstätigkeit (vgl § 293 Abs 1 lit a sublit cc ASVG idF BGBl I 2017/29). Diese Regelung wurde durch BGBl I 2019/84 aufgehoben, in § 299a ASVG „ausgelagert“* und dort mit der Bezeichnung „Ausgleichszulagen-/Pensionsbonus“* versehen. In der Sache handelt es sich aber weiterhin nur um eine Sonderform der Ausgleichszulage, wie insb der Verweis auf die dortigen Vorschriften und die Anwendung des gleichen Valorisierungsmodus sowie vor allem der idente Einkommensbegriff (vgl § 299a Abs 8 bis 10 ASVG) deutlich machen.*
Bei dieser Neuregelung wurden zwar einige Schwachstellen des ursprünglichen Modells entschärft. So gibt es nun auch einen Bonus für Langzeitversicherte, die mit dem/der EhegattIn bzw dem/der eingetragenen PartnerIn im gemeinsamen Haushalt leben, allerdings nicht bereits bei Vorliegen von 360, sondern erst von 480 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aus eigener Erwerbstätigkeit (§ 299a Abs 5 ASVG). Darüber hinaus sind diesen Zeiten, und zwar auch bei der 360-Monate-Variante, solche eines Präsenz- oder Zivildienstes im Ausmaß bis zu 12, und Zeiten der Kindererziehung im Ausmaß von bis zu 60 Versicherungsmonaten gleichgestellt, sofern keine Überlappung mit Zeiten einer Pflichtversicherung aus Erwerbstätigkeit besteht (vgl Abs 7 dieser Bestimmung).
Worin freilich die sachliche Rechtfertigung liegen soll, dass PensionsbezieherInnen, die in einer Ehe oder eingetragenen Partnerschaft leben, erst nach 480 Monaten in den Genuss eines Bonus kommen sollen, während dies bei Alleinstehenden bereits nach 360 Monaten der Fall ist (§ 299a Abs 1 Abs 2 ASVG), bleibt unerfindlich. Auch für die Differenzierung im Hinblick auf das durch den Bonus gewährleistete Mindesteinkommen gegenüber den herkömmlichen Ausgleichszulagenrichtsätzen muss eine plausible Begründung schwer fallen.* Diese Diskrepanz wird mittlerweile noch verschärft, da für die Anpassung der Obergrenzen der Bonusbeträge für Alleinstehende nun in § 744 Abs 6 ASVG deutlich höhere Steigerungen vorgesehen sind als jene 1,5 %, die sich aus dem Anpassungsfaktor nach § 108f ASVG ergeben, der gem § 299a Abs 9 ASVG für den „Paare-Bonus“ nach Abs 5 und 69dieser Bestimmung maßgebend bleibt (vgl § 2 Z 68 und 69 der V BGBl II 2020/576). Selbst wenn man dem Sozialgesetzgeber einen erheblichen rechtspolitischen Spielraum zubilligen muss, ist – gerade vor dem Hintergrund der (oben in 2.1. referierten) Judikatur zur Abstufung der Leistungshöhen in der SH – nicht erkennbar, wie hier eine ausreichende Kohärenz angenommen werden könnte.
Die für den Bonus ins Treffen geführte Rechtfertigung ist wohl dieselbe bereits beim erhöhten Richtsatz, nämlich dass von Personen mit einer langen Erwerbskarriere auch ein „höheres Existenzminimum für die Bestreitung ihres gehobeneren Lebensunterhaltes erwartet
“ würde und aus Sicht des Gesetzgebers offenbar auch erwartet werden dürfe.* Wenn aber nun nicht nur Personen mit entsprechend langer Erwerbstätigkeit – offenbar nach dem freilich sehr vergröbernden Motto „Arbeit muss sich lohnen“ (dazu noch unten 4.) – in dieser Erwartungshaltung geschützt werden, sondern auch Zeiten gleichgestellt werden, in denen wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen oder Kindererziehung keinem Erwerb nachgegangen werden konnte, stellt sich doch die Frage, warum diese Gleichstellung nicht auch bei anderen Ersatz- bzw (seit 2005) Teilversicherungszeiten oder (zumindest bestimmten) Zeiten einer freiwilligen Versicherung gelten soll.
Hinblick auf letztere muss insb der Ausschluss von Zeiten einer freiwilligen Versicherung wegen Pflege eines behinderten Kindes oder naher Angehöriger nach §§ 18a bzw 18b ASVG gerade im Hinblick auf die (zumal begrenzte) Gleichstellung von Kindererziehungszeiten als sachlich ungerechtfertigt erscheinen. Nicht (und zwar nicht bloß rechtspolitisch) einsichtig ist auch der rechtliche Ausschluss von Zeiten einer unfreiwilligen Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, während derer Krankengeld oder Leistungen aus der AlV bezogen wurde, sowie der faktische Ausschluss von Versicherten, die wegen geminderter Arbeitsfähigkeit aus dem Erwerbsleben ausscheiden mussten und damit nie auf 360 Versicherungsmonate kommen können. Und schließlich ist – selbst wenn man anerkennen wollte, dass gerade lange Erwerbstätigkeit belohnt werden soll – nicht nachvollziehbar, warum Hinterbliebene nach Langzeitversicherten „naturgemäß“* ausgeschlossen sind. Damit sind nämlich gerade jene Personengruppen nicht vom Bonus erfasst, die am häufigsten auf eine Ausgleichszulage angewiesen sind, wie bereits eingangs gezeigt wurde.
Die Konstruktion des Bonus bewirkt – wie bereits der erhöhte Richtsatz für Langzeitversicherte – zweifellos einen Systembruch, weil nur mehr auf die Dauer der Versicherung abgestellt wird, Höhe und Gesamtausmaß der geleisteten Beiträge jedoch ausgeblendet bleiben. Daraus abgeleitete verfassungsrechtliche Bedenken* dürften freilich nur in einem System verfangen, das (vorrangig) nach dem Versicherungsprinzip organisiert ist. Bei der Ausgleichszulage wie dem Bonus steht jedoch eindeutig die Bedarfsorientierung im Vordergrund. Die verfassungsrechtliche Problematisierung muss daher auch hier in erster Linie die fehlende innere Stimmigkeit adressieren, weil die Höhe eines aktuell anzuerkennenden Bedarfs eben denkbar wenig mit dem Ausmaß von Beitragszeiten zu tun hat.
Die Vorbehalte hinsichtlich der sachlichen Rechtfertigung der Bonus-Konstruktion werden bei Betrachtung ihrer Auswirkungen noch verstärkt, kommt es dadurch doch zu einer überproportionalen Begünstigung von (ehemals) Selbständigen, namentlich von BezieherInnen einer Pension nach BSVG:
BezieherInnen 10/2020 | Pensionen | Ausgleichszulage | Ausgleichszulagenbonus | Pensionsbonus |
Pensionsversicherungsanstalt (PVA) | 2.029.235 | 153.654 | 7.972 | 6.692 |
Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen | 370.229 | 43.377 | 7.313 | 3.230 |
(davon BSVG) | 166.219 | 30.749 | 5.180 | 2.094 |
Der Bonus nach § 299a ASVG ist aber auch unionsrechtlich problematisch. Nach Abs 1 dieser Bestimmung ist auch dieser Anspruch wie die Ausgleichszulage an einen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland geknüpft. Ein Export der Leistung wäre demnach ausgeschlossen. Das wäre nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn der Bonus nicht als Leistung der sozialen Sicherheit iSd Art 3 Abs 1 der hier maßgebenden (und unmittelbar anwendbaren) VO 883/2004 oder zumindest als besondere beitragsunabhängige Geldleistung nach deren Art 70 zu qualifizieren wäre. Beides ist nach mittlerweile wohl einhelliger Auffassung zu verneinen* und braucht daher hier nicht noch einmal ausgeführt werden.
Auch im Hinblick auf die Folgen dieser unionsrechtlichen Qualifikation als Leistung der sozialen Sicherheit iSd VO 883/2004 kann daher wohl der Verweis genügen, dass nach deren Art 6 Versicherungszeiten in der PV (jedenfalls solche aufgrund eigener Erwerbstätigkeit), die in einem anderen Mitgliedstaat (EWR-Staat oder der Schweiz) zurückgelegt wurden, für den Bonus zu berücksichtigen sind. Daraus resultiert aber noch kein Anspruch auf die volle Leistung. Diese gebührt10vielmehr gem Art 52 Abs 1 lit b VO 883/2004 nach dem pro-rata-temporis-Prinzip nur anteilig in dem Ausmaß, das den Versicherungszeiten in Österreich im Verhältnis zu den in den anderen Staaten zurückgelegten Zeiten entspricht, und auch nur, soweit die betreffende Person zumindest Beitragszeiten von einem Jahr in Österreich aufweist (vgl Art 57 Abs 1 VO 883/2004).*
Zusätzliche unionsrechtliche Bedenken könnten im Übrigen daraus resultieren, dass die Zugangsbedingungen zu einem Bonus für Frauen ungleich strenger sind als für Männer: Zum einen werden weiterhin fast ein Viertel aller Ausgleichszulagen zu Witwenpensionen bezogen,* denen aber wie anderen Hinterbliebenen „naturgemäß“* kein Bonus gebührt, selbst wenn der Verstorbene sehr lange Versicherungszeiten aufzuweisen hatte. Zum anderen liegen die Einstiegsvoraussetzungen mit 360, und erst recht mit 480 Versicherungsmonaten so hoch, dass sie von Frauen – auch angesichts des niedrigeren Regelpensionsalters (§ 253 Abs 1 ASVG) – wesentlich seltener erreicht werden können.* Insofern differenziert die Ausgestaltung des Bonus zwar nicht unmittelbar nach dem Geschlecht, benachteiligt aber im Ergebnis Frauen in deutlich höherem Maße. Damit liegt die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung iSd Art 4 Abs 1 der RL 79/7/EWG („zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit
“) nahe. Die zu deren Entkräftung erforderliche objektive Rechtfertigung wird meist anerkannt, wenn es sich um sozialpolitische Begünstigungen handelt.* Die jüngsten Zahlen zeigen zwar, dass zumindest im Bereich des ASVG bisher deutlich mehr Frauen als Männer in den Genuss des Bonus kommen,* dennoch dürften durch die beschriebenen Voraussetzungen Frauen (wegen ihrer früheren geringeren Erwerbstätigkeit!) noch häufiger benachteiligt werden. Aus diesem Grund geht auch der mögliche Einwand ins Leere, dass die Gleichbehandlungs-RL nach ihrem Art 3 Abs 2 nicht für Regelungen betreffend Leistungen für Hinterbliebene gelte. Dieser Vorbehalt soll nämlich nur Verschlechterungen vermeiden, die gerade Witwen im Falle einer sofortigen Angleichung ihrer Rechtsposition an jene der Witwer drohen würden.*
Insgesamt scheinen die jüngeren Entwicklungen bei den wichtigsten österreichischen Leistungen zur Mindestsicherung zunächst widersprüchlich: Relativ großzügigen Verbesserungen im Allgemeinen (überproportionale Anpassungen) wie mit Blick auf spezielle Personengruppen (fiktives Ausgedinge, Bonus) bei der Ausgleichszulage stehen allgemeine Restriktionen (Höchstsätze) wie in Bezug auf spezielle Personengruppen (NichtösterreicherInnen) in der SH gegenüber. Die gemeinsame Klammer dafür dürfte in politischen Überlegungen liegen, die in Schlagworten wie „Unser Geld für unsere Leute!“
, „W(ieviel w)urde ins System eingezahlt?
“, „Wer (lange ge)arbeitet (hat), darf nicht der Dumme sein!
“ zum Ausdruck kommen. Diese Umorientierung der Sozialpolitik wird in der Sozialwissenschaft inzwischen als „Wohlfahrtschauvinismus“ bezeichnet.*
Bei positiver Konnotation wird dabei etwa von „Neuer Gerechtigkeit“ gesprochen, eine Formulierung, die sich auch im Regierungsprogramm der aktuellen Bundesregierung findet.* Eine derartige Umorientierung ist natürlich legitim, wenn (und weil) sie politisch mehrheitsfähig ist. Das sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass damit in den Systemen zur Mindestsicherung der Vorrang der (zumindest im Grundsatz) objektivierbaren Bedarfsorientierung zunehmend verdrängt wird. An seine Stelle tritt die wertende Trennung in „brave“ und daher anzuerkennende auf der einen und „böse“ und daher restriktiv zu behandelnde Bedürftigkeit auf der anderen Seite. Dies erfolgt noch dazu in einer pauschalierenden Weise, so dass auch nicht auf – ohnedies nicht unproblematische – Kategorien wie die „selbstverschuldete Notlage“ zurückgegriffen (und deren Vorliegen im Einzelfall geprüft!) werden müsste.*
Diese – eher gesellschaftliche Spaltung denn Integration und Inklusion bewirkende – Entwicklung zeigt wieder einmal deutlich, wie schmerzhaft das Fehlen sozialer Grundrechte aus sozialpolitischer Sicht ist.* Der daraus resultierende große rechtspolitische Spielraum für die Ausgestaltung von Regelungen zur Mindestsicherung stößt damit im Grunde lediglich auf Grenzen, die sich aus dem jeweiligen System ergeben.11
Im Rahmen des Unionsrechts geht es dabei vor allem um die Vermeidung von Diskriminierungen und unangemessenen Beschränkungen der Grundfreiheiten, insb der Freizügigkeit der AN. Innerstaatlich ist der wichtigste Maßstab nur* – aber auch: immerhin – der Gleichheitssatz und die daraus resultierende Notwendigkeit einer sachlichen Rechtfertigung für Differenzierungen innerhalb des jeweiligen Systems. Dafür bieten sich vor allem zwei grundsätzliche Ansatzpunkte an, deren Bedeutung unterschiedlich groß ist, je nachdem, ob sie in einem bedarfsorientierten oder in einem nach dem Äquivalenzprinzip ausgerichteten System als Rechtfertigung dienen sollen.
In einem auf den aktuellen Bedarf abstellenden System wie der SH wird der Ansatzpunkt für Differenzierungen vor allem in der Verhaltenssteuerung liegen. Dies gilt zum einen im Hinblick auf das aktuelle Verhalten der Personen, die Leistungen beanspruchen (wollen). Dementsprechend ist es grundsätzlich unproblematisch, den Einsatz der Arbeitskraft oder Integrationsbemühungen, die Verfolgung von Unterhalts- bzw sonstigen der SH gegenüber vorrangigen Ansprüchen oder den Einsatz verwertbaren Vermögens einzufordern und erforderlichenfalls auch zu sanktionieren.* Solche Leistungsvoraussetzungen haben insofern auch eine künftige, gleichsam generalpräventive Wirkung, als sie Personen davon abhalten, Leistungen geltend zu machen, weil sie sonst eine Belastung für ihre Angehörigen oder einen Zugriff auf ihr Vermögen befürchten. Strengen Voraussetzungen wird von manchen zudem der Effekt eines „Negativanreizes“ zugeschrieben, der überhaupt davor abschrecken soll, sich um solche Leistungen zu bemühen.* Diese Überlegungen lagen dem SH-GG zu Grunde, haben sich aber auch in rechtlicher Hinsicht als nur sehr eingeschränkt belastbar erwiesen: Dort wo keine Verhaltenssteuerung möglich (oder zumutbar) ist, darf auch grundsätzlich nicht differenziert werden. Das gilt, um es noch einmal zu betonen, insb im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer, Sprachkenntnisse, den Bedarf bei Kindern bzw Arbeitsunfähigen oder wegen einer objektiv schwierigen Lage am Wohnungsmarkt.
Während Vorleistungen iSv „Einzahlungen ins System“ hier also so gut wie keine Bedeutung haben können, sind sie der entscheidende Gesichtspunkt für Differenzierungen im Rahmen eines Äquivalenz-orientierten Systems. Die PV setzt insofern vor allem auf die „Belohnung“ oder „Bestrafung“ für Verhalten oder Umstände in der Vergangenheit. Daraus resultierende Härten können im Rahmen eines dem Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“ (Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG) zu unterstellenden Systems durchaus sozial abgefedert werden (zB durch Ersatz- oder Teilversicherungszeiten, die Anrechnung fiktiver Versicherungszeiten bei Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit). Das erlaubt auch weitere Korrekturen durch ein Instrument wie die Ausgleichszulage.
Bei der Ausgestaltung eines solchen Instruments muss aber wieder die Differenzierung wegen der Verhaltenssteuerung im Vordergrund stehen und nicht das Versicherungsprinzip betont werden. Genau das tut aber der Ausgleichszulagen-/Pensionsbonus. Die dort vorgesehene „Belohnung“ für lange Erwerbstätigkeit erfolgt noch dazu völlig selektiv und begünstigt langjährig Teilzeitbeschäftigte,* vor allem aber ehemalige Selbständige, deren Beitragsgrundlagen nur deshalb niedrig waren, weil sie entsprechende steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten oder steuerrechtliche Bevorzugungen (wie die künstlich niedrig gehaltenen Einheitswerte) genutzt haben. Wenn diese Systemfehler dann zu einer niedrigen Pension führen, kann das jedoch nicht (vorwiegend) durch eine bedarfsorientierte Leistung korrigiert werden. Eine derartige systemimmanente Reaktion auf ein Systemversagen hinsichtlich des – im Ergebnis auch objektiv zu geringen – Pensionsniveaus* darf aber noch weniger zum Ausschluss anderer Personen führen, die sich aktuell in einer vergleichbaren Bedarfslage befinden.
Das Propagieren einer „neuen Gerechtigkeit“ mag somit vielleicht das bisherige Verständnis von und für Solidarität verändern, nicht aber rechtsstaatliche Prinzipien. Und auf diese sollte gerade in schwierigen Zeiten – und zwar nicht nur im Recht der Mindestsicherung – ganz besonders geachtet werden!12