Quo vadis Tendenzschutz?*

ANDREAPOTZ (WIEN)
Der Tendenzschutz ist in den vergangenen Jahren immer wieder in dogmatische Kritik geraten, wobei insb mangelnde Stringenz und überschießende Regelung vorgeworfen wird. Das Ausmaß der Kritik spiegelte sich aber bislang kaum in der betriebsverfassungsrechtlichen Praxis wider und hat auch den Gesetzgeber nicht zu Änderungen veranlasst. Neue Impulse bekommt das Thema aber durch das Unionsrecht und hier insb aus dem auch grundrechtlich verankerten Gleichbehandlungsrecht, was sich anhand der EuGH-E Egenberger und IR zeigt. Die Entwicklung des Tendenzschutzes zeigt dabei nicht in die Richtung einer Ausweitung, sondern wird von Präzisierungen und Konturenschärfungen bestimmt sein.
  1. Einleitung

  2. Tendenzschutz im nationalen Recht

    1. Tendenzbetrieb/-unternehmen

      1. Der Tendenzschutz stellt die einfachgesetzliche Konkretisierung von Grundrechtsgewährleistungen der geschützten Zwecke dar

      2. Der Tendenzschutz dient der Sicherung des ungestörten Betriebsablaufs vor Einflussnahme des Betriebsrats

    2. Ausgestaltung des Tendenzschutzes im nationalen Recht

  3. Tendenzschutz im Unionsrecht

    1. Betriebsverfassungsrechtlicher Tendenzschutz

    2. Tendenzschutz im Individualarbeitsrecht

  4. Ergebnis

1.
Einleitung

Tendenzschutz oder Tendenzbetrieb sind keine gesetzlichen Begriffe. In den Gesetzesmaterialien zum ArbVG 1973 wird dazu ausgeführt, dass der Gesetzesentwurf bewusst den missverständlichen Begriff „Tendenzbetrieb“ vermeidet und stattdessen von „Betrieben mit besonderer Zweckbestimmung“ spricht.* Nichtsdestoweniger haben sich die Begriffe Tendenzschutz und Tendenzbetrieb eingebürgert und letztlich gefestigt.

Im klassischen Verständnis bedeutet Tendenzschutz eine Einschränkung betriebsverfassungsrechtlicher Mitwirkungsbefugnisse für bestimmte Betriebe und Unternehmen. Oder anders formuliert: Tendenzschutz bedeutet eine partielle Ausnahme bestimmter AG aus der Betriebsverfassung. Träger des Tendenzschutzes ist daher nicht die Belegschaft oder einzelne AN, sondern das Schutzobjekt ist der Betrieb bzw das Unternehmen. Verankert ist der Tendenzschutz in §§ 132 und 133 ArbVG. Das Prinzip des Tendenzschutzes hat aber auch im Individualarbeitsrecht seinen Niederschlag gefunden, etwa beim Fragerecht durch AG im Bewerbungsprozess oder im Gleichbehandlungsrecht.*

Bevor auf die Frage des „Wohin?“ eingegangen wird, soll zuerst ein Stimmungsbild zum Tendenzschutz aus der Literatur gezeichnet werden:

Er sei ein „weißer Flecken“ auf der Landkarte des Betriebsverfassungs- und Unternehmensmitbestimmungsrechts.* Für andere ist er jedoch eine „schillernde Erscheinung“ des Arbeitsrechts,* kein „weißer Flecken“, sondern ein „weites Feld“,* das zu den „Urgesteinen des Arbeitsrechts* gehöre. Tendenzschutz sei eine „unerlässliche Voraussetzung im kollektiven Arbeitsrecht“ und die „Gewerkschaften brauchen Tendenzschutz“.* Angesichts der Relevierung im Unionsrecht wird sogar bereits von einem „Strukturelement im europäischen Arbeitsrecht* gesprochen. Andererseits ist der Tendenzschutz von Anfang an kritisiert worden. Der Tendenzschutz sei seit seiner Einführung „in seiner Gesamtheit umstritten und Gegenstand13politischer Diskussionen“.*Strasser stellte vor 30 Jahren fest: „Tatsächlich gewinnt man bei näherer Befassung mit den sehr verwickelten und in der Rechtsanwendung eher als schwierig zu bezeichnenden Regelungen des § 132 den Eindruck, dass sie etwas überzogen sind und dass sich die Sonderinteressen der verschiedenen davon betroffenen Einrichtungen bei der Verabschiedung des ArbVG allzu gut durchgesetzt haben.“ Er forderte eine „umfassende Überprüfung“ und „Neukonzipierung“, die „á la longue daher nicht zu vermeiden sein“ werde.* Der Begriff wird im Schrifttum mitunter auch als „tautologisch“ bezeichnet, da eine Zwecksetzung ein Begriffsmerkmal jedes Unternehmens oder Betriebs sei.* Einige AutorInnen fordern seine Einschränkung, wenn nicht sogar seine Streichung – „Tendenzschutz – reif für die Mottenkiste“.* Angesichts dieser widersprüchlichen Beurteilungen überrascht daher nicht, dass manche die Gefahr sehen, „(...) den Gegenstand zu verlieren beziehungsweise missverstanden zu werden“.*

Solcherart zwischen bildhafter Überhöhung und Infragestellung angesiedelt, ist der Tendenzschutz jedenfalls ein komplexes arbeitsrechtliches Rechtsinstitut, das vielfach Berührungspunkte zum Unions- und Verfassungsrecht aufweist. Entsprechend vielschichtig sind die Rechtsfragen, die in der Literatur aufgeworfen werden und in ihrer Fülle in diesem Beitrag leider nur angerissen werden können.*

Der gegenständliche Beitrag wird sich auf die Einwirkungen des Unionsrechts auf den Tendenzschutz in den letzten Jahren beschränken. Die Fragestellungen sollen daher lauten: Gibt es einen europäischen Tendenzschutz und gibt es eine Europäisierung des Tendenzschutzes? Wenn ja: Welche Entwicklungs„tendenzen“ des Tendenzschutzes sind dabei zu beobachten? Ein besonderes Augenmerk muss daher auf jenen Bereich des Tendenzschutzes gelegt werden, der die Gerichte am meisten und oftmals überraschend medienwirksam beschäftigt, nämlich den Tendenzschutz von Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dieser war im Jahr 2018 Gegenstand von zwei besonders in Deutschland sehr umstrittenen EuGH-Entscheidungen, nämlich die Urteile Egenberger* und IR.* Man könnte sagen, dass damit auch Deutschland seine Karfreitagsentscheidung* hatte, denn in beiden Fällen war der Themenbereich Religion und Arbeitsrecht betroffen, in beiden Fällen ging es um die Frage einer Diskriminierung aufgrund der Religion, und in beiden Fällen stand eine religions- bzw kirchenfreundliche gesetzliche Regelung zur Debatte, die letztlich vor dem EuGH keinen Bestand hatte. Diese Parallelen alleine machen die Vergleichbarkeit aber noch nicht aus: Die Ähnlichkeit besteht insb auch im Ausmaß der nationalen deutschen Reaktionen auf diese EuGH-Urteile, vor allem in Fachmedien:* Der Fall IRschreibe Rechtsgeschichte“,*die Urteile bedeuten einen Umbruch des kirchlichen Arbeitsrechts“,*es sei das Ende eines Sonderwegs“,*die supranationale Walze rolle über das deutsche Staatskirchenrecht“,* um nur einige Reaktionen zu nennen.

Was hat diese Reaktionen ausgelöst? Der Fall Egenberger betraf die Zulässigkeit der Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung, also eine Diskriminierung im Bewerbungsprozess, der Fall IR dagegen die Kündigung eines Chefarztes eines konfessionellen Krankenhauses wegen seiner Wiederverheiratung. In beiden Fällen waren die AG unstrittig Tendenzbetriebe und ebenso unstrittig war, dass die jeweilige Personalentscheidung aus Gründen der Religion getroffen wurde. In beiden Verfahren ging es darum, den Tendenzschutz der betroffenen Kirchen als AG mit dem Schutz der AN vor unzulässiger Diskriminierung aufgrund der Religion im Arbeitsverhältnis in Einklang zu bringen.

Diese Urteile zeigen die Bandbreite des Tendenzschutzes auf: Tendenzschutz ist nicht nur im Kern eine Frage des nationalen Betriebsverfassungsrechts, sondern ebenso des individuellen Arbeits-14rechts, und ist sowohl ein stark verfassungsrechtlich als auch unionsrechtlich durchzogenes Themengebiet. Der Tendenzschutz wirft ebenso die grundsätzliche Frage des Verhältnisses zwischen den Verfassungstraditionen der einzelnen Mitgliedstaaten und der Europäischen Union auf.* Auch wenn es sich dabei um einen spannenden Themenbereich handelt, wird dieser Beitrag jedoch die arbeitsrechtliche und weniger die verfassungs- bzw öffentlich-rechtliche Seite dieses Themengebiets in den Vordergrund stellen.

2.
2.1.
Tendenzbetrieb/-unternehmen

Österreich gehört zu den wenigen europäischen Staaten mit einem stark elaborierten Tendenzschutz.* Der betriebsverfassungsrechtliche Tendenzschutz kommt nur bestimmten Betrieben bzw Unternehmen zu, die eine vom Gesetzgeber als besonders schutzwürdig erachtete Zweckbestimmung aufweisen. Die besondere Zweckbestimmung manifestiert sich bei Betrieben, die im Wesentlichen von einer immateriellen bzw ideellen Zielsetzung geprägt sind.* Relevant für das Vorliegen eines Tendenzbetriebes ist daher – iSd so genannten Geprägetheorie* –, dass die besondere Zweckbestimmung im Einzelfall die Tätigkeit des Betriebs unter Bedachtnahme auf den Einsatz der Ressourcen prägen muss. Kaufmännisch-wirtschaftliche Überlegungen treten dagegen in den Hintergrund – dieses Zurücktreten wirtschaftlicher Überlegungen stellt gewissermaßen ein Korrelat der Begrenzung der Mitwirkungsrechte der Belegschaft in wirtschaftlichen Angelegenheiten dar.

Das ArbVG kennt nun folgende Tendenzbetriebe:

  1. Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, wissenschaftlichen, erzieherischen oder karitativen Zwecken oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen (§ 132 Abs 1 und 2 ArbVG);

  2. Unternehmen und Betriebe, die konfessionellen Zwecken einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft dienen, sowie Betriebe und Verwaltungsstellen, die der Ordnung der inneren Angelegenheiten gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften dienen (§ 132 Abs 4 ArbVG);

  3. Theaterunternehmen nach dem Theaterarbeitsgesetz (TAG) (§ 133 ArbVG);

  4. Verwaltungsstellen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die Österreichische Nationalbank sowie der ORF (§ 132 Abs 1 und 3 ArbVG).

Diese Aufzählung veranschaulicht, dass es sich bei den Tendenzbetrieben um eine inhomogene Gruppe handelt, weshalb es auch keine einheitliche Begründung für die partielle Ausnahme aus der Betriebsverfassung gibt bzw geben kann. Insofern ist die Literatur* dahingehend einig, dass keine umfassende inhaltliche Begründung für den Tendenzschutz dieser Unternehmen besteht. Es gibt vielmehr verschiedene Begründungsansätze, die in unterschiedlicher Intensität bei den verschiedenen Betrieben verwirklicht sind. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um folgende zwei Gründe:*

2.1.1.
Der Tendenzschutz stellt die einfachgesetzliche Konkretisierung von Grundrechtsgewährleistungen der geschützten Zwecke dar

Der Aspekt der Grundrechtsverbürgungen wird vor allem in der deutschen Literatur prominent vorangestellt.* Bei Tendenzbetrieben geht es auf Seiten des Betriebes um so sensible Grundrechte wie etwa Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Unabhängig davon, ob es konkrete Tendenzschutzbestimmungen gibt oder nicht, ist „Tendenzschutz“ daher in diesen Fällen grundrechtlich geboten. Aus grundrechtlicher Sicht steht dem Tendenzschutz gegenüber, dass die AN ihrerseits TrägerInnen etwa von Meinungs- und Religionsfreiheit sowie insb der Achtung des Privat- und Familienlebens sind. Darüber hinaus bekommen die Diskussionen um grundrechtliche Absicherungen der Positionen von AG und AN durch Art 16 und 27 GRCh einen Anschub. Einerseits wird durch die in Art 16 GRCh grundrechtlich verankerte unternehmerische Freiheit die Position der AG gestärkt.* Andererseits wird in Art 27 GRCh das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der AN im Unternehmen gewährleistet. Auf die Diskussion der dogmatischen Einordnung des Art 27 GRCh im Rahmen des mit „Solidarität“ überschriebenen 4. Teiles der GRCh im Allgemeinen und im Besonderen, wer Adressat sozialer Grundrechte sei, sei an dieser Stelle nur verwiesen.*

Es entsteht solchermaßen jedenfalls ein mehrdimensionales Beziehungsgeflecht, das oft genug komplexe Abwägungsvorgänge verlangt. Es wird meist darauf hingewiesen, dass lediglich karitative Tendenzbetriebe von diesem Grundrechtsbezug ausgenommen sind. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass karitative Einrichtungen oftmals aus anderen Gründen Tendenzbetriebe sind, wie etwa entsprechende kirchliche Betriebe.15

2.1.2.
Der Tendenzschutz dient der Sicherung des ungestörten Betriebsablaufs vor Einflussnahme des Betriebsrats

Die geistig-ideelle Zielsetzung als Merkmal eines Tendenzbetriebes soll nicht dem Risiko ausgesetzt werden, dass über die Belegschaftsvertretung Einfluss auf die Führung des Betriebs genommen wird, die im Widerspruch zu dieser Zielsetzung steht. Der Betriebsinhaber soll alleine entscheiden können, wie und mit welchen Mitteln er das geistig-ideelle Ziel verfolgt.*

Eine besondere Begründung greift schließlich auch für die Verwaltungsstellen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder der Österreichischen Nationalbank. Es geht hier um die Absicherung der von Gesetz übertragenen (hoheitlichen) Verwaltungsaufgaben vor etwaiger Einflussnahme durch die Belegschaftsvertretung.*

2.2.
Ausgestaltung des Tendenzschutzes im nationalen Recht

Welche Mitwirkungsbefugnisse der Belegschaftsvertretung sind nun vom Tendenzschutz betroffen? Vereinfacht ausgedrückt: Außer bei den anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und eingeschränkt bei Medien- und Theaterunternehmen sind praktisch nur die Mitwirkungsbefugnisse in wirtschaftlichen Angelegenheiten betroffen und auch hier besteht ein abgestuftes System. Im Vergleich zur deutschen Rechtslage zeichnet sich der österreichische Tendenzschutz jedenfalls durch ein stärker nach Art des Tendenzbetriebs und Mitwirkungsbefugnis ausdifferenziertes System aus.

Der Tendenzschutz lässt sich folgendermaßen untergliedern:

Man unterscheidet zwischen dem absoluten und relativen Tendenzschutz.* Der absolute Tendenzschutz schließt die Anwendung bestimmter Mitwirkungsbefugnisse ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen aus. Dieser starke Tendenzschutz ist in drei Fällen vorgesehen:

Alle übrigen Tendenzschutzregelungen sind relativ, dh es ist zu prüfen, ob die Mitwirkungsrechte im konkreten Fall die Tendenz auch tatsächlich betreffen, beeinflussen oder dieser entgegenstehen. Dazu zählt etwa der Ausschluss der Mitwirkung in koalitionspolitischen, karitativen oder konfessionellen Unternehmen bei den wirtschaftlichen Informations- und Beratungsrechten nach § 108 ArbVG oder dem II. Teil des ArbVG, also die Betriebsverfassung bei konfessionellen Unternehmen anerkannter Religionsgemeinschaften.

Um zu einer gewissen Begriffsverwirrung beizutragen, trifft die Literatur eine weitere Unterscheidung nach der Reichweite des Tendenzschutzes und spricht vom vollen, erweiterten und eingeschränkten Tendenzschutz, der mit der Abgrenzung zwischen absoluten und relativen Tendenzschutz nicht deckungsgleich ist.* Der Bezugspunkt sind dabei die Mitwirkungsbefugnisse in wirtschaftlichen Angelegenheiten: Sind diese, also §§ 108-112 ArbVG, vollständig ausgeschlossen, spricht man vom vollen, ansonsten vom eingeschränkten Tendenzschutz. Seit der ArbVG-Novelle 1986 ist der Tendenzschutz für § 109 Abs 1 Z 5 und 6 ArbVG ausgeschlossen, weshalb man seit damals nicht mehr von einem vollen Tendenzschutz bei wirtschaftlichen Angelegenheiten sprechen kann. Bei den wirtschaftlichen Mitwirkungsbefugnissen ist der Tendenzschutz daher immer eingeschränkt. Betrifft der Tendenzschutz auch die Mitwirkungsbefugnisse in personellen oder sozialen Angelegenheiten, spricht man vom erweiterten Tendenzschutz – den gibt es gem § 132 Abs 4 ArbVG nur bei den anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und gem §§ 132 Abs 2 und 133 Abs 5 ArbVG partiell bei Medien- und Theaterunternehmen.

Hinterfragt man die praktische Relevanz des Tendenzschutzes und nimmt Gerichtsentscheidungen als Gradmesser, so ist sie bescheiden. Seit dem BRG 1947* sind es gerade mal rund ein Dutzend höchstgerichtliche Entscheidungen,* vereinzelt finden sich auch Urteile der Vorinstanzen.*

Zu den allgemeinen wirtschaftlichen Informations-, Interventions- und Beratungsrechten nach § 108 ArbVG sowie der Mitwirkung bei Betriebsänderungen nach § 109 ArbVG gibt es – soweit ersichtlich – keine höchstgerichtliche Tendenzschutz-Rsp.* In diesen für die Praxis durchaus wichtigen Bereichen kommt es zwar oftmals zu Konflikten zwischen Betriebsinhaber und BR, aber selten wird deshalb prozessiert, man arrangiert sich zumeist. Zu § 110 ArbVG, der Mitwirkung im Aufsichtsrat, gibt es zwar Entscheidungen, die aber Spezialfälle betroffen haben.* Man darf dabei auch nicht ver-16gessen, dass sich die Aufsichtsratsdichte unter Tendenzbetrieben in Grenzen hält. § 111 (Einspruch gegen die Wirtschaftsführung) sowie § 112 ArbVG (Staatliche Wirtschaftskommission) sind in der Praxis selten. Zum Teil bestehen auch Spezialnormen zur Mitwirkung, wie bei der ÖNB oder dem ORF. Die geringe Prozessdichte mag aber auch damit zusammenhängen, dass manche Tendenzbetriebe eventuell gar nicht auf ihren Tendenzschutz pochen. Streitpotential haben dagegen jene Fälle, wo die personellen Mitwirkungsbefugnisse eingeschränkt werden.

Dabei sind Entscheidungen darüber, ob ein Betrieb überhaupt ein Tendenzbetrieb ist, im Anwendungsbereich des ArbVG gar nicht mehr vorgekommen, das war nie der relevante Streitpunkt in den Verfahren.* Es ging vielmehr um Fragen der Reichweite des Tendenzschutzes. Der Großteil der Entscheidungen hat dabei – wenig verwunderlich – Kirchen und Religionsgemeinschaften betroffen, wobei der überwiegende Teil Klagen von AN bzw Einzelpersonen und nicht des BR waren. Grundlage dafür ist § 132 Abs 4 ArbVG: „Unternehmen und Betriebe, die konfessionellen Zwecken einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft dienen, werden von den Bestimmungen des II. Teiles ausgenommen, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebes dem entgegensteht.

Praktische Relevanz haben dabei Kündigungsanfechtungen: Wenn die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung der Eigenart der jeweiligen Kirche bzw Religionsgesellschaft entgegensteht, scheidet die Kündigungsanfechtung gem § 105 ArbVG aus. Es handelt sich dabei um einen relativen (erweiterten) Tendenzschutz, der nur dann greift, wenn die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung der Eigenart der jeweiligen Kirche bzw Religionsgemeinschaft bzw deren Betrieb entgegensteht. Dies wird nach stRsp jedenfalls bei so genannten Tendenzträgern angenommen: Denn AG sollen durch den Tendenzschutz nicht gezwungen werden, mit dem BR eine Auseinandersetzung darüber zu führen, ob AN für eine Position, die unmittelbar konfessionellen Zielen dient, noch tragbar sind. Eine Mitwirkung der Belegschaft hat daher bereits dann zu unterbleiben, wenn ein solcher „Tendenzträger“ von einer personellen Maßnahme schlechthin betroffen ist und nicht erst dann, wenn die Maßnahme aus tendenzbedingten Gründen erfolgt – so der OGH.* Daher wurde in allen bisherigen Fällen unter Hinweis auf die grundrechtliche Absicherung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Art 15 StGG die Anfechtungsklagen ohne nähere Prüfung der Gründe für die Kündigung abgewiesen, weil stets Tendenzträger betroffen waren.*

Daneben gab es auch weitere, dogmatisch durchaus interessante Entscheidungen, die die Mitwirkungsbefugnisse des BR zum Gegenstand hatten, wobei ich hier zwei Urteile herausheben möchte: nämlich die Entscheidung zur Betriebsratswahl einer evangelischen Pfarrgemeinde* sowie die Klage des BR eines Theaterunternehmens nach dem TAG.* Die Pfarrgemeinde-E hat klar zum Ausdruck gebracht, dass der Tendenzschutz nach § 132 Abs 4 Satz 1 ArbVG niemals der Wahl eines BR entgegensteht. Der Umstand, dass eine Belegschaftsvertretung besteht, steht per se nicht der Eigenart der Kirchen und Religionsgemeinschaften entgegen – dies ist vielmehr auf der Ebene der einzelnen Mitwirkungsbefugnisse zu prüfen.*

Die Theater-E hat einen ganz anderen Themenbereich betroffen, nämlich die Entsendung in den Aufsichtsrat gem § 110 ArbVG. Ich möchte dieses Thema hier an sich nicht weiter vertiefen, aber die E ist deshalb erwähnenswert, weil auch vorgebracht wurde, dass § 133 ArbVG gleichheitswidrig sei. Für Theaterunternehmen, die dem BThOG unterliegen, besteht nämlich eine Mitwirkung der Belegschaftsvertretung im Aufsichtsorgan, nicht aber für Theaterunternehmen nach dem TAG. Der OGH ist diesem Einwand aber nicht gefolgt und hat den Tendenzschutz nach § 133 ArbVG bestätigt.*

Als Zwischenergebnis kann zum Tendenzschutz im nationalen Recht festgehalten werden, dass es in den letzten 35 Jahren nur zu wenigen Änderungen des betriebsverfassungsrechtlichen Tendenzschutzes gekommen ist, die neben unionsrechtlichen Einflüssen wohl auch bis zu einem gewissem Grad einem geänderten Grundrechtsverständnis geschuldet sind. An den dogmatischen Fragestellungen, die der Tendenzschutz aufwirft, hat sich kaum etwas geändert: Anlässlich der überschaubaren Anzahl von Entscheidungen wird der Tendenzschutz in seiner Reichweite regelmäßig in der Literatur kritisiert; auch wird immer wieder der Vorwurf inkonsistenter Ausgestaltung erhoben. Die Kritik zeigte bislang aber keine nachhaltigen Auswirkungen, weder auf die Gesetzgebung noch auf die Rsp.

3.
Tendenzschutz im Unionsrecht
3.1.
Betriebsverfassungsrechtlicher Tendenzschutz

Geht man auf eine chronologische Suche nach dem unionsrechtlichen Tendenzschutz, so wird17man erst mit der Zeit im Sekundärrecht fündig. Die ersten anlassbezogenen Richtlinien, in denen AN-Mitbestimmungen* geregelt werden, sehen nämlich keine Ausnahme für Tendenzbetriebe vor. Dazu zählen die Massenentlassungs-RL 75/129/EWG, nun RL 98/59/EG, sowie die zwei Jahre später erlassene RL zum Betriebsübergang (nun idF RL 2001/23/EG), die beide Informations- und Konsultationsrechte der AN-VertreterInnen über die geplante Massenentlassung bzw den Betriebsübergang vorsehen. Weitere AN-Mitwirkungsbefugnisse finden sich in weiterer Folge in der Arbeitsschutz-Rahmen-RL 89/391/EWG, die die Unterrichtung sowie die Anhörung und Beteiligung der AN bzw ihrer VertreterInnen bei Fragen betreffend die Sicherheit und die Gesundheit am Arbeitsplatz vorsieht. Vergleichbare Einzelregelungen, die Rechte der AN-Vertretung begründen, finden sich darüber hinaus in der Mutterschutz-RL,* der Teilzeit-RL,* der Befristungs-RL* sowie der Leiharbeitnehmer-RL.* In all diesen Richtlinien fehlen Einschränkungen der Mitwirkungsbefugnisse iS eines Tendenzschutzes mE auch vollkommen zu Recht. Sie haben AN-Schutz und Arbeitsorganisation zum Inhalt und tangieren die geistig-ideelle Ausrichtung eines Tendenzunternehmens grundsätzlich nicht.

Die ersten Tendenzschutzbestimmungen finden sich in jenen Richtlinien, in denen die AN-Vertretung im Mittelpunkt steht – also in den Richtlinien zur europäischen Betriebsverfassung und der europäischen Unternehmensmitbestimmung.

In der RL zum Europäischen BR aus dem Jahr 1994 (RL 94/45/EG, nun RL 2009/38/EG) findet sich in Art 8 mit der Überschrift „Vertrauliche Informationen“ eine Tendenzschutzklausel, die folgendermaßen lautet:

„Jeder Mitgliedstaat kann besondere Bestimmungen für die zentrale Leitung von in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen vorsehen, die in Bezug auf Berichterstattung und Meinungsäußerung unmittelbar und überwiegend eine bestimmte weltanschauliche Tendenz verfolgen, falls die innerstaatlichen Rechtsvorschriften solche besonderen Bestimmungen zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bereits enthalten.“

Dieser Regelung – wie an sich der ganzen Richtlinie – sind langjährige Verhandlungen vorangegangen, wobei sich insb die deutsche Delegation für einen Tendenzschutz stark gemacht hat.* Diese Kompromiss-Regelung hat danach analog Eingang in der RL 2001/86/EG über die Beteiligung der AN in der SE (Societas Europaea) sowie der RL 2003/72/EG über die Beteiligung der AN in der europäischen Genossenschaft gefunden und gilt ebenfalls bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen iSd RL über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts 2017/1132/EU.

Einen anderen Weg hat die RL 2002/14/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der AN eingeschlagen. Diese sieht bereits bei der Regelung des Anwendungsbereichs eine Berücksichtigung von Tendenzbetrieb bzw -unternehmen vor:

„Die Mitgliedstaaten können – unter Einhaltung der in dieser Richtlinie festgelegten Grundsätze und Ziele – spezifische Bestimmungen für Unternehmen oder Betriebe vorsehen, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, falls das innerstaatliche Recht Bestimmungen dieser Art zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bereits enthält.“

Vergleicht man nun diese Richtlinien, kann man folgende Eckpunkte zum Tendenzschutz im Unionsrecht ausmachen:

  • In Richtlinien, die individualrechtliche Materien wie Betriebsübergang oder Arbeitszeit betreffen und in denen die AN-Mitbestimmung begleitend mitgeregelt ist, ist kein Tendenzschutz vorgesehen. Diese Richtlinien sehen allerdings auch nur „schwache“ Mitwirkungsbefugnisse vor, nämlich anlassbezogene Informations- und Konsultationsrechte.

  • In Richtlinien, die dagegen primär kollektivrechtliche Materien regeln, ist nach dem Anknüpfungspunkt zu differenzieren:

    • Wird an europäische Rechtsformen oder die europäische Betriebsverfassung angeknüpft, besteht die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten einen auf Medienunternehmen beschränkten Tendenzschutz regeln. Dabei ist zu beachten, dass aber auch die Mitwirkungsbefugnisse weitreichender sind als die bloß punktuellen Informations- und Konsultationsrechte im Individualarbeitsrecht. Der Europäische BR kann bspw generell Informationen über die Struktur des Unternehmens und seine finanzielle und wirtschaftliche Situation an sich verlangen. An der Spitze der Mitwirkungsbefugnisse steht die Mitwirkung der Belegschaft in europäischen Rechtsformen, da es hier um echte Mitbestimmung geht, was tendenzschutzrelevant sein kann.

    • Anders ist die Lage aber bei der Unterrichtungsrahmen-RL, die eben nicht diese speziellen unionsrechtlichen Anknüpfungspunkte hat, sondern die AN-Mitbestimmung für alle wirtschaftlich tätigen Unternehmen in der EU regelt, unabhängig davon, ob ein grenzüberschreitender Sachverhalt besteht oder nicht. Für diese „nationalen Sachverhalte“ soll ein Mindeststandard an Mitwirkungsbefugnissen der AN-Vertretung bestehen. Aufgrund dessen wurde dem nationalen Tendenzschutz mehr Raum gegeben. So können die Mitgliedstaaten nicht nur Tendenzschutz für Medienunternehmen vorsehen, sondern auch für poli-18tische, koalitionspolitische, konfessionelle, karitative, erzieherische, wissenschaftliche und künstlerische Betriebe bzw Unternehmen.

Die durchaus konsistente Differenzierung des Tendenzschutzes in diesen Richtlinien wird durch eine auffallende Gemeinsamkeit abgerundet, die für die Frage nach einem gemeinsamen Verständnis eines europäischen Tendenzschutzes relevant ist: Der Tendenzschutz der Richtlinien gilt nur für einen im Zeitpunkt der Annahme bzw des Inkrafttretens der Richtlinie bereits bestehenden Tendenzschutz im nationalen Recht. Mitgliedstaaten, die bislang derartige Regelungen nicht vorgesehen haben, können daher nach Annahme bzw Inkrafttreten dieser Richtlinien einen solchen Tendenzschutz nicht mehr im nationalen Recht regeln. Insofern kann man hier nicht davon reden, dass es einen unionsrechtlichen Tendenzschutz iS eines einheitlichen Schutzstandards gibt, der für alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise gilt. Durch den Rückverweis auf das jeweilige nationale Recht besteht hier auch kein Spielraum für eine unionsrechtliche Harmonisierung des Tendenzschutzes.

Mit ein Grund dafür sind natürlich die Unterschiede in den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten gerade beim kollektiven Arbeitsrecht und auch beim Tendenzschutz. Was in Österreich zum traditionellen Kernbestand der Betriebsverfassung gehört, findet sich – neben Deutschland – praktisch in keinem anderen Mitgliedstaat, selbst wenn diese den Betriebsräten starke Mitwirkungsbefugnisse einräumen.* Insofern ist selbst der gemeinsame Nenner beim betriebsverfassungsrechtlichen Tendenzschutz innerhalb der EU meistens sehr gering.

Welche Auswirkungen haben nun diese Richtlinien auf das nationale Recht bzw konkret den nationalen Tendenzschutz gehabt?

Bereits mit den Novellen 1986* und 1990* wurde der Tendenzschutz im Bereich der §§ 108 und 109 ArbVG gelockert, anlässlich des bevorstehenden EG-Beitritts wurde schließlich auch klargestellt, dass der Tendenzschutz nicht für Betriebsänderungen iSd § 109 Abs 1 Z 1a ArbVG greift, also die Auflösung von Arbeitsverhältnissen, die eine Meldepflicht nach dem AMFG auslösen.*

Die RL zur Europäischen Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung wurde mit den Teilen V bis VIII im ArbVG umgesetzt, also §§ 171-263 ArbVG.* Etwas mehr Hürden hat die richtlinienkonforme Umsetzung der RL zum Europäischen BR überwinden müssen: Erst anlässlich der Umsetzung der Neufassung der Richtlinie im Jahr 2009* wurde der Tendenzschutz in § 202 ArbVG auf Medienunternehmen iSd Richtlinie eingeschränkt – die Vorgängerbestimmung hat dagegen noch eine Ausnahme für alle Tendenzbetriebe iS von § 132 ArbVG vorgesehen.*

Der Tendenzschutz der Richtlinien zur europäischen Unternehmensmitbestimmung wurde in § 249 ArbVG ausformuliert,* mit Querverweisen von anderen Bestimmungen, und sieht ebenfalls nur die Ausnahmen für Medienunternehmen vor. Somit ist in den Teilen V bis VIII des ArbVG, die die europäische Betriebsverfassung, die Mitwirkung bei den europäischen Rechtsformen sowie die grenzüberschreitende Verschmelzung regeln, kein Tendenzschutz für die Tendenzunternehmen nach § 132 Abs 1 und 4 ArbVG gegeben.

Als Zwischenergebnis kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Situation des Tendenzschutzes im Unionsrecht nicht mit jener im nationalen Recht vergleichbar ist und bei weitem nicht dessen Ausmaß annimmt. Wenig überraschend ist daher, dass sich in der Literatur ausführliche Auseinandersetzungen mit der Frage finden lassen, ob das Unionsrecht überhaupt einen Tendenzschutz kenne bzw ob dieser unionsrechtlich geboten sei.* Man wird beide Fragen in der Zwischenzeit bejahen können, womit aber noch keine Aussage über dessen konkrete Ausgestaltung getroffen ist. Die EU nimmt im kollektiven Arbeitsrecht bis zu einem gewissen Grad Rücksicht auf den Tendenzschutz der Mitgliedstaaten. Der Unionsgesetzgeber stellt aber nicht ein autonomes Schutzbedürfnis der AG bzw von Tendenzbetrieben in den Vordergrund, sondern sichert den bereits bestehenden Tendenzschutz in den Mitgliedstaaten ab. Wie schon Plum* ausführt, handelt es sich hier um Tendenzschutzsicherungsklauseln, da an das Tendenzschutzniveau des jeweiligen Mitgliedstaates im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinien angeknüpft wird. Tendenzschutz als eigenständiges Rechtsschutzziel lassen diese Bestimmungen dagegen nicht wirklich erkennen.

3.2.
Tendenzschutz im Individualarbeitsrecht

Das Prinzip des Tendenzschutzes findet sich nicht nur im kollektiven Arbeitsrecht, sondern auch im Individualarbeitsrecht – es geht um jene Fälle, wo zum Schutz der „Tendenz“ abweichende arbeitsrechtliche Regelungen vorgesehen sind. Das augenscheinlichste Beispiel ist das europäische Antidiskriminierungsrecht, das beim Diskriminierungsmerkmal Religion und Weltanschauung Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgebot vorsieht. Der in Art 4 Abs 1 der RL 2000/78/EG normierte allgemeine Grundsatz, wonach keine Diskriminierung vorliegt, wenn das Diskriminierungsmerkmal vereinfacht ausgedrückt „berufstypisch“ ist, wird19in Art 4 Abs 2 für Kirchen und andere Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, noch weiter konkretisiert:

Eine Diskriminierung ist zu verneinen, wenn die Religion oder die Weltanschauung

  • nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung

  • eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung

  • angesichts des Ethos der Organisation darstellt.

Dies war die unionsrechtliche Basis für die beiden eingangs erwähnten EuGH-Entscheidungen Egenberger und IR,* welche die Reibungsfläche zwischen dem Tendenzschutz der AG und dem Gleichbehandlungsschutz der AN exemplarisch aufzeigen:

Die erste E Egenberger betraf das evangelische Werk, dass eine Projektstelle für die Erstellung des Parallelberichts zur UN-Antirassismuskonvention zum Gegenstand hatte. Nach der Stellenausschreibung umfasste das Aufgabengebiet ua die Erarbeitung des Parallelberichts sowie die projektbezogene Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik, der Öffentlichkeit und Menschenrechtsorganisationen. Eine Voraussetzung für diese Stelle war laut Ausschreibung auch die entsprechende christliche Konfessionszugehörigkeit.

Frau Egenberger war eine konfessionslose Bewerberin. Sie wurde im Auswahlverfahren zwar berücksichtigt, schließlich hat die Stelle jedoch ein „in der Berliner Landeskirche sozialisierter evangelischer Christ“ erhalten. Frau Egenberger klagte aufgrund der Ablehnung ihrer Bewerbung Schadenersatz wegen Diskriminierung aufgrund der Religion nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein. Unstrittig war, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion vorlag. Das Evangelische Werk argumentierte, dass sie die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche zu Recht verlangen konnte, da dies Ausfluss des grundrechtlich abgesicherten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sei. Außerdem stelle die Religionszugehörigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung iSd Unionsrechts dar.

Dem Grunde nach gaben Frau Egenberger alle Vorinstanzen Recht. Das BAG leitete schließlich das Vorabverfahren ein, weil es für den Ausgang des Rechtsstreits um die Auslegung von Art 4 Abs 2 der RL 2000/78/EG sowie dessen Umsetzung im deutschen Recht in § 9 AGG ging.

Zeitlich parallel dazu war der Fall IR beim EuGH anhängig. Das Verfahren betraf die Kündigung eines katholischen Chefarztes in einem konfessionellen Krankenhaus. Grund für die Kündigung war die Wiederverheiratung des Arztes, ohne dass seine erste kirchliche Ehe für nichtig erklärt worden war. Personen anderen Glaubens oder konfessionslose Personen in derselben Position wären bei einer Wiederverheiratung nicht gekündigt worden. Die AG betonte, dass der Arzt ein leitend tätiger Mitarbeiter gewesen sei, der durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe in erheblicher Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen habe. Es liege somit ein Loyalitätsverstoß vor, der die Kündigung rechtfertige.

Interessant ist hier der andersgelagerte Verlauf des innerstaatlichen Gerichtsverfahrens: Der Arzt hat in allen arbeitsrechtlichen Instanzen gewonnen; erst das Bundesverfassungsgericht hat aufgrund der Verfassungsbeschwerde des AG das Urteil aufgehoben, weil das BAG die Tragweite des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verkannt habe;* das BAG hat daraufhin das Vorlageverfahren beim EuGH eingeleitet.

In beiden Verfahren ging es im Wesentlichen darum, inwieweit die Kirchen selbst verbindlich bestimmen können, ob angesichts ihres Ethos eine bestimmte Religion oder Loyalitätsobliegenheit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Die Frage drehte sich um die Reichweite, aber auch die gerichtliche Überprüfbarkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, das in Deutschland traditionell sehr stark ausgeprägt ist – auch stärker als in Österreich. Zum besseren Verständnis beleuchte ich daher zuerst die deutsche Situation, bevor ich auf die Auswirkungen der EuGH-E in Österreich eingehe.

Der betriebsverfassungsrechtliche Tendenzschutz ist in § 118 BetrVG geregelt. § 118 Abs 2 BetrVG nimmt bemerkenswerterweise Religionsgemeinschaften pauschal (!) von der Anwendung der Betriebsverfassung aus – in der Literatur wird hier daher nicht von einem Tendenzschutz, sondern von einem Transzendenzschutz gesprochen.* Im Gegensatz dazu wird bei „echten“ Tendenzbetrieben nach deutschem Recht geprüft, ob die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs der Anwendung der einzelnen Regelungen entgegensteht, es besteht also hier bloß ein relativer Tendenzschutz. Dieser kirchenfreundliche Zugang hat auch bei der Umsetzung der Gleichbehandlungs-RL in § 9 AGG seinen Niederschlag gefunden: Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung ist nach § 9 AGG dann zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht von ihren Beschäftigten, ein loyales und aufrichtiges Verhalten iS ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.

Dieser Zugang hat sich auch in der deutschen Rsp zu arbeitsrechtlichen Streitfällen von kirchlichen AG widergespiegelt. Die Gerichte hatten bislang – so auch wiederholt vom Bundesverfassungsgericht* betont – nur eine Plausibilitätskontrolle durchzuführen:20

  • Auf erster Stufe wurde sinngemäß nur geprüft, ob es eine „kirchliche Regel“ gibt, welches Gewicht dieser Regel und einem Verstoß dagegen zukommt.

  • Auf zweiter Stufe haben die Gerichte eine Gesamtabwägung vorzunehmen, in der die – im Lichte des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen verstandenen – kirchlichen Belange und die korporative Religionsfreiheit mit den Grundrechten der betroffenen AN und deren in den allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen enthaltenen Interessen auszugleichen sind.

Daraus wurde abgeleitet, dass es somit den Religionsgemeinschaften überlassen war, im Rahmen des Willkürverbots, der guten Sitten und des ordre public die konkreten Loyalitätsobliegenheiten festzulegen, ohne dass eine „engmaschige Angemessenheitskontrolle“* durch die Gerichte erfolgt ist.

Diesem Zugang hat der EuGH eine klare Absage erteilt: Das – zwar auch grundrechtlich abgesicherte – kirchliche Selbstbestimmungsrecht könne erstens niemals so weit gehen, dass es die Einhaltung der in der Gleichbehandlungs-RL genannten Kriterien einer gerichtlichen Kontrolle entziehen könnte. Das Gericht müsse zweitens die Möglichkeit haben, die an AN gestellten Loyalitätsanforderungen unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlungs-RL überprüfen zu können.

Der EuGH verlangt daher mehr als eine bloße Willkürprüfung bzw Missbrauchskontrolle. Dieser Zugang ist an sich nicht neu: In den Jahren 2010 und 2011 hat bereits der EGMR drei Fälle entschieden, die Deutschland betroffen haben: Obst,*Schüth* und Siebenhaar.*, * In allen drei Fällen ging es um das Ausmaß von Loyalitätsobliegenheiten von AN im kirchlichen Kontext, in allen drei Fällen war ein außerberufliches Verhalten und somit der Privatbereich der AN betroffen und in allen drei Fällen hat das außerberufliche Verhalten zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt. Vom EGMR wurde geprüft, inwieweit Deutschland den betroffenen AN einen entsprechenden Rechtsschutz unter Bedachtnahme auf Art 8 EMRK, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, und Art 9 EMRK, der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, eingeräumt hat oder nicht.

Der Fall Obst betraf einen AN, der zuletzt als Gebietsdirektor für Europa in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit in der Mormonenkirche beschäftigt war. Herr Obst wurde fristlos gekündigt, weil er eine außereheliche Beziehung geführt hat. Das BAG hat die Rechtswidrigkeit der Kündigung verneint. Das Kernargument bestand darin, dass die Kündigung zur Bewahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche der Heiligen der letzten Tage erforderlich sei.

Der Fall Siebenhaar betraf eine Erzieherin einer evangelischen Kindertagesstätte, die auch Leitungsfunktionen ausübte. Sie wurde gekündigt, weil ihre aktive Mitgliedschaft in der „Universalen Kirche/Bruderschaft der Menschheit“ bekannt wurde. Sie hat ua Einführungskurse in die Lehre der Sekte abgehalten und wurde auch als Kontaktperson auf Anmeldeformularen genannt. Auch hier bejahte das BAG das Vorliegen eines erheblich gravierenderen Loyalitätsverstoßes und wies die Klage ab.

Der Fall Schüth betraf schließlich einen Organisten und Chorleiter, der in der katholischen Kirchengemeinde tätig war und als Kirchenmusiker beschäftigt war. Herr Schüth trennte sich von seiner Ehefrau und lebte mit seiner neuen Partnerin zusammen. Als bekannt wurde, dass diese von ihm ein Kind erwarte, wurde Herr Schüth gekündigt. Das LAG Düsseldorf bestätigte die Kündigung, da die Tätigkeit als Organist zu eng mit dem kirchlichen Verkündungsauftrag verbunden sei. Dies obwohl er weder pastorale noch katechetische Aufgaben wahrnahm und auch kein leitender Mitarbeiter war.

Der EGMR prüfte in den Verfahren, ob die deutschen Arbeitsgerichte eine angemessene Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten vorgenommen hatten. Während dies in den Fällen Obst und Siebenhaar bejaht worden war, wurde in Schüth ein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem Art 8 EMRK angenommen, weil das LAG Düsseldorf die fehlende Nähe zum kirchlichen Verkündungsauftrag nicht hinreichend gewürdigt hat.

In diese Kerbe des EGMR schlägt nun auch der EuGH und vertieft sie weiter. Er verlangt für die Prüfung gerechtfertigter beruflicher Anforderungen iS von Art 4 Abs 2 der RL folgende Prüfschritte:

  • Es muss ein direkter Zusammenhang zwischen der vom AG aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit vorliegen.

  • Die berufliche Anforderung muss angesichts des Ethos der Kirche oder Organisation „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ sein.

Wesentlich bedeutet, dass die Religionszugehörigkeit bzw das Loyalitätserfordernis aufgrund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung dieses Ethos oder die Ausübung des Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie notwendig erscheinen muss.* Rechtmäßig bedeutet, dass die die Religionszugehörigkeit betreffende Anforderung nicht zur Verfolgung eines sachfremden Ziels ohne Bezug zu diesem Ethos oder zur Ausübung des Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie dient.* Gerechtfertigt bedeutet, dass die Religionsgemeinschaft im konkreten Einzelfall nachweisen muss, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist, so dass sich eine solche Anforderung tatsächlich als notwendig erweist.* Schließ-21lich muss die berufliche Anforderung verhältnismäßig sein, sie muss angemessen sein und darf nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen.*

Vor diesem Hintergrund war es nicht überraschend, dass das BAG in Anschluss an die EuGH-Entscheidungen sowohl im Fall Egenberger* als auch IR* zugunsten der AN entschied.

Für Deutschland bedeuten diese EuGH-Entscheidungen daher eine Abkehr von der bisherigen Plausibilitätsprüfung hin zu einer wirksamen Kontrolle iSd zuvor genannten Kriterien.* Für die beiden betroffenen Kirchen in Deutschland sind die Folgen tatsächlich weniger gravierend als man auf den ersten Blick erwarten könnte: Bereits aufgrund der zuvor zitierten EGMR-E haben sie die interne Richtlinie bzw Grundordnung geändert und die darin geregelten Loyalitätsanforderungen an ihre AN adaptiert – der Chefarzt-Fall hätte sich danach schon vor der EuGH-E nicht mehr wiederholen können. Die deutschen Kirchen waren damit weiter als so manch deutscher konservativer Jurist. In der Literatur ist hier auch darauf verwiesen worden, dass die Urteile ja nicht im Widerspruch zu den Anliegen und Interessen der Kirchen stehen und sogar aus theologischer Sicht Vorteile bieten:

„Die mit dem Urteil eingeforderte durchgehende Begründung des Zusammenhangs von Ethos und Arbeitsaufgabe bedeutet (...) weniger eine Einschränkung der Freiheitsrechte der Kirchen als vielmehr die Möglichkeit, den tieferen Sinngehalt des eigenen Tuns in Folge des Sendungsauftrags der Kirche jeweils positiv herauszuarbeiten und (auch sich) neu zu verdeutlichen.“*

Wie sind nun die Auswirkungen dieser Entscheidungen in Österreich? Die beiden EuGH-Urteile treffen Österreich sicherlich weniger als Deutschland.* Das GlBG hat den Richtlinientext praktisch wortwörtlich übernommen, sodass sich die Frage der Richtlinienkonformität wie bei § 9 AGG in Deutschland nicht stellt. Die Vorgaben des EuGH sind nun bei Fällen nach § 20 Abs 2 GlBG entsprechend zu berücksichtigen, was eine ausführlichere Begründung durch die Gerichte in solchen Fällen erwarten lässt.

Interessanter ist die Frage, wie sich diese EuGHRsp auf den Tendenzschutz nach § 132 ArbVG auswirkt. Wie bereits erwähnt, ermöglicht § 132 Abs 4 ArbVG eine Ausnahme von der Mitwirkung in personellen Maßnahmen, daher auch vom Kündigungsschutz. Gerade hier treffen die Welten des Tendenzschutzes und des Gleichbehandlungsrechtes aufeinander. Es kann ein Nebeneinander der Anfechtungsmöglichkeit nach dem GlBG sowie dem ArbVG bestehen, was vor dem Hintergrund dieser EuGH-Rsp in Einklang zu bringen ist.

Es gibt drei einschlägige Entscheidungen des OGH, und zwar die Pastoralassistentin-E aus dem Jahr 1987,* die Entwicklungshelfer-E aus dem Jahr 1995* und die Arabischlehrer-E aus dem Jahr 2009.* In allen drei Entscheidungen ging es um die Frage, ob die Eigenart des konfessionellen Betriebes der Anwendung des Kündigungsschutzes entgegensteht – in allen drei Entscheidungen wurde dies bejaht. Angesichts der EuGH-E stellt sich die Frage, ob diese Entscheidungen nun anders entschieden worden wären.

Auch wenn die bisherige Rsp zwar immer die Systemunterschiede zu Deutschland betont, räumt sie dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften viel Spielraum ein, gerade wenn es um Tendenzträger geht. Die Gründe für die Personalmaßnahme werden bei Tendenzträgern nicht geprüft. Das Hauptargument dafür war, dass zwischen tendenzbedingten Gründen (zB abweichende religiöse Einstellung) und tendenzneutralen Gründen (zB bestimmte Pflichtenverletzungen oder ehrverletzende Äußerungen) häufig Zusammenhänge bestehen, so dass es der Religionsgemeinschaft unbenommen bleiben muss, die Eignung des betreffenden Tendenzträgers allein zu beurteilen.* In Zukunft wird diese Begründung, die nach Feststellung der Eigenart des Betriebes fast eine Art Zweifelsregel zugunsten der Religionsgemeinschaften darstellt, jedenfalls nicht mehr ausreichen.

Betrachtet man die bislang entschiedenen höchstgerichtlichen Fälle, hätte die EuGH-E mE am Ergebnis wohl nichts geändert, aber an dem Weg dorthin: sowohl bei der Pastoralassistentin als auch beim Entwicklungshelfer wäre eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den Gründen für die Kündigung erforderlich gewesen; eine Pastoralassistentin oder ein Entwicklungshelfer an einer konfessionellen Schule sind allerdings deutlich tendenznäher als der Chefarzt eines Krankenhauses. Kritischer ist der Fall des Arabischlehrers zu sehen, der aus tendenzneutralen Gründen gekündigt wurde. Dieser Fall hat meiner Meinung nach die Voraussetzungen des Tendenzschutzes nicht verwirklicht und wäre daher über § 105 ArbVG zu lösen gewesen. Das bedeutet aber nicht, dass in solchen Fällen nicht auf die besondere Eigenart22Rücksicht genommen wird – sie verlagert sich bloß in die Interessenabwägung nach § 105 ArbVG.

Im Ergebnis wird sich die Rsp zum Gleichbehandlungsrecht auf die Auslegung von § 132 Abs 4 ArbVG, also den Tendenzschutz der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften auswirken – auch trotz der konzeptionellen Unterschiede zwischen Antidiskriminierungsschutz und Tendenzschutz. Im Tendenzschutz geht es primär um die Interessenabwägung zwischen AG und BR, während es im Gleichbehandlungsrecht um den Schutz der AN vor unzulässiger Diskriminierung geht. Die Prüfung nach § 132 Abs 4 ArbVG, also ob die Eigenart der Religionsgemeinschaft der Anwendung der Mitwirkungsbefugnisse des BR entgegensteht, stellt auch nicht auf das Motiv für eine Personalmaßnahme ab. Ungeachtet dessen wird es zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen in der Rsp zu § 20 Abs 2 GlBG und § 132 Abs 4 ArbVG notwendig sein, eine auf das Gleichbehandlungsrecht abgestimmte Begründungslinie auch für § 132 Abs 4 ArbVG zu entwickeln. Von den Gerichten wird hier daher zukünftig eine differenziertere Herangehensweise bei der Beurteilung zu erwarten sein. Dabei werden auch die Gründe für die Personalmaßnahme ebenfalls zu hinterfragen sein, ob es sich also um tendenzneutrale oder tendenzrelevante Gründe handelt. Wie schon Schinkele mehrfach* ausgeführt hat, ist hier von den kirchlichen AG ein höherer Begründungsund Argumentationsaufwand abzuverlangen, von den Gerichten ein ausdifferenzierterer Abwägungsprozess, der den abzustufenden Tendenzbezügen Rechnung trägt.*

4.
Ergebnis

Welche Entwicklung nimmt nun der Tendenzschutz – oder wie eingangs erwähnt Quo vadis Tendenzschutz? Zuallererst kann man sagen: Wohin er auch geht, verschwinden wird er nicht. Die starke grundrechtliche Prägung verleiht ihm eine Verankerung, die nun auch im Unionsrecht in der Grundrechtecharta eine gewisse Verstärkung gefunden hat.

Ungeachtet dessen ist nun aber nicht mit einem Ausbau des Tendenzschutzes – weder im nationalen noch im Unionsrecht – zu rechnen, sondern eher mit einer Präzisierung bzw Schärfung. Dies ist nicht iS einer Verschärfung des Tendenzschutzes gemeint, sondern gerade auch durch die Entwicklungen im Unionsrecht erhält der Tendenzschutz mehr Konturen. Insofern kann von einer Europäisierung des Tendenzschutzes gesprochen werden.

Bemerkenswert ist dabei, dass die Impulse hier weniger aus dem Tendenzschutz im kollektiven Arbeitsrecht kommen, da dieser im Unionsrecht einen bestandwahrenden Charakter – bezogen auf den Tendenzschutz der Mitgliedstaaten – aufweist. Es ist nicht zu erwarten, dass ein über die bisherigen Regelungen hinausgehender Tendenzschutzstandard im Bereich der Europäischen Betriebsverfassung oder der Europäischen Unternehmensmitbestimmung geschaffen wird. Im Rahmen des Ausbaus der Europäischen Rechtsformen ist mit ähnlichen Regelungen wie bisher zu rechnen.

Rechtsfortbildende Impulse kommen vielmehr aus dem Bereich des Individualarbeitsrechts, insb dem Gleichbehandlungsrecht. Man kann sagen, dass konturenschärfende Reibungspunkte dort bestehen, wo in gewisser Weise der Tendenzschutz der AG auf den durch das Gleichbehandlungsrecht abgesicherten „Tendenzschutz“ der AN stößt. Angesichts der großen Anzahl der betroffenen Betriebe, die überwiegend dem auch weiter wachsenden Dienstleistungssektor bzw der dort beschäftigten AN angehören, wird insoweit die Bedeutung des Tendenzschutzes in Zukunft zunehmen. Der EuGH hat mit seinen Entscheidungen, die die Position des Antidiskriminierungsschutzes in diesem Kontext gefestigt haben, hier eine Richtschnur vorgegeben. Die Umsetzung bleibt – wie so oft – den österreichischen Gerichten vorbehalten.23