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Konsum von Zeitausgleich nach Art V NSchG-Novelle 1992 hindert Erwerb von Schwerarbeitszeiten

MAXIMILIANBELL (SALZBURG)
  1. Der für Nachtdienste und Feiertagsarbeit gewährte Zeitausgleich nach Art V NSchG-Novelle 1992 ist bei der Ermittlung von Schwerarbeitsmonaten nicht zu berücksichtigen.

  2. Ein AN, der während der Feiertagsruhe beschäftigt wird, hat nur dann Anspruch auf erhöhtes Entgelt nach § 9 Abs 5 Arbeitsruhegesetz (ARG), wenn kein Zeitausgleich vereinbart wird.

[1] Der Kl ist seit zumindest 1995 im Klinikum Klagenfurt in der (geschlossenen) Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie als Pflegeassistent tätig. [...] Dabei führt er körperlich schwere Arbeit durch. Zumindest fünf der untergebrachten Patienten haben einen Pflegeaufwand, der mindestens die Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz erreicht. Diese Tätigkeiten erfordern einen Arbeitsenergieumsatz von 9.797,76 Arbeitskilojoule pro 11,5 Stunden Arbeitstag. Im Nachtdienst ist eine Arbeitsenergie von zumindest 8.674,56 Arbeitskilojoule pro 12,5 Stunden Arbeitstag gegeben. Einen Arbeitsenergieumsatz von zumindest 8.374 Arbeitskilojoule überschreitet der Kl bei einem 8-Stunden-Arbeitstag sowohl im Tag- als auch im Nachtdienst.

[2] Im Dienstplan werden die Tagdienste, Nachtdienste und die dazwischenliegenden freien Tage eingeteilt. [...] Der Kl verrichtet zwei Tage nacheinan der Tagdienst und anschließend einen Nachtdienst. Auf diese drei Diensttage folgen drei freie Tage. [...]

[3] Für jede geleistete Nachtschicht erhält der Kl einen Anspruch auf ein Zeitguthaben von zwei Stunden. Pro sechs Nachtdiensten erhält er einen sogenannten (freien) NSG-Tag. Für die Verrichtung von Diensten an Feiertagen erhält der Kl eine Zeitgutschrift, sogenannte F-Tage.

[4] Im Revisionsverfahren ist strittig, ob dieser Zeitausgleich (NSG- und F-Tage) nach dem im Urlaubsrecht geltenden fiktiven Ausfallprinzip bei der Feststellung von Schwerarbeitsmonaten zu berücksichtigen ist (so der Kl) oder nicht (so die bekl Pensionsversicherungsanstalt).

[5] Das Erstgericht folgte dem Standpunkt der Bekl. Die Zeitausgleichstage seien als zusätzliche Ruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz zu beurteilen. Der Kl habe an solchen Tagen aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nicht gearbeitet.

[6] Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht und gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge. Seiner rechtlichen Beurteilung zufolge sollten die Bestimmungen der NSchG-Novelle 1992 über durch Nachtdienste erworbene Zeitguthaben einen Ausgleich für physisch oder psychisch besonders belastende Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals in Krankenanstalten schaffen. Diese Regelungen unterschieden sich von den Fällen des Urlaubskonsums und des Krankenstands. Für diese sei nämlich grundsätzlich die Fiktion möglich, dass während dieser Zeiten Schwerarbeit verrichtet worden wäre. Schwerarbeit müsse immer in Relation zu Belastungs- und Erholungsphasen betrachtet werden, weil sich mit der Möglichkeit von Erholungsphasen zwischen den einzelnen Tagen der Schwerarbeit auch die Gesamtbelastung der Arbeit verringere. Der Kl hätte während der Ausgleichstage niemals Schwerarbeit verrichtet. Dasselbe gelte für die Zeitausgleichstage für geleistete Feiertagsdienste (F-Tage). Die Revision sei zulässig, weil zur 299 Frage der Berücksichtigung solcher Zeitausgleiche bei Beurteilung von Schwerarbeiten noch keine Judikatur des OGH bestehe.

[7] Die – nicht beantwortete – Revision des Kl ist zulässig, aber nicht berechtigt.

[8] Es ist nicht strittig, dass der Kl an den Tagen, an denen er Dienst hat, Schwerarbeit jedenfalls nach § 1 Abs 1 Z 4 Schwerarbeitsverordnung (SchwerarbeitsV) verrichtet hat und für jeden Nachtdienst zwingend ein Zeitguthaben von zwei Stunden (Zeitausgleich) erhielt (Art V § 3 Abs 1 Z 2 NSchGNov 1992, BGBl 1992/473). Für jeden Dienst an einem Feiertag erhält der Kl einen Tag Zeitausgleich (F-Tag).

[9] Unter der – in der Rsp des OGH geforderten – Einrechnung von Urlaubstagen (10 ObS 96/10f SSV-NF 24/54, RS0126110) sowie von Krankenstandstagen (10 ObS 103/10k SSV-NF 24/58) stellte das Berufungsgericht im klagsgegenständlichen Zeitraum insgesamt 96 Schwerarbeitsmonate fest. Zu klären bleibt, ob auch die Tage des Zeitausgleichs als Tage mit fiktiver Schwerarbeit zu veranschlagen sind. [...]

[10] Der Kl zieht in seiner Revision eine Parallele zum Urlaubsrecht. Er könne die Zeitgutschriften für einen Nachtdienst nur geblockt für 12 Stunden (sechs Nachtdienste) als Ausgleich für einen ganzen (Tag-)Dienst in Anspruch nehmen. Ein solcher NSG-Tag falle in das laufende Dienstrad und damit auch auf einen Tag, an dem der Kl fiktiv seinen Dienst verrichtet hätte. NSG-Tage seien somit keine die Gesamtbelastung der Arbeit verringernden Ruhezeiten, sondern einem Erholungsurlaub gleichzusetzende zusätzliche Erholungszeit. Die sogenannten F-Tage, welche den Dienst an einem Feiertag über Zeitausgleich abgelten, seien ebenfalls keine Ersatzruhezeiten.

[11] Seine Argumentation überzeugt jedoch nicht:

[12] Es ist richtig, das Zeiten des Urlaubsverbrauchs nach der Rsp Schwerarbeitszeiten begründen können, wenn während des Urlaubs, wäre fiktiv gearbeitet worden, Schwerarbeit geleistet worden wäre. Der AN hat nach dem im Urlaubsrecht geltenden „fiktiven Ausfallsprinzip“ grundsätzlich jenes Entgelt zu erhalten, das er verdient hätte, wenn er in der Urlaubszeit gearbeitet hätte (10 ObS 96/10f SSV-NF 24/54; RIS-Justiz RS0126110). Begründet wird die Anwendung des „fiktiven Ausfallsprinzips“ bei der Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach der SchwerarbeitsV damit, dass es sich beim Urlaubsanspruch um einen gesetzlichen Freistellungsanspruch handelt und dieser nach der Intention des Gesetzgebers vor allem der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft des AN dienen soll (10 ObS 117/16b SSV-NF 30/82).

[13] Der dem Kl unstrittig zustehende Zeitausgleich von zwei Stunden pro geleistetem Nachtdienst soll die physisch oder psychisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals in Krankenanstalten ausgleichen (AB 629 BlgNR 18. GP 2 zu Art V NSchG-Nov 1992; 9 ObA 109/19y mwN). Die Zeitgutschrift soll möglichst rasch nach Leistung des Nachtdienstes verbraucht werden, um gesundheitliche Schäden der in der Nacht Arbeitenden gering zu halten (AB 629 BlgNR 18. GP 2). Art V § 3 Abs 1 NSchG-Nov 1992 verbietet die Ablöse des Zeitguthabens in Geld. Das Zeitguthaben ist spätestens binnen sechs Monaten nach seinem Entstehen zu verbrauchen. Art V § 3 Abs 1 NSchG-Nov 1992 gewährt einen verpflichtenden gesetzlichen Freistellungsanspruch. Nach der höchstgerichtlichen Rsp steht bei dieser Art des Zeitausgleichs wie im Urlaubsrecht der Erholungszweck im Vordergrund (RS0051632 [T3]). Das spricht (vordergründig) für die vom Kl gewünschte Anwendung des „fiktiven Ausfallsprinzips“.

[14] Rsp und Schrifttum gehen bei der Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach der SchwerarbeitsV aber vom Prinzip aus, dass nur tatsächlich geleistete Schwerarbeit und tatsächliche Beanspruchung durch Schwerarbeit im konkreten Kalender-(Versicherungs-)monat einen Schwerarbeitsmonat begründen (zu § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV: 10 ObS 23/16d SSV-NF 30/30 [Diplomkrankenschwester einer Neonatologie- Intensivstation mit regelmäßigen 12-stündigen Nachtdiensten]; 10 ObS 30/16h [Diplomkrankenschwester einer onkologischen Station]; 10 ObS 117/16b SSV-NF 30/82 [als Betriebsrätin freigestellte diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester eines Landespflegezentrums]; Milisits, Schwerarbeitsverordnung – Ein Leitfaden für die Praxis 31; Teschner/Widlar/Pöltner in MGAASVG [APG] 96; vgl ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 9: Die Anerkennung von Schwerarbeit soll nur jenen Versicherten offenstehen, die tatsächlich besonders belastender Schwerarbeit ausgesetzt waren). Schwerarbeit ist immer in Relation von Belastungs- zu Erholungsphasen zu betrachten, weil sich mit der Möglichkeit von Erholungsphasen zwischen einzelnen Tagen der Schwerarbeit die Belastung verringert (10 ObS 23/16d SSV-NF 30/30; RS0130803 [T1]).

[15] Diesen Grundsatz der tatsächlichen Belastung durch Schwerarbeit hat der OGH Freistellungsansprüche betreffend (lediglich) in der E 10 ObS 96/10f SSV-NF 24/54 durchbrochen, indem er die Urlaubszeit eines LKW-Fahrers als Schwerarbeit qualifizierte, wenn der Versicherte – was noch zu prüfen war – tatsächlich Schwerarbeit geleistet hätte. Hingegen lehnte er es zu 10 ObS 117/16b SSV-NF 30/82 ab, die Zeiten, in denen eine Diplom- Krankenschwester ausschließlich ihre Tätigkeit als freigestellte Zentralbetriebsrätin ausübte, bei der Feststellung von Schwerarbeitszeiten zu berücksichtigen. Seiner Ansicht nach handelt es sich beim Urlaubsanspruch um einen verpflichtenden, der Erholung dienenden gesetzlichen Freistellungsanspruch, während die Entscheidung für ein Betriebsratsmandat freiwillig erfolgt. Ein weiterer Wertungsunterschied besteht auch im zeitlichen Ausmaß der Freistellung: fünf Wochen Urlaub gegen möglicherweise jahrelanges Erwerben von Schwerarbeitsmonaten während der Mandatsausübung.

[16] Im vorliegenden Fall verrichtet der Kl nach dem fixen Dienstplan zwei 12-stündige Tagdiens te, und unmittelbar anschließend an den zweiten Tagdienst einen Nachtdienst von 18:15 Uhr bis 6:45 Uhr. Dann folgen drei freie Tage, die der Erholung und dem 300 Ausgleich der an den Vortagen geleisteten Schwerarbeit dienen. Diese regelmäßige dreitägige Erholungsphase reduziert bereits die aus der Schwerarbeit resultierende Belastung (vgl RS0130803 [T1]).

[17] Jene freien Tage, die als Zeitausgleich für geleistete Nachtdienste konsumiert werden, bei der Feststellung von Schwerarbeitszeit nach der SchwerarbeitsV zusätzlich einzubeziehen, widerspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers, nur die tatsächliche Belastung mit Schwerarbeit durch einen Pensionsantritt vor Erreichen des Regelpensionsalters, und zwar mit einer günstigeren Abschlagsregelung (§ 607 Abs 14 ASVG), zu belohnen. Die SchwerarbeitsV enthält in § 1 Abs 1 Z 1 einen Spezialtatbestand für unregelmäßig geleistete Nachtarbeit. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, jeden, auch regelmäßig geleisteten Nachtdienst als tatsächlich geleistete Schwerarbeit anzuerkennen, wäre eine entsprechende Regelung zu erwarten gewesen. Eine Doppelberücksichtigung von Nachtdiensten als Schwerarbeit nach den Tatbeständen der SchwerarbeitsV und zusätzlich nach anderen gesetzlichen Regelungen, die ganz allgemein die Belastung durch einen Nachtdienst in Form eines Zeitausgleichs abgelten, war offenbar nicht beabsichtigt.

[18] Ergebnis: Die als Zeitausgleich für Nachtdienste gewährten „NSG-Tage“ sind aus diesen Erwägungen bei der Ermittlung von Schwerarbeitsmonaten nicht zu berücksichtigen. Dasselbe gilt für den Zeitausgleich, den der Kl für die Erbringung der Arbeitsleistung an einem Feiertag erhält („F-Tag“). Nach § 9 Abs 5 ARG hat ein während der Feiertagsruhe Beschäftigter nur dann Anspruch auf erhöhtes Entgelt, wenn kein Zeitausgleich vereinbart wird. Dieser Zeitausgleich hat Entgelt- und nicht Erholungsfunktion. Er ist bezahlte Freistellung von der Arbeitszeit (RS0109976).

[19] Der Revision ist aus diesen Erwägungen nicht Folge zu geben.

[...]

ANMERKUNG

Die zentrale Rechtsfrage, die in dieser E behandelt wurde, lautet, „ob auch die Tage des Zeitausgleichs [nach Art V NSchG-Nov 1992] als Tage mit fiktiver Schwerarbeit zu veranschlagen sind“. Die vorliegende E bietet auch Anlass, sich mit der bisherigen Rsp des OGH sowie dem Meinungsstand in der Lehre iZm dem fiktiven Erwerb von Schwerarbeitszeiten auseinanderzusetzen.

Im Wesentlichen führte der OGH drei Gründe an, weshalb ein Erwerb von Schwerarbeitszeiten im konkreten Fall zu verneinen war:

  1. Eine Erholungsphase durch den gewährten Zeitausgleich reduziert bereits die aus der Schwerarbeit resultierende Belastung (vgl Rn 16).

  2. Die zusätzliche Einbeziehung von freien Tagen bei der Feststellung von Schwerarbeitszeit, die als Zeitausgleich für geleistete Nachtdienste konsumiert werden, widerspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers, nur die tatsächliche Belastung mit Schwerarbeit durch einen Pensionsantritt vor Erreichen des Regelpensionsalters zu belohnen (vgl Rn 17).

  3. Es ist keine Doppelberücksichtigung von Nachtdiensten als Schwerarbeit nach den Tatbeständen der SchwerarbeitsV und zusätzlich nach anderen gesetzlichen Regelungen beabsichtigt, die ganz allgemein die Belastung durch einen Nachtdienst in Form eines Zeitausgleichs abgelten (vgl Rn 17).

Die Erwägungen des OGH überzeugen in ihrer Zusammensetzung für den zu beurteilenden Fall nicht.

Für die Beantwortung der Frage, ob AN fiktiv Schwerarbeitszeiten erwerben können, ist § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV einschlägig: „Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiter besteht.“ Der Verordnungsgeber hat hier ein klares Bekenntnis abgegeben, dass es bei Arbeitsunterbrechungen zu einem fiktiven Erwerb von Schwerarbeitszeiten kommen kann. Den Erläuterungen zur SchwerarbeitsV ist zu entnehmen: „In Anlehnung an den Erwerb von Versicherungsmonaten wird ein Schwerarbeitsmonat nach § 4 des Entwurfes dann erworben, wenn eine oder mehrere besonders belastende Tätigkeiten im Sinne des § 1 des Entwurfes mindes tens in der Dauer von 15 Tagen in einem Kalendermonat ausgeübt wurden (vgl. § 231 Z 1 lit a ASVG), wobei Arbeitsunterbrechungen, die die Pensionsversicherung nicht beenden, außer Acht zu lassen sind“ (https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Begut/BEGUT_COO_2026_100_2_243149/COO_2026_100_2_245765.pdfhttps://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Begut/BEGUT_COO_2026_100_2_243149/COO_2026_100_2_245765.pdf). Hieraus ergibt sich, dass sowohl der Verordnungstext als auch die korrespondierenden Erläuterungen einen fiktiven Erwerb von Schwerarbeitszeiten zulassen, wenn Schwerarbeit iSv § 1 SchwerarbeitsV geleistet wird, eine Arbeitsunterbrechung vorliegt und die Pflichtversicherung in der PV nicht beendet wird.

Die Art der Arbeitsunterbrechung wurde vom Verordnungsgeber nur dahingehend näher umschrieben, dass sie die Pflichtversicherung in die PV nicht beenden darf. In der Lehre werden hier beispielhaft Krankenstand und Urlaubskonsum genannt (vgl Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 4 APG Rz 192; Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2007] 31). Ebenso findet sich diese beispielhafte Aufzählung in der Judikatur des OGH, jedoch ohne nähere Ausführungen (vgl OGH 27.7.2010, 10 ObS 103/10k). IZm dem Erwerb von fiktiven Schwerarbeitszeiten im Falle von Urlaubskonsum liegt eine gefestigte Spruchpraxis des OGH vor. Nach Rechtsansicht des OGH können Zeiten des Urlaubsverbrauchs dann Schwerarbeitszeiten begründen, wenn während des Urlaubs, wäre fiktiv gearbeitet worden, Schwerarbeit geleistet worden wäre (vgl OGH 27.7.2010, 10 ObS 96/10f; OGH 13.4.2016, 10 ObS 23/16d; OGH 20.12.2016, 10 ObS 117/16b). Soweit überblickbar, gibt es jedoch keine Rsp des OGH zu Sachverhalten, die einen Krankenstand und oder einen Feiertag zum Gegenstand hatten. Sachverhalte, bei denen es nicht um Urlaubskonsum ging, wurden iZm dem fiktiven 301 Erwerb von Schwerarbeitszeiten bisher ablehnend beurteilt (vgl kein Erwerb von Schwerarbeitszeiten bei Mandatsausübung einer freigestellten Betriebsrätin OGH 20.12.2016, 10 ObS 117/16b = krit Bell, DRdA 2017, 400). In seiner Entscheidungsbegründung zu 10 ObS 117/16b zog der OGH die iZm Urlaubskonsum entwickelten Grundsätze heran, wonach es sich beim Urlaubsanspruch um einen verpflichtenden gesetzlichen Freistellungsanspruch handelt, der nach der Intention des Gesetzgebers vor allem der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft des AN dienen soll (OGH 20.12.2016, 10 ObS 117/16b = Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm2 § 2 UrlG Rz 6). Der OGH argumentierte, dass im Fall des Urlaubs ein begrenztes Ausmaß von in der Regel fünf Wochen pro Urlaubsjahr vorliegt, die als Schwerarbeitszeiten gewertet werden können, obwohl in diesem Zeitraum tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet wurde (OGH 20.12.2016, 10 ObS 117/16b). Im Regelfall kann iSd Ausfallsprinzips davon ausgegangen werden, dass die zuvor verrichtete Arbeit während des Urlaubs – gäbe es diesen nicht – fortgesetzt worden wäre, wobei diese Fiktion entkräftet werden kann (OGH 27.7.2010, 10 ObS 96/10f; Milisits, ZAS 2009, 102 [105]; Milisits, Schwerarbeitsverordnung 31).

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der OGH den fiktiven Erwerb von Schwerarbeitszeiten bei Arbeitsunterbrechungen in Form von Urlaubskonsum zulässt, bei Krankheit bislang nicht ausschließt, in anderen Fällen aber verneinte.

Es zeigt sich, dass die Regelung des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV, insb die Begrifflichkeit „Arbeitsunterbrechungen“, in Ermangelung einer näheren Definition in der Verordnung auslegungsbedürftig sind. Eine Legaldefinition von „Arbeitsunterbrechung“ liegt nicht vor. Sie wird in unterschiedlichen Zusammenhängen neben den anerkannten Instituten wie Urlaub und Krankenstand verwendet, etwa wird bei der Teilnahme an einem Warnstreik (vgl Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 27 AngG Rz 110), bei Mutterschaft oder bei Karenzurlauben (vgl Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 39 Rz 11; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 39 AngG Rz 29) oder bei Maßnahmen nach dem EpidemieG (vgl Julcher in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 11 ASVG Rz 29) von einer Arbeitsunterbrechung ausgegangen. Die Wichtigkeit, die Begrifflichkeit „Arbeitsunterbrechung“ iZm § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV im Wege der Auslegung zu definieren, wird mE nach durch die Maßnahmen wie Betriebsschließungen oder Absonderungen aufgrund der Covid-19-Pandemie noch weiter an Bedeutung gewinnen. Aufgrund der zahlreichen denkbar möglichen Formen einer Arbeitsunterbrechung und in Ermangelung einer Legaldefinition sowie fehlenden Anhaltspunkten für eine historische Auslegung kann unter Heranziehung der Wortinterpretation mE nach hierunter jede Form der Unterbrechung verstanden werden. In der hier zu beurteilenden Norm wird die Arbeitsunterbrechung lediglich durch das Erfordernis eingeschränkt, dass die Pflichtversicherung in der PV weiter besteht. Eine teleologische Interpretation führt mE nach auch zu keinem anderen Ergebnis. Zweck dieser Norm in Zusammenschau mit den weiteren Bestimmungen der SchwerarbeitsV kann nur sein, dass AN, die eine besonders belastende Tätigkeit iSv § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV ausüben, der Erwerb eines Schwerarbeitsmonats nach § 4 Abs 1 SchwerarbeitsV nicht verwehrt wird, obwohl Arbeitsunterbrechungen vorliegen. Dies spiegelt sich mE nach auch in den Materialien zu § 4 APG wider: „Darüber hinaus wird in dieser Verordnung die erforderliche Dauer der Verrichtung von Schwerarbeit in einem Kalendermonat festgesetzt werden, um diesen Monat als Schwerarbeitsmonat berücksichtigen zu können. Mit dieser Maßnahme sollen Personen, die unter psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen Versicherungszeiten erworben haben, die Alterspension früher in Anspruch nehmen können“ (vgl ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 5, 9).

In seiner Begründung zur vorliegenden E stützt sich der OGH ebenso auf den Leitsatz, wonach Schwerarbeit auch in Relation von Belastungs- und Erholungsphasen zu betrachten ist (OGH 13.4.2016, 10 ObS 23/16d; OGH 10.5.2016, 10 ObS 30/16h; OGH 7.5.2019, 10 ObS 30/19p = Milisits, ZAS 2009, 102 [104]; OGH 1.9.2020, 10 ObS 85/20b). Mit der Möglichkeit, Erholungsphasen zwischen einzelnen Tagen der Schwerarbeit in Anspruch zu nehmen, wird die Belastung der AN, die Schwerarbeit leis ten, nach Ansicht des OGH verringert (OGH 13.4.2016, 10 ObS 23/16d = Milisits, Schwerarbeitsverordnung 74; Teschner/Widlar/Pöltner, MGAASVG [APG] 96. ErgLfg SchwerarbeitsV Anm 10; OGH 10.5.2016, 10 ObS 30/16h). Das Verhältnis zwischen Belastungs- und Erholungsphasen wurde bisher iZm der Frage der zeitlichen Dauer der Arbeitszeit angewandt (vgl OGH 13.4.2016, 10 ObS 23/16d; OGH 10.5.2016, 10 ObS 30/16h; idS auch OGH 7.5.2019, 10 ObS 30/19p). Erstmals mit der vorliegenden E wurde dieser Leitsatz auch zur Frage des Erwerbs von Schwerarbeitszeiten nach § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV herangezogen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist insb der Zweck des Zeitausgleichs nach Art V NSchG-Nov 1992 zu beleuchten. Hierbei handelt es sich um eine gesetzlich gesondert geregelte Form des Zeitausgleichs für die Erschwernisse der Nachtschwerarbeit durch das Pflegepersonal in Krankenanstalten (vgl OGH 5.11.1997, 9 ObA 267/97y). Die einschlägige Regelung ist in der „Nachtschwerarbeitsgesetznovelle 1992“ enthalten, worunter das BGBl 1992/473 zu verstehen ist. Art V NSchG-Nov 1992 ist ein Artikel des BGBl, der aber in kein bereits bestehendes Bundesgesetz eingearbeitet wurde, weshalb dieser nur im BGBl 1992/473 zu finden ist (vgl Reissner, DRdA 2010, 73 [74]). Nach Reissner handelt es sich beim zwingenden Zeitausgleich nach § 3 Abs 1 Art V BGBl 1992/473 um eine besondere Schutzmaßnahme für belastende Arbeiten des Pflegepersonals (vgl Reissner, DRdA 2010, 73 [76] = Schwarz/Ziniel, NSchG2 [1998] 97). Von zentraler Bedeutung für die hier aufgeworfene Fragestellung ist § 3 Abs 1 Satz 2 Art V BGBl 1992/473, wonach der Verbrauch des Zeitguthabens nach dieser Bestimmung anlässlich der nächsten Dienstzeiteinteilung 302 zu vereinbaren ist (vgl Reissner, DRdA 2010, 73 [76]). Nach bisheriger Rsp des OGH ist das erworbene Zeitguthaben aufgrund der Bestimmungen von Art V BGBl 1992/473 somit als Zeitausgleich für die Erschwernisse der Nachtschwerarbeit durch das Pflegepersonal in Krankenanstalten gedacht, weshalb der Erholungszweck wie im Urlaubsrecht im Vordergrund steht (vgl OGH 5.11.1997, 9 ObA 267/97y = 629 BlgNR 18. GP 2; OGH 19.11.2009, 8 ObA 32/09b; Reissner, DRdA 2010, 73 [76] = Schwarz/Ziniel, NSchG2 96). Ähnlich dem Grundgedanken des Urlaubsrechts zielt diese Bestimmung auf die Erholung der AN ab, weshalb es nach Reissner konsequent ist, dass das Gesetz eine Ablöse des Nachtschwerarbeitszeitausgleichs in Geld verbietet (vgl Reissner, DRdA 2010, 73 [76] = Schwarz/Ziniel, NSchG2 96).

Gemäß bisheriger Rsp des OGH sowie hL bietet der Anspruch auf Zeitausgleich gemäß der NSchG-Nov 1992 Erholung für die erbrachte besonders belastende Tätigkeit in Form eines Nachtdienstes (vgl OGH 5.11.1997, 9 ObA 267/97y; Reissner, DRdA 2010, 73 [76] mwN). ME nach darf die gesetzliche Gewährung von Erholungsphasen jedoch nicht dahingehend verstanden werden, dass dadurch ein fiktiver Erwerb von Schwerarbeitszeiten iSv § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV per se ausgeschlossen ist. Weiters führt mE nach der Konsum von Erholungsphasen in Form von Zeitausgleich nach Art V NSchG-Nov 1992 grundsätzlich nicht dazu, dass die Belastung aus der anerkannt schweren Tätigkeit (im vorliegenden Fall nach § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV) aufgehoben wird. Wäre dies der Fall, dürfte ein Erwerb von Schwerarbeitszeiten bei Teilzeitkräften prinzipiell nicht möglich sein, was auch nicht angenommen wird (vgl Milisits, ZAS 2009, 102 [104]; OGH 13.4.2016, 10 ObS 23/16d; OGH 10.5.2016, 10 ObS 30/16h; OLG Wien 29.8.2016, 8 Rs 77/16a; OGH 19.12.2018, 10 ObS 89/18p). Ebenso ist der Rechtsansicht des OGH nicht uneingeschränkt zu folgen, wonach der Gesetzgeber nur die tatsächliche Belastung mit Schwerarbeit durch einen Pensionsantritt vor Erreichen des Regelpensionsalters belohnen wollte. Durch die Implementierung von § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV wird unmissverständlich deutlich, dass bei Erbringung von Schwerarbeit iSv § 1 SchwerarbeitsV und Vorliegen einer Arbeitsunterbrechung, die die Pflichtversicherung in die PV nicht beendet, Schwerarbeitszeiten erworben werden können. ME nach hat sich der Verordnungsgeber bewusst dafür entschieden, Arbeitsunterbrechungen wie bspw den Konsum von Urlaub, der unbestritten einen Erholungszweck verfolgt, dem Erwerb von Schwerarbeitszeiten nicht entgegenzuhalten (vgl zum Erholungszweck Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2 UrlG Rz 6 f; Mayr, Arbeitsrecht § 2 UrlG E7a). Ebenso kommt es mA nach zu keiner ungewollten Doppelberücksichtigung von Nachtdiensten als Schwerarbeit und anderen Ausgleichsmaßnahmen, zumal im vorliegenden Fall nicht der Nachtdienst an sich als Schwerarbeit zu berücksichtigen ist, sondern vielmehr die verrichtete Tätigkeit Schwerarbeit iSv § 1 SchwerarbeitsV darstellen muss. Schwerarbeit auch in Relation von Belastungs- und Erholungsphasen zu setzen, ist nachvollziehbar, jedoch wurde dieser Aspekt vom Verordnungsgeber zur Beurteilung, ob ein Sachverhalt nach § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV vorliegt, nicht näher in Betracht gezogen. Die in § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV festgeschriebene Fiktion widerspricht mE nach auch den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht, wonach nur die tatsächliche Belastung mit Schwerarbeit durch einen Pensionsantritt vor Erreichen des Regelpensionsalters zu belohnen ist.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der OGH in der vorliegenden E zu einer weiteren wesentlichen Frage hinsichtlich fiktiven Erwerbs von Schwerarbeitszeiten Stellung bezogen hat. Die Kernaussage der Entscheidung, wonach ein für Nachtdienste und Feiertagsarbeit verpflichtend gewährter Zeitausgleich nach Art V NSchG-Nov 1992 bei der Ermittlung von Schwerarbeitsmonaten nicht zu berücksichtigen sei, ist mE nach aufgrund der Intention des Gesetzgebers iZm Zeitausgleich nach Art V NSchG-Nov 1992 und des eindeutigen Verordnungstextes samt Materialien der SchwerarbeitsV aber nicht richtig gelöst worden. 303