Kinderbetreuungsgeld und Familienzeitbonus – Ausgewählte Fragen des gemeinsamen Haushalts, der Ausübung einer Erwerbstätigkeit und der Koordinierung von Familienleis tungen*

IRENEFABER (WIEN)
Der Beitrag untersucht Problemlagen im Bereich der Anspruchsvoraussetzungen für das Kinderbetreuungsgeld und den Familienzeitbonus, die in der Praxis besonders häufig die Gerichte beschäftigen. Das ist erstens der gemeinsame Haushalt iSd mehrfach novellierten Legaldefinition, zweitens die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Darüber hinaus wird auf die Ermittlung der Leistungszuständigkeit der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Erbringung von Familienleistungen in grenzüberschreitenden Fällen nach der europäischen Sozialrechtskoordinierung eingegangen. Die Analyse der Rsp zeigt, dass junge Eltern mit einer Reihe von formalistischen und kontraintuitiven Anforderungen konfrontiert sind, die überzeugenden Lösungen häufig entgegenstehen
  1. Einleitung

  2. Überblick über das Kinderbetreuungsgeld und den Familienzeitbonus

    1. Überblick über das Kinderbetreuungsgeld

    2. Überblick über den Familienzeitbonus

  3. Problemfeld gemeinsamer Haushalt

    1. Allgemeines zum gemeinsamen Haushalt

    2. Hauptwohnsitzmeldung

    3. Exkurs: Rechtsfolgen des fehlenden gemeinsamen Haushalts beim Familienzeitbonus

    4. Krankenhausaufenthalt von Elternteil und/oder Kind

    5. Dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft

    6. Weitere Fragestellungen zum gemeinsamen Haushalt

  4. Problemfeld Erwerbstätigkeit

    1. Allgemeines zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit

    2. Qualifikation als Erwerbstätigkeit

    3. Unterbrechung der Erwerbstätigkeit

    4. Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung

    5. Gleichgestellte Situationen

  5. Grenzüberschreitende Sachverhalte/Sozialrechtskoordinierung

    1. Grundsätze der Koordinierung von Familienleistungen

    2. Ermittlung des Beschäftiger-Mitgliedstaats

      1. Ausgangssituation

      2. Definition der Beschäftigung nach der VO 883/2004

      3. Beschäftigungsfiktion des Art 11 Abs 2 VO 883/2004

      4. Reaktion des Gesetzgebers: § 24 Abs 3 KBGG

    3. Familienbetrachtungsweise

  6. Thesen

1.
Einleitung

In den Jahren 2019 und 2020 entfiel mehr als Drittel der Entscheidungen des für Sozialrechtssachen zuständigen 10. Senats des OGH auf Streitigkeiten 18

2.
Überblick über das Kinderbetreuungsgeld und den Familienzeitbonus
2.1.
Überblick über das Kinderbetreuungsgeld

Das KBG wurde für Geburten ab 1.1.2002 eingeführt.* Es löste das bis dahin bestehende Karenzgeld ab, das eine unselbständige Beschäftigung voraussetzte und dessen Höhe vom Erwerbseinkommen abhing.* Das KBG wurde zunächst als pauschale Leistung in einer einzigen Ausgestaltung (Bezugsdauer bis zu 36 Monate), die nicht von der vorhergehenden Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig war, konzipiert. Ab 2008 standen kürzere Pauschalvarianten mit höheren Tagessätzen zur Verfügung,* ab dem Jahr 2010 die Wahl zwischen dem neu geschaffenen einkommensabhängigen KBG und insgesamt vier Pauschalvarianten.* Seit dem Jahr 2017 ist das pauschale KBG als Konto ausgestaltet, bei dem die Höhe des Tagessatzes von der flexibel wählbaren Dauer der Inanspruchnahme abhängt.* Daneben gibt es weiter das einkommensabhängige KBG.*

Es ist ein zweimaliger Bezugswechsel zwischen den Eltern möglich (§ 3 Abs 2, § 5 Abs 2, § 24b Abs 1 KBGG), beim Bezug durch beide Eltern ist zudem ein längerer Bezugszeitraum und die Auszahlung einer insgesamt höheren Summe möglich.*

Zu den Anspruchsvoraussetzungen gehören ua der gemeinsame Haushalt zwischen dem Kind und dem beziehenden Elternteil, die Einhaltung der jeweiligen Zuverdienstgrenze, sowie für das einkommensabhängige KBG die vorangegangene Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§§ 2, 24 Abs 1 KBGG).

2.2.
Überblick über den Familienzeitbonus

Der FamZeitBonus wurde für Geburten ab dem 1.3.2017 eingeführt.* Es handelt sich um eine pauschale Leistung von rund € 700,-10) zugunsten des Vaters oder der Frau, die nach § 144 ABGB Elternteil ist (§ 2 Abs 1, Abs 5 FamZeitbG). Beim FamZeitBonus geht es nicht um den abwechselnden Bezug beider Eltern, sondern darum, dass der zweite Elternteil für die Dauer von 28 bis 31 Tagen seine Erwerbstätigkeit unterbricht, um gemeinsam mit der Mutter und dem kürzlich geborenen Kind zu Hause zu bleiben.

Zu den Anspruchsvoraussetzungen zählen ua der gemeinsame Haushalt aller drei Personen (Mutter, Vater, Kind), eine vorangegangene Erwerbstätigkeit des Vaters und die Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit für die Bezugsdauer (§ 2 FamZeitbG).

Ein korrespondierender arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch wurde für private Dienstverhältnisse* erst für Geburten ab dem 1.9.2019 (errechneter Geburtstermin) geschaffen.12)

Viele Fragen stellen sich beim KBG und beim Fam- ZeitBonus deckungsgleich; in manchen Einzelheiten bestehen Unterschiede, auf die im Folgenden hingewiesen wird.

3.
Problemfeld gemeinsamer Haushalt
3.1.
Allgemeines zum gemeinsamen Haushalt

Nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG (für das einkommensabhängige KBG: iVm § 24 Abs 1 Z 1 KBGG) setzt der Anspruch auf KBG voraus, dass der Elternteil mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt. Erst mit der KBGG-Novelle 2009* wurde der gemeinsame Haushalt legal definiert (§ 2 Abs 6 KBGG); diese Legaldefinition wurde in der Folge zweimal ergänzt.* § 2 Abs 6 KBGG idgF lautet:

„Ein gemeinsamer Haushalt im Sinne dieses Gesetzes liegt nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften (mindestens 91 Tage durchgehend) Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Eine höchstens bis zu 10 Tage verspätet (§ 3 Abs 1 MeldeG) erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse schadet nicht. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als 91-tägiger 19 tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteiles oder des Kindes als aufgelöst. Bei einem 91 Tage übersteigenden Krankenhausaufenthalt des Kindes wird bei persönlicher Pflege und Betreuung des Kindes durch diesen Elternteil im Mindestausmaß von durchschnittlich vier Stunden täglich ausnahmsweise der gemeinsame Haushalt des Kindes mit diesem Elternteil im Sinne dieses Absatzes angenommen. Eine Krisenpflegeperson hat unabhängig davon, dass nie eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Krisenpflegekind vorliegt, Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für dieses Krisenpflegekind, sofern sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.“

Bereits der Umfang der Definition weist auf die große Zahl der mit diesem Tatbestandsmerkmal angesprochenen Fragestellungen hin.

Auch der Bezug des FamZeitBonus setzt einen gemeinsamen Haushalt voraus. Dieser muss nicht nur zwischen dem Vater und dem Kind, sondern zwischen dem Vater, dem Kind und dem anderen Elternteil bestehen (§ 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG), sodass der Bezug des FamZeitBonus bei getrennt lebenden Eltern ausscheidet. Die Legaldefinition in § 2 Abs 3 FamZeitbG entspricht in wesentlichen Elementen – so im Erfordernis der hauptwohnsitzlichen Meldung – jener des KBGG. Unterschiede bestehen insofern, als im FamZeitbG nicht die 91-tägige Dauer der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft festgeschrieben ist und Krisenpflegepersonen nach § 2 Abs 1 FamZeitbG nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen gehören. Zur Regelung des Krankenhausaufenthalts des Kindes siehe unten 3.4.

3.2.
Hauptwohnsitzmeldung

Seit der Einführung der Legaldefinition des gemeinsamen Haushalts* ist die Hauptwohnsitzmeldung des beziehenden Elternteils und des Kindes an derselben Wohnadresse eine Anspruchsvoraussetzung, die kumulativ zur Voraussetzung des tatsächlichen Zusammenwohnens hinzutritt.RIS-Justiz RS0132649; OGH10 ObS 69/14s SSV-NF 28/46. Davor wurde die idente Hauptwohnsitzmeldung von Elternteil und Kind lediglich als Indiz für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts gewertet.*

Der OGH hegte verfassungsrechtliche Bedenken und focht § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG beim VfGH an.* Im Anlassfall stand auf Tatsachenebene fest, dass die Eltern mit dem Kind, für das sie KBG bezogen, stets an derselben Wohnadresse zusammenlebten. Sie hatten nach einer Übersiedlung der gesamten Familie aber offenbar übersehen, das Kind an der alten Wohnadresse ab- und an der neuen Wohnadresse anzumelden. Der VfGH teilte die verfassungsrechtlichen Bedenken des 10. Senats nicht. Nach seiner Entscheidung liegt es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, am Regelfall der mit der tatsächlichen Lebenssituation übereinstimmenden Hauptwohnsitzmeldung anzuknüpfen und darüber hinaus durch das Abstellen auf die Hauptwohnsitzmeldung der Verfahrensökonomie Rechnung zu tragen.*

Im Anlassfall führte dies zur Rückforderung des KBG für jenen Teil des Bezugszeitraums, in dem keine übereinstimmende Hauptwohnsitzmeldung von Elternteil und Kind vorlag.*

Der Gesetzgeber reagierte auf das Offenbarwerden der Problemlage mit der Einführung einer Nachfrist für die Hauptwohnsitzmeldung des Kindes: Demnach schadet eine höchstens bis zu 10 Tagen verspätet erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an der gemeinsamen Wohnadresse nicht (§ 2 Abs 6 Satz 2 KBGG; vgl § 2 Abs 3 FamZeitbG).*

3.3.
Exkurs: Rechtsfolgen des fehlenden gemeinsamen Haushalts beim Familienzeitbonus

Während der Anspruch auf KBG beim vorübergehenden Fehlen von Anspruchsvoraussetzungen nur für den Zeitraum des Nichtvorliegens der jeweiligen Voraussetzung verloren geht, birgt das Fehlen von Anspruchsvoraussetzungen auch nur an einzelnen Tagen beim FamZeitBonus die Gefahr in sich, den Anspruch auf den gesamten Bonus zu verlieren.

Die Rsp leitete diese Rechtsfolge im Wesentlichen aus der Regelung der Antragstellung sowie den Gesetzesmaterialien ab. Nach § 2 Abs 4 FamZeitbG versteht man unter Familienzeit einen Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen; der Vater hat nach § 3 Abs 3 Satz 3 FamZeitbG bei der Antragstellung die Anspruchsdauer verbindlich festzulegen. Diese kann ausschließlich 28, 29, 30 oder 31 Kalendertage betragen und kann später nicht geändert werden (§ 3 Abs 3 letzter Halbsatz FamZeitbG).

Nach den Materialien besteht „kein anteiliger (tageweiser) Anspruch“ auf den Bonus; würden nicht an jedem einzelnen der gewählten 28, 29, 30 oder 31 Tage alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, gebühre gar kein Bonus.* Davon ausgehend gelangte der 10. Senat zur Auffassung, dass kein Anspruch auf den FamZeitBonus besteht, wenn die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG nicht für den gesamten, vom Vater gewählten Anspruchszeitraum erfüllt ist, und zwar auch dann nicht, wenn ein gemeinsamer Haushalt in einer den Mindestzeitraum des § 3 Abs 2 FamZeitbG erreichenden oder überschreitenden Dauer von zumindest 28 Tagen vorliegt.*

Bei Reflexion der Gesetzeslage und der bisherigen Rsp erscheint es aber hinterfragenswert, ob 20 aus den gesetzlichen Vorgaben über die Antragstellung – also einer Verfahrensbestimmung – tatsächlich der Schluss zu ziehen ist, dass der Anspruch auf FamZeitBonus materiell nicht auch für einen kürzeren als den gewählten Zeitraum zu Recht bestehen kann. Die Materialien lehnen eine anteilige Zuerkennung zwar ab, dürfen aber den Blick auf das Gesetz selbst nicht verstellen.* Der Gesetzeswortlaut des FamZeitbG schließt eine Aliquotierung dergestalt, dass der Anspruch nur für einen kürzeren als den beantragten Zeitraum zu Recht besteht, nicht aus. Die Festlegung eines verbindlichen Antragszeitraums betrifft allein die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, nicht hingegen die Frage der Anspruchsberechtigung. Die kategorische Ablehnung einer anteiligen Auszahlung wird auch dem Zweck der Einführung des FamZeitBonus – junge Väter durch die Schaffung einer finanziellen Unterstützung dazu zu motivieren, sich nach der Geburt eines Kindes intensiv der Familie zu widmen* – nicht gerecht. Denn sie führt dazu, dass Väter, die sehr wohl bereit sind, sich um ihre Familie zu kümmern und dafür eine Einkommenseinbuße in Form der Differenz zwischen ihrem Arbeitseinkommen und dem Fam-ZeitBonus in Kauf zu nehmen, sogar dann den Verlust des gesamten Bonus hinnehmen müssen, wenn das Fehlen von Anspruchsvoraussetzungen an einzelnen Tagen außerhalb des Vorhersehbaren und außerhalb ihrer Ingerenz liegt (siehe dazu 3.4.). Der Zweck des FamZeitBonus spricht hingegen klar dafür, in derartigen Fällen eine anteilige Auszahlung (ohne Bindung an die Mindestbezugsdauer von 28 Tagen) zuzulassen.

3.4.
Krankenhausaufenthalt von Elternteil und/oder Kind

In der Praxis scheitern Ansprüche auf den Fam-ZeitBonus häufig daran, dass der Vater die Familienzeit ab dem Tag der Geburt beantragt, Mutter und Kind aber erst einige Tage später aus dem Geburtskrankenhaus nach Hause kommen. Das gleiche Problem stellt sich, wenn Mutter und Kind einen Tag später als erwartet – und dem Antrag zugrunde gelegt – aus dem Geburtskrankenhaus entlassen werden.

Der OGH sprach zum Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts nach dem FamZeitbG (in der Stammfassung, also vor Einführung des § 2 Abs 3a FamZeitbG) und zum Vorliegen von Familienzeit iSd § 2 Abs 4 FamZeitbG erstmals zu 10 ObS 109/18d* aus, dass während des Krankenhausaufenthalts von Mutter und Kind nach der Geburt kein gemeinsamer Haushalt iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG bestehe; diese Beurteilung wurde mehrfach bestätigt.* Begründet wurde dies damit, dass während des Krankenhausaufenthalts die Pflege und Betreuung des Kindes durch Leistungen der Krankenanstalt abgedeckt würden* und klassische Haushaltsleistungen, bei denen der Vater seine Partnerin nach der Geburt unterstützen solle, nicht anfielen.* Aus dem letztgenannten Grund wurde der gemeinsame Haushalt auch in Fällen verneint, in denen sich der Vater mit Mutter und Kind in einem sogenannten Familienzimmer des Geburtskrankenhauses aufhielt.*

Mit der Novelle BGBl I 2019/24, die rückwirkend mit 1.1.2019 in Kraft trat und auf Geburten nach dem 31.12.2018 anzuwenden ist,* wurde eine Regelung für Krankenhausaufenthalte des Kindes eingeführt (§ 2 Abs 3a FamZeitbG).* Die Bestimmung lautet:

„Bei einem medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt des Kindes wird bei persönlicher Pflege und Betreuung des Kindes durch den Vater und den anderen Elternteil im Mindestausmaß von jeweils durchschnittlich vier Stunden täglich ausnahmsweise der gemeinsame Haushalt im Sinne des Abs 3 angenommen. Ein solcher Krankenhausaufenthalt des Kindes steht dem Vorliegen einer Familienzeit nach Abs 4 nicht entgegen.“

Damit ist aber das oben beschriebene Dilemma der Väter, die den FamZeitBonus ab der Geburt des Kindes beantragen, nicht gelöst. § 2 Abs 3a FamZeitbG verlangt einen medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt des Kindes. Die Materialien nennen als Beispiel eine schwere Erkrankung des Kindes oder eine Frühgeburt. Der übliche Krankenhausaufenthalt des gesund geborenen Kindes in den ersten Lebenstagen ist hingegen nicht als Beispiel für einen medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt angeführt.*

Diese Stellungnahme könnte dahin verstanden werden (und wird im Prozessvorbringen der Krankenversicherungsträger auch so gedeutet), dass der Gesetzgeber einen Krankenhausaufenthalt des Kindes in den ersten Lebenstagen nur dann als medizinisch indiziert ansieht, wenn besondere Umstände hinzutreten.

Diese Auslegung ist aber nicht zwingend. Geht man vielmehr vom offenkundigen Zweck der Neuregelung aus, so zeigt sich, dass die Schaffung einer Ausnahmeregelung für Krankenhausaufenthalte des Kindes einen Anspruchsverlust deshalb, weil sich das Kind in Anstaltspflege befindet, verhindern soll. Vor diesem Hintergrund sind die in den Materialien genannten Beispielsfälle (Frühgeburt, schwere Erkrankung) nicht notwendigerweise als abschließend zu verstehen. Zu bedenken ist zudem, dass auf einer Geburtenstation eine laufende medizinische Überwachung des Gedeihens der Neugeborenen stattfindet. 21 Überspitzt könnte gefragt werden, ob die Krankenversicherungsträger davon ausgehen, dass beim Krankenhausaufenthalt des gesund geborenen Kindes in den ersten Lebenstagen ein reiner Wellness- Aufenthalt vorliegt und dies bloß den beteiligten Eltern nicht bewusst ist. Eine solche Sichtweise überzeugt nicht. Bei lebensnaher Betrachtung ist eine allzu restriktive Auslegung der medizinischen Indikation vielmehr abzulehnen. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der medizinischen Indikation durch die Rsp steht noch aus.*

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass das gesetzgeberische Ziel, das hinter dem FamZeitBonus steht – der Vater möge sich während des „Papamonats“ auch wirklich um das Kind kümmern –, dadurch abgesichert werden soll, dass Hilfstatsachen in den Stand von Anspruchsvoraussetzungen gehoben werden:*

Das Zusammenleben muss durch die gemeinsame Hauptwohnsitzmeldung abgesichert werden; weder Vater, noch Mutter, noch Kind dürfen während der Familienzeit des Vaters vom gemeinsamen Wohnsitz abwesend sein, die einzige akzeptierte Abwesenheit ist der medizinisch indizierte Krankenhausaufenthalt des Kindes, auch dieser aber nur, wenn die Eltern das Kind im ausreichenden Maß selbst pflegen.

Die bisher an den OGH herangetragenen Fälle zeigen aber zusätzliche Fallgestaltungen auf, die wertungsmäßig nicht nahelegen, dass der Fam- ZeitBonus verloren gehen sollte. Dennoch ist die Anspruchsberechtigung, wie im Folgenden aufgezeigt, jeweils problematisch:

In einem Fall, in dem die Mutter nach der Heimkehr aus dem Geburtskrankenhaus neuerlich stationär aufgenommen werden musste, sodass der Vater sich alleine um das Baby kümmern musste, bestritt der Krankenversicherungsträger den Anspruch auf FamZeitBonus bis in die dritte Instanz mit der Begründung, während der Anstaltspflege der Mutter habe es am gemeinsamen Haushalt gefehlt. Der OGH sprach den Bonus zu.* Hingegen wurde der Anspruch auf FamZeitBonus wegen des Fehlens eines gemeinsamen Haushalts in einem Fall verneint, in dem der Krankenhausaufenthalt durch eine Erkrankung der Mutter medizinisch indiziert war und das Kind mit ihr ins Krankenhaus aufgenommen wurde, weil es gestillt wurde.* Ebenso wurde der Anspruch auf FamZeitBonus in einem Fall abgelehnt, in dem das Kind zwar wegen einer eigenen Erkrankung stationär im Krankenhaus aufgenommen wurde, dort aber nicht vom Vater gepflegt werden konnte, weil dieser selbst (an einer Lungenentzündung) erkrankt war.* In der Literatur wird auf weitere problematische Konstellationen hingewiesen, etwa, dass das ins Krankenhaus aufgenommene Kind dort nicht von den Eltern gepflegt werden kann, weil der Gesundheitszustand des Kindes das nicht erlaubt.*

Ob sachgerechte Lösungen für die vielfältigen in der Praxis auftretenden Konstellationen wirklich über eine immer detailliertere gesetzliche Definition des gemeinsamen Haushalts gefunden werden können, ist eine rechtspolitische Frage, die hier aufgeworfen werden soll.

In der Rsp gilt es, die Teleologie der Leistung des FamZeitBonus bei der Auslegung nicht aus den Augen zu verlieren

Für die Rechtsberatung ist darauf hinzuweisen, dass § 3 Abs 3 FamZeitBG eine Antragstellung binnen 91 Tagen nach der Geburt gestattet und eine Auszahlung im Nachhinein möglich ist.* Um das Risiko eines Anspruchsverlusts zu vermeiden, ist daher zu empfehlen, mit der Anstragstellung jedenfalls solange zuzuwarten, bis Mutter und Kind aus dem Geburtskrankenhaus entlassen wurden.

3.5.
Dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft

Im Zusammenhang mit dem Erfordernis des gemeinsamen Haushalts soll schließlich eine Fallgruppe angesprochen werden, die man nicht unbedingt unter dieser Überschrift erwarten würde. Es geht um die Frage, ob Krisenpflegeeltern KBG beziehen können.

Nach der Stammfassung des KBGG gehörten die Pflegeeltern zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen (§ 2 Abs 1 KBGG). In der Praxis wurde von den Krankenversicherungsträgern in Frage gestellt, ob damit auch Krisenpflegepersonen angesprochen waren, also Personen, die das Kind für einen Überbrückungszeitraum pflegen, bevor das Kind in die Herkunftsfamilie zurückkehren kann oder in einer Dauerpflegefamilie untergebracht wird. In Frage gestellt wurde auch, ob bei Krisenpflege eine „dauerhafte“ Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliegen kann, wie das KBGG sie verlangt.

Der OGH bejahte beides und erkannte Krisenpflegeeltern KBG zu, und zwar bei einer zeitlich nicht absehbaren Dauer der Krisenpflege bereits ab deren ersten Tag.* Der Gesetzgeber reagierte mit einer ausdrücklichen Regelung:* Krisenpflegepersonen sind nun als anspruchsberechtigte Personen angeführt (§ 2 Abs 1 KBGG; vgl die Legaldefinition in § 2a KBGG). Gleichzeitig wurde in § 2 Abs 6 KBGG ein fünfter Satz angefügt, nach dem der Anspruch einer Krisenpflegeperson auf 22 KBG die tatsächliche Betreuung im Haushalt der Krisenpflegeperson in der Dauer von mindestens 91 Tagen voraussetzt.*

3.6.
Weitere Fragestellungen zum gemeinsamen Haushalt

Neben den hier behandelten Probleme gäbe es im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Haushalt noch weitere Fragen zu erörtern, etwa der hauptwohnsitzlichen Meldung bei Wohnsitz im EUAusland,* der notwendigen Dauer des gemeinsamen Haushalts mit dem Kind bei einem Wechsel des Bezugs von KBG zwischen getrennt lebenden Eltern* oder der notwendigen Dauer des gemeinsamen Haushalts für den Anspruch auf FamZeit-Bonus.* Auf diese Aspekte kann im Rahmen des vorliegenden Beitrags nur hingewiesen werden.

4.
Problemfeld Erwerbstätigkeit
4.1.
Allgemeines zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit

Während das pauschale KBG unabhängig davon gebührt, ob der Elternteil vor der Geburt des Kindes berufstätig war oder nicht, müssen Eltern, die KBG als Ersatz des Erwerbseinkommens (einkommensabhängiges KBG) beziehen wollen, zuvor 182 Tage eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben. Auch der Anspruch auf FamZeitBonus besteht nur, wenn der Vater vor Bezugsbeginn 182 Tage lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.

Konkret verlangt § 24 Abs 1 Z 2 KBGG dass „dieser Elternteil in den letzten 182 Kalendertagen unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig iSd Abs 2 war sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken“. Unter Erwerbstätigkeit iSd des KBGG ist nach § 24 Abs 2 Satz 1 KBGG„die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken- und pensionsversicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit“ zu verstehen. Nach Satz 2 sind Zeiten eines Beschäftigungsverbots nach dem MSchG oder einer Karenz nach dem MSchG oder VKG oder jeweils gleichartigen anderen Rechtsvorschriften bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt, sofern davor eine mindestens 182-tägige Ausübung einer Erwerbstätigkeit liegt.

Die Regelung des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG entspricht im Wesentlichen § 24 Abs 1 Z 2 KBGG, mit dem Unterschied, dass für den Beobachtungszeitraum nicht auf die Zeitspanne vor der Geburt des Kindes (bzw des Beginns des Beschäftigungsverbots nach dem MSchG) abgestellt wird, sondern auf den Bezugsbeginn.* § 2 Abs 7 FamZeitbG ordnet die Gleichstellung einer Karenz nach dem VKG, ebenfalls bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes, an.

Im Folgenden wird erörtert, wie die Erwerbstätigkeit im 182-tägigen Beobachtungszeitraum ausgestaltet sein muss (4.2.), ob kurze Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum schaden, also zum Verlust des Anspruchs auf einkommensabhängiges KBG oder den FamZeitBonus führen (4.3.), wie sich der Bezug von Leistungen aus der AlV im Beobachtungszeitraum auswirkt (4.4.) und welche Situationen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt sind (4.5.). Im Zusammenhang mit der europäischen Sozialrechtskoordinierung wird schließlich nochmals auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum zurückzukommen sein.

4.2.
Qualifikation als Erwerbstätigkeit

Die Qualifikation einer Situation als tatsächliche Ausübung einer in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit verdient eine nähere Betrachtung.

Die Qualifikation ist für Zeiten des Erholungsurlaubs eines DN sowie für Zeiten der Krankheit zu bejahen, sofern die Sozialversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt, wie es etwa bei arbeitsrechtlicher Entgeltfortzahlung der Fall ist.* In der Rsp wurden auch die Inanspruchnahme von Sonderurlaub bei aufrechtem Dienstverhältnis* und die Freistellungsphase eines „Sabbatical“* als tatsächliche Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gewertet. M. Stadler nennt als weiteren Fall Dienstfreistellungen wegen Zuordnung zu einer COVID-19-Risikogruppe.*

ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 16; vgl RIS-Justiz RS0129310 (T1).

Verneint wurde die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit hingegen für Zeiten des Bezugs von Krankengeld nach Ablauf der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung,* Zeiten des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung* oder eine Kündigungsentschädigung* nach der Beendigung des Dienstverhältnisses* sowie – aufgrund der 23 bloß bestehenden Teilversicherung – für Zeiten des Präsenzdienstes oder von Milizübungen.*

4.3.
Unterbrechung der Erwerbstätigkeit

Wie ausgeführt, wirken sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Tagen der im Beobachtungszeitraum ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht schädlich auf den Anspruch auf einkommensabhängiges KBG oder den FamZeitBonus aus (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG; § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitBG). Auch die Frage, wann eine derartige anspruchsunschädliche Unterbrechung vorliegt, verdient Aufmerksamkeit.

Als Beispiel dient eine AN, die schon jahrelang im Erwerbsleben steht. Sie ist schwanger, der Beobachtungszeitraum umfasst die 182 Tage vor Beginn des Beschäftigungsverbots. Bezieht sie innerhalb dieses Zeitraums für einen 14 Tage nicht übersteigenden Zeitraum Krankengeld gem § 138 ASVG, stellt sich die Frage, ob es darauf ankommen kann, ob der Krankengeldbezug am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Beobachtungszeitraums liegt. Die Rsp differenzierte ursprünglich je nach der zeitlichen Lage. Bei einem Krankengeldbezug am Beginn des Beobachtungszeitraums wurde eine unschädliche Unterbrechung der Erwerbstätigkeit mit der Begründung verneint, es könne nur etwas unterbrochen werden, was [ergänze: im Beobachtungszeitraum] bereits angefangen habe; es liege keine „Unterbrechung“ vor.* Hingegen könne das Nichtbestehen einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit am Ende des Beobachtungszeitraums eine anspruchsunschädliche Unterbrechung darstellen.*

Diese Differenzierung wurde jedoch in der Folge ausdrücklich als nicht sachgerecht erachtet.* In Fällen wie dem oben angeführten Beispiel, in denen der Elternteil seine Erwerbstätigkeit bereits vor Beginn des Beobachtungszeitraums tatsächlich ausgeübt hat und sie vor dem (oder am) ersten Tag des Beobachtungszeitraums unterbrechen musste, liegt daher nach neuerer Rsp eine Unterbrechung iSd Gesetzes vor, die bei einer 14 Tage nicht übersteigenden Dauer dem Anspruch auf einkommensabhängiges KBG oder FamZeitBonus nicht entgegensteht.

4.4.
Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung

Der Anspruch auf einkommensabhängiges KBG und FamZeitBonus setzt voraus, dass der Elternteil während des Beobachtungszeitraums „keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat“ (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG; § 2 Abs 5 FamZeitBG). Für den Bezug von Leistungen aus der AlV besteht kein 14-tägiger Toleranzzeitraum,* bereits ein sehr kurzer Bezug schadet.

Eine anspruchsschädliche Leistung aus der AlV ist neben dem Arbeitslosengeld* etwa auch das Weiterbildungsgeld nach § 26 AlVG.*

Entgegen dem zu weiten Gesetzeswortlaut erweist sich aber nicht jede Leistung aus der AlV als anspruchsschädlich.*Arbeitsmarktpolitische Leis tungen, die keine Leistungen an Arbeitslose bei Arbeitslosigkeit sind, erfüllen das negative Tatbestandsmerkmal „Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung“ nicht. Dies gilt etwa für das Bildungsteilzeitgeld gem § 26a AlVG: Dabei handelt es sich um eine Leistung, die zwar aus der AlV, aber neben einer Teilzeitbeschäftigung, deren Entgelt über der Geringfügigkeitsgrenze liegen muss, bezogen wird.* Der Leistungsbezug steht daher dem Anspruch auf einkommensabhängiges KBG oder FamZeitBonus nicht entgegen. Auch der Bezug einer Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts nach § 25 Abs 1 AMSG und einer weiteren Beihilfe in Form von pauschalierten Kursnebenkosten wurden nicht als anspruchsschädlich beurteilt.*

4.5.
Gleichgestellte Situationen

Wie ausgeführt, gelten nach § 24 Abs 1 Z 2 Satz 2 KBGG Zeiten eines Beschäftigungsverbots* nach dem MSchG oder einer Karenz nach dem MSchG oder VKG oder jeweils gleichartigen anderen Rechtsvorschriften bis zum Ende des zweiten Lebensjahres des Kindes als der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Eine entsprechende Gleichstellungsregel enthält § 2 Abs 7 FamZeitBG für Karenzen nach dem VKG.

Die Gleichstellung setzt voraus, dass davor 182 Tage lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde. Bei selbständig Erwerbstätigen sind mutterschutz- bzw karenzähnliche Situationen (aufgrund gleichartiger anderer Rechtsvorschriften) erfasst.*

Bei mehreren Kindern können sich sogenannte Gleichstellungsketten ergeben.* Das ist bei der Aneinanderreihung von Zeiten der Erwerbstätigkeit, des Beschäftigungsverbots und einer Karenz nach dem ersten Kind, sowie einem anschließenden Beschäftigungsverbot und der Karenz nach dem zweiten Kind der Fall.

Hingegen ist die Gleichstellungskette beispielsweise dann unterbrochen, wenn eine DN ihre (erste) Karenz über den zweiten Geburtstag des Kindes hinaus verlängert, etwa, weil sie bereits mit dem zweiten Kind schwanger ist und weder sie selbst noch ihr DG wollen, dass sie für eine kurze Zeit 24 vor Beginn des nächsten Beschäftigungsverbots ihren Dienst wieder antritt.

Ist die Gleichstellungskette lückenlos, kann etwa auch nach dem zweiten Kind einkommensabhängiges KBG* oder der FamZeitBonus bezogen werden.

Besondere praktische Bedeutung kommt dem Vorliegen von Gleichstellungsketten bei der Beurteilung der österreichischen Leistungszuständigkeit nach dem koordinierenden europäischen Sozialrecht zu. Darauf wird im letzten Teil des Beitrags (5.) eingegangen.

5.
Grenzüberschreitende Sachverhalte/Sozialrechtskoordinierung
5.1.
Grundsätze der Koordinierung von Familienleistungen*

Bei der Sozialrechtskoordinierung geht es bekanntlich um die Frage, welcher Mitgliedstaat der EU bei grenzüberschreitenden Sachverhalten dafür zuständig ist, Leistungen zu erbringen.* Beantragt also ein Elternteil beim österreichischen Krankenversicherunsträger KBG und liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, ist zu prüfen, ob Österreich für die Erbringung der beantragten Leistung zuständig ist. Die Prüfung erfolgt nach der VO 883/2004 (KoordinierungsVO)* sowie der dazu ergangenen DurchführungsVO 987/2009.*

Beim (pauschalen ebenso wie dem einkommensabhängigen)* KBG handelt es sich um eine Familienleistung iSv Art 1 lit z VO 883/2004.* Einschlägig sind daher – neben der allgemeinen Regelung des Art 11 – die Koordinierungsregeln für Familienleistungen in Art 67 ff VO 883/2004.

Art 67 VO 883/2004 normiert eine Exportpflicht. Dh, auch Eltern mit Wohnsitz außerhalb Österreichs können österreichisches KBG beziehen. Gleichermaßen kann für in Österreich lebende Eltern ein anderer Mitgliedstaat zur Erbringung von Familienleistungen primär zuständig sein. Zuständig für die Erbringung und damit auch den Export von Familienleistungen ist der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften gem Art 11 ff der VO 883/2004 anwendbar sind. Das ist in erster Linie der Staat, in dem eine Beschäftigung ausgeübt wird (Art 11 Abs 3 lit a VO 883/2004; Beschäftiger-Mitgliedstaat). Weitere Anknüpfungspunkte sind die Rentengewährung (Art 67 Satz 2 VO 883/2004) oder der Wohnsitz (Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004).* Bei Familienleistungen wie dem KBG können sich mehrere leistungszuständige Mitgliedstaaten ergeben, was daraus resultiert, dass ein Kind idR zwei Elternteile hat. Für den Fall, dass für denselben Zeitraum und denselben Familienangehörigen Familienleistungen nach dem Recht mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind, sieht Art 68 Abs 1 VO 883/2004 Prioritätsregeln vor. Diese bewirken – vereinfacht ausgedrückt – dass der primär zuständige Mitgliedstaat die nach seinem Recht zustehenden Familienleistungen zu erbringen hat und die Pflicht des sekundär zuständigen Mitgliedstaates zur Erbringung seiner gleichartigen* Leistungen ausgesetzt ist. Der sekundär zuständige Mitgliedstaat muss allerdings dann ebenfalls Leistungen erbringen, wenn seine gleichartigen Familienleistungen höher sind. In diesem Fall hat er den Unterschiedsbetrag aufzuzahlen (vgl Art 68 Abs 2 VO 883/2004).*

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie der Beschäftiger-Mitgliedstaat zu ermitteln ist.

5.2.
Ermittlung des Beschäftiger-Mitgliedstaats
5.2.1.
Ausgangssituation

Stellen wir uns dazu folgende Frage: Ist eine Person, die in einem Nachbarstaat Österreichs wohnt und jahrelang als Tagespendlerin in Österreich gearbeitet hat, sich jetzt in Karenz nach dem MSchG befindet, eine Person, die in Österreich – iSd VO 883/2004 – eine Beschäftigung ausübt?

Die Frage kann erweitert werden: Ist diese Person auch dann, wenn sie noch während der Karenz nach dem ersten Kind wieder schwanger wurde, sodass noch während der ersten Karenz neuerlich ein Beschäftigungsverbot eintritt, auch während ihrer Karenz nach dem zweiten Kind noch eine Person, die in Österreich iSd VO 883/2004 eine Beschäftigung ausübt?

Die VO 883/2004 enthält sowohl eine Definition der Beschäftigung (Art 1 lit a bzw lit b für die selbständige Erwerbstätigkeit) als auch eine eigene Gleichstellungsregel bzw Beschäftigungsfiktion, also eine Regelung, welche Situationen so zu behandeln sind, als läge eine Beschäftigung vor (Art 11 Abs 2 VO 883/2004). Beide Bestimmungen müssen beachtet werden.

5.2.2.
Definition der Beschäftigung nach der VO 883/2004

Die Definition des Art 1 lit a VO 883/2004 verweist auf das nationale Recht. Beschäftigung iSd VO ist 25 demnach jede Tätigkeit und gleichgestellte Situation, die (vereinfacht ausgedrückt) im Sozialrecht des Mitgliedstaates als Beschäftigung gilt. Damit verweist die VO 883/2004 für das KBG auf den bereits erörterten Beschäftigungsbegriff des § 24 KBGG.

Die Frage, ob die im Ausgangsbeispiel genannte, in Karenz befindliche Grenzpendlerin iSd VO 883/2004 in Österreich eine Beschäftigung ausübt, ist daher nach § 24 Abs 2 KBGG zu prüfen.*

Wir erinnern uns, dass nach § 24 Abs 2 KBGG die Zeiten des Beschäftigungsverbots und der Karenz nach dem MSchG als Beschäftigung gelten, wenn davor 182 Tage lang eine Beschäftigung ausgeübt wurde. Diese Voraussetzung ist im oben skizzierten Beispiel erfüllt. Auch im Beispiel einer anschließenden zweiten Karenz liegt eine geschlossene Gleichstellungskette vor. In beiden Varianten ist die in Karenz befindliche Mutter daher als Person zu qualifizieren, die in Österreich eine Beschäftigung ausübt. Sie kann daher Ansprüche nach dem österreichischen KBGG gegen den österreichischen Krankenversicherungsträger geltend machen. Zwei wesentliche Verständnispunkte seien hervorgehoben:*

Erstens ist für die Prüfung, ob Österreich in einem grenzüberschreitenden Fall leistungszuständig ist, aufgrund des Verweises in Art 1 lit a VO 883/2004 auch dann das Vorliegen einer Beschäftigung iSd § 24 KBGG zu prüfen, wenn der Elternteil pauschales KBG beantragt.

Zweitens umfasst der Verweis des Art 1 lit a der VO auch Situationen, die nach § 24 Abs 2 KBGG der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt sind.

5.2.3.
Beschäftigungsfiktion des Art 11 Abs 2 VO 883/2004

Neben der Definition der Beschäftigung ist die Beschäftigungsfiktion des Art 11 Abs 2 VO 883/2004 zu beachten. Demnach wird die Ausübung einer Beschäftigung fingiert, wenn eine Person „aufgrund oder infolge einer Beschäftigung eine Geldleistung bezieht“.*

Nach dieser Bestimmung sind auch manche Situationen einer Beschäftigung gleichzuhalten, die nach § 24 Abs 2 KBGG nicht als Ausübung einer Erwerbstätigkeit gelten. Dazu zählen der Bezug von Krankengeld ohne parallele Entgeltfortzahlung* oder Zeiten des Bezugs von Weiterbildungsgeld während einer Bildungskarenz.* Ebenfalls gleichgehalten wurde – unter bestimmten Voraussetzungen – die Inanspruchnahme einer Karenz über den zweiten Geburtstag des Kindes hinaus.*

Klarzustellen ist, dass die Beurteilung nach der VO 883/2004 ausschließlich für die Ermittlung des leistungszuständigen Mitgliedstaates Bedeutung hat; die Anspruchsvoraussetzungen für einkommensabhängiges KBG sind davon nicht berührt. MaW kann sich beispielsweise ergeben, dass Österreich Beschäftiger-Mitgliedstaat und damit für die Leistung von KBG zuständig ist, weil Zeiten des Krankengeldbezugs nach Art 11 Abs 2 der VO als Beschäftigung zu werten sind. Dauert der Krankengeldbezug innerhalb des 182-tägigen Beobachtungszeitraums aber mehr als 14 Tage, kann der betroffene Elternteil in Österreich nur pauschales, nicht aber einkommensabhängiges KBG beziehen.

5.2.4.
Reaktion des Gesetzgebers: § 24 Abs 3 KBGG

Der Gesetzgeber reagierte auf die Rsp durch die Einführung des § 24 Abs 3 KBGG.85) Nach dieser Bestimmung soll eine der Beschäftigung gleichgestellte Situation iSd VO 883/2004 nur bei „Erfüllung des nationalen Gleichstellungserfordernisses“, also der Regelung des § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG, vorliegen. Der OGH hat dazu aber bereits klargestellt, dass der nationale Gesetzgeber den von der VO vorgegebenen Beschäftigungsbegriff des Art 11 Abs 2 VO nicht einschränken kann.*

5.3.
Familienbetrachtungsweise

Wesentlich für die Koordinierungen von Familienleistungen ist schließlich die Familienbetrachtungsweise.* Nach Art 60 der DurchführungsVO 987/2009 ist bei der Koordinierung von Familienleistungen „die Situation der Familie in der Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen“.

Dazu sei schlaglichtartig die E des EuGH in der Rs Moser* in Erinnerung gerufen: Arbeitet ein Elternteil in Österreich, einer in Deutschland und lebt die Familie in Deutschland, so ist nach den Prioritätsregeln des Art 68 Abs 2 VO 883/2004 Deutschland primär und Österreich sekundär für die Erbringung von Familienleistungen zuständig. Österreich hat also die Differenz zu leisten, soweit das KBG die gleichartige deutsche Leistung übersteigt. Aufgrund der Familienbetrachtungsweise hat Österreich auch für den in Deutschland berufstätigen Vater den Unterschiedsbetrag zum österreichischen einkommensabhängigen KBG zu leisten.

Die zahlreichen Verästelungen, die die Koordinierung von Familienleistungen aufweist, können im 26 vorliegenden Rahmen allerdings nicht umfassend behandelt werden.*

6.
Thesen

Das KBG hat sich zu einer zunehmend ausdifferenzierten Leistung entwickelt, die Wahlmöglichkeiten zwischen dem einkommensabhängigen und dem pauschalen KBG mit unterschiedlichen Zuverdienstgrenzen und flexibler Bezugsdauer bietet. Dadurch soll die für die jeweilige Lebenssituation am besten passende Variante gewählt werden können.

Zusätzlich wurden in der Ausgestaltung des KBG und durch die Einführung des FamZeitBonus Anreize für eine Einbeziehung beider Eltern geschaffen.

Allerdings bestehen zahlreiche Problemfelder. Das liegt an der großen Bandbreite an tatsächlichen Sachverhaltskonstellationen, aber auch daran, dass die häufigen Novellierungen immer wieder neue Fragen aufwerfen.

Zum Teil führt eine formalistische und kontraintuitive Ausgestaltung von Anspruchsvoraussetzungen zu Ergebnissen, die nicht treffsicher und für den antragstellenden Elternteil nur schwer vorhersehbar sind.

  1. So dient das Abstellen auf die Hauptwohnsitzmeldung dem Zweck des vereinfachten Nachweises eines gemeinsamen Wohnsitzes. Bezogen auf den Zweck des KBGG, Eltern zu unterstützen, die mit ihrem Kind im gemeinsamen Haushalt leben, handelt es sich dabei um einen Hilfszweck. Das führt zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn das tatsächliche Zusammenleben im Verfahren auf Tatsachenebene feststeht. Derartige Ergebnisse könnten vermieden werden, wenn das Fehlen der Hauptwohnsitzmeldung lediglich die Vermutung des Fehlens eines gemeinsamen Haushalts an der Meldeadresse nach sich zöge.

  2. Besondere Brisanz kommt der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den FamZeit-Bonus zu, da bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen an einzelnen Tagen die gewählgewählte Anspruchsdauer unterschritten wird und der Leistungsanspruch nach der bisherigen Rsp entsprechend den Gesetzesmaterialien zur Gänze verloren geht. Diese Rsp ist hinterfragenswert. Für Väter ist es ratsam, den Antrag auf FamZeitBonus erst dann zu stellen, wenn der gemeinsame Haushalt mit dem Vater (in der Regel durch die Entlassung von Mutter und Kind aus dem Geburtskrankenhaus) zweifelsfrei begründet wurde.

  3. Die Neuregelung, wonach bei Pflege des Kindes im Krankenhaus durch die Eltern dennoch ein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind vorliegt, beseitigt die Problematik nicht, weil erst durch die Rsp geklärt werden muss, ob der Krankenhausaufenthalt des gesund geborenen Kindes als medizinisch indiziert zu werten ist. Auch für Erkrankungen eines Elternteils müssen wertungskonsistente Auslegungsergebnisse gefunden werden.

  4. Das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit und der Bezug von Leistungen aus der AlV (bei einkommensabhängigem KBG und FamZeitBonus) müssen bei Sonderurlaub, Sabbatical oder sonstigen Freistellungen und bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen entsprechend der konkreten Ausgestaltung geprüft werden.

  5. Für den Antrag auf FamZeitBonus empfiehlt es sich, das Vorliegen einer Beschäftigung und den Bezug von Leistungen aus der AlV während des Beobachtungszeitraums genau zu prüfen und den Beginn der Familienzeit möglichst so zu wählen, dass keine Zeiten des Bezugs von Leistungen aus der AlV oder des Fehlens einer Erwerbstätigkeit in den Beobachtungszeitraum fallen.

  6. Bei der Anknüpfung an den Beschäftigungsbegriff des KBGG im Rahmen der Koordinierung der Familienleistungen bei Sachverhalten mit EU-Auslandsbezug ist zu beachten, dass der unionsrechtliche Beschäftigungsbegriff in seinem Kernbereich durch den nationalen Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden kann.

Die Komplexität der Regelungen lässt erwarten, dass der OGH auch weiterhin häufig mit der Klärung strittiger Fragen des KBG und des FamZeitBonus befasst sein wird.27