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Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung während des Krankenstands

MICHAELHAIDER (WIEN)
  1. Für eine teleologische Reduktion des § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153 dahin, dass nur bestimmte Arten der einvernehmlichen Auflösung (vom AG ausgehende oder im Interesse beider Vertragsparteien liegende) während einer Arbeitsverhinderung den Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen, besteht keine Grundlage.

  2. Damit wurden eindeutig auch Konstellationen unter den Schutz der Entgeltfortzahlungsbestimmungen gestellt, die vom bisherigen Normzweck nicht erfasst waren. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Novelle bloß „die bisherige Entwicklung in der Rechtsprechung nachzubilden“ versucht hätte, „dabei jedoch über die Grenzen legistisch hinausschoss“ (Stella, ecolex 2018, 8 [10]), bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte.

  3. Für das Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG kommt es nur auf das Bestehen eines gesetzlichen oder vertraglichen (Rechts-) Anspruchs auf Weiterleistung der Geldbezüge und Sachbezüge in entsprechender Höhe an, nicht aber darauf, in welcher Höhe dieser Anspruch verglichen oder gar liquidiert wurde.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Krankengeldanspruch des Kl von 30.7.2019 bis 28.8.2019. Strittig ist, ob dem Kl im Zusammenhang mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem AG zukommt (in welchem Fall sein Krankengeldanspruch gem § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht – Standpunkt der Bekl) oder ob er Anspruch auf Krankengeld hat (§ 5 EFZG idF BGBl I 2017/153 – Standpunkt des Kl).

Das Dienstverhältnis des Kl begann im November 2018. Im Zeitraum von 3.5.2019 bis 8.5.2019 war er im Krankenstand. Am 24.6.2019 war er neuerlich krankheitsbedingt arbeitsunfähig. An diesem Tag sprach sein AG die Entlassung aus. Das vom Kl gegen den AG angestrengte arbeitsgerichtliche Verfahren endete am 8.10.2019 mit einem Vergleich, nachdem das Arbeitsverhältnis nicht durch Entlassung zum 24.6.2019, sondern durch einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 12.7.2019 enden sollte. Zugleich verpflichtete sich der AG, 3.000 € brutto an Lohn und Weihnachtsremuneration zu zahlen. Durch den Vergleich sollten sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis abschließend bereinigt und verglichen sein. In der Folge war der Kl noch bis 28.7.2020 arbeitsunfähig. 242

Die Gesundheitskasse leistete dem Kl Krankengeld in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Ausmaßes für den Zeitraum von 31.7.2019 bis 28.8.2019. Für den Zeitraum von 29.8.2019 bis 28.7.2020 leistete sie Krankengeld in voller Höhe.

Mit Bescheid vom 21.4.2020 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Zahlung des Krankengeldes für den Zeitraum von 13.7.2019 bis 28.8.2019 ab.

Der Kl begehrt die Zahlung des Krankengeldes im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 13.7. bis 30.7.2019 zur Gänze und für den Zeitraum von 31.7. bis 28.8.2019 zur Hälfte (somit zusätzlich zu der für diesen Zeitraum bereits im halben gesetzlichen Ausmaß erhaltenen Leistung). Der Ausspruch der Entlassung am 24.6.2019 sei wegen der bereits zuvor eingetretenen Erkrankung und der daraus resultierenden Dienstverhinderung ungerechtfertigt erfolgt. Die im Zuge des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vergleichsweise getroffene Vereinbarung löse kein Ruhen des Krankengeldanspruchs aus.

Die Bekl bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete zusammengefasst ein, der vor Gericht geschlossene Vergleich ändere nichts an dem gesetzlichen Anspruch des Kl auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem AG. Sein Krankengeldanspruch für den Zeitraum von 24.6.2019 bis 30.7.2019 ruhe im Hinblick auf den Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung für sechs Wochen [...] zur Gänze. Für den Zeitraum von 31.7.2019 bis 28.8.2019 ruhe der Krankengeldanspruch wegen des Anspruchs auf vier Wochen „halbe“ Entgeltfortzahlung zur Hälfte.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl für den Zeitraum von 30.7.2019 bis 28.8.2019 zur Leistung des Krankengeldes im halben gesetzlichen Ausmaß und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren [...] ab. Der Kl sei auch zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 12.7.2019 arbeitsunfähig gewesen, sodass die Entgeltfortzahlungsverpflichtung des AG (unter Abzug bereits konsumierter Krankenstandstage) für 36 Kalendertage im vollen gesetzlichen Ausmaß und für 28 Kalendertage im halben gesetzlichen Ausmaß weiter bestanden habe. Dass der Kl im Wege des gerichtlichen Vergleichs auf seine Entgeltfortzahlungsansprüche gegenüber seinem früheren AG ab dem 13.7.2019 verzichtet habe, ändere nichts daran, dass der Anspruch auf Krankengeld für jenen Zeitraum ruhe, für den der Kl Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber seinem AG gehabt hätte.

Das Berufungsgericht gab der vom Kl gegen die Abweisung des Mehrbegehrens erhobenen Berufung Folge und änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, dass es die Bekl zur Leistung des Krankengeldes für den Zeitraum von 13.7.2019 bis 30.7.2019 im vollen gesetzlichen Ausmaß und im Zeitraum von 31.7.2019 bis 28.8.2019 im halben gesetzlichen Ausmaß – zusätzlich zu der für diesen Zeitraum bereits im halben gesetzlichen Ausmaß erbrachten Leistung – verpflichtete. § 5 Abs 1 EFZG (idF BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153) [...] sei teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des AG geschlossen würden und den von § 5 EFZG vor der Novellierung erfassten Beendigungsarten (materiell) gleichgelagert seien. [...] Dem Kl gebühre daher ab 13.7.2019 das Krankengeld im vollen gesetzlichen Ausmaß. [...]

Das Berufungsgericht ließ die Revision [...] zu [...]. Die Revision der Bekl ist zulässig und iS einer Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts durch Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.

1. Zum Anspruch auf Krankengeld

1.1 Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 138 Abs 1 ASVG vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an.

1.2 Nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange der Versicherte aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Weiterleistung von mehr als 50 vH der vollen Geld- und Sachbezüge (§ 49 Abs 1) vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit hat. Das Ruhen des Krankengeldanspruchs hängt somit vom Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Weiterleistung der Geld- und Sachbezüge (in entsprechender Höhe) gegenüber dem AG ab. [...]

2. Zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung

[...]

2.2 Da sämtliche von der Klage umfassten Zeiträume nach dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses (mit 12.7.2019) liegen, ist zu beurteilen, ob einer der in § 5 EFZG genannten Fälle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben ist, bei deren Vorliegen der Entgeltfortzahlungsanspruch ausnahmsweise über das Vertragsende hinaus aufrecht bleibt (Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 9 Rz 1; Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 9 AngG Rz 2). [...]

5. Zur Auslegung des § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153

5.1 § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153 (wie auch § 9 Abs 1 AngG idF BGBl I 2017/153) sieht nunmehr ausdrücklich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus auch bei einer einvernehmlichen Beendigung während aufrechter Arbeitsunfähigkeit vor. Ihrem Wortlaut nach nimmt die Regelung keine Rücksicht darauf, aus welchen Motiven oder auf wessen Initiative die einvernehmliche Beendigung vereinbart wurde.

5.2 Das Berufungsgericht vertritt – ebenso wie der Kl in seiner Revisionsbeantwortung – die Rechtsauffassung, § 5 EFZG (bzw § 9 Abs 1 AngG) sei dennoch nicht auf sämtliche einvernehmliche Auflösungen des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung anzuwenden, sondern sei teleologisch auf jene einvernehmlichen Auflösungen zu reduzieren, die auf Initiative des AG abgeschlossen würden.

5.3 Die Gesetzesmaterialien (IA 2306/A BlgNR 25. GP; 9897/BlgBR 25. GP) geben keine Hinweise auf das Verständnis des Gesetzgebers vom neuen § 5 EFZG bzw § 9 Abs 1 AngG. Rsp des OGH zum Anwendungsbereich der novellierten Bestimmungen im Fall einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses liegt noch nicht vor.

5.4 Das Berufungsgericht stützt sich auf die Lehrmeinung von Stella (Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung während Dienstverhinderung 243 – bleibt alles beim Alten? ecolex 2018, 8 [9 f]), wonach die Anwendung auf sämtliche einvernehmliche Auflösungen zu einer unsachlichen und willkürlichen Ausdehnung der erfassten Beendigungsarten zu Lasten der DG führe. [...]

5.5 Diese Meinung ist vereinzelt geblieben. Burger (in Reissner, AngG3 [2019] Rz 16) vertritt demgegenüber die Ansicht, dass seit dem Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2017/153 nun auch die einvernehmliche Auflösung zu einer Entgeltfortzahlungspflicht nach Ende des Dienstverhältnisses führt, sofern sie während einer Dienstverhinderung wegen Krankheit/Unglücksfall vereinbart worden ist. Das Motiv für die einvernehmliche Beendigung während der Dienstverhinderung sei bedeutungslos. Die nachträgliche Entgeltfortzahlungspflicht werde beispielsweise auch ausgelöst, wenn der AN mit dem Wunsch nach einvernehmlicher Beendigung des Dienstverhältnisses an den AG herangetreten sei. Nur bei einvernehmlichen Auflösungen „im Hinblick auf eine Dienstverhinderung“ sei das Motiv maßgeblich. [...]

5.7 Schrank („Arbeitnehmer-Angleichungspaket“: Inkrafttretens-, Anwartschafts-, Günstigkeits- und Umgehungsschutzfragen, RdW 2018, 33 [36, 37]) betont, dass die Aufrechterhaltung der Entgeltfortzahlungspflicht über den mit einer einvernehmlichen Auflösung bewirkten Endzeitpunkt hinaus zwei unterschiedliche Tatbestände betreffe: Zum einen die einvernehmliche Beendigung während einer krankheitsbedingten Arbeits- bzw Dienstverhinderung und zum anderen die einvernehmliche Beendigung „im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung“. Nach Schrank bezwecke (nur) der zweite Alternativtatbestand den motivabhängigen Schutz vor Umgehungen der Entgeltfortzahlung [...].

5.8 Ähnlich differenzieren auch Pöschl/Unterrieder (Arbeiter und Angestellte – angeglichen, aber noch nicht gleich, RdW 2017, 831 [833, 834]). Nur bei der einvernehmlichen Beendigung „im Hinblick auf eine Dienstverhinderung“ sei die Entgeltfortzahlung auf Fälle zu beschränken, in denen es iSd bisherigen Rsp zu einer sittenwidrigen Überwälzung des Entgeltfortzahlungsrisikos auf den Krankenversicherungsträger käme.

5.9 Der OGH folgt diesen Lehrmeinungen.

Nach der Rsp zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 2017/153 sollten die Entgeltfortzahlungsbestimmungen des § 5 Abs 1 EFZG bzw § 9 Abs 1 AngG (nur) verhindern, dass sich der AG von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den AN dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst ([...] 9 ObA 123/10v; RIS Justiz RS0109426 [T1]; zuletzt 8 ObA 53/17b). Wie sich aus dem klaren Wortlaut ergibt, kann seit der Novellierung der Bestimmungen (BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153) nicht mehr (allein) von diesem Normzweck ausgegangen werden. Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich der Bestimmung ausdrücklich um einvernehmliche Auflösungen während einer Arbeitsverhinderung analog zur AGKündigung sowie um einvernehmliche Auflösungen im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung erweitert. Damit wurden eindeutig auch Konstellationen

unter den Schutz der Entgeltfortzahlungsbestimmungen gestellt, die vom bisherigen Normzweck nicht erfasst waren. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Novelle bloß „die bisherige Entwicklung in der Rechtsprechung nachzubilden“ versucht hätte, „dabei jedoch über die Grenzen legistisch hinausschoss“ (Stella, ecolex 2018, 8 [10]), bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte.

6. Ergebnis

Für eine teleologische Reduktion des § 5 Abs 1 EFZG idF BGBl I 2017/153 dahin, dass nur bestimmte Arten der einvernehmlichen Auflösung (vom AG ausgehende oder im Interesse beider Vertragsparteien liegende) während einer Arbeitsverhinderung den Entgeltfortzahlungsanspruch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen, besteht keine Grundlage.

7. Zur Anwendung auf den vorliegenden Fall:

7.1 [...] Im Hinblick auf die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung bestand der Anspruch des Kl auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem früheren AG gem § 5 Abs 1 EFZG auch über das Ende seines Dienstverhältnisses mit 12.7.2019 hinaus weiter.

7.2 Dass der Kl mit seinem früheren AG im Vergleich vom 8.10.2019 sämtliche Ansprüche aus dem vormaligen Arbeitsverhältnis „abschließend bereinigt und verglichen“ hat (also einschließlich seines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung über den 12.7.2019 hinaus), führt zu keinem anderen Ergebnis:

Für das Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 143 Abs 1 Z 3 ASVG kommt es nur auf das Bestehen eines gesetzlichen oder vertraglichen (Rechts-) Anspruchs auf Weiterleistung der Geldbezüge und Sachbezüge in entsprechender Höhe an, nicht aber darauf, in welcher Höhe dieser Anspruch verglichen oder gar liquidiert wurde (RS0083975; 10 ObS 290/88 SSV-NF 2/127).

7.3 Nach § 138 Abs 1 ASVG entstand der Anspruch des Kl auf Krankengeld aufgrund seiner mit 24.6.2019 beginnenden Arbeitsunfähigkeit mit 27.6.2019, ruhte aber gem § 143 Abs 1 Z 3 ASVG für die Dauer und in dem Umfang, in dem ihm Anspruch auf Entgeltfortzahlung zukam. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit ab 24.6.2019 hatte er grundsätzlich Anspruch auf Fortzahlung des vollen Entgelts für sechs Wochen und Anspruch auf Fortzahlung des halben Entgelts für weitere vier Wochen (§ 2 Abs 1 EFZG). Da der Kl im selben Arbeitsjahr (Beginn: November 2018) bereits arbeitsunfähig war, reduzierte sich sein Anspruch auf Fortzahlung des vollen Entgelts entsprechend. [...]

8. Der Revision der Bekl ist daher Folge zu geben und in Abänderung des Urteils des Berufungsgerichts die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen. [...]

ANMERKUNG

Das zu besprechende Urteil hat – als Sozialrechtssache – grundsätzlich die Frage des Anspruchs auf Krankengeld gegenüber dem Versicherungsträger zum Inhalt. In diesem Zusammenhang musste sich 244 der OGH aber erstmals zum Umfang der novellierten Bestimmung des § 5 EFZG (bzw § 9 AngG) im Zusammenhang mit einer einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands äußern. Bereits vorweg ist zu betonen, dass dem Ergebnis des OGH vollinhaltlich zuzustimmen ist. Für die Praxis ist dieses Urteil aber nicht nur wegen der zu lösenden Rechtsfrage interessant, sondern insb auch deswegen, weil durch einen in einem Gerichtsverfahren abgeschlossenen Vergleich wesentlich dazu beigetragen wurde, dass der vorliegende Fall überhaupt ausgelöst wurde.

1.
Ausgangssachverhalt

Im vorliegenden Fall wurde der Kl am 24.6.2019 während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch den AG entlassen. Der Kl ging gerichtlich gegen die – seinem Prozessstandpunkt nach – unberechtigte Entlassung vor, wobei das Gerichtsverfahren vier Monate nach der Entlassung (aber noch während des aufrechten Krankenstands) durch einen Vergleich endete. In diesem Vergleich wurde ua vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis durch einvernehmliche Auflösung zirka 20 Tage nach dem Entlassungstag (also am 12.7.2019) endet, der AN einen Betrag in Höhe von € 3.000,– an Lohn und Weihnachtsremuneration zur Auszahlung gebracht erhält und damit sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abschließend bereinigt und verglichen sind.

In der Folge begehrte der Kl von der Österreichischen Gesundheitskasse die Auszahlung von Krankengeld ab 13.7.2019, also dem Tag nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Dieser Antrag wurde abgelehnt, wobei Krankengeld (zur Hälfte) erst nach Auslaufen des (vollen) Entgeltfortzahlungsanspruchs des AN gegenüber dem AG gem § 5 EFZG ab 31.7.2019 geleistet wurde. Die Österreichische Gesundheitskasse verwies dabei auf § 5 EFZG idF BGBl I 2017/153, wonach im Falle einer einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestünde.

2.
Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung
2.1.
§ 5 EFZG idF BGBl 1974/399

Bis 30.6.2018 beschränkte sich der Anspruch des AN auf Entgeltfortzahlung im Falle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus nach dem klaren Gesetzeswortlaut auf die Fälle der Kündigung durch den AG, der unberechtigten vorzeitigen Entlassung oder des durch den AG verschuldeten vorzeitigen Austritts des AN (§ 5 Abs 1 EFZG idF BGBl 1974/399). Ziel dieser Regelung war es, zu verhindern, dass sich AG von ihrer Pflicht zur Fortzahlung des Entgelts dadurch befreien, dass sie während einer Arbeitsverhinderung – grob gesagt – selbst (unberechtigt) das Arbeitsverhältnis auflösen oder Grund zur Auflösung durch den AN geben (stRsp; zB OGH8 ObA 13/04a Arb 12.450; zuletzt zB OGH9 ObA 22/21g ARD 6754/7/2021).

Im Falle der einvernehmlichen Auflösung wurde ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus durchwegs abgelehnt, dies auch dann, wenn die Initiative zur einvernehmlichen Auflösung vom AG ausging. Der OGH (9 ObA 131/19hDRdA-infas 2020, 150 [Tinhof ]; 8 ObA 46/08k ARD 5933/3/2009) verwies dabei – wie ein Großteil der damaligen Lehre (für viele Burger in Reissner [Hrsg], AngG2 [2015] § 9 Rz 11 mwN; Cerny/Kallab, EFZG4 § 5 Anm 9) – auf den klaren und eindeutigen Wortlaut von § 5 EFZG, der mangels Vorliegens einer Gesetzeslücke keinen Raum für eine analoge Anwendung auf den Fall der einvernehmlichen Auflösung eröffne. In diesem Sinne schloss auch der VwGH (2006/08/0325DRdA 2009/28, 340 [Drs]) eine Ausdehnung der Folgen des § 5 EFZG auf den Fall der einvernehmlichen Auflösung aus (vgl aber VwGH2007/08/0327DRdA 2010, 426, wonach eine einvernehmliche Auflösung, die nur zum Zwecke der Umgehung der Pflicht zur Entgeltfortzahlung abgeschlossen wurde, gegen § 6 EFZG verstoße und rechtsunwirksam sei; hierzu auch Reissner, Arbeitsvertragsbeendigung und Krankenstand, in Resch [Hrsg], Krankenstand. Arbeits- und sozialrechtliche Probleme [2007] 41 [63]; Kohlbacher, Fortbestehen der SV-Beitragspflicht bei einvernehmlicher Auflösung im Krankenstand mit gleichzeitiger Wiedereinstellungszusage, ASoK 2011, 15 [17]).

2.2.
§ 5 EFZG idF BGBl I 2017/153

Durch die Novelle BGBl I 2017/153 wurde § 5 EFZG folgender Satz angefügt: „Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bleibt auch bestehen, wenn das Arbeitsverhältnis während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 einvernehmlich beendet wird.“

Vereinzelte Stimmen in der Lehre (insb Stella, Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung während Dienstverhinderung – bleibt alles beim Alten? ecolex 2018, 8; diesem folgend Rauch, Einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses während eines Krankenstands, ASoK 2021, 245) leiten aus der Rsp zur Rechtslage vor dem 30.6.2018 ab, dass der Gesetzgeber mit dieser Novelle nur die bisherige Judikatur festschreiben wollte, weswegen § 5 EFZG teleologisch auf jene Fälle einvernehmlicher Auflösungen zu reduzieren sei, die auf Initiative des AG geschlossen werden.

Der OGH lehnt diese Lehrmeinungen nunmehr ab, dies abermals unter Verweis auf den (neuen) klaren Wortlaut des § 5 EFZG, der keinen Raum für eine teleologische Reduktion biete. Dieser Rechtsansicht ist vollinhaltlich zuzustimmen.

Stella und Rauch lassen im Rahmen ihrer Ausführungen mE insb außer Acht, dass die teleologische Reduktion – wie die Analogie – als Form der ergänzenden Rechtsfortbildung eine Gesetzeslücke (sogenannte „verdeckte Lücke“) erfordert (vgl F. Bydlinski/P. Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre3 [2018] 95 f). Es ist also 245 erforderlich, dass sich insb aufgrund des Gesetzeszwecks bzw von Absichtserklärungen des Gesetzgebers ergibt, dass eine notwendige Ausnahme im Gesetzestext fehlt (OGH5 Ob 267/98w = SZ 73/66 [verst Sen]; Posch in Schwimann/Kodek, ABGB I5 § 7 Rz 20). Gerade bei der teleologischen Reduktion ist dabei Zurückhaltung geboten (P. Bydlinski in KBB6 [2020] § 7 ABGB Rz 5 mwN). Den Gerichten steht es nämlich nicht zu, ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen (RIS-Justiz RS0098756 [T3]).

Die Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153 lassen eine derartige eindeutige Absichtserklärung des Gesetzgebers nicht erkennen. Ganz im Gegenteil sprechen einerseits der klare Wortlaut des § 5 EFZG (so schon vor der Novelle OGH9 ObA 131/19hDRdA-infas 2020, 150 [Tinhof ]) als auch der gesetzgeberische Wille im Initiativantrag (IA) (2305/A 25. GP 4) eindeutig dafür, dass alle Arten einvernehmlicher Auflösungen während einer Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen. Zwar wird im IA darauf verwiesen, dass diese Folge „analog zur Arbeitgeberkündigung“ auch im Fall der einvernehmlichen Auflösung gelten soll. Alleine daraus kann mE aber nicht abgeleitet werden, dass § 5 EFZG nur einvernehmliche Auflösungen umfassen soll, die vom AG ausgehen. Hätte der Gesetzgeber eine derart einschränkende Norm schaffen wollen, wäre dies in den Wortlaut der Norm eingeflossen. Darüber hi naus ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in keiner Weise auf die bisherige (einschränkende) Judikatur des VwGH Bezug genommen hat. Der alleinige Umstand, dass eine Norm – ohne im Rahmen der Novellierung auf die Rsp zu verweisen – abgeändert wird, lässt entgegen Stella und Rauch gerade nicht den Rückschluss zu, dass der Gesetzgeber diese Judikatur durch die Novelle, die noch dazu vom Wortlaut der Norm her diese Judikatur nicht berücksichtigt, umsetzen wollte (vgl auch Wachter, Die neuen Regelungen der Entgeltfortzahlung, in Wachter [Hrsg], Jahrbuch Arbeitsrecht und Sozialrecht 2018, 77 [86 f]).

Dem OGH ist somit darin zuzustimmen, dass eine einvernehmliche Auflösung während einer Arbeitsverhinderung (§ 5 Abs 2 Fall 1 EFZG) aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts motivunabhängig – also unabhängig davon, von wem diese ausgeht und in welchem Interesse sie liegt – die Folgen des § 5 EFZG auslöst (so auch zB Burger in Reissner, AngG3 § 9 Rz 16; Pöschl/Unterrieder, Arbeiter und Angestellte – angeglichen, aber noch nicht gleich, RdW 2017, 831 [833 f]; Schrank, „Arbeitnehmer-Angleichungspaket: Inkrafttretens-, Anwartschafts-, Günstigkeits- und Umgehungsschutzfragen, RdW 2018, 33 [36 f]). Ein motivabhängiger Schutz liegt nur im zweiten Fall des § 5 Satz 2 EFZG vor, also dann, wenn die einvernehmliche Auflösung „im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung“ vereinbart wird (vgl zB Glowacka, Angleichung Arbeiter – Angestellte bei der Entgeltfortzahlung, ZAS 2017/66, 339 [341]; aA Drs in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 9 AngG Rz 21).

Mit diesem Ergebnis geht einher, dass § 5 Satz 2 Fall 1 EFZG nur dann erfüllt ist, wenn die einvernehmliche Auflösung während der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen wird und das Arbeitsverhältnis während dieses Zeitraums endet. Da das tatsächliche Motiv der Auflösung nicht relevant ist, kommt es in diesem Fall auch nicht darauf an, ob der AG im Zeitpunkt der Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung von der bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit des AN Kenntnis hat (so auch Burger in Reissner, AngG3 § 9 Rz 16). Selbst wenn der AN dem AG im Zeitpunkt der Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung (wenn auch pflichtwidrig) die bestehende Arbeitsunfähigkeit noch nicht mitgeteilt hat, diese aber faktisch vorliegt, tritt die Entgeltfortzahlungspflicht nach § 5 EFZG ein, so das Arbeitsverhältnis vor dem Ende des Entgeltfortzahlungsanspruchs endet. Wird die einvernehmliche Auflösung hingegen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vereinbart, muss auf Fall 2 des § 5 Satz 2 EFZG zurückgegriffen und geprüft werden, ob ein verpöntes Motiv iSd Norm vorliegt.

3.
Vergleichsvereinbarungen und Krankengeld

Für die Vertretungspraxis vor Gericht ist gegenständliches Urteil aber auch deswegen interessant, weil darin eine oftmals wohl unbedachte Wechselwirkung zwischen dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem AG einerseits und dem Anspruch auf Krankengeld gegenüber dem Versicherungsträger andererseits anschaulich aufgezeigt wird.

Der AN schloss im gerichtlichen Verfahren, das er aufgrund der Entlassung angestrengt hat, einen Vergleich auf Zahlung eines Betrags von € 3.000,–, gewidmet als Lohn und Weihnachtsremuneration unter Aufnahme einer Generalbereinigungsklausel. Ebenso wird eine einvernehmliche Auflösung vereinbart. Auf den Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis 29.7.2019, der aufgrund der unberechtigten Entlassung zustünde, wird im Rahmen des Vergleichs verzichtet.

Derartige Vergleiche sind trotz des Umstands, dass damit auf zwingende Ansprüche iSd § 6 EFZG verzichtet wird, rechtlich zulässig (zB Nunner-Krautgasser in Reissner/Neumayr [Hrsg], ZellHB AV-Klauseln2 [2019] Rz 78.13 ff, 78.23 ff). Zu beachten ist aber, dass der Verzicht auf die Entgeltfortzahlung nicht zum Aufleben des Anspruchs auf Krankengeld für diesen Zeitraum des Verzichts auf Entgeltfortzahlung führt. Der Zweck des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG liegt nämlich neben dem Schutz des Sozialversicherungsträgers vor unberechtigter Inanspruchnahme des Krankengeldes auch in der Vermeidung von Doppelversorgungen. Gleichzeitig bringt § 143 Abs 1 Z 3 ASVG zum Ausdruck, dass der Krankengeldanspruch gegenüber dem Entgeltfortzahlungsanspruch subsidiär ist (Drs in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm [248. Lfg] § 143 ASVG Rz 3). Für das Ruhen des Krankengeldanspruchs kommt es daher nur darauf an, ob ein gesetzlicher oder vertraglicher Rechtsanspruch auf Weiterleistung von Bezügen besteht. Ob diese 246 verglichen oder darauf verzichtet wurde, ist dabei irrelevant (RIS-Justiz RS0083975).

Diese Konsequenzen und Rechtsfolgen unterscheiden sich wesentlich vom Fall des Arbeitslosengeldes. Wird in einem Verfahren eine Kündigungsentschädigung eingeklagt und im Vergleichswege auf einen Teil derselben verzichtet, schließt der Anspruch auf Arbeitslosengeld (abgesehen von möglichen Sperrfristen) unmittelbar an den tatsächlich zur Auszahlung gebrachten Betrag an; ob der AN noch einen darüber hinausgehenden Anspruch auf Kündigungsentschädigung hat, ist dabei – im Gegensatz zum Krankengeld – irrelevant (vgl hierzu § 16 AlVG). Ausgehend davon wird – im Streitfall – bei Beendigungen während/ im Hinblick auf einen Krankenstand genau darauf zu achten sein, die betroffenen AN im Falle eines Vergleichsabschlusses hinsichtlich dieser Folgen aufzuklären und die Beendigungsart – gegebenenfalls – mit Bedacht zu wählen.