Die europäische Säule sozialer Rechte: Rechts- natur und Implikationen für das nationale Arbeitsrecht*

OLAFDEINERT (GÖTTINGEN)
Der Beitrag beschreibt die europäische Säule sozialer Rechte und geht ihren rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Wirkungen nach. Insb die Bedeutung für die Auslegung des europäischen und mitgliedstaatlichen Rechts wird herausgearbeitet und deren Grenzen an zwei Beispielen erläutert.
  1. Einführung

  2. Der Weg zur europäischen Säule sozialer Rechte

    1. Rede zur Lage der Union und Einleitung des Konsultationsprozesses

    2. Die Mitteilung der Kommission zur Einführung einer Säule sozialer Rechte

    3. Empfehlung der Kommission

    4. Interinstitutionelle Proklamation

    5. Inhalte

    6. Weiterer Fortgang

  3. Wirkungen der europäischen Säule sozialer Rechte

    1. Rechtspolitisches Programm

      1. Was ist eine Säule im Rechtssinne?

      2. Die europäische Säule als politischer Kompass

      3. Sozialpolitisches Scoreboard

    2. Rechtliche Wirkungen

      1. Keine Bindungswirkung

      2. Auslegungshilfe für das Unionsrecht

      3. Auslegungshilfe für innerstaatliches Recht

      4. Anwendungsbeispiele

        1. Grundsicherungsleistungen

        2. Information über freie Arbeitsplätze

  4. Bewertung

1.
Einführung

Die europäische Säule sozialer Rechte wurde in einer feierlichen interinstitutionellen Proklamation von Parlament, Kommission und Rat auf dem Sozialgipfel in Göteborg am 17.11.2017 angenommen.* Gleichzeitig ist sie Gegenstand einer Empfehlung der Kommission.* Nach beiden Instrumenten handelt es sich um einen Kompass für einen erneuerten Konvergenzprozess in Richtung besserer Arbeitsund Lebensbedingungen. Sie ist damit auch Antwort auf die tiefe politische Krise Europas in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts.*Ersichtlich kann es sich dabei nicht um Primärrecht handeln, da die Gründungsverträge dadurch nicht geändert wurden. Gleichwohl kann die Säule schon allein im Hinblick auf ihre Kompassfunktion Bedeutung sowohl für das Unionsrecht selber als auch für das innerstaatliche Recht entfalten. Welche Wirkungen über rein politische Orientierungen hinaus von der Säule sozialer Rechte ausgehen, ist im Folgenden zu untersuchen.

Auszugsweise abgedruckt in COM (2016) 127 final, 2.

2.
Der Weg zur europäischen Säule sozialer Rechte
2.1.
Rede zur Lage der Union und Einleitung des Konsultationsprozesses

In seiner Rede zur Lage der Union am 9.9.2015 vor dem Europäischen Parlament* hat 283 Kommissionspräsident Jean Claude Juncker erstmals die Entwicklung einer europäischen Säule sozialer Rechte angekündigt. Diese sollte als Kompass für eine erneute Konvergenz das zum Schutz der AN Erreichte unter den veränderten Realitäten der Gesellschaften und der Arbeitswelt widerspiegeln und ergänzen. Konzeptionell war dies darauf angelegt, zunächst innerhalb des Euro-Raums zu beginnen, anderen Mitgliedstaaten aber zu ermöglichen, sich anzuschließen.

Hierzu hat die Kommission im März 2016 eine Konsultation eingeleitet.* Die diesbezügliche Mitteilung enthält im Anhang einen ersten vorläufigen Entwurf einer europäischen Säule sozialer Rechte. Die Kommission sah dies als zweifache Notwendigkeit an, einerseits zur Überwindung der Krise, andererseits zum Übergang zu einer vertieften und faireren Wirtschafts- und Währungsunion (WWU).* Zu dem Entwurf hat das Europäische Parlament am 19.1.2017 eine Entschließung angenommen.*

Zugleich räumte die Kommission in der Konsultation ein, dass die Kombination von Flexibilität und Sicherheit für leistungsfähige und inklusive Arbeitsmärkte, mit dem Kunstwort Flexicurity bezeichnet, kein neues Konzept darstellt, betonte aber die Notwendigkeit, Wege zur Umsetzung in der Praxis zu entwickeln.* Tatsächlich war dies zunächst auf den Euro-Raum bezogen. Die europäische Säule sozialer Rechte sollte als Bezugsrahmen für ein Leistungsscreening der teilnehmenden Mitgliedstaaten hinsichtlich des Beschäftigungsund Sozialbereichs wirken.

Die Säule sozialer Rechte wird inhaltlich gespeist aus einer Reihe von Quellen des Primärrechts (Vertrag über die Europäische Union [EUV], Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV], Grundrechtecharta), aber auch aus der Rsp des EuGH und internationalen Rechtsquellen wie der Europäischen Sozialcharta und ILO-Empfehlungen. Dabei sollte es nicht um die Anerkennung von Rechten gehen, sondern vor allem um deren tatsächliche Inanspruchnahme und Umsetzung.* Inhaltlich war das andererseits nicht darauf angelegt, es bei dem bisherigen Stand zu belassen. Vielmehr ging es der Kommission darum, einen Beitrag zur Modernisierung, Ausweitung und Vertiefung sozialer Rechte zu leisten.* Das sollte auch die Möglichkeit einer Angleichung der Beschäftigungs- und Sozialpolitik der Mitgliedstaaten eröffnen. Explizit war dabei auch daran gedacht, neue (wohl rechtspolitische) Maßnahmen zu ergreifen.* Zugleich war sich die Kommission sehr bewusst und betonte, dass die Säule den begrenzten Geltungsbereich des EU-Rechts zu respektieren habe, etwa die Kompetenzschranke hinsichtlich des Arbeitsentgelts in Art 153 AEUV. In diesem Sinne enthielt und enthält die europäische Säule sozialer Rechte vom ersten vorläufigen Vorschlag bis zur endgültigen Version soziale Rechte und Grundsätze, vermittelt aber keine Ansprüche auf Transferleistungen.

Als eines der wohl wichtigsten Ergebnisse aus der Konsultation kann mitgenommen werden, dass viele Befragte zwar die Schaffung eines sozialen Europas begrüßten, gleichfalls aber eine Harmonisierung der Sozialpolitik durch die Säule nicht bewerkstelligt werden solle.*

2.2.
Die Mitteilung der Kommission zur Einführung einer Säule sozialer Rechte

Im Anschluss an die Konsultationsphase legte die Kommission eine Mitteilung zur Einführung einer Säule sozialer Rechte vor.* In dieser wurden die Schlussfolgerungen aus der Konsultation gezogen und ein endgültiger Vorschlag für eine europäische Säule sozialer Rechte unterbreitet. Auch hierin wurde der wirtschaftspolitische Kontext betont. Die soziale Säule wurde als eine wirtschaftliche Notwendigkeit begriffen. Es sei für das Funktionieren der WWU von zentraler Bedeutung, dass effiziente und widerstandsfähige Arbeitsmärkte mit hohem Beschäftigungsstand in der Lage seien, Schocks zu absorbieren, ohne zusätzliche Arbeitslosigkeit zu verursachen.* Die Säule diene der Erfüllung des Versprechens einer hoch wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt.* Die Kommission betonte, dass die Wahrung der Grundsätze und Rechte der Säule in der Verantwortung aller liege. Ein Großteil der Instrumente müsse von den nationalen Behörden und Sozialpartnern eingesetzt werden, die Union könne mit der Säule eine Richtung entwickeln.*

In rechtlicher Hinsicht wurde als Basis neben der Europäischen Sozialcharta insb die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der AN von 1989 benannt. Vorhandene Rechte würden zusammengeführt und sichtbarer, verständlicher und eindeutiger gemacht.* Die Säule sei als ein Orientierungsrahmen für die Mitgliedstaaten zu begreifen. Die Rechte und Grundsätze seien nicht unmittelbar durchsetzbar, sondern bedürften der Umsetzung auf den geeigneten Ebenen.* Daneben wurde die Notwendigkeit der Durchführung und Durchsetzung vorhandener Rechte, ua durch Förderung höheren Rechtsbewusstseins betont.* Mit ihrer Hilfe sollte zudem eine Bewertung ermöglicht werden, ob Unionsrecht seinen Zweck erfüllen kann.*

Neben der Ausarbeitung der Säule sozialer Rechte, auch als Vorschlag für eine interinstitutionelle 284Proklamation,* wurde eine Arbeitsunterlage vorgelegt, die Erläuterungen aller Grundsätze und Rechte bietet.* Darin wird für die einzelnen Grundsätze und Rechte der soziale Besitzstand unter Einschluss der Kompetenzen beschrieben. Ferner wird erläutert, welche Maßnahmen zur weiteren Umsetzung vorgesehen sind und was Mitgliedstaaten und Sozialpartner unternehmen können und sollten. Daneben wurde ein sozialpolitisches Scoreboard eingerichtet. Dieses soll im Zusammenhang mit dem Europäischen Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in politische Leitlinien einfließen.*

2.3.
Empfehlung der Kommission

Die Empfehlung der Kommission* nimmt in ihren Erwägungsgründen Bezug auf die beschäftigungspolitischen und sozialen Herausforderungen und sieht diese als bedingt durch das ungenutzte Potenzial der Teilhabe an Beschäftigung und Produktivität an. Auch hier wird betont, dass die Säule einen Beitrag zur Stabilität der WWU liefert und daher in erster Linie an die Mitgliedstaaten des Euro- Währungsgebiets gerichtet sei, ohne die freiwillige Beteiligung durch alle Mitgliedstaaten auszuschließen.* Ob die angestrebte arbeitsmarktgestaltende Wirkung der Säule sozialer Rechte infrage stellt, dass es auch um individuelle und kollektive Rechte geht,* scheint mir indes zweifelhaft. Gerade wenn sie die politischen Krisen der vergangenen Jahre zu überwinden helfen soll, wird sie sich insoweit auch beim Wort nehmen lassen müssen.

Die Säule soll nach den Vorstellungen der Kommission einen Kompass für effiziente beschäftigungspolitische und soziale Ergebnisse bieten und als Richtschnur zur Verbesserung sozialer Rechte in konkreten Rechtsvorschriften dienen.* Dabei handelt es sich um Mindestrechte, die es nicht rechtfertigen können, Rechtspositionen, die sich aus Unionsrecht oder internationalem Recht ableiten, einzuschränken oder zu beeinträchtigen.*

Erwägungsgrund (18) der Empfehlung betont, dass die Säule keine Ausweitung der Kompetenzen der Union mit sich bringt, sondern in den Grenzen dieser Kompetenzen umgesetzt werden soll. Zudem wird klargestellt, dass ihre Umsetzung eine gemeinsame politische Verpflichtung und Verantwortung sei. Die Säule sei auf den jeweiligen Zuständigkeitsebenen umzusetzen und dabei unterschiedlichen Rahmenbedingungen und der Vielfalt nationaler Systeme unter Einfluss der Rolle der Sozialpartner gebührend Rechnung zu tragen.* Ausdrücklich wird das Recht der Mitgliedstaaten zur Festlegung der wesentlichen Grundsätze der Systeme sozialer Sicherung hervorgehoben und betont, dass das finanzielle Gleichgewicht der Systeme nicht beeinträchtigt werden solle.

2.4.
Interinstitutionelle Proklamation

Kommission, Rat und Parlament haben die Säule sozialer Rechte feierlich im Rahmen einer institutionellen Proklamation auf dem Sozialgipfel von Göteborg angenommen.* Auch in dieser wird der wirtschaftspolitische Kontext mit dem Euro-Währungsgebiet betont, anders als in der Empfehlung wird sie nun aber nicht mehr auf dieses Gebiet beschränkt, sondern allein betont, dass sie in besonderem Maße dafür konzipiert sei, jedoch an alle Mitgliedstaaten gerichtet.*

Auch in der Proklamation werden der Charakter als Mindestrechte und das Einschränkungs- und Beeinträchtigungsverbot betont. Zudem wird auf die gemeinsame Verantwortung entsprechend der jeweiligen Zuständigkeiten abgestellt und insb die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die sozialen Sicherungssysteme hervorgehoben, wobei auch die Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten ausdrücklich benannt wird.

2.5.
Inhalte

Die sozialen Rechte der Säule haben ihre äußere Gestalt seit dem ersten vorläufigen Entwurf ein wenig geändert. Auch sind kleinere inhaltliche Änderungen erfolgt. Im Wesentlichen sind die Grundsätze und Rechte aber am Ende auch so verankert worden, wie sie im ersten vorläufigen Entwurf angelegt waren.* Allerdings bilden sie keineswegs den gesamten sozialen Besitzstand des Unionsrechts ab. Nur beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit nach Art 31 Abs 2 nicht auftaucht.* Bestenfalls kann man dies als durch das Recht auf ein gesundes, sicheres und geeignetes Arbeitsumfeld inkludiert begreifen.

Die Säule gliedert sich in drei Kapitel. Das erste Kapitel über Chancengleichheit beginnt mit einem Recht auf allgemeine und berufliche Bildung sowie lebenslanges Lernen. Anschließend wird der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter in Bezug auf Erwerbsbeteiligung, Beschäftigungsbedingungen und beruflichen Aufstieg betont, auch die Entgeltgleichheit findet hier Erwähnung. Sodann geht es um Chancengleichheit hinsichtlich Beschäftigung, sozialen Schutzes, Bildung und Zugang zu öffentlich verfügbaren Gütern und Dienstleistungen unter gleichzeitiger Betonung der Förderung unterrepräsentierter Gruppen. Niedergelegt sind auch Rechte auf aktive Unterstützung für die Beschäftigung. 285

Zu den Beschäftigungsbedingungen nach dem zweiten Kapitel gehört zunächst das Recht auf faire und gleiche Behandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen sowie Zugang zu sozialem Schutz und Fortbildung. Betont wird, dass Art und Dauer der Beschäftigungsform insoweit keine Rolle spielen. Gleichzeitig soll die notwendige Flexibilität für AG gewährleistet werden. Innovative Arbeitsformen mit guten Arbeitsbedingungen sollen gefördert werden, berufliche Mobilität erleichtert, der Missbrauch atypischer Verträge soll verboten werden. Niedergelegt ist auch ein Recht auf gerechte Entlohnung, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Angemessene Mindestlöhne sollen gewährleistet werden. Dabei werden transparente und verlässliche Verfahren unter Wahrung der Tarifautonomie gefordert. AN sollen Informationen über ihre Rechte und Pflichten sowie eventuelle Gründe einer Kündigung und ein Recht auf angemessene Kündigungsfrist genießen. Aus deutscher Sicht besonders interessant ist das Recht auf Zugang zu wirkungsvoller Streitbeilegung und auf Rechtsbehelfe einschließlich angemessener Entschädigung bei ungerechtfertigter Kündigung. Das Recht auf den sozialen Dialog wird unter Beachtung der Tarifautonomie und des Rechts auf Kollektivmaßnahmen betont. Hinzu kommt das Recht der AN bzw ihrer Vertretungen auf Unterrichtung und Anhörung. Freistellungsrechte und Ansprüche auf flexible Arbeitszeiten bei Betreuungs- und Pflegepflichten werden anerkannt. Schließlich ist in Nr 10 das Recht auf Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit und ein geeignetes Arbeitsumfeld sowie Beschäftigtendatenschutz gewährleistet.

Das dritte Kapitel über Sozialschutz und soziale Inklusion beginnt mit Kinderrechten auf frühkindliche Bildung und Betreuung sowie Schutz vor Armut und Förderung der Chancengleichheit für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen. AN und Selbstständigen wird ein Recht auf angemessenen Sozialschutz zuerkannt. Für den Fall der Arbeitslosigkeit wird das Recht auf angemessene Unterstützung durch die Arbeitsverwaltung ebenso wie auf angemessene Leistungen von angemessener Dauer anerkannt. Wer nicht über ausreichende Mittel verfügt, ein würdevolles Leben zu führen, soll Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben. Für das Alter werden beitragsentsprechende angemessene Einkommen und gegebenenfalls Mittel auf ein würdevolles Leben versprochen. Außerdem soll jeder Person das Recht auf rechtzeitige, hochwertige und bezahlbare Gesundheitsvorsorge und Heilbehandlung zustehen. Menschen mit Behinderungen sollen Einkommensbeihilfen für ein würdevolles Leben und Ansprüche auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft sowie gegebenenfalls ein angepasstes Arbeitsumfeld erhalten. Schließlich soll jeder Person das Recht auf Pflege zustehen. Den klassischen Bereich sozialer Sicherheit und des Sozialschutzes, der immer auch einen Bezug zur Erwerbstätigkeit hat,* verlassen die beiden letzten Gewährleistungen. Sie versprechen Zugang zu Wohnungen und wesentlichen Dienstleistungen, als da sind Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation.

Wenngleich die Kommission in ihrer Mitteilung zur Einführung einer Säule sozialer Rechte angekündigt hat, die Empfehlung später an die Proklamation von Göteborg anzupassen,* ist dies, soweit ersichtlich, nicht geschehen. Allerdings sind die Abweichungen nur gering. So wird etwa in Erwägungsgrund (20) zur feierlichen Proklamation hinsichtlich der Autonomie der Sozialpartner ausdrücklich der Abschluss von Tarifverträgen und das Recht auf Kollektivverhandlungen betont, ohne dass daraus freilich folgen würde, dass die Kommissionsempfehlung diese Rechte negieren wollte. Ähnlich sieht es hinsichtlich der Betonung der Haushaltshoheit in Erwägungsgrund (19) aus. Nicht viel anders ist es auch hinsichtlich der Garantie von Grundsicherungsleistungen. Während die englische und französische Fassung von Proklamation und Empfehlung keine terminologischen Abweichungen enthalten, ist in der deutschen Fassung der Empfehlung noch von einem Mindesteinkommen die Rede, wobei auch dieses ersichtlich Grundsicherungsleistungen im materiellen Sinne meint, etwa nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II oder bedarfsorientierte Mindestsicherung nach österreichischem Recht.* Entsprechend ist in der Proklamation von Grundsicherungsleistungen die Rede.

2.6.
Weiterer Fortgang

Im Jahr 2018 hat die Kommission eine Mitteilung zur Überwachung der Umsetzung der Säule vorgelegt.* Der Schwerpunkt lag insoweit auf der Berücksichtigung im europäischen Semester unter Zuhilfenahme des sozialpolitischen Scoreboards.

Zu Beginn des Jahres 2020 hat die Kommission eine umfassende Konsultation eingeleitet.*286

Im Anschluss hat sie 2021 auf deren Ergebnisse gestützt einen Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt.* Dieser definiert die Vorhaben der Kommission zur Verwirklichung der Säule. Darin wurden drei Zielvorgaben bis 2030 definiert: mindestens 78 % der Bevölkerung sollten im Alter zwischen 20 und 64 Jahren erwerbstätig sein, mindestens 60 % aller Erwachsenen jährlich an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen und die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen von rund 90 Mio um 15 Mio verringert werden. Der Aktionsplan enthält eine große Zahl konkreter Legislativmaßnahmen, die für die nächste Zeit in Aussicht genommen wurden.

3.
Wirkungen der europäischen Säule sozialer Rechte

Die Säule ist in mehrfacher Hinsicht janusköpfig. Einerseits ein Rechtstext in doppelter Form,* andererseits politischer Kompass in Form juristischer Rechte.

3.1.
Rechtspolitisches Programm
3.1.1.
Was ist eine Säule im Rechtssinne?

Auch wenn man sich die Säule sozialer Rechte gleichsam iS eines architektonischen Bildes als ein Trägerelement des Europäischen Hauses vorstellt,* bereitet es Mühe, die darin enthaltene Summe sozialer Rechte und Grundsätze als eine solche zu begreifen. Wenn man freilich den Begriff der Säule nicht auf Europa bezieht, sondern auf die sozialen Rechte, wird das Bild durchaus stimmig: Die Säule ist darauf angelegt, soziale Rechte im Unionsrecht zu stützen. Es ist richtig, dass die Formulierungen seit dem ersten vorläufigen Entwurf deutlich stärker in Richtung echter „Rechte“ geändert wurden.* Das schließt es aber nicht aus, dass es keineswegs darum ging, klagbare Rechte zu etablieren, sondern gewissermaßen auf einer Stufe darunter die Säule in den Dienst bereits vorhandener oder zumindest angestrebter Rechte zu stellen.

So wird deutlich, dass die Säule, wie von der Kommission postuliert, der Verwirklichung sozialer Rechte dient. Anders als Abwehrrechte, die vorhanden sind, die genossen werden können, ohne dass der Staat irgendetwas tun müsste, müssen soziale Rechte in der Regel erst einmal verwirklicht werden. Und eben dies ist der Plan. Kommission, Rat und Parlament versprechen, sich auf verschiedenen Ebenen dafür einzusetzen, dass soziale Rechte verwirklicht werden. Das kann etwa durch Gebrauchmachen von Unionskompetenzen insb nach Art 153 ff AEUV geschehen, aber auch im Wege der Koordinierung nach Art 156 AEUV. Eben hieran wird deutlich, dass soziale Rechte durch die Säule nicht geschaffen wurden, sondern auf ihrer Basis gestärkt werden sollen. Von daher ist auch die Betonung, dass die Verwirklichung der Säule nach Maßgabe der vorhandenen Kompetenzen erfolgt, stimmig.

Dieses Bild von der Stützung sozialer Rechte macht im Übrigen auch Sinn hinsichtlich solcher Rechte, die im Rahmen des sozialen Besitzstandes der Union noch gar nicht oder jedenfalls noch nicht so anerkannt waren, wie sie nunmehr in der Säule geprägt werden. So vermag die Säule auch neue Rechte zu stützen. Zu deren Verwirklichung bedarf es aber eines Tätigwerdens der Union, der Sozialpartner auf allen Ebenen und/oder der Mitgliedstaaten.

3.1.2.
Die europäische Säule als politischer Kompass

Wie die europäische Säule sozialer Rechte als Kompass für eine erneuerte Aufwärtskonvergenz wirken sollte, lässt sich an der politischen Arbeit der Kommission der letzten Jahre gut im Nachgang beobachten. Das betrifft namentlich Vorschläge für Unionsrechtsakte sowie inzwischen angenommene Rechtsakte, die hier nur punktuell angesprochen werden sollen.*

So wird die Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde* ausweislich des Erwägungsgrundes (3) als Beitrag zur Verwirklichung der Säule begriffen. Noch prominenter wird dies im Kommissionsvorschlag betont, der gleich zu Beginn den Beitrag der Errichtung der Europäischen Arbeitsbehörde zur Umsetzung der Säule unterstreicht.* Nicht von ungefähr trägt der Vorschlag dasselbe Datum wie die bereits erwähnte Mitteilung zur Überwachung und Durchsetzung der Säule.* Dasselbe gilt schließlich für die gleichzeitig vorgeschlagene Empfehlung des Rates zum Zugang zum Sozialschutz, die auf einen angemessenen Sozialschutz auch für Beschäftigte in atypischen Arbeitsverhältnissen und für Selbstständige zielt* und gleich mehrfach auf die Säule und insb deren zwölften Grundsatz Bezug nimmt.

So lassen sich ferner die Grundsätze und Rechte in Bezug auf Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben (Nr 9) als Blaupause für die Reform der Eltern- 287 urlaubs-RL51) iS einer Vereinbarkeits-RL erkennen. Nicht von ungefähr beziehen sich Parlament und Rat in Erwägungsgrund (9) zu Vereinbarkeits-RL (EU) 2019/1158* ua auf diese Grundsätze sowie den Grundsatz der Chancengleichheit der Geschlechter nach Nr 2 der Säule sozialer Rechte.

In ähnlicher Weise verhält es sich mit der sogenannten Transparenz-RL.* Nr 5 der europäischen Säule sozialer Rechte betrifft sichere und anpassungsfähige Beschäftigung. Dazu gehört ua die Förderung des Übergangs in unbefristete Beschäftigung, ferner die Erleichterung der beruflichen Mobilität. Außerdem sollen Probezeiten auf eine angemessene Dauer beschränkt werden. Die Transparenz-RL trägt diesen Vorstellungen Rechnung, indem sie etwa Höchstdauern für Probezeiten fordert (Art 8), Wettbewerbsverboten Grenzen setzt (Art 9) oder den Übergang zu anderen Beschäftigungsformen fördert (Art 12). Die bereits in der Nachweis-RL* vorgesehenen Informationen durch den Nachweis des Arbeitsvertrages, die ihrerseits ja Pate standen für die Aufnahme des Rechts auf Information über Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis in Nr 7 der Säule, wurden iS einer Effektivierung unter den Bedingungen einer geänderten Arbeitswelt in Art 4 ff der Transparenz-RL ausgebaut.

Auch die Rechte und Grundsätze zu Löhnen und Gehältern nach Nr 6 der Säule kündigten letztlich schon vorher an, was in den Vorschlag für eine RL über angemessene Mindestlöhne* fließen sollte. Bereits zu Beginn der Darstellung der Gründe und Ziele des Kommissionsvorschlags wird dieser Grundsatz bemüht.* Dasselbe gilt dann für den vorgeschlagenen vierten Erwägungsgrund. Inhaltlich wird die Angemessenheit von Mindestlöhnen eingefordert (Art 5). Ferner wird von den Mitgliedstaaten gefordert, Tarifverhandlungen zur Lohnfestsetzung zu fördern (Art 4). Entsprechend dem Ziel der Säule, insb auch die Verwirklichung und Durchsetzung der sozialen Rechte zu stärken, werden ua ein verbesserter Zugang der AN zum gesetzlichen Mindestlohnschutz gefordert sowie Ansprüche auf Rechtsbehelfe und Benachteiligungsschutz (Art 8 und 11).

Ebenso soll die geplante RL zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit so verstanden werden, dass sie dem Grundsatz sicherer und anpassungsfähiger Beschäftigung nach Nr 5 der Säule sozialer Rechte dient. Betont wird, dass unabhängig von Art und Dauer der Beschäftigung das Recht auf faire und gleiche Behandlung im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen und auf Zugang zum Sozialschutz und zur Fortbildung bestehen und die notwendige Flexibilität für AG gewährleistet werden soll, eine Förderung innovativer Arbeitsformen mit guten Arbeitsbedingungen erfolgen, Unternehmertum und Selbstständigkeit unterstützt und berufliche Mobilität erleichtert werden.*

Auch der Kommissionsvorschlag zur Verantwortlichkeit in Lieferketten bemüht die Säule sozialer Rechte und nimmt in seiner dritten Begründungserwägung Bezug auf die Förderung fairer Arbeitsbedingungen. *

Kurzum: Die jüngsten rechtspolitischen Vorschläge der Kommission kommen nicht mehr ohne Auseinandersetzung mit der Säule sozialer Rechte aus. Insoweit stellt sich die Säule als ein klassisches politisches Rechtssetzungsprogramm dar.* Es ist allerdings einzuräumen, dass nicht verifiziert werden kann, dass das vorstehende Rechtssetzungsprogramm nicht auch ohne die Säule sozialer Rechte in gleicher oder ähnlicher Weise aufgelegt worden wäre.*

3.1.3.
Sozialpolitisches Scoreboard

Ausdrücklich soll die Säule als sozialpolitisches Scoreboard zur Überwachung der mitgliedschaftlichen Politik im Rahmen des Europäischen Semesters herangezogen werden, um auf dieser Grundlage Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu geben. Die Empfehlungen und Leitlinien auf der Basis 288 des Europäischen Semesters bleiben für sich zwar rechtlich unverbindlich, nehmen aber im Rahmen der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltsplanung nicht unerheblichen Einfluss auf die innerstaatliche Politik.* Gerade im Nachgang der Euro-Krise wurde vielfach ein Primat der Finanz- und Wirtschaftspolitik gegenüber der Sozialpolitik beobachtet.*

Vor diesem Hintergrund ist die europäische Säule sozialer Rechte in zweierlei Hinsicht interessant. IS einer Selbstverpflichtung der Kommission, zumindest durch die interinstitutionelle Proklamation, ist es den Organen verwehrt, ihren Einfluss bei der Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltsplanung unter Missachtung sozialer Rechte aus der Säule auszuüben.* Das scheint besonders wichtig im Hinblick darauf, dass gerade bei wirtschaftlicher Krise insb Sozialleistungen infrage gestellt werden, weil sie einen hohen Anteil der Gesamtausgaben eines Staates ausmachen.* Insofern kann die Säule gerade im Hinblick auf die Wirtschaftsgovernance vor sozialen Zumutungen schützen.* Zudem ist Europa gerade dann gefragt, wenn mitgliedstaatliche Sozialpolitik nicht in der Lage ist, soziale Folgen einer Krise zu bewältigen.*

Auf der anderen Seite sind die Organe der Union in diesem Sinne gehalten, von den Mitgliedstaaten die Verwirklichung sozialer Rechte iSd europäischen Säule einzufordern.* Einzuräumen ist freilich auch, dass hier Spielräume verbleiben, die keine wirklich belastbaren Versprechungen erkennen lassen.* Einerseits ist jede Gewichtung zwischen sozialen Rechten und Wirtschafts- und Haushaltspolitik offen, andererseits sind die sozialen Rechte ihrerseits vielfach sehr unkonkret.* Was etwa ist eine „hochwertige und bezahlbare Gesundheitsvorsorge“?

3.2.
Rechtliche Wirkungen

Fraglich ist, ob sich die Wirkungen der Säule auf ein politisches Instrument iS einer Leitvorstellung* beschränken.

3.2.1.
Keine Bindungswirkung

Die Kommissionsempfehlung hat schon nach Art 288 Abs 5 AEUV keine bindende Wirkung.

Was die Verankerung der europäischen Säule sozialer Rechte in einer interinstitutionellen feierlichen Proklamation angeht, stellt sich zunächst die Frage ihres Rechtscharakters. Grundsätzlich ist der Abschluss einer interinstitutionellen Vereinbarung zulässig. Art 295 Satz 2 AEUV sieht das ausdrücklich vor. Die Regelung spricht auch explizit die Möglichkeit eines bindenden Charakters an. Allerdings wird die Bindungswirkung vor allem Innenwirkung zwischen den beteiligten Organen haben. Eine Außenwirkung ist in der Regel schon wegen der Inhalte ausgeschlossen.* Das muss an dieser Stelle allerdings gar nicht vertieft werden. Denn die europäische Säule sozialer Rechte strebt nach ihrem Inhalt ersichtlich eine solche gar nicht an.

Zwar verwendet die europäische Säule sozialer Rechte die Termini „Grundsätze“ sowie „Rechte“, was in der Terminologie der Grundrechtecharta einen wesentlichen Unterschied dahingehend macht, dass nach Art 52 Abs 5 AEUV Grundsätze der Umsetzung bedürfen und gerichtlich nur bei der Auslegung solcher Akte sowie bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit berücksichtigt werden können.* Die Säule folgt dieser Terminologie jedenfalls insoweit offenbar, als hinzukommende neue Positionen als „Grundsätze“ bezeichnet werden.* Gleichwohl gehen die Organe in den Rechtstexten nicht von unmittelbar einklagbaren Rechten aus.* Vielmehr wird ja die Umsetzungsbedürftigkeit an verschiedenen Stellen der Entwicklung bis hin in die finalen Dokumente angesprochen.*

Eine interinstitutionelle Bindungswirkung ist damit indes keineswegs ausgeschlossen. Fraglich bleibt nur, ob eine solche aus inhaltlichen Gründen zu verneinen ist. Dafür spricht immerhin, dass die Rechtssetzung, soweit sie auf Unionsebene zur Verwirklichung der sozialen Rechte der Säule erfolgen kann und muss, arbeitsteilig erfolgt. Rat und Parlament können nicht ohne Initiative der Kommission tätig werden. Die Kommission kann ihrerseits nicht einseitig Rechtsakte erlassen. Das spricht dafür, dass das politische Ermessen der Organe durch die Säule sozialer Rechte nicht eingeschränkt ist. Gleichwohl spricht viel für eine Selbstbindung der Organe zur Verwirklichung der in der Säule enthaltenen Rechte und Grundsätze. So wäre es widersprüchlich, wollte der Rat den bereits angesprochenen Vorschlag für eine RL über angemessene Mindestlöhne zurückweisen, weil solche Mindestlöhne unerwünscht seien. Anders wäre es hingegen, wenn es um die Details der Verwirklichung des Vorhabens geht. Gleichwohl spricht gegen eine Bindungswirkung, dass diese das künftige Abstimmungsverhalten mitgliedstaatlicher Regierungen im Rat präjudizieren würde, zumal in wesentlichen 289 Bereichen nach Art 153 Abs 2 UAbs 3 AEUV Einstimmigkeit erforderlich ist.

Was schließlich die Bereiche angeht, die in der mitgliedstaatlichen Kompetenz verbleiben, würde eine Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten das Kompetenzgefüge gänzlich aushebeln. Auch insoweit ist folglich wegen der beschränkten Kompetenz im sozialpolitischen Bereich nach Art 153 ff AEUV eine Bindungswirkung ausgeschlossen.* Das gilt zumal mit Rücksicht darauf, dass nach den Vorstellungen der Kommission die Rechte und Grundsätze der Säule zwar für alle gelten, aber nicht „über einen einzigen schablonenhaften Ansatz umgesetzt werden“.* Damit soll die Säule nämlich Standards bei gleichzeitiger Vielfalt gewährleisten. Auch dürfte die Bindungswirkung schon gegenständlich durch Art 295 Satz 2 AEUV ausgeschlossen sein, da interinstitutionelle Vereinbarungen sich auf die Zusammenarbeit der Organe beziehen.*

3.2.2.
Auslegungshilfe für das Unionsrecht

Im Prinzip relativ unproblematisch erschiene es, Rechte und Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte zur Auslegung solcher unionsrechtlichen Bestimmungen heranzuziehen, zu deren Begründung Grundsätze aus der Säule bemüht wurden.* So sollte beispielsweise die Vereinbarkeits-RL, die, wie bereits ausgeführt, in Erwägungsgrund (9) auf die Grundsätze 2 und 9 der Säule Bezug nimmt, im Lichte dieser Bestimmungen ausgelegt werden. An dieser Stelle zeigt sich eine Verwirklichung der politischen Selbstverpflichtung der Organe durch Proklamation der Säule sozialer Rechte.

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie es um das Unionsrecht steht, das keine entsprechenden Bezüge aufweist. Das ist etwa bei der reformierten Entsende-RL* der Fall. In ihrer Mitteilung zur Säule sozialer Rechte weist die Kommission zwar darauf hin, dass es ihr ein ständiges und wichtiges Anliegen sei, sicherzustellen, dass Unionsrechtsvorschriften aktualisiert werden und ihren Zweck erfüllen. Dies habe sich beispielsweise in der Initiative zur Entsendung von AN niedergeschlagen.* Die Erwägungsgründe der reformierten Entsende-RL gehen aber nicht auf die Säule sozialer Rechte ein.* Das schließt jedoch nicht aus, die Säule sozialer Rechte auch zur Auslegung solcher Rechtsakte heranzuziehen. Denn immerhin haben sich die Organe, die die Rechtsakte angenommen haben, politisch auf die Verfolgung der sozialen Rechte verpflichtet. In diesem Sinne ist zumindest zu vermuten, wenn aus dem Rechtsakt nichts anderes folgt, dass er auch der Verwirklichung dieser Agenda dienen soll, ihr zumindest nicht im Wege stehen möchte. Wichtiger noch scheint, dass die Säule sozialer Rechte keine inhaltlichen Beschränkungen auf die Sozialpolitik enthält, sondern sich gewissermaßen als Benchmark für jede Rechtssetzung darstellt.* Aus diesem Grunde kann sie auch zur Auslegung anderer Rechtsakte herangezogen werden, etwa solcher mit wirtschaftspolitischer Zielrichtung.

Wiederum etwas anders gelagert ist die Frage, ob die Säule sozialer Rechte auch zur Auslegung älteren Unionsrechts herangezogen werden kann. In diesem Sinne könnte die Teilzeit-RL* beispielsweise im Lichte des Ziels des Verbots eines Missbrauchs atypischer Verträge interpretiert werden. Das dürfte sich allerdings nur schwer begründen lassen. Älteres Unionsrecht kann schwerlich der Verwirklichung der Säule sozialer Rechte dienen. Auch kann die Selbstverpflichtung der Organe nicht in die Vergangenheit zurückwirken. Auswirken könnte sie sich allein, wäre der Gerichtshof an die Säule sozialer Rechte gebunden. Das ist indes nicht der Fall. Die interinstitutionelle Proklamation hat weder Primärrecht noch Sekundärrecht geschaffen, das für den Gerichtshof Rechtswirkungen erzeugen würde. Auch hat er sich selber nicht – unabhängig von der Frage, ob dies überhaupt möglich wäre – durch Beteiligung an die interinstitutionelle Proklamation gebunden. Insoweit spricht einiges dafür, dass etwaiger Kritik an einer Schieflage zwischen Grundfreiheiten und sozialen Grundrechten* mit Hilfe der Säule nicht begegnet werden kann,* weil sie die bestehende Rechtslage grundsätzlich nicht ändert.*

Die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Säule sozialer Rechte läuft immerhin auf die Forderung hinaus, ein Sozialprotokoll bei der Überarbeitung der Verträge einzufügen, um soziale Rechte gegenüber wirtschaftlichen Freiheiten zu stärken.* Auch fordert der Europäische Gewerkschaftsbund ein soziales Fortschrittsprotokoll, um Beschränkungen sozialer Rechte durch wirtschaftliche Grundfreiheiten zu begrenzen.* Derartiges vermag die Säule sozialer Rechte im jetzigen Zustand nicht zu verwirklichen.* Möglicherweise aber kann sie einen Beitrag zu einer Sensibilisierung für die Problematik leisten, die eine Stärkung sozialer Rechte in Abwägungsprozessen bewirkt.*290

In einem abgeschwächteren Sinne scheint die Heranziehung der Säule allerdings nicht ausgeschlossen. Soweit sie ein bestimmtes Verständnis bereits vorhandenen Unionsrechts und insb existenter sozialer Rechte, namentlich aus der Grundrechtecharta, nahelegt, kann dies als Rechtserkenntnisquelle durchaus herangezogen werden. In diesem Sinne hatte der Gerichtshof etwa in der Rs Viking die seinerzeit nur feierlich proklamierte und noch nicht durch den Lissabon-Vertrag verbindlich gemachte Grundrechtecharta zur Bestätigung seines Grundrechtsverständnisses herangezogen.*

3.2.3.
Auslegungshilfe für innerstaatliches Recht

Aus dem Umstand, dass Empfehlungen für die Mitgliedstaaten nach Art 288 Abs 5 AEUV nicht verbindlich sind und demzufolge einzelnen keine Rechte zu vermitteln vermögen, folgt nicht deren rechtliche Bedeutungslosigkeit. Der Gerichtshof hat vielmehr entschieden, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten Empfehlungen bei ihren Entscheidungen berücksichtigen müssen, insb wenn es um innerstaatliches Recht geht, das zu deren Durchführung ergangen ist oder das Unionsrecht ergänzt.* Das lässt sich ohne Weiteres auch auf die europäische Säule sozialer Rechte übertragen.* Auf dieser Grundlage kann man davon ausgehen, dass die Säule eine Auslegungshilfe für das innerstaatliche Recht ist.* Daraus ergibt sich freilich ein naheliegender Einwand: Nach Art 51 Abs 1 Satz 1 der Grundrechtecharta sind die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Unionsrechts an die Grundrechte gebunden. Insoweit geht der Gerichtshof zwar von einem weiten Verständnis der Durchführung aus.* Dazu hat das BVerfG jedoch den warnenden Zeigefinger erhoben: Ein bloß abstrakter Bezug zum Unionsrecht oder rein tatsächliche Auswirkungen genügen dazu nicht.* Soweit nun Charta-Grundrechte über die Säule sozialer Rechte den Charakter einer Empfehlung einnehmen, könnte dies theoretisch dazu führen, dass der beschränkte Anwendungsbereich der Grundrechtecharta auf diese Weise überbrückt würde. Um bei einem Beispiel zu bleiben: Wenn das Recht auf Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung nach Art 30 der Grundrechtecharta außerhalb eines Unionskontextes die Bundesrepublik nicht binden kann, stellt sich umso dringlicher die Frage, ob dann die Verstärkung dieses Rechtes durch einen Anspruch auf angemessene Entschädigung nach Nr 7 b Satz 2 der Säule dazu führen kann, dass deutsche Gerichte bei einer sozial ungerechtfertigten Kündigung (außerhalb des Anwendungsbereichs von § 15 Abs 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz [AGG]) Entschädigungsansprüche zusprechen müssen. Das ist zu verneinen. Denn für eine solche Auslegung gibt das innerstaatliche Recht (§ 1 Kündigungsschutzgesetz [KSchG]) nichts her. Es geht aber bei der Heranziehung im Wege der Auslegung nicht etwa um eine unmittelbare Anwendung der Grundrechtsnorm. Von daher ist gegen eine Heranziehung bei der Auslegung aus Art 51 Abs 1 Satz 1 der Grundrechtecharta kein Einwand herzuleiten.

Im Hinblick auf diese weichen Wirkungen der Empfehlung spricht grundsätzlich nichts dagegen, sie auch dann zur Auslegung des innerstaatlichen Rechtes heranzuziehen, wenn es nicht um innerstaatliches Recht geht, das zur Durchführung der Säule sozialer Rechte erlassen wurde oder sonst in einem unionsrechtlichen Kontext mit der Säule steht, wie dies etwa in dem bereits erwähnten Beispielsfall ungerechtfertigter Kündigung wäre. Andererseits steht die Säule sozialer Rechte im Kontext einer erneuerten Aufwärtskonvergenz im Rahmen des Euro-Raums. Mit ihr ging es den Unionsorganen gerade darum, soziale Rechte in diesem Rahmen zu stärken. Das betrifft zwar auch ua die Koordinierung mitgliedstaatlicher Sozialpolitik nach Art 156 AEUV, die aber wiederum auch auf einer unionsrechtlichen Grundlage der Abstimmung erfolgt. Vor diesem Hintergrund spricht mehr dafür, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte nicht verpflichtet sind, ohne jeden Bezug zur Durchführung der Säule sozialer Rechte diese bei der Auslegung heranzuziehen. Aus unionsrechtlicher Sicht kann es diesen umgekehrt aber auch nicht verwehrt werden, so zu verfahren.

Was die Rolle des Gerichtshofs angeht, ist die Antwort in Art 267 AEUV zu suchen. Ein Vorabentscheidungsersuchen ist zwar zur Klärung der Auslegung des Unionsrechts und damit etwa der Säule sozialer Rechte möglich, nicht aber hinsichtlich der Heranziehung der Säule bei der Auslegung des nationalen Rechts.

3.2.4.
Anwendungsbeispiele
3.2.4.1.
Grundsicherungsleistungen

Nach dem 14. Grundsatz der Säule sozialer Rechte hat jede Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, in jedem Lebensabschnitt das Recht auf angemessene Grundsicherungsleistungen, die ein würdevolles Leben ermöglichen und einen wirksamen Zugang zu dafür erforderlichen Gütern und Dienstleistungen. Unmittelbar klagbare Rechte auf Grundsicherungsleistungen folgen wie gezeigt hieraus nicht. Auch sind derzeit keine Auslegungsprobleme unionsrechtlicher Bestimmungen ersichtlich, zu deren Hilfe die Säule sozialer Rechte insoweit einen Beitrag leisten könnte. Immerhin ließe sich erwägen, das erwähnte Recht fruchtbar zu machen für den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 4 der Koordinierungsverordnung soziale Sicherheit.*

Die Verordnung gilt für solche beitragsunabhängigen Geldleistungen nach ihrem Art 70 sowie Art 3 Abs 3 mit Einschränkungen, zugleich haben die 291 Mitgliedstaaten das Recht, Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten von solchen Leistungen auszuschließen, wenn diese kein Aufenthaltsrecht nach der Freizügigkeits-RL 2004/38/EG* genießen, wie der EuGH in den Rs Dano* und Alimanovic*entschieden hat. Andererseits ließe sich mit gutem Grund argumentieren, dass das Recht auf angemessene Grundsicherungsleistungen jedenfalls, aber auch nur im Herkunftsstaat gewährleistet werden müsse. Ein Recht auf Grundsicherungsleistungen im Aufnahmestaat jenseits der Koordinierung lässt sich aus der Kompetenz für das Koordinierungsrecht durch die Unionsorgane hingegen nicht schaffen.

Kingreen hat überdies überzeugend dargelegt, dass auch sonst die Schaffung eines verbindlichen Rechtsrahmens für soziale Grundsicherungssysteme an kompetenzielle Grenzen stößt. Dies fiele zwar wohl in den Anwendungsbereich der Kompetenzbestimmung des Art 153 Abs 1 lit c AEUV hinsichtlich der sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes der AN, ohne dass es einer Festlegung bedürfte, um welchen der beiden Bereiche es geht.* Zumindest wenn man von einem weiten (sozialversicherungsrechtlichen) AN-Begriff für diese Kompetenznorm ausgeht,* könnten sämtliche Empfänger von Grundsicherungsleistungen davon erfasst werden.* Die Kompetenz wäre aber weiterhin nach Art 153 Abs 2 lit b AEUV auf den Erlass von Mindestvorschriften beschränkt und dürfte nach Abs 4 dieser Bestimmung nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Festlegung der Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit infrage stellen und das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme nicht erheblich beeinträchtigen.*

Was im Anschluss dann aber die Frage angeht, ob nach innerstaatlichem Recht ein Recht auf angemessene Grundsicherungsleistungen für nicht freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu gewähren ist, scheint diese Frage zumindest im deutschen Recht durch das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung eines soziokulturellen Existenzminimums,* das die Rsp des BSG* iS eines Rechts auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII effektuiert hat, geklärt. Der Gesetzgeber hat dies zwischenzeitlich für Ausländer, die nicht grundsicherungsleistungsberechtigt sind, auf höchstens einmonatige Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise nach § 23 Abs 3 Satz 3 SGB XII eingeschränkt.*

3.2.4.2.
Information über freie Arbeitsplätze

Zur Umsetzung von Paragraph 6 der durch die Befristungs-RL* verbindlich gemachten Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge schreibt § 18 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) im deutschen Recht eine Informationspflicht des AG über unbefristete Arbeitsplätze vor. Die Verletzung dieser Verpflichtung kann Schadensersatzansprüche gem § 280 BGB nach sich ziehen.* Da auch ein Arbeitsverhältnis mit einer Altersgrenze nach deutschem Recht ein befristetes Arbeitsverhältnis ist,* stellt sich die Frage, ob der AG auch hier informieren muss.

Während nach österreichischem Recht der AN mit Erreichen des Pensionsalters seinen Kündigungsschutz zwar nicht verliert, eine Beeinträchtigung wesentlicher AN-Interessen nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbG aber im Hinblick auf den vom Gesetzgeber in Kauf genommenen Einkommensverlust nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen ist,* gilt nach deutschem Recht das Gegenteil. Das Erreichen des Anspruchs auf Altersrente ist nach § 41 Satz 1 SGB VI ausdrücklich kein Kündigungsgrund. Die Möglichkeite 2 SGB VI dahin eingeschränkt, dass dies im Allgemeinen nur auf die Regelaltersrente bezogen werden kann. Derartige Altersgrenzen sind hingegen möglich und durch die Rsp des EuGH* und des BAG* als unionsrechts- und verfassungskonform gebilligt worden. Vor diesem Hintergrund haben Altersgrenzen im deutschen Recht eine deutlich größere Verbreitung als offenbar in Österreich.

Hinsichtlich der Altersgrenze wird in der Literatur eine teleologische Reduktion befürwortet, weil es sich beim Arbeitsverhältnis mit Altersgrenze doch um ein konsolidiertes „Normal-Arbeitsverhältnis“ handle.* Diese Sichtweise steht in gewissem Widerspruch zur jüngeren Rentengesetzgebung, die mit dem sogenannten Flexirentengesetz* Anreiz zur Weiterarbeit nach Erreichen des Rentenalters zur Vermeidung von Altersarmut schaffen wollte. Einzuräumen, aber auch zu kritisieren ist, dass der Gesetzgeber diese Vorstellung arbeitsrechtlich in keiner Weise flankiert hat, insoweit eine Weiterarbeit trotz Altersgrenze gegen den Willen des AG nicht erreichbar ist.* Es ist schon zweifelhaft, ob die vorgeschlagene Einschränkung mit der Befristungs-RL 292 vereinbar ist. Auch ein Arbeitsverhältnis mit Altersgrenze ist formal ein befristetes Arbeitsverhältnis. Der Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung ist nach deren Paragraph 2 Nr 1 eröffnet, weil es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis nach mitgliedstaatlicher Definition handelt. Die Voraussetzungen des Begriffs des befristet beschäftigten AN nach Paragraph 3 Nr 1 der Rahmenvereinbarung in der Befristungs-RL sind erfüllt, denn das Ende des Arbeitsverhältnisses ist durch objektive Bedingungen bestimmt, nämlich durch das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters. Paragraph 6 über die Informationspflicht enthält auch keine Einschränkung auf bestimmte befristete Arbeitsverhältnisse. Diese aus sich heraus naheliegende Auslegung des Sekundärrechts wird durch Grundsatz 5 der Säule sozialer Rechte, der in lit a eine faire und gleiche Behandlung unabhängig von der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses fordert und einen Übergang in eine unbefristete Beschäftigungsform fördern will, zusätzlich unterstützt.

Vor diesem Hintergrund ist die einschränkende Auslegung des § 18 TzBfG schon kaum vertretbar. Unterstützt wird dies dadurch, dass die Zielsetzung des Flexi-Rentengesetzes dadurch konterkariert würde. Das ließe sich weiter erhärten durch Heranziehung des Grundsatzes 5 der Säule. Allerdings muss betont werden, dass mitgliedstaatliche Gerichte nicht gehindert sind, die Säule sozialer Rechte hier zur Auslegung älteren mitgliedstaatlichen Rechts unterstützend heranzuziehen. Zwingend vorgegeben ist dies durch die Säule sozialer Rechte indes nicht.

4.
Bewertung

Auch wenn die Union bzw früher die Gemeinschaft zunächst am fehlenden Grundrechtskatalog litt, hat sich das grundlegend geändert. Schon die 1989 ebenfalls feierlich proklamierte Gemeinschafts charta der sozialen Grundrechte hat insoweit einen umfangreichen Katalog geboten. Hinzugekommen ist die Anerkennung der Grundrechte aus der EMRK gem Art 6 Abs 3 EUV neben der – ebenfalls zunächst feierlich proklamierten – Grundrechtecharta, die nach Art 6 Abs 1 EUV in den Rang des Primärrechts erhoben wurde. Als zumindest sozialpolitische Verheißungen werden die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte sowie die Europäische Sozialcharta in Art 151 AEUV ebenfalls primärrechtlich implementiert. Was also soll eine europäische Säule sozialer Rechte Zusätzliches bieten?

Anders als klassische Grundrechte, die gegen Staat und Union in Stellung gebracht werden können, zielt die europäische Säule sozialer Rechte auf eine effektive Verwirklichung solcher Rechte.* Sie ist zwar in erster Linie politisches Programm,* als solches aber auch ein Versprechen an die Bürger Europas. Ohne ausreichende Anstrengungen zur Implementierung wird aber auch dieser neuerliche Anlauf für ein soziales Europa scheitern.* Nicht zu Unrecht hatte das Parlament eine solide Säule eingefordert, „die nicht auf eine Grundsatzerklärung oder gute Absichten beschränkt ist, sondern die sozialen Rechte durch konkrete und spezifische Instrumente (...) stärkt“.* Ob das bei der feierlich proklamierten Säule wirklich der Fall ist, erscheint durchaus fraglich. Entscheidend ist, ob es gelingt, die Säule mit Leben zu füllen.* Dann aber kann sie auch auf das nationale Recht nicht nur im rechtspolitischen Sinne einwirken, sondern insb auch zu einer Stärkung sozialer Rechte bei der Auslegung des innerstaatlichen Rechts mit Unionsbezug wirken. Von daher kann die Säule möglicherweise sogar einen echten Mehrwert dadurch erlangen, dass sie die angestrebten Rechte verwirklicht, indem sie Friktionen durch die geteilten Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten überwindet.*

Die Säule bekräftigt das europäische Sozialmodell,* das bisweilen aus dem Fokus geraten zu sein scheint. Ob das der Einstieg in einen europäischen Sozialstaat ist,* bleibt abzuwarten. Wenn die vergangenen Jahre richtig gedeutet werden, hat die europäische Säule sozialer Rechte auf die Politik der Mitgliedstaaten keinen unmittelbaren sichtbaren Einfluss genommen. Demgegenüber zeigen die jüngeren Aktivitäten der Kommission durchaus Einfluss auf die europäische Politik, die über Sekundärrecht auch auf das mitgliedstaatliche Recht Einfluss nimmt. Dieser kann noch durch eine Berücksichtigung bei der Auslegung auch des mitgliedstaatlichen Rechts gestärkt werden.

Einen Schwachpunkt der Säule sozialer Rechte stellt es dar, dass dieser die judizielle Begleitung fehlt. An verbindlichen sozialen Rechten mangelte es schon vorher nicht. Freilich ist die Rsp des Gerichtshofs der Kritik ausgesetzt, in Abwägungsprozessen wirtschaftlichen Grundfreiheiten den Vorrang einzuräumen.* Wenn eine Stärkung sozialer Rechte politische Agenda ist, darf das die Jurisprudenz nicht ausnehmen. Insoweit weist die Säule sozialer Rechte einen blinden Fleck auf. Das zeigt sich auch bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts zur Umsetzung von Unionsrecht. 293