Muss man erwerbstätig gewesen sein, um Anspruch auf eine Invaliditätspension zu haben?
Muss man erwerbstätig gewesen sein, um Anspruch auf eine Invaliditätspension zu haben?
Versicherungsfall, Versicherungszeiten und Wartezeit
War die Klägerin gegen das Risiko des Ein tritts der Arbeitsunfähigkeit versichert?
Wartezeit
Die Wartezeit und das System der Versicherungszeiten
Ersatzzeiten und Wartezeit
Freiwillige Versicherungszeiten und Wartezeit
Teilpflichtversicherungszeiten und Wartezeit
Leistungen der Pensionsversicherung ohne Pflichtversicherung aus Erwerbstätigkeit
Ist der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bei der Klägerin eingetreten?
Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit
Innerer Zusammenhang Invaliditätspension – Alterspension (IP) und Tod
Setzt der Gesetzgeber das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit als selbstverständlich voraus?
Vergleich der Arbeitsfähigkeit zwischen Aufnahme und krankheitsbedingter Aufgabe der Beschäftigung
Wertungswiderspruch zu § 255 Abs 7
§ 255 ASVG in der Stammfassung
Die Nichtanerkennung der Zeiten gem § 18a ASVG als Wertungswiderspruch
Kindererziehungszeiten als Zeiten der Pflichtversicherung einer Erwerbstätigkeit
VfGH-Verfahren
Zusammenfassung
Während § 235 ASVG die Wartezeit als allgemeine Voraussetzung der Leistungsansprüche festlegt, 305 regelt § 236 die konkreten Anforderungen zur Erfüllung der Wartezeit, differenziert nach Versicherungsfällen und normiert, zu welchem Zeitpunkt Versicherungsmonate welcher Art, in welcher Mindestzahl vorliegen müssen.
Der Anspruch auf jede der im § 222 Abs 1 und 2 ASVG angeführten Leistungen – mit Ausnahme der Abfindung nach § 269 Abs 1 Z 1 (und sofern die Ausnahmen des § 235 Abs 3 lit a und c nicht vorliegen) – ist nach § 235 Abs 1 und 2 ua an die allgemeine Voraussetzung der Wartezeit geknüpft, dh dass am Stichtag eine Mindestzahl von Versicherungszeiten vorliegen muss. § 224 bestimmt die Versicherungszeiten, demnach zählen Selbstversicherungszeiten gem § 18a als Versicherungszeiten. Versicherungszeiten zu erwerben heißt: Die Pensionsversicherten können mit der Gefahrtragung durch den Versicherungsträger für jene Lebensrisiken rechnen, die der Gesetzgeber im Leistungsrecht umschreibt.* Entsprechend dem sozialversicherungsrechtlichen Schuldverhältnis erwirbt man mit den Versicherungszeiten gem § 221 – einheitlich und gesamthaft – Anwartschaften für Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes sowie für die Rehabilitation und Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge. Die Kl ist mit den Versicherungszeiten gem § 18a gegen alle Lebensrisiken des § 221 versichert, nicht nur gegen das Risiko des Alters. Das Konzept des ASVG sieht überhaupt keine isolierte Alters-PV vor. Der Erwerb von Pensionsversicherungszeiten und die Erfüllung der Wartezeiten für die verschiedenen Leistungen sowie der besonderen Anspruchsvoraussetzungen für einzelne Leistungen sind streng voneinander zu trennen. Fest steht, dass die Kl 203 Versicherungsmonate – für die Risiken Alter, Invalidität und Tod – erworben hat, zum einen 65 Monate an Kindererziehungszeiten und zum anderen 138 Monate an Zeiten der Selbstversicherung für die Pflege eines behinderten Kindes nach § 18a ASVG. In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob die Kl die Wartezeit für eine Pension der geminderten Arbeitsfähigkeit erfüllt.
Die historische Entwicklung zeigt, dass die Mindestwartezeit für den Erwerb eines Anspruchs auf eine IP dem ursprünglichen und traditionellen Konzept von 60 Versicherungsmonaten treu geblieben ist. Oder anders formuliert, die Wartezeit der auf Versicherungsmathematik und Kapitaldeckung beruhenden PV der Angestellten hat sich bis ins Umlageverfahren der heutigen SV erhalten. Die Wartezeit ist, wie es bei Bley* heißt, „eine Erscheinungsform des Versicherungsprinzips und soll Versicherungsleistungen an Versicherte ausschließen, die der Versicherung nur kurze Zeit angehört haben“*, oder wie es der OGH in 10 ObS 4/92 vom 28.1.1992 auf Basis zahlreicher Quellen zusammenfasst: „Diese aus der Privatversicherung kommende Einrichtung soll sicherstellen, dass Pensionsleistungen erst nach entsprechend langer Beitragszahlung (Versicherungsdauer) in Anspruch genommen werden können, dass also nur Personen in den Genuss von Leistungen kommen, die der Versicherungsgemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehören und durch ihre Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben.“
Unstrittig stellt die Wartezeit ein versicherungsmathematisch begründbares Erfordernis der Risikobeschränkung der Privatversicherung dar. Auch in der gesetzlichen PV, insb bei Alterspensionen, ist die Wartezeit ein sinnvolles Instrument, um den manipulativen Erwerb von Leistungen zu vermeiden und den Erwerbs- und Beitragsgedanken in den Vordergrund zu rücken. Bei Invaliditätspensionen ist die Bedeutung der Wartezeit reduziert; bei Arbeitsunfällen entfällt die Wartezeit überhaupt und für jüngere Versicherte ist sie auf sechs Versicherungsmonate (bis zum 27. Lebensjahr) bzw 60 Versicherungsmonate (zwischen dem 27. und 50. Lebensjahr) herabgesetzt.
Grundsätzlich ist es dem Versicherungsprinzip der gesetzlichen SV eigen, dass Beitragszahlungen risiko- und nicht leistungsbezogen erfolgen. Wenn die Erfüllung der Wartezeit für eine IP von der Beitragsentrichtung zu einer freiwilligen Weiterversicherung abhängt, besteht keine Verpflichtung des Pensionsversicherungsträgers, die Frage der Invalidität vor der Beitragsentrichtung, also vor Erfüllung der Wartezeit, abzuklären.*
Die Ausführungen zeigen, dass sich das Versicherungsverhältnis in der Erfüllung der Wartezeit konkretisiert. Erst wenn die Wartezeit für den jeweiligen Versicherungsfall erfüllt ist, ist man gegen die Verwirklichung des Risikos versichert und der Versicherungsträger ist verpflichtet, die weiteren Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen.
§ 236 Abs 1 und 2 ASVG fordert für den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit 60 Versicherungsmonate innerhalb der letzten 120 Kalendermonate an Wartezeit. Gem § 236 Abs 4 ist die Wartezeit für den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit auch erfüllt, wenn 180 Beitragsmonate, ausgenommen Selbstversicherungszeiten gem § 16a, sofern sie 12 Monate nicht überschreiten, vorliegen. Gem § 236 Abs 4a zählen maximal 24 Monate an Kindererziehungszeiten gem § 227a als Beitragsmonate gem Abs 4. Gem § 225 Abs 2a zählen auch Kindererziehungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit g und gem § 225 Abs 1 Z 3 Zeiten einer freiwilligen Versicherung gem § 18a als Beitragszeiten. Es ist zwar aus dem Sachverhalt nicht klar ersichtlich, aber man kann davon ausgehen, dass die Kl die Voraussetzung der ewigen Anwartschaft von 180 Beitragsmonaten gem Abs 4, aber jedenfalls die 60 Versicherungsmonate in den letzten 120 Kalendermonaten, erfüllt. Im nächsten Schritt soll der Erwerb von Versicherungszeiten iZm der Wartezeit näher betrachtet werden. 306
Neben der klassischen Pflichtversicherung aus Erwerbstätigkeit gem der §§ 4-8 wurde in der PV des ASVG ausgehend von der Stammfassung ein Katalog von Ersatzzeiten insb gem § 227 und § 227a geschaffen. Als dritte Kategorie an Versicherungszeiten wurden auch die freiwilligen Versicherungszeiten ausgebaut. Mit dem Pensionsharmonisierungsgesetz* wurde das System der Versicherungszeiten auf den Kopf gestellt, indem alle Ersatzzeiten als Beitragszeiten der Pflichtversicherung konzipiert wurden. Diese Neuordnung hatte auch Auswirkungen auf die Erfüllung der Wartezeiten. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass der Gesetzgeber neu ins ASVG aufgenommene Versicherungszeiten immer gezielt mit den Wartezeiten koordiniert hat. Vorweg kann schon gesagt werden, dass jede Versicherungszeit grundsätzlich universell für alle Versicherungsfälle der PV gilt. Einschränkungen oder Erweiterungen sind entweder allgemein in den Wartezeitbestimmungen der §§ 235 und 236 normiert oder direkt bei den Leistungen. Für die Versicherungszeiten gem § 18a hat der Gesetzgeber keinerlei Beschränkungen bei den Wartezeitregelungen oder der Wartezeitwirkung festgelegt.
Ersatzzeiten gem § 227 ASVG können nur in jenen Zweigen der PV erworben werden, in denen davor oder danach eine Beitragszeit liegt. Schulund Studienzeiten gem Abs 1 Z 1 werden nur in jenem Zweig der PV erworben, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt. Zeiten des Wochengeldbezugs (Z 3) werden nur in dem Zweig erworben, in dem eine vorangegangene Beitragszeit vorliegt, das gilt auch für Zeiten der Arbeitslosigkeit (Z 5) und des Krankengeldbezuges (Z 6). Für Präsenz- und Zivildienst (Z 7 und 8) braucht es eine vor oder nachgelagerte Beitragszeit und auch Kindererziehungszeiten gem § 227a konnten nur erworben werden, wenn es davor oder danach auch Beitragszeiten gab.
Der Gesetzgeber hat so gezielt Vorsorge dafür getroffen, dass allein mit Ersatzzeiten keine Wartezeit erfüllt werden konnte. Eine Ausnahme davon stellen im Katalog der Ersatzzeiten des § 227 ASVG nur die Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft (Z 2) dar. Sie gelten ohne weiteres als Ersatzzeiten. Hingegen gelten Zeiten gem § 228 Abs 1 Z 4 nur dann als Ersatzzeiten, wenn auch eine vorangegangene Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt.* Dh, der Erwerb von Versicherungszeiten ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Wenn man aber Versicherungszeiten erworben hat, sind sie für die Wartezeit auch zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass die meisten Ersatzzeiten ohnehin nur aus einer Erwerbstätigkeit resultieren können. Hierzu zählen Zeiten des Wochengeld-, Krankengeld-, Rehabilitationsgeld-, Wiedereingliederungsgeld- und Übergangsgeldbezuges, alle Zeiten eines Leistungsbezuges aus der Arbeitslosigkeit, aber auch Zeiten einer Pflegeteilzeit oder des Familienzeitbonus. Nur Schul- und Studienzeiten, Präsenz- und Zivildienstzeiten und Kindererziehungszeiten resultieren nicht aus einer vorgelagerten Erwerbstätigkeit.
In der Stammfassung des ASVG* war die freiwillige PV auf die Weiterversicherung gem § 17 beschränkt und selbst diese musste innerhalb einer bestimmten Frist nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung beantragt werden. Die Beschränkungen wurden damit begründet, dass das ASVG keine allgemeine Volksversicherung anstrebe, sondern auf Arbeiter und Angestellte und diesen gleichgestellten Personen beschränkt bleiben soll.* In der Folge wurden die Möglichkeiten der freiwilligen Versicherung in der PV in chronologischer Reihenfolge um die §§ 18a, 16a, 19a und 18b erweitert.
Mit der 44. ASVG-Novelle* wurde die verfahrensgegenständliche Selbstversicherung gem § 18a mit Wirksamkeit ab 1.1.1988 eingeführt. Laut EB* hatte man auch überlegt, den Ersatzzeitenkatalog des § 227 zu erweitern. Dagegen sprach die größere finanzielle Belastung, die eine beitragsfreie Anrechnung mit sich gebracht hätte. Darüber hinaus hatte man die Einführung von Ersatzzeiten für die Pflege eines behinderten Menschen in Anbetracht der Einkommensersatzfunktion der PV als höchst problematisch angesehen. Daher habe sich der historische Gesetzgeber für eine begünstigte Selbstversicherung in der PV entschieden, wobei der Schwerpunkt der Begünstigung in § 77 Abs 5 liegt, demzufolge die Beiträge aus den Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds zu tragen sind.
Nach der ursprünglichen Regelung kamen alle jene Personen in Betracht, die sich der Pflege eines behinderten Kindes, das nicht älter als 27 Jahre war, widmeten, für das erhöhte Kinderbeihilfe gewährt wurde, und deren Arbeitskraft als Folge der Pflege zur Gänze in Anspruch genommen war. Der Verweis auf § 8 des FLAG bedeutete überdies, dass es sich bei den Pflegepersonen nur um die leibliche Mutter bzw den leiblichen Vater handeln konnte. Der Umfang des in Betracht kommenden Personenkreises wurde auf 5.000 geschätzt.*
Die Selbstversicherung gem § 18a soll dem betreuenden Elternteil insb ermöglichen, die 15-jährige Anwartschaft für die Alterspension zu erwerben.* Klarerweise war das Hauptziel der Regelung, die eigenständige Alterssicherung insb der Frauen zu fördern. Daher wurde die Altersgrenze des zu betreuenden Kindes schrittweise vom 27. Lebensjahr auf das 30. Lebensjahr* und schließlich 307 auf das 40. Lebensjahr* erhöht. Nichtsdestotrotz wurde mit § 18a eine freiwillige PV geschaffen, die universell für alle Wartezeiten – sofern nicht explizit ausgeschlossen – zu berücksichtigen war. Die Anspruchsvoraussetzungen hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales der „gänzlichen Inanspruchnahme der Arbeitskraft“ waren streng geregelt (gem § 18a Abs 3 muss das Kind etwa dauernd bettlägrig sein, etc). Im Ergebnis wurde eine an eine Erwerbstätigkeit angelehnte Selbstversicherung mit einem Beitragssatz von 20 %* geschaffen, als Beitragsgrundlage wurde ein fiktiver Arbeitsverdienst herangezogen.*
Mit der 50. ASVG-Novelle* hat der Gesetzgeber mit § 16a die Forderung nach einer Selbstversicherung in der PV erfüllt. Ziel dieser Selbstversicherung sollte es sein, in den Fällen, in denen keine oder zu wenige Zeiten der Pflichtversicherung erworben worden sind, durch den Erwerb von Selbstversicherungszeiten die Voraussetzungen für eine Weiterversicherung in der PV zu schaffen. Durch die damit bewirkte Öffnung der PV sollte dem mehrfach geäußerten Wunsch nach Schaffung einer umfassenden freiwilligen Versicherung in der PV Rechnung getragen werden.
„Für die Erfüllung der Wartezeit (§§ 235 Abs 2 und 3 lit b, 236 Abs 4 ASVG) sollten Zeiten einer Selbstversicherung nach § 16 a ASVG nicht herangezogen werden, da ihr Hauptzweck darin liegt, die Voraussetzungen für eine Weiterversicherung in der Pensionsversicherung zu schaffen. Ein im Sinn der Regelung nicht gewolltes Ausnützen der neuen Form der freiwilligen Versicherung ist daher praktisch sinnlos.“* Selbstversicherungszeiten gem § 16a gelten nur im Höchstausmaß von 12 Monaten für die Wartezeit. Der Gesetzgeber hat klar verhindert, dass mit freiwilligen Zeiten gem § 16a eine Alterspension oder IP erworben werden kann. Von der kurzen Wartezeit von sechs Versicherungsmonaten für unter 27-Jährige sind Zeiten nach § 16a gem § 236 Abs 4 Z 3 generell ausgeschlossen.
Mit dem ASRÄG 1997* wurden geringfügig beschäftigte Personen in die SV unter dem Gesichtspunkt des Sozialschutzgedankens wie auch vom Gesichtspunkt der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen einbezogen.* In § 235 Abs 3 lit a ist vorgesehen, dass die Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder aus dem Versicherungsfall des Todes auch für nach § 19a Selbstversicherte entfällt, wenn der Versicherungsfall Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit ist.
Mit dem SVÄG 2005* wurde für Personen, die einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 der Pflegegeldgesetze unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, eine Selbstversicherung in der PV eingeführt. Gem § 77 Abs 8 sind die Beiträge zur Gänze vom Bund zu tragen. Die monatliche Beitragsgrundlage ist gem § 76b Abs 5a diejenige, die auch für Kindererziehungszeiten, Präsenz- und Zivildienst und mittlerweile auch für Selbstversicherte gem § 18a gilt. Die Beitragsgrundlage ist ua in § 44 Abs 1 Z 18 geregelt (Wert 2022: € 1.738,07 14 x jährlich). Auch für den Erwerb der Selbstversicherungszeiten gem § 18b sind keine vor- oder nachgelagerten Versicherungszeiten vorausgesetzt.
Zusammengefasst wurde mit § 18a ASVG im Jahr 1988 erstmals eine Versicherungszeit eingeführt, die es ermöglichte, die Wartezeiten für die Versicherungsfälle der PV ohne sonstige Beitragszeiten zu erfüllen. Mit dem SVÄG 2005 wurde diese Möglichkeit auf § 18b erweitert. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bereits 2004 mit der Einführung der Teilpflichtversicherungszeiten ein Paradigmenwechsel stattgefunden hatte.
Die Transformation der bisherigen Ersatzzeiten gem §§ 227 und 227a ASVG in neue Teilpflichtversicherungen* ist neben der Schaffung des Pensionskontos die bedeutendste Änderung durch das PensionsharmonisierungsG.
Die Einordnung in die Systematik des „Altrechts“ bereitete jedoch große Schwierigkeiten. Da sie im Katalog der Beitragszeiten nach § 225 ASVG nicht ausdrücklich angeführt waren und bei der Rangfolge der Versicherungszeiten in § 231 gleichrangig mit den früheren Ersatzzeiten genannt werden, wurden sie nach der Judikatur des OGH* auch nicht als „Beitragsmonate“ für die Erfüllung der ewigen Anwartschaft nach § 236 Abs 4 ASVG oder der besonderen Voraussetzungen für den Berufsschutz bei der IP oder Berufsunfähigkeitspension* und der Voraussetzungen für die „originäre“ Invalidität nach § 255 Abs 7 akzeptiert.
Schließlich wurde im Rahmen des SRÄG 2015* durch Aufnahme dieser Teilpflichtversicherungszeiten in den Katalog der Beitragszeiten nach dem „Altrecht“* eindeutig klargestellt, dass diese Zeiten iZm der Erfüllung der Wartezeit als Beitragszeiten zu qualifizieren sind. Weiters wurde mit dem SRÄG 2015 iSd erwähnten Judikatur auch normiert, dass für die Erfüllung der Voraussetzungen des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 bzw der originären Invalidität (Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit) nach § 255 Abs 7 nur Beitragszeiten „aufgrund einer Erwerbstätigkeit“ heranzuziehen sind, sodass in diesen Fällen Zeiten der erwähnten Teilpflichtversicherungen nicht zu berücksichtigen sind.*
Weiters ist für den Erwerb der Teilpflichtversicherungszeiten – im Unterschied zu den Ersatzzeiten – 308 grundsätzlich keine vor- oder nachgelagerte Versicherungszeit erforderlich. Die einzige Ausnahme davon ist der Erwerb von Schul- und Studienzeiten gem § 18, der zumindest einen vor- oder nachgelagert erworbenen Versicherungsmonat voraussetzt.
Nun sollen aus der Zusammenschau der vorigen Kapitel in chronologischer Reihenfolge jene wesentlichen Leistungsansprüche aus der PV dargestellt werden, die, auch ohne jemals erwerbstätig gewesen zu sein, bestehen.
Die Versicherungszeiten gem § 227 Abs 1 Z 2 ASVG (Kriegsgefangenschaft, Kriegsdienst, Zivilinternierung) können ohne vor- oder nachgelagerte Versicherungszeiten erworben werden. Damit ist es möglich, nur mit diesen Zeiten Wartezeitanforderungen zu erfüllen. Am ehesten ist hier an Leistungen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit für invalide Kriegsheimkehrer zu denken. Dies gilt zum Teil auch für Versicherungszeiten gem §§ 500 ff (politische Verfolgung und Auswanderung iZm dem Nationalsozialismus).
Für Selbstversicherungszeiten gem § 18a ASVG war das erklärte Ziel, die Wartezeit für einen Alterspensionsanspruch nur mit diesen Zeiten – ohne Pflichtversicherungszeiten aus Erwerbstätigkeit – zu erfüllen. Mit § 18a-Zeiten wird auch die Wartezeit für Leistungen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit erfüllt. Ob damit auch ein Leistungsanspruch gem § 255 Abs 3 entsteht, soll im nächsten Kapitel untersucht werden. Mit allen anderen Ersatzzeiten oder freiwilligen Zeiten war es bis zur Pensionsharmonisierung nicht möglich, eine der Wartezeiten für einen Versicherungsfall der PV zu erfüllen. Es gibt auch keinen Hinweis im Gesetz oder in den Erläuternden Bemerkungen, dass der Gesetzgeber einen Invaliditätsanspruch mit § 18a-Zeiten oder davor mit Kriegsdienstzeiten ausschließen wollte. Ganz im Gegenteil hat der Gesetzgeber den Erwerb dieser Zeiten so konzipiert, dass keine anderen Zeiten erforderlich sind.
Mit der Pensionsharmonisierung wurde in § 4 APG eine neue Mindestversicherungszeit mit der Anforderung von 180 Versicherungsmonaten geschaffen, von denen mindestens 84 aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben wurden. Dabei wurden Selbstversicherungszeiten gem §§ 18a und 18b ASVG Versicherungsmonaten aufgrund einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Damit ist es auch nach dem APG möglich, ohne jemals erwerbstätig gewesen zu sein, einen Alterspensionsanspruch zu erwerben.
Seit 1.1.2005 können die früheren Ersatzzeiten als Teilpflichtversicherungszeiten ohne vor- oder nachgelagerte Versicherungszeiten* erworben werden und zum anderen gelten diese Zeiten seit dem SRÄG 2015* als Beitragszeiten für die Wartezeitbestimmungen (außer es ist explizit etwas anderes geregelt wie insb bei § 255 Abs 2 oder § 255 Abs 7).
Damit werden seit 1.1.2005 auch Kindererziehungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG und Präsenz- und Zivildienstzeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit d und e ohne Vorliegen sonstiger Zeiten erworben. Dies führt dazu, dass im ASVG nur mit Kindererziehungszeiten die Wartezeiten für die Versicherungsfälle der PV erfüllt werden können. Für die Präsenz- und Zivildienstzeiten kommt wohl nur die Erfüllung der Wartezeit für die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit bis zum 27. Lebensjahr in Betracht.
Bemerkenswert ist, dass gem ASVG nur mit Kindererziehungszeiten ein Alterspensionsanspruch erworben werden kann. Dies gilt für alle Versicherten, die zumindest einen Versicherungsmonat bis zum 31.12.2004 erworben haben (vgl dazu die Günstigkeitsklausel in § 16 Abs 3 APG). Für Versicherte, die ausschließlich Versicherungszeiten nach dem 31.12.2004 aufweisen, gelten für die Alterspension ausschließlich die Bestimmungen des APG, das eine Alterspension allein mit Kindererziehungszeiten nicht vorsieht. Diese Differenzierung gilt nicht für Leistungen bei geminderter Arbeitsfähigkeit und des Todes, weil das APG nur das Ausmaß der Invaliditäts- und Hinterbliebenenpensionen regelt, nicht jedoch den Anspruch auf diese Leistungen, der weiterhin allein nach den Bestimmungen des ASVG zu prüfen ist.
Das Erst- und Berufungsgericht behaupten, „mangels Eintritts in das Erwerbsleben“ (Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) könne kein Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit vorliegen. Der Versicherungsfall ist zweifellos ein fundamentaler Begriff in der SV und auch im gegenständlichen Zusammenhang. Der Versicherungsfall als verwirklichtes Ereignis steht im Gegensatz zum versicherten Risiko. Gem § 221 ASVG trifft die PV Vorsorge für die Versicherungsfälle des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes. Gem § 223 gilt der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit mit dem Eintritt der Invalidität als realisiert. Der Versicherungsfall ist die sinngebende Leistungsvoraussetzung, dessen Eintritt notwendig ist, aber nicht hinreicht. Denn es müssen auch sonstige (sekundäre) Leistungsvoraussetzungen erfüllt werden, deren Zweck darin besteht, die Leistungsgewährung trotz Eintritts des Versicherungsfalls einzuschränken, aus Finanzierungsgründen oder auch, um missbräuchliche Inanspruchnahmen zu vermeiden.* Ein typisches Beispiel dafür sind die bereits ausführlich behandelten allgemeinen Wartezeiten und die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für konkrete Leistungen, die immer 309 auch in einem inneren Zusammenhang mit der jeweiligen Leistung stehen.
Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit hat nach der stRsp des OGH zur Voraussetzung, dass eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit herabsinkt.* MaW versichert die SV das Risiko, krankheitsbedingt arbeitsunfähig zu werden. Für die Verwirklichung dieses Risikos ist es keineswegs erforderlich, vor oder bei Eintritt des Risikos erwerbstätig (gewesen) zu sein. Die Arbeitsfähigkeit besteht ja an und für sich als Potential, am Arbeitsmarkt ein Einkommen zu erzielen. Für den Fall des Verlustes dieses Vermögens bietet die SV ihren Versicherten einen gewissen Schutz. Die Arbeitsfähigkeit bedeutet die Möglichkeit der versicherten Person, sich durch den Einsatz ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten einen Erwerb zu verschaffen.*
Ab einem gewissen Alter (Regelpensionsalter) wird generell angenommen, dass die Arbeitsfähigkeit aus physiologischen Gründen soweit herabgesunken ist, dass von einer geminderten Arbeitsfähigkeit auszugehen ist.* Die Alterspension ist damit die Grundform einer Leistung der geminderten Arbeitsfähigkeit, die durch das Regelpensionsalter typisiert wurde. Dieser Zusammenhang lässt sich in der Entwicklung aller Pensionsgesetze nachweisen. Vergleiche dazu etwa die Entwicklung der Beamtenversorgung (Beamte konnten nach 40 Dienstjahren ohne den sonst erforderlichen Nachweis der Dienstunfähigkeit in den dauerhaften Ruhestand versetzt werden*) oder § 1 BruderladenG (die Provisionskasse hatte zu leisten, wenn ein Mitglied aufgrund von Krankheit, Alter oder Betriebsunfall erwerbsunfähig wurde*) oder auch § 102 Invalidenversicherung,* demgemäß die Invaliditätsrente ab dem 65. Lebensjahr ohne Nachweis der Invalidität als Altersrente gebührte,* etc. Zweck der PV ist es, einen Ersatz für den durch das Absinken der Arbeitskraft bedingten Entfall des Arbeitseinkommens zu schaffen.* Die Altersgrenze soll bei Alterspensionen jenen Zeitpunkt darstellen, von dem an in einer Durchschnittsbetrachtung eine Verringerung der Arbeitsfähigkeit des Menschen angenommen werden kann.* Nach rezenten medizinischen Erkenntnissen kann nach der allgemeinen Erwartungswahrscheinlichkeit ein völlig gesunder 67-jähriger Mann als Dauerleistung nur noch „leichte Arbeiten unterster Schwelle“ erbringen.*
Die IP trifft Vorsorge, wenn die Arbeitsfähigkeit schicksalhaft wegen Krankheit oder Unfall vor Erreichen des (Regel-)Pensionsalters herabsinkt. Nachdem die Invalidität auch schon in jungen Jahren eintreten kann, sind die Wartezeitanforderungen wie dargestellt für Jüngere wesentlich erleichtert.*
Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, wieso der Gesetzgeber Versicherungszeiten mit dem Ziel einführen hätte sollen, zwar damit einen Anspruch auf Alterspension zu ermöglichen, nicht aber auf eine IP. Wollte der Gesetzgeber das, brauchte er nur bei der Wartezeit oder den besonderen Anspruchsvoraussetzungen eine bestimmte Zahl an Erwerbsmonaten fordern.
Vor allem die Argumentation des OGH in 2.3.5. der E, der Gesetzgeber setze das Vorliegen einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit auch dann als selbstverständlich voraus, wenn er keine bestimmte Art oder Dauer einer Beschäftigung verlangt, widerspricht der Regelungstechnik und dem System der Wartezeiten und der besonderen Anspruchsvoraussetzungen. Zuerst einmal verdeutlicht diese Begründung, dass für Unqualifizierte nach der Wort- und Sinninterpretation des § 255 Abs 3 keine Erwerbstätigkeit als Voraussetzung gefordert wird. Der OGH schlussfolgert das „Selbstverständliche“ aus der Zusammenschau mit anderen Bestimmungen. Aber wie kann es „selbstverständlich“ sein, dass der Gesetzgeber von Zeiten der Erwerbstätigkeit ausgeht, ohne Art und Dauer dafür zu bestimmen? Das gesamte Regime an Wartezeiten und besonderen Anspruchsvoraussetzungen für die Versicherungsfälle der PV sind detailliert und exakt geregelt. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei zwischen Zeiten der Pflichtversicherung, Beitragszeiten, Ersatzzeiten, Schwerarbeitszeiten, etc. Und für einen der wichtigsten Versicherungsfälle soll er das nicht geregelt haben? Das versteht sich wirklich nicht von selbst. Die Beschränkungen des Leistungszugangs betreffend die Versicherungszeiten erfolgt im ASVG ausnahmslos über konkrete Wartezeiten und Bedingungen für den Erwerb von Versicherungszeiten. Wenn es keine diesbezügliche Anordnung des Gesetzgebers gibt, dann sollte der OGH auch keine voraussetzen.
Der OGH geht in 2.3.6. der E von einem Vergleich der Arbeitsfähigkeit zwischen Aufnahme und krankheitsbedingter Aufgabe der Beschäftigung aus. Ein derartiger Vergleich findet bei § 255 Abs 3 310 ASVG nicht statt. In den wenigsten Fällen (25 %)* findet der Übertritt in die IP aus einer aufrechten Beschäftigung statt, überwiegend erfolgt der Übertritt aus dem Status der Arbeitslosigkeit; hier liegt die letzte Erwerbstätigkeit oft viele Jahre zurück. Die Arbeitsfähigkeit wird durch medizinische Gutachten in Form eines Gesamtleistungskalküls am Maßstab der leichtesten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (Portier etc) für den Zeitpunkt der Antragstellung ermittelt. Im Verfahren wird kein Vergleich der Arbeitsfähigkeit zum Zeitpunkt der Aufnahme der Erwerbstätigkeit angestellt. Daher findet die Argumentation des OGH „Eine Invaliditätspension ohne Eintritt in das Erwerbsleben zu gewähren, wäre systemfremd, weil die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit auf reinen Hypothesen beruhen würde.“ keine Entsprechung im Gesetz und auch nicht in der Praxis des Anstalts- und Gerichtsverfahrens. Die Frage, ob eine Erwerbsunfähigkeit in die Versicherung eingebracht wurde,* ist bei entsprechenden Zweifeln immer zu überprüfen, völlig unabhängig davon, ob eine Erwerbstätigkeit aufgenommen wurde oder nicht.
Der OGH will in 2.3.6. idZ auch einen Wertungswiderspruch zu § 255 Abs 7 ASVG erkennen, weil sogar Personen, die die Arbeitsunfähigkeit eingebracht haben, nur dann Anspruch auf eine IP haben, wenn sie 120 Beitragsmonate der Erwerbstätigkeit erworben haben. Hier ist kein Wertungswiderspruch zu sehen. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade mit § 255 Abs 7 wurde für Personen ein Leistungsanspruch eröffnet, bei denen der Eintritt des Versicherungsfalles grundsätzlich ausgeschlossen ist, weil eben die Arbeitsunfähigkeit bei Beginn der Versicherung schon bestand. § 255 Abs 7 passt nicht in die Systematik von Versicherungsprinzip, Wartezeit und Versicherungsfall. Aus Billigkeitsgründen wurde für diese Personen, wenn sie trotz ihrer Einschränkungen zehn Arbeitsjahre erwerben, ein Leistungsanspruch eingeräumt, einer Personengruppe, die nie gegen das Risiko der Invalidität versichert sein konnte, weil es sich schon vor Versicherungseintritt verwirklicht hatte. Hier besteht keinerlei Wertungswiderspruch, sondern § 255 Abs 7 ist die Bestätigung, dass der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit im Risiko des Herabsinkens der Arbeitsfähigkeit besteht.
In der Stammfassung des ASVG und damit in der Urform der Invaliditätspension ist keine tatsächliche Tätigkeit vorgesehen. Alle erleichterten Zugangsformen wie der Berufsschutz,* die Härtefallregelung gem § 255 Abs 3a* und § 255 Abs 7* wurden durch spätere Novellen ergänzt, ohne den geringsten Hinweis, dass am Grundkonzept etwas geändert werden sollte.
In der Stammfassung war für Arbeiter:innen faktisch kein Berufsschutz vorgesehen, das Verweisungsfeld erstreckte sich auf den gesamten Arbeitsmarkt. „Dagegen bleibt es dabei, daß bei Prüfung, ob diese Einschränkung der Erwerbsfähigkeit gegeben ist, der ganze Arbeitsmarkt und nicht etwa nur die Berufsgruppe des Versicherten in Betracht zu ziehen ist.“
*
Gem § 254 ASVG war der Anspruch auf eine Invaliditätsrente gegeben, wenn die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt waren (die Wartezeit gem § 235) und Invalidität vorlag. Als invalid galt gem § 255, wer nicht mehr in der Lage war, die Hälfte des Normalverdienstes von körperlich und geistig gesunden Personen mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend zu verdienen.
Damit ist auch der Zusammenschau des OGH in 2.3.5. der Boden entzogen. Es gibt kein Konzept des Gesetzgebers für § 255, aus dem sich für § 255 Abs 3 eine Erwerbstätigkeit als „selbstverständliche“ Voraussetzung ableiten ließe. Der heutige § 255 Abs 3 war in der Stammfassung die Urform des Invaliditätsbegriffs im ASVG und hier war keine Erwerbstätigkeit als besondere Anspruchsvoraussetzung vorgesehen.
§ 255 wurde sukzessive durch Erleichterungen beim Zugang (Berufsschutz, Härtefallregel, etc) erweitert. Für diese Erleichterungen oder alternativen Zugänge hat der Gesetzgeber besondere Anspruchsvoraussetzungen in Form von Mindestdauern der Erwerbstätigkeit festgelegt. Diese Mindestdauern der Erwerbstätigkeit sind nichts anderes wie eine besondere Wartezeit, um die jeweilige Begünstigung zu erreichen. Der Berufsschutz stellt eine wesentliche Erleichterung beim Zugang zu einer IP dar, weil nicht der Maßstab des allgemeinen Arbeitsmarktes angelegt wird, das gleiche gilt für den Tätigkeitsschutz. Die Härtefallregelung stellt eine Sonderform des Zugangs für Unqualifizierte dar. Jede dieser besonderen Wartezeiten steht in engem rechtlichen und sozialpolitischen Zusammenhang zur gewährten Erleichterung.
Ein Rückschluss auf den Grundanspruch entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Vielmehr trifft wieder das Gegenteil zu. Hätte der Gesetzgeber eine Mindestanzahl an Erwerbsmonaten auch für den allgemeinen Anspruch gewollt, dann hätte er einen solchen wohl bei der allgemeinen Wartezeit oder bei den besonderen Anspruchsvoraussetzungen festgelegt. So ist zB die Mindestwartezeit von sechs Versicherungsmonaten bis zum 27. Lebensjahr ein gutes Argument, das gegen eine Erwerbstätigkeit als Voraussetzung für den Anspruch spricht.
Ausgeschlossen werden nur Selbstversicherungszeiten nach § 16a ASVG, alle anderen Versicherungszeiten zählen. Ebenfalls mit der 9. Novelle wurde in § 235 Abs 3 mit sechs Versicherungsmonaten eine wesentlich erleichterte Wartezeit für unter 21-Jährige festgelegt.49) Auch hier ohne den geringsten Hinweis, dass der Gesetzgeber 311 von einer Mindestanzahl an Beitragsmonaten der Pflichtversicherung ausgehen würde.
Gem § 236 ASVG war in der Stammfassung für den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit die Wartezeit für jüngere Versicherte (vor dem 50. Lebensjahr) mit 60 Versicherungsmonaten festgesetzt, davon durften nicht mehr als die Hälfte freiwillige Versicherungszeiten sein. In den Erläuternden Bemerkungen wird das Ziel der Bestimmung auch klar benannt, nämlich, dass die kurze Wartezeit zu einem Pensionsanspruch führen soll. „Wenn aber ein solcher Versicherter ausnahmsweise schon in frühem Alter invalide oder berufsunfähig wird, soll ihm die kurze Wartezeit zur Erlangung einer Rente verhelfen.“
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Die Nichtanerkennung der Selbstversicherungszeiten gem § 18a ASVG stellt auch einen Wertungswiderspruch zu den sonstigen Zugangsvoraussetzungen zu einer IP dar. Wieso soll jemand, der zehn Jahre ein schwer behindertes Kind gepflegt, großen Verdienstentgang in Kauf genommen und der öffentlichen Hand sehr viel Steuergeld erspart hat, keinen Anspruch auf eine IP haben, jedoch ein nach § 19a Selbstversicherter, der am Weg zu seiner ersten Beschäftigung verunfallt, schon? Auf der einen Seite wurden – wie im Fall der Kl – 206 Versicherungsmonate durch eine wichtige gesellschaftliche Leistung erworben, die jedenfalls den Anspruch auf eine Alterspension begründen, auf der anderen Seite entsteht durch einen Wegunfall am ersten Tag der Versicherung vor Aufnahme der Beschäftigung ein Anspruch auf eine IP? Das ist doch ein Wertungswiderspruch, den man dem Gesetzgeber nicht unterstellen sollte, wenn er es nicht ausdrücklich so geregelt hat.
In 4.1. der E erörtert der OGH die Bedeutung der Kindererziehungszeiten für die Wartezeit. In 4.1.3. führt der OGH aus, dass Kindererziehungszeiten für die Erfüllung der Wartezeit nur in einem bestimmten Ausmaß zählen. Hier übersieht der OGH, dass diese Bestimmung der Pensionsreform 2003* durch die Pensionsharmonisierung und das SRÄG 2015* als überholt anzusehen ist. Spätestens seit dem SRÄG 2015 gelten Kindererziehungszeiten gem § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG unbeschränkt als Beitragszeiten und daher kann allein mit Kindererziehungszeiten die Wartezeit für eine Alterspension oder IP gem § 236 Abs 4 (ewige Anwartschaft) von 180 Beitragsmonaten erfüllt werden. In 4.2.9. wiederholt der OGH seine irrtümliche Annahme, dass Kindererziehungszeiten nicht unbeschränkt als Beitragszeiten gelten. Damit sind auch die vom OGH zitierten rechtspolitischen Ziele des SRÄG 1993, dass mit Kindererziehungszeiten lediglich „Lücken im Versicherungsverlauf“
geschlossen werden sollen, als überholt anzusehen (vgl auch 2.3.5.).
Den Ausführungen des OGH in 4.2.10. „Hätte der Gesetzgeber mit der Einführung der Selbstversicherung gem § 18a ASVG das System der Invaliditätsbzw Berufsunfähigkeitspension ändern wollen (...) hätte er dies ausdrücklich (insbesondere) in den §§ 255, 273 ASVG festgelegt.“ist nur zu entgegnen, dass die Einführung einer neuen Versicherungszeit keine Systemänderung bedeutet. Hier ist zu wiederholen, hätte der Gesetzgeber eine Mindestanzahl an Erwerbsmonaten als Voraussetzungen für eine IP gewollt, dann hätte er das wohl geregelt. So hat § 98 Abs 1 des Arbeiterversicherungsgesetzes in der Invalidenversicherung den Anspruch auf eine IP an die Anforderung geknüpft, dass innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalles mindestens 52 Wochen an versicherungspflichtiger Beschäftigung vorliegen müssen.* Obwohl das ASVG weitgehend an die Systematik der Invalidenversicherung anknüpft, wurde auf eine solche Bestimmung verzichtet. Auch aus dem Argument des OGH in 4.2.4., dass §§ 18a und 18b ASVG vorrangig der Altersversorgung dienen, lässt sich für die konkrete Frage nichts gewinnen. Versicherungszeiten gem § 18a ASVG sind nicht einer qualifizierten Beschäftigung gem § 255 Abs 2 gleichzustellen. Dies ist in vielerlei Hinsicht richtig und schlüssig in 4.2.6. ausgeführt. Dieser Umweg in der Argumentation wäre aber nicht erforderlich, wenn man sie für die Wartezeit wie bei einer Alterspension anerkennt.
Die Kl hat in der zweiten Instanz mit einem Parteiantrag den VfGH angerufen, um die Wortfolge „auf dem Arbeitsmarkt“ in § 255 Abs 3 ASVG aufheben zu lassen. Den lediglich auf die Aufhebung dieser Wortfolge gerichteten Antrag hat der VfGH „als zu eng, um den vorgebrachten Bedenken Rechnung zu tragen“ zurückgewiesen.* Die Aufhebung dieser – lediglich das Verweisungsfeld regelnden – Wortfolge könnte nämlich weder die behauptete Verfassungswidrigkeit (läge sie vor) beseitigen, noch versetzt der gewählte Anfechtungsumfang den VfGH im Falle des Zutreffens der Bedenken in die Lage, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann. Mit der eigentlichen Frage, ob das ASVG die Gewährung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension auch an die Voraussetzung knüpft, dass der Versicherungsnehmer neben Versicherungszeiten nach § 18a ASVG jedenfalls auch Zeiten aus einer Pflichtversicherung auf Grund einer entgeltlichen Erwerbstätigkeit aufweist, hat sich der VfGH gar nicht auseinandergesetzt.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr bedauerlich, dass sich der OGH in 6. seiner E nicht zu einer neuerlichen Befassung des VfGH veranlasst sah. 312
Nach gründlicher Analyse der Argumentation des OGH und einer systematischen und historischen Interpretation der Anspruchsvoraussetzungen handelt es sich gegenständlich um eine Fehlentscheidung des OGH. Die Kl hat die Wartezeit erfüllt, der Versicherungsfall ist eingetreten. Die IP bzw Berufsunfähigkeitspension wäre der Kl zuzusprechen. Der Gesetzgeber hat für den Grundanspruch auf eine IP keine Mindestanzahl an Erwerbsmonaten vorgesehen. Das räumt auch der OGH ein. Aber frei nach dem Motto „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“ versucht der OGH Wertungswidersprüche aufzuzeigen, die bei genauerer Betrachtung aber keine sind und übersieht dabei, dass seine eigene Argumentation – im Vergleich zur Alterspension und den sonst sehr herabgesetzten Anspruchsvoraussetzungen für eine IP – zu Wertungswidersprüchen führt. Es wird behauptet, der Versicherungsfall könne nicht eingetreten sein, was sich leicht widerlegen lässt. Der OGH argumentiert mit einem Vergleich der Arbeitsfähigkeit zwischen Aufnahme und Aufgabe der Tätigkeit, der weder im Gesetz gefordert noch in der Praxis durchgeführt wird. Der OGH erörtert die Bedeutung von Kindererziehungszeiten und übersieht, dass es hier spätestens mit dem SRÄG 2015 wesentliche Änderungen gab, etc.
Im Kern nimmt der OGH zwei markante Entscheidungen des Gesetzgebers nicht zur Kenntnis. Erstens waren für den Grundanspruch auf eine IP keine Erwerbszeiten vorgesehen, weil sich der Gesetzgeber für ein anderes Konzept entschieden hat. Das ASVG beruht seit der Stammfassung auf einem durch vor- oder nachgelagerte Beitragszeiten bedingten Erwerb von „Ersatzzeiten“ zur Erfüllung der Wartezeit. Das muss man nicht so machen, aber der historische Gesetzgeber des ASVG hat sich für diesen Weg entschieden. Offenbar, um flexibel zu bleiben und die Erfüllung der Wartezeiten mit ausgewählten Ersatzzeiten zu ermöglichen.
Die zweite Weggabelung, die der OGH übersieht, ist die schrittweise Lockerung der Erwerbszentriertheit bei der Erfüllung der Wartezeit. Waren es anfangs nur Kriegsdienstzeiten etc sind später (1988) Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes, Zeiten der Selbstversicherung bei geringfügiger Beschäftigung nach § 19a ASVG (1997), Zeiten der Pflege naher Angehöriger (2004) und Kindererziehungszeiten sowie Präsenz- und Zivildienstzeiten (2015) dazugekommen. Der Gesetzgeber hat die Flexibilität seines Konzepts genützt und die Erfüllung der Wartezeiten allein mit „Ersatzzeiten“ schrittweise ausgebaut. MaW, das ASVG hat sich in den letzten 65 Jahren weiterentwickelt und nunmehr ist es möglich, allein mit Kindererziehungszeiten etc – ohne jemals erwerbstätig gewesen zu sein – den Anspruch auf eine Alterspension, aber auch auf eine IP zu erwerben. Einfach, weil man dafür versichert ist, die Wartezeit erfüllt und der Versicherungsfall des Alters oder der geminderten Arbeitsfähigkeit eingetreten ist. 313