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Gewissenskonflikte im Arbeitsverhältnis

THOMAS DULLINGER (HAMBURG)
  1. Fürsorgepflicht und Gleichbehandlungsrecht verpflichten den AG, religiöse Gewissenskonflikte bei der Verwendung des AN in gewissem Ausmaß zu berücksichtigen, sodass den Interessen beider Teile ausreichend Rechnung getragen wird.

  2. Eine Kündigung wegen der Weigerung, eine arbeitsvertraglich übernommene Tätigkeit auszuüben, weil diese dem religiösen Gewissen widerspricht, ist nur zulässig, wenn eine Versetzung des AN an einen anderen Arbeitsplatz dem AG nicht zumutbar ist.

[1] Der Kl war zunächst seit 2014 als Leiharbeiter und unmittelbar seit 27.10.2015 bei der Bekl an der Dienststelle Allgemeines Krankenhaus als Hausarbeiter beschäftigt. In den ersten Jahren war er ausschließlich als „Proben- und Befundläufer“ damit betraut, Proben, Befunde und Blutpräparate innerhalb des Hauses an die zuständigen Stellen zu transportieren. Ab 26.1.2017 wurde der Kl intern dem Bereich Ver- und Entsorgung zugeteilt, wo er mit dem Transport von verschiedensten Gütern, Recyclingmaterial und Abfällen in Containern zu und von den anfordernden Stellen beschäftigt war. [...] Insb sind von den Mitarbeitern in diesem Bereich morgens, mittags und abends auch verschlossene und plombierte Essenscontainer zu den verschiedenen Stationen zu transportieren. [...]

[3] Der Kl gehört seit 20 Jahren der hinduistischen Religion an und hat in seiner Glaubensgemeinschaft den Rang eines Brahmanen und Priesters. Er befolgt als solcher die strengsten Reinheitsvorschriften und lebt nicht nur vegetarisch, sondern es ist ihm aus religiösen Gründen jeder körperliche Kontakt mit Fleisch, Fisch oder Eiern untersagt. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf das Hantieren mit verschlossenen und plombierten Essensbehältern, die diese Zutaten enthalten.

[4] Der Kl [...] verrichtete alle aufgetragenen Tätigkeiten mit Ausnahme des Hantierens mit Lebensmittelcontainern. Diese Arbeit verweigerte er wegen Unvereinbarkeit mit seinen religiösen Vorschriften und wies auf deren Bedeutung für ihn sowie die Bereitschaft, andere Tätigkeiten zu verrichten, hin. [5] Vom 6.2. bis 24.3.2017 war der Kl durchgehend zunächst im Urlaub und anschließend im Krankenstand. Während dieser Zeit bewarb er sich bei der Bekl vergeblich um eine Versetzung in eine andere Dienststelle. Da er von seiner Verweigerungshaltung nicht abrückte, wurde er zum 31.5.2017 gekündigt.

[6] Hausarbeiter in der Verwendungsgruppe des Kl werden im Allgemeinen Krankenhaus ua in der Apotheke in einer fixen Anzahl beschäftigt. Der Kl könnte auf eine solche Stelle intern versetzt werden und diese Tätigkeit ohne Konflikt mit seiner Religion ausüben.

[7] Der Kl begehrt, die Kündigung gem § 4a iVm § 54d Abs 1 des Gesetzes über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (VBO) 1995) wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung für rechtsunwirksam zu erklären.

[8] Die Bekl wandte zusammengefasst ein, sie habe die Kündigung nicht aus Gründen der Religion des Kl ausgesprochen, sondern wegen seiner beharrlichen Weigerung, wesentliche Dienstpflichten zu erfüllen. Möglichkeiten einer anderen Verwendung oder Versetzung des Kl hätten nicht bestanden.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. [...]

[10] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab.

[...]

[13] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig [...]. Das Rechtsmittel ist iSd gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt. [...]

[16] Die gesetzliche Regelung der mittelbaren Diskriminierung in § 4a Abs 2a VBO 1995 ist vor dem Hintergrund der Regelung des Art 2 Abs 2 lit b RL 2000/78/EG zu lesen, die sie umsetzt (vgl 9 ObA 165/13z).

[17] 2. Im vorliegenden Verfahren führt die Bekl zunächst zu Recht ins Treffen, dass die Einteilung des Vertragsbediensteten zu konkreten, innerhalb des Aufgabenkreises seiner Verwendungsgruppe liegenden Tätigkeiten eine neutrale, weil für alle Vertragsbediensteten in gleicher Weise geltende Regelung bzw Maßnahme darstellt, sowie dass das Dienstverhältnis eines Vertragsbediensteten gem § 42 Abs 1 VBO 1995 auch ohne Angabe eines Grundes gekündigt werden kann, wenn es noch nicht drei Jahre gedauert hat.

[18] Auch eine an sich neutrale Maßnahme kann nach § 4a Abs 2a VBO 1995 diskriminierend wirken, wenn sie einen Vertragsbediensteten wegen seiner Religion gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligt oder benachteiligen kann, und wenn die Ausnahmen der sachlichen Rechtfertigung sowie der Angemessenheit und Erforderlichkeit der Mittel nicht Platz greifen.

[19] 3. Der Kl releviert, dass es ihm nach dem Sachverhalt unmöglich [ist], einen bestimmten Teil der Tätigkeit eines Hausarbeiters auszuführen, weil er damit seine religiösen Pflichten als Hindu-Priester zu verletzen glaubte.

[20] Diesem Aspekt kommt im Lichte der stRsp zur Fürsorgepflicht des AG Berechtigung zu.

[21] 3.1 Es gehört allgemein zu den Pflichten eines AN, den gerechtfertigten Anordnungen des AG nachzukommen, doch ist der AG im Rahmen seiner Fürsorgepflicht seinerseits verpflichtet, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die ideellen und materiellen Interessen des AN gewahrt bleiben (RS0082303; RS0029841 [T4]). Bei einem Vertragsbediensteten muss die „entsprechende Verwendung“ für beide Vertragsteile zumutbar und angemessen sein; auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des Bediensteten ist Bedacht zu nehmen (RS0082286 [T1]).

[22] 3.2 So kann etwa ein partiell arbeitsunfähiger AN nur dann iSd § 27 Z 2 AngG wegen Dienstun- 402 fähigkeit entlassen oder (als Vertragsbediensteter) gekündigt werden, wenn der DG keine zumutbare Möglichkeit hat, ihm eine andere Arbeit zuzuweisen oder wenn der AN ein entsprechendes Angebot des AG ablehnt. Der DG kann insoweit nach der VBO 1995 im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verhalten sein, einem partiell dienstunfähigen AN nach Möglichkeit eine leichtere Arbeit zuzuweisen, zu deren Verrichtung er weiterhin in der Lage ist (RS0082286 [T2]; RS0082303). In einer Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand des DN liegt dabei kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, sondern nur eine menschliche Selbstverständlichkeit und eine Folge der den DG treffende[n] Fürsorgepflicht (RS0082291 = 9 ObA 18/92).

[23] 3.3 Die religiöse Überzeugung eines AN gehört, ähnlich wie die Gesundheit, zu seinem grundrechtlich und gesetzlich besonders geschützten höchstpersönlichen Lebensbereich.

[24] 3.4 Die Nichtdiskriminierung aufgrund der Religion ist ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts (vgl Art 21 GRC, Art 10 AEUV; 9 ObA 117/15v Pkt 4.1.2). Eine Ungleichbehandlung in den Grenzen des Art 4 Abs 1 RL 2000/78/EG – also wegen der Religion – kann nur unter besonderen Umständen als zulässig angesehen werden. Dies ist dann der Fall, wenn ein bestimmtes Merkmal eine spezifische berufliche Anforderung für eine bestimmte Tätigkeit darstellt, wobei diese Anforderungen eng zu verstehen sind (vgl 9ObA 117/15v mwN; Windisch-Graetz in Rebhahn, GlBG § 20 Rz 3), sodass nur solche berufliche[n] Anforderungen abgedeckt sind, die für die Ausführung der betreffenden Tätigkeit wesentlich und entscheidend sind (9 ObA 117/15v mwN; etwa Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 20 Rz 5; EuGH Rs C-222/84, Johnston, Rn 36, 37, 40; C-273/97, Sirdar, Rn 23; C-285/98, Kreil, Rn 20). Geht es um die Religionsfreiheit, ist das Interesse des AN umso mehr zu beachten, umso eher die Maßnahme des AG die Kernthemen der jeweiligen religiösen Verpflichtung trifft (Windisch-Graetz, aaO § 19 Rz 14).

[25] 3.5 Nach der Rsp des EuGH zur Auslegung des Art 2 Abs 2 Buchst a der RL 2000/78/EG, an welcher Bestimmung sich die Auslegung des § 4a VBO 1995 zu orientieren hat, ist auch bei einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Religion zu prüfen, ob es dem AG unter Berücksichtigung der unternehmensinternen Zwänge und ohne eine zusätzliche Belastung tragen zu müssen, möglich gewesen wäre, dem AN, der aus religiösen Gründen eine gerechtfertigte Anweisung nicht befolgt, einen geeigneten anderen Arbeitsplatz anzubieten, statt ihn zu kündigen (EuGHC-157/15, G4S Secure Solutions, Rz 43; vgl auch C-130/75, Prais).

[26] 3.6 Es liegt in der Fürsorgepflicht des DG, die Verwendung, wenn dies ohne Belastung möglich ist, so zu gestalten, dass den Interessen beider Teile ausreichend Rechnung getragen wird, auch wenn die aus religiösen Gründen nicht befolgte Anordnung an sich sachlich gerechtfertigt, verhältnismäßig und angemessen war (EuGHC-157/15, Achbita, Rn 43; vgl auch BAG 2 AZR 636/09). Den Arbeitsablauf störende Gebetspausen müssen aber etwa ebensowenig geduldet (9 ObA 18/96) werden wie die Kommunikation massiv beeinträchtigende Verschleierungen (9 ObA 117/15v).

[27] Die Grenzen der Gestaltungspflicht sind fließend. Sie geht nicht, wie die Bekl in ihrer Revisionsbeantwortung kritisch anmerkt, so weit, dass einer großen AG-Organisation wie der ihren zwangsläufig die Pflicht auferlegt würde, jeder Person, die sich auf religiöse Zwänge beruft, einen anderen Arbeitsplatz anzubieten. Ein durch das Diskriminierungsverbot gesetzlich geschütztes Merkmal wie die Religion verschafft keinen Anspruch auf Besserstellung gegenüber anderen AN. Die Annahme einer solchen Besserstellung wäre wohl als solche selbst wieder diskriminierend (EuGHC-193/17, Cresco) und könnte die Dispositionsfähigkeit der Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften einschränken. Es verbleibt aber die allgemeine Fürsorgepflicht im auf die Person der AN bezogenen Arbeitsverhältnis, die es gebietet, allgemein auch deren Gewissensgründe zu beachten (vgl etwa Auer-Mayer/Pfeil in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1157 Rz 14 mwN), jedenfalls wenn damit weder für AG noch andere AN Nachteile verbunden sind. Diese Gewissensgründe sollen nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil sie auf religiösen Überzeugungen beruhen, die für jene, die dieser Religionsgemeinschaft nicht angehören, schwer nachvollziehbar sind.

[28] Der AG ist nach der Rsp – selbst wenn das Gesetz ihm, wie in § 6 Abs 1 BEinstG, eine besondere Fürsorgepflicht auferlegt – nicht verpflichtet, geeignete Verweisungsarbeitsplätze durch Kündigung anderer AN frei zu machen, seine Arbeitsorganisation umzustrukturieren oder gar nicht existierende Arbeitsplätze neu zu schaffen (RS0082303 [T7]; 9 ObA 21/08s). Auch findet der Schutz der religiösen Überzeugung seine Grenze jedenfalls auch bei der Gewährleistung der Rechte anderer und den darauf abzielenden, angemessenen Maßnahmen (vgl EGMR 48420/10 ua, Eweida ua).

[29] 4. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Transport von Speisecontainern einen nicht unwesentlichen Teil des großen Spektrums der Leistungspflichten eines Hausarbeiters der Bekl bildet. Das Erstgericht hat aber festgestellt, dass es „unter anderem“ im Bereich der Apotheke der Verwendungsgruppe des Kl entsprechende, ebenfalls dem organisatorischen Bereich Ver- und Entsorgung angehörende geeignete Stellen gibt, auf die er intern ebenfalls versetzt werden könnte.

[30] Nach dieser – in der Berufung bekämpften – Feststellung wäre der Speisecontainertransport keine zwingend erforderliche, entscheidende berufliche Anforderung an einen Hausarbeiter. Darauf deutet auch die Feststellung hin, dass der Kl ursprünglich über ein Jahr lang in einem anderen Tätigkeitsbereich im Aufgabenspektrum des Hausarbeiters uneingeschränkt gearbeitet hat. Der Kl wäre weiterhin fähig und bereit, diese Tätigkeiten zu verrichten.

[31] Nachdem die Bekl Kenntnis erhalten hatte, dass der Kl aus religiösen Gründen wegen seines Gewissenskonflikts nicht mit Speisencontainern arbeiten kann, wäre es ihr im Rahmen der Fürsorgepflicht oblegen, ihm nach Möglichkeit und 403 Zumutbarkeit (wieder) eine solche für ihn geeignete Position zuzuweisen. Ein Vertragsbediensteter kann zwar keinen Anspruch erheben, nur auf bestimmten Arbeitsplätzen oder nur in Teilbereichen des Geschäftskreises seiner Verwendungsgruppe beschäftigt zu werden, allerdings kann sich auch die Bekl bei der Prüfung, welche Verfügungen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht unter Berücksichtigung der Vermeidung einer Verletzung des Diskriminierungsverbots nach § 4a VBO 1995 zumutbar sind, nicht darauf berufen, ihn von vornherein nur in einem bestimmten Teilbereich einsetzen zu wollen. Wesentlich ist vielmehr, ob es der Bekl ohne organisatorischen Aufwand und ohne gleichzeitige Benachteiligung eines anderen Bediensteten möglich wäre, den Kl an einer für ihn geeigneten Position weiter zu beschäftigen.

[32] Nach dem derzeit vorliegenden Sachverhalt stünde dem Nachteil des Arbeitsplatzverlustes beim Kl kein über eine Änderung der Dienstzuteilung hinausgehender konkreter Nachteil auf Seiten der Bekl oder anderer AN gegenüber, der gegen eine Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses sprechen würde.

[33] 5. Davon ausgehend erweist sich die Rechtssache als noch nicht spruchreif.

[34] Die Bekl hat in ihrer Berufung Verfahrensmängel geltend gemacht und eine umfangreiche Beweisrüge erhoben. Sie hat – neben den Feststellungen zu den religiösen Motiven und Pflichten des Kl und zum Umfang des von ihm zu beachtenden religiösen Verbots – insb auch die entscheidungswesentlichen Feststellungen über die leichte Verfügbarkeit anderer, für den Kl geeigneter Hausarbeiterstellen bekämpft. [...]

ANMERKUNG

Erstmals musste sich der OGH mit einer Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen befassen. In Übereinstimmung mit der hL (so etwa Mosler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 18 AngG Rz 87) löst das Höchstgericht den Konflikt zwischen Gewissen und Arbeitspflicht durch eine Interessenabwägung. Obwohl die konkrete Entscheidung das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien betrifft, sind sowohl die Argumentation als auch das Ergebnis auf private Arbeitsverhältnisse übertragbar.

Eine nähere Betrachtung verdienen die dogmatische Grundlage der Interessenabwägung (1.) und die für die Interessenabwägung entscheidenden Umstände (2.). Nach der Beurteilung des konkreten Falles, bei der der anderweitigen Verwendbarkeit des AN entscheidende Bedeutung zukommt (3.), ist auf die Relevanz eines Ersatzarbeitsplatzes in anderen Konstellationen einzugehen (4.). Abschließend stellt sich die Frage, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn der Gewissenskonflikt keinen religiösen Bezug gehabt hätte (5.).

1.
Grundlage der Interessenabwägung

Der OGH zieht verschiedene Ansätze heran, um die Notwendigkeit einer Interessenabwägung zu begründen. Zunächst finden sich Ausführungen zum Gleichbehandlungsrecht (Rz 16 ff), wobei der OGH mangels Anhaltspunkten für eine unmittelbare Benachteiligung aufgrund der Religion in der Diensteinteilung des Kl zu Recht eine „neutrale“ Maßnahme sieht. Auf die Möglichkeit einer mittelbaren Benachteiligung wird an dieser Stelle des Urteils lediglich abstrakt hingewiesen.

Sodann wendet sich der OGH der Fürsorgepflicht zu (Rz 20 ff). Diese wird – gemeinsam mit dem nicht ausdrücklich genannten § 16 ABGB – von der hL für die Lösung von Konflikten zwischen Arbeitspflicht und Gewissen herangezogen (grundlegend Grassl-Palten, Gewissen contra Vertragstreue im Arbeitsverhältnis [1994] 29 ff). Der Schutz des Gewissens durch die Fürsorgepflicht lässt sich dabei vor allem auch auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art 9 EMRK) stützen.

Die darauffolgenden Ausführungen betreffen wieder das Gleichbehandlungsrecht. Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum der OGH auf den Rechtfertigungsmaßstab der unmittelbaren Benachteiligung (Art 4 Abs 1 RL 2000/78/EG; § 20 GlBG) eingeht (Rz 24), obwohl eine solche bereits ausgeschlossen wurde. Treffend sind jedoch die Ausführungen zur Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung (Rz 25). Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist nur dann rechtmäßig, wenn eine Fortführung desselben nicht möglich oder nicht zumutbar ist – eine Versetzung ist als gelinderes Mittel anzusehen. Der OGH verweist hier zutreffend auf die Judikatur des EuGH (14.3.2017, C-157/15, G4S Secure Solutions, Rz 43).

Offen bleibt jedoch, worin genau der OGH die mittelbare Benachteiligung aufgrund der Religion erblickt, die den Rechtfertigungsbedarf erst auslöst. Dass der streitgegenständliche Gewissenskonflikt eine religiöse Ursache hatte, reicht dafür nämlich nicht aus. Grundlage jeder mittelbaren Benachteiligung ist der Vergleich von Gruppen (Windisch-Graetz in Liber Amicorum Mazal [2019] 201 [204]). Nur wenn die Angehörigen der einen Gruppe in besonderer Weise gegenüber Angehörigen der anderen Gruppe benachteiligt werden können, liegt eine mittelbare Benachteiligung vor. Eine solche Benachteiligung ließe sich etwa aus der Beobachtung ableiten, dass viele Gewissenskonflikte einen religiösen oder weltanschaulichen Bezug haben. Eine Benachteiligung aufgrund eines Gewissenskonflikts würde demnach Personen, die einer Religion oder Weltanschauung angehören, häufiger treffen als Personen, die das nicht tun (idS Dullinger, Arbeitsrechtliche Relevanz religiöser Bedürfnisse [2020] Rz 811 f).

2.
Kriterien der Interessenabwägung

Wiederum aus der Perspektive der Fürsorgepflicht nähert sich der OGH den Grenzen dieser Gestaltungspflicht (Rz 26 ff). Die Fürsorgepflicht des AG ist als vertragliche Nebenpflicht nicht grenzenlos. Kein Vertragspartner ist verpflichtet, eigene Interessen über Gebühr zu vernachlässigen (Krejci in Rummel, ABGB3 § 1157 ABGB Rz 4 [Stand 1.1.2000, rdb.at]) – im Kollisionsbereich der Interessen hat 404 es daher zu einer Abwägung zu kommen (OGH 11.11.1992, 9 ObA 219/92).

Missverständlich sind jedoch Formulierungen wie „wenn dies ohne Belastung möglich ist“ (Rz 26), „wenn damit weder für AG noch andere AN Nachteile verbunden sind“ (Rz 27) und später dann „ohne organisatorischen Aufwand [...] möglich wäre“ (Rz 31). Auch hier liegt der OGH zwar auf einer Linie mit dem EuGH (Rs G4S Secure Solutions, Rz 43), allerdings überzeugen hier schon die Ausführungen des EuGH nicht. Jede Versetzung ist mit einem gewissen Mindestmaß an (organisatorischem) Aufwand verbunden. Würde man die Höchstgerichte beim Wort nehmen, wäre eine Versetzung als gelinderes Mittel zur Beendigung des Vertragsverhältnisses in der Praxis nie erforderlich. Die entsprechenden Ausführungen hätten dann aber unterbleiben können. Auch hier muss es also auf eine Abwägung der gegenseitigen Interessen ankommen. Da die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des AN vergleichsweise schwer beeinträchtigt, wird man dem AG auch ein gewisses Maß an Aufwand zumuten können. Jedenfalls unzumutbar sollen nach Ansicht des OGH jedoch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Umstrukturierung der Arbeitsorganisation sowie die Kündigung anderer AN sein (Rz 28). IdR werden solche Maßnahmen wohl tatsächlich unzumutbar sein, allerdings mit der Einschränkung, dass nicht jede noch so kleine Umstrukturierung im konkreten Einzelfall unzumutbar sein muss.

Eine nähere Betrachtung verdienen auch die Ausführungen des OGH betreffend die Besserstellung des gewissensgeplagten AN gegenüber anderen AN. Auf eine solche Besserstellung bestehe kein Anspruch, diese könne wohl vielmehr selbst diskriminierend sein (Rz 27). Zunächst ist nicht klar, was genau das Gericht in diesem Kontext mit „Besserstellung“ meint. Eine solche könnte man schon in der Berücksichtigung des Versetzungswunsches sehen, wenn andere Versetzungswünsche nicht berücksichtigt werden (müssen) – das kann jedoch nicht gemeint sein. Möglich wäre auch, dass der erkennende Senat mit dieser Formulierung Vorsorge treffen wollte, damit in Zukunft nicht (vorgeschobene) Gewissenskonflikte genutzt werden, um einen „besseren“ Arbeitsplatz zu erlangen. Die Systematik des Urteils legt aber einen anderen Schluss nahe: Der betreffende Abschnitt ist den Grenzen der Gestaltungspflicht des AG gewidmet, dabei sollen auch durch die Berücksichtigung des Gewissenskonflikts entstehende Nachteile für andere AN relevant sein. Dem OGH dürfte es daher primär darum gehen, dass die Berücksichtigung des Gewissenskonflikts andere AN nicht unangemessen belastet. In der folgenden Randzahl führt das Höchstgericht dementsprechend aus, der AG sei insb nicht verpflichtet, mögliche Verweisungsarbeitsplätze durch Kündigung anderer AN frei zu machen (Rz 28). Mit diesen Ausführungen misst der OGH den Interessen der Arbeitskollegen mE jedoch zu großes Gewicht bei. Zwar wird eine Kündigung anderer AN idR tatsächlich nicht erforderlich sein, die Versetzung eines anderen AN iSe „Tausches“ der Arbeitsplätze kann jedoch durchaus geboten sein. AN haben in aller Regel keinen Anspruch auf einen konkreten Arbeitsplatz innerhalb eines Unternehmens. Ist die Versetzung sowohl einzelvertraglich als auch betriebsverfassungsrechtlich möglich, so kann der AG auch zu einer Versetzung eines anderen AN verpflichtet sein, wenn diese nicht aufgrund betrieblicher Interessen unzumutbar ist – auch wenn diese Versetzung subjektiv und/oder objektiv nachteilig für den anderen AN ist (dazu näher Dullinger, Religiöse Bedürfnisse Rz 732 ff). Auch eine Diskriminierung droht dadurch nicht. Zwar wird die Benachteiligung des zu versetzenden AN durch das Fehlen eines bestimmten Gewissenskonflikts – und damit einem Kriterium, das eine gewisse Verbindung zu Religion und Weltanschauung aufweist – verursacht, der gewissensgeplagte AN und der zu versetzende AN befinden sich jedoch nicht in einer vergleichbaren Situation. Die Vergleichbarkeit zweier Situationen ist immer in Hinblick auf die konkrete Leistung zu beurteilen (EuGH 10.5.2011, C-147/08, Römer, Rz 42). Ein AN, der um eine Versetzung ersucht, weil er die Tätigkeit aufgrund eines Gewissenskonflikts nicht (mehr) ausüben kann, und ein AN, der aufgrund nicht gleichermaßen geschützter Überlegungen versetzt werden möchte, befinden sich nicht in einer vergleichbaren Situation. Selbst wenn man das anders sehen sollte, ließe sich eine solche Vorgehensweise wohl regelmäßig rechtfertigen (dazu aus der Perspektive des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes Dullinger, Religiöse Bedürfnisse Rz 734).

Zu begrüßen ist schließlich der ausdrückliche Hinweis des OGH, dass ein Gewissenskonflikt nicht schon deshalb unbeachtlich ist, weil er für andere Personen nur schwer nachvollziehbar ist (Rz 27). Damit positioniert sich der OGH gegen vor allem in der älteren Literatur vorkommende Versuche, den Schutz der Gewissensfreiheit durch objektive Anforderungen an den Inhalt des Gewissens zu relativieren (vgl etwa Ostheim, Die Weisung des Arbeitgebers als arbeitsrechtliches Problem [1970] 90 f mwN).

Zu zahlreichen anderen potenziellen Faktoren der Interessenabwägung musste der OGH aufgrund der Feststellungen der Vorinstanzen nicht Stellung nehmen. Dazu zählen vor allem die Vorhersehbarkeit des Gewissenskonflikts für den AN, die Ersetzbarkeit des AN durch andere AN und die Bedeutung der Leistung für den AG (dazu Dullinger, Religiöse Bedürfnisse Rz 687 ff).

3.
Anwendung auf den konkreten Sachverhalt

Uneingeschränkte Zustimmung verdient die Anwendung dieser Kriterien auf den entscheidungsgegenständlichen Sachverhalt. Nach Ansicht des Erstgerichts liegen sowohl ein Gewissenskonflikt als auch eine zumutbare Möglichkeit zur weiteren Beschäftigung vor. Die Bekl bestreitet dies in ihrer Berufung, das Berufungsgericht setzte sich aufgrund seiner abweichenden Rechtsauffassung mit dem entsprechenden Vorbringen der Berufung nicht auseinander. Diese beiden Aspekte sind jedoch nach der zutreffenden Rechtsansicht 405 des OGH zentral: Nur wenn tatsächlich ein Gewissenskonflikt vorliegt, bestehen weitreichende Berücksichtigungspflichten und eine Versetzung ist grundsätzlich nur zumutbar, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Dass die Bekl andere Gründe für eine Unzumutbarkeit der begehrten Versetzung dargetan hätte, ist aus dem Urteil nicht ersichtlich.

4.
Fehlende Versetzungsmöglichkeit

Sollte sich im weiteren Verlauf des Verfahrens herausstellen, dass eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz entgegen der Feststellung des Erstgerichts nicht möglich ist, wäre die Anfechtungsklage abzuweisen. Daraus folgt jedoch nicht, dass Gewissenskonflikte bei fehlender anderweitiger Einsetzbarkeit jedenfalls unbeachtlich wären.

Bei der Beurteilung eines Gewissenskonflikts ist zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden: Einerseits ist zu fragen, ob der AN der Weisung seines AG nachkommen muss oder ob diese aufgrund des Gewissenskonflikts unwirksam ist. Andererseits stellt sich die Frage nach dem weiteren Schicksal des Arbeitsverhältnisses, insb nach der Möglichkeit einer Beendigung durch den AG.

Für die Beurteilung der konkreten Weisung kommt der anderweitigen Einsetzbarkeit des AN nur geringe Bedeutung zu. Für das Ausmaß der Beeinträchtigung der Interessen des AG ist vor allem entscheidend, ob ein anderer AN die Aufgabe übernehmen kann bzw wie wichtig die konkrete Aufgabe für den Betrieb ist. So kann die Interessenabwägung auch dann zugunsten des gewissensgeplagten AN ausgehen, wenn dieser (etwa bei einem bloß punktuellen Gewissenskonflikt) zwar nicht sinnvoll anderweitig eingesetzt werden kann, die betreffende Tätigkeit jedoch ohne Probleme von einem anderen AN übernommen werden kann. Der AN muss die Weisung dann nicht befolgen, behält aber unter den allgemeinen Voraussetzungen den Anspruch auf sein Entgelt, ist er doch aus einem wichtigen, in seiner Person liegenden Grund an der Leistung seiner Dienste verhindert (dazu ausführlich Dullinger, Religiöse Bedürfnisse Rz 724 ff, 745 ff). Da der AN in diesem Fall rechtmäßig handelt, kommen auch Schadenersatzansprüche des AG und eine Entlassung wegen beharrlicher Pflichtverletzung nicht in Betracht.

Für das weitere Schicksal des Arbeitsverhältnisses spielt die anderweitige Einsetzbarkeit des AN hingegen eine entscheidende Rolle. Handelt es sich nicht um einen punktuellen Gewissenskonflikt, sondern um einen häufig wiederkehrenden oder durchgehenden Gewissenskonflikt, so ist dem AG eine Weiterbeschäftigung nur zumutbar, wenn sich der AN anderweitig einsetzen lässt. Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, dass die Weisung nach den eben beschriebenen Kriterien dennoch unwirksam und die Weigerung des AN, die betreffende Tätigkeit auszuführen, demnach rechtmäßig sein kann. Der AG kann das Arbeitsverhältnis jedoch (rechtmäßig) beenden.

5.
Gewissenskonflikte ohne religiösen oder weltanschaulichen Bezug

Eine Interessenabwägung zur Auflösung des Gewissenskonflikts ist auch dann erforderlich, wenn dieser keinen Bezug zu Religion und Weltanschauung hat. Die Fürsorgepflicht schützt grundsätzlich jede Gewissensentscheidung. Beendet der AG jedoch das Arbeitsverhältnis wegen eines Gewissenskonflikts, obwohl ihm die Fortsetzung desselben zumutbar ist, so spielt diese Unterscheidung eine wichtige Rolle. Bei religiösen und weltanschaulichen Gewissensentscheidungen liegt eine (mittelbare) Diskriminierung aufgrund eines geschützten Merkmals vor, weshalb die Beendigung bekämpft werden kann (§ 26 Abs 7 GlBG). Besteht diese Möglichkeit nicht, weil der Gewissenskonflikt keinen Bezug zu Religion oder Weltanschauung hat, so kommt eine Anfechtung wegen eines verpönten Motivs (Geltendmachung von Ansprüchen; § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG) oder die Sittenwidrigkeit der Kündigung in Betracht (dazu Dullinger, Religiöse Bedürfnisse Rz 772 ff). 406