31Testverweigerung, Motivkündigung und strittiger Vertragsinhalt
Testverweigerung, Motivkündigung und strittiger Vertragsinhalt
Nach der COVID-19-NotmaßnahmenVO (BGBl II 2020/479) sind Betreiber von Alten- und Pflegeheimen als unmittelbare Adressaten der VO dazu verpflichtet, Mitarbeiter nur bei Vorliegen eines negativen Testergebnisses auf SARS-CoV-2 den Zutritt zur Betriebsstätte zu gewähren. Daraus folgt auch eine zumindest mittelbare Verpflichtung der AN. Aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht ergibt sich diesbezüglich eine Mitwirkungspflicht.
Eine Testverpflichtung lässt sich wohl auch aus der Verantwortung des Heimbetreibers für die Gesundheit der Heimbewohner rechtfertigen.
Eine erfolgreiche Anfechtung einer Vergeltungskündigung iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG setzt voraus, dass die Geltendmachung von Ansprüchen durch den AN nicht offenbar unberechtigt ist. Wird bloß die Sinnhaftigkeit von Verordnungen in Frage gestellt, liegt keine nicht offenbar unberechtigte Geltendmachung von Ansprüchen vor.
[1] Der Kl war seit 23.2.2009 bei der Bekl als Diplomkrankenpflegeperson angestellt. Die Bekl betreibt ein Alten- und Pflegeheim mit rund 120 Wohneinheiten, in dem der Kl zuletzt in der Funktion eines Bereichsverantwortlichen-Stellvertreters tätig war. Mit Schreiben vom 26.11.2020 kündigte die Bekl das Dienstverhältnis zum 28.2.2021 auf. Der BR wurde von der Kündigung verständigt und hat der Kündigung zugestimmt. Der Grund für die Auflösung des Dienstverhältnisses war die Weigerung des Kl, sich entgegen [gemeint: entsprechend] der Anweisung des DG einmal wöchentlich – unabhängig von Krankheitssymptomen – auf Kosten des DG einem Antigen-Test oder einer molekularbiologischen Testung auf SARS-CoV-2 zu unterziehen. Der DG stützte seine Forderung in mehreren Gesprächen mit dem Kl auf die Verpflichtung nach § 10 Abs 4 COVID-19-Notmaßnahmen-VO, BGBl II 2020/479 (COVID-19-NotMV) und die schutzbedürftige Bewohnerschaft. Der Kl verblieb jedoch bei seiner Weigerung. Nach einer Rechtsauskunft der „Plattform Respekt“ bestehe keine Testpflicht für gesunde AN und sei er nicht verpflichtet, „im Sinne des Grundrechts auf Leben“ einen Eingriff in seine psychische und physische Integrität gegen seinen Willen zu dulden. Der Kl hat sich zum Tragen einer FFP2-Maske während der Arbeit bereit erklärt. Ihm war bekannt, dass schon damals eine BV bestand, wonach auf Kosten des DG im Betrieb der Bekl die wöchentlichen Testungen, wie in der genannten VO vorgesehen, durchgeführt werden. Der Kl hat die Testungen nicht deshalb verweigert, weil hierbei ein Nasenabstrich genommen wird, sondern weil er die „Sinnhaftigkeit des Tests in Zweifel zog“.
[2] Der Kl begehrte die Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG. Die Testung sei berechtigt verweigert worden. Es liege daher ein verpöntes Motiv vor. [...]
[4] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ab. Die Bekl habe bei Einforderung der Tests auf Basis einer (aufrechten) rechtlichen Verpflichtung (VO) gehandelt, deren Einhaltung Voraussetzung für die Ausübung der vom Kl geschuldeten Pflegetätigkeit gewesen sei. Einem AG, der iSd Einhaltung einer ihn treffenden rechtlichen Verpflichtung handle, sei kein rechtlich missbilligtes, verwerfliches Motiv zu unterstellen.
[5] Das Berufungsgerichtgab der Berufung des Kl nicht Folge. Der Zentralbetriebsrat (ZBR) der Bekl habe in der BV vom 10.11.2020 einer verpflichtenden wöchentlichen Testung der Mitarbeiter auf SARS-CoV-2 durch einen molekularbiologischen Test oder Antigentest zugestimmt. Schon aufgrund dieser auf § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG, allenfalls auf § 97 Abs 1 Z 8 ArbVG gegründeten BV sei der Kl zur Testung verpflichtet gewesen. Die Berufung stütze sich auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs 4 COVID-19-NotMV. Auch eine verfassungswidrige VO gehöre aber bis zu deren Aufhebung durch den VfGH dem Rechtsbestand an. Demnach habe die Bekl die angeführte Bestimmung beachten müssen und hätte sich bei Nichtbeachtung verwaltungsrechtlich und allenfalls sogar gerichtlich strafbar gemacht. Vor diesem Hintergrund habe der Verweis auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit der VO den Kl jedenfalls nicht zur Testverweigerung berechtigt. Das Recht des AN auf körperliche Unversehrtheit könnte zwar einen tauglichen Verweigerungsgrund darstellen, wenn die Testung für den Kl nicht zumutbar wäre. Ohne besondere gesundheitliche Gründe, die der Kl gar nicht behaupte, falle die grundrechtlich verankerte Pflicht zur umfassenden Interessenabwägung allerdings zweifellos zugunsten der Testpflicht aus. Hier gehe es nicht nur um den Schutz der Mitarbeiter am Arbeitsplatz, sondern auch um den Schutz der Heimbewohner als bekanntermaßen besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe in einer Pandemiesituation. Die Sorge des Kl, dass durch die Testungen das Personal ausgedünnt werde und Bewohner nicht mehr betreut werden könnten, liege nicht in seinem Verantwortungsbereich. Insgesamt folge daraus, dass sich der Kl nicht in vertretbarer Weise auf einen zur Testverweigerung berechtigenden Grund gestützt habe.
[6] Die ordentliche Revision sei gem § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil der Berechtigung zur Verweigerung von Antigen- und molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2 durch einen DN über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme.
[7] Die dagegen gerichtete Revision des Kl zielt auf eine Klagsstattgebung ab.
[8] Die Bekl beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
[9] Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[10] 1. Nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG kann die Kündigung beim Gericht angefochten werden, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten 407 Geltendmachung vom AG in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den AN erfolgt ist. Nach der Rsp geht es bei diesem Kündigungsanfechtungsgrund darum, dass der AG nach Meinung des AN bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der AN diese nicht erfüllten Ansprüche dem AG gegenüber geltend macht und dass der AG den AN wegen dieser Geltendmachung kündigt. Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst (RIS-Justiz RS0051666). Ziel dieser Bestimmung ist es, dem AN die Rechtsdurchsetzung im aufrechten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen (RS0104686). Umfasst ist dabei nicht nur die Geltendmachung von Geldansprüchen, sondern auch anderer vom AG in Frage gestellter Ansprüche (RS0104686 [T4]), Rechte und Rechtspositionen. In dem Sinn wird auch in der Literatur der Zweck der lit i darin gesehen, insoweit Vergeltungskündigungen zu vermeiden (9 ObA 64/18d; Wolligger in ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 126).
[11] Eine erfolgreiche Anfechtung setzt voraus, dass die Geltendmachung von Ansprüchen durch den AN nicht offenbar unberechtigt ist (vgl 9 ObA 108/98t; Wolligger in ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 130). Der Motivkündigungsschutz soll nicht schon bei haltlosen Behauptungen greifen (Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 105 Rz 227).
[12] 2.1 § 10 Abs 4 der am 17.11.2020 in Kraft getretenen COVID-19-NotMV idF BGBl II 2020/479lautete wie folgt:
„Der Betreiber von Alten- und Pflegeheimen darf Mitarbeiter nur einlassen, wenn diese durchgehend eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung tragen. Der Betreiber von Alten- und Pflegeheimen darf Mitarbeiter ferner nur einlassen, wenn für diese einmal pro Woche ein Antigen- Test auf SARS-CoV-2 oder ein molekularbiologischer Test auf SARS-CoV-2 durchgeführt wird und dessen Ergebnis negativ ist. Im Fall eines positiven Testergebnisses kann das Einlassen abweichend davon dennoch erfolgen, wennStehen Tests nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung, sind vorrangig Mitarbeiter mit Bewohnerkontakt zu testen.“
- jedenfalls mindestens 48 Stunden Symptomfreiheit nach abgelaufener Infektion vorliegt und
- auf Grund der medizinischen Laborbefunde, insbesondere aufgrund des CT-Werts >30, davon ausgegangen werden kann, dass keine Ansteckungsgefahr mehr besteht.
[13] 2.2 Der für die Beurteilung des verwerflichen Motivs entscheidende Zeitpunkt ist jener des Ausspruchs der Kündigung (Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 105 Rz 190).
[14] Zum hier maßgeblichen 26.11.2020 gehörte § 10 Abs 4 COVID-19-NotMV dem Rechtsbestand an, was auch vom Kl nicht bezweifelt wird. Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, gehen die vom Kl (bloß unsubstantiiert) geäußerten Bedenken an der Verfassungsgemäßheit dieser VO ins Leere, weil auch verfassungswidrige Verordnungen bis zu deren Aufhebung durch den VfGH anzuwenden sind (vgl Muzak, B-VG6 Art 139 Rz 22). Hinzu kommt, dass sich die hier maßgebliche Verpflichtung wohl auch aus der Verantwortung des Heimbetreibers für die Gesundheit der Heimbewohner rechtfertigen lässt.
[15] 3.1 Die Bekl als unmittelbare Adressatin der VO war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung daher verpflichtet, dem Kl ohne Vorliegen eines negativen Testergebnisses (bzw einer der in der VO statuierten Ausnahmen) das Betreten der Betriebsstätte zu verwehren, ohne dass es ihr frei stand, sich mit der Bereitschaft des Kl zum Tragen einer FFP2-Maske oder seiner Beteuerung, gesund zu sein, zu begnügen.
[16] 3.2 Umgekehrt ergab sich (schon) aus dieser VO eine zumindest mittelbare Verpflichtung des Kl, sich den von der Bekl angeordneten (für ihn kostenfreien) Tests zu unterziehen, damit die Bekl ihn weiter im Alten- und Pflegeheim beschäftigen und er seinem Arbeitsvertrag nachkommen konnte.
[17] Zu diesem Ergebnis gelangt, soweit ersichtlich, einhellig auch die Lehre und Literatur, die sich mit den Auswirkungen der VO auf das Arbeitsrecht befasst:
[18] Nach Drs/Schwab (COVID-19-Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz – Datenschutz, Dako 2021/30 [59]) seien, soweit die VO bestimmte Schutzmaßnahmen vorgibt, AG und AN daran gebunden. Da der AN aufgrund des Arbeitsvertrags verpflichtet sei, alles Notwendige und Zumutbare zu unternehmen, damit er seiner Arbeit nachgehen könne, müsse er die in der VO normierten Auflagen erfüllen und dürfe den Test nicht verweigern, soweit in der VO keine Alternative (zB Maske statt Test) vorgesehen sei.
[19] Auch Gerhartl (COVID-19-Tests im Arbeitsverhältnis, ecolex 2021/53 [59]) ist im Hinblick darauf, dass der AG nur Mitarbeiter zur Arbeit einlassen darf, die ein negatives Testergebnis aufweisen, der Ansicht, der AN müsse sich dem Test unterziehen, da sonst kein negatives Testergebnis ermittelt werden könne.
[20] Grimm/Wolf (Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 2021, 8 [13]) gehen ebenso wie Plucinska/Zankel (Rechtliche Rahmenbedingungen für Testungen und Impfungen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 im Arbeitsverhältnis, ASoK 2021, 82 [82 f]) von einer Testpflicht der von der VO umfassten Berufsgruppen aus. Letztere beurteilen die Verweigerung der SARS-CoV-2- Testung diesfalls explizit als rechtswidrig bzw als tauglichen Entlassungsgrund.
[21] Mazal (Zum Infektions- und Immunstatus im Arbeitsverhältnis – unter Berücksichtigung von COVID-19, ZAS 2021/14 [74]) spricht von indirekten Verhaltenspflichten des AN und bejaht derzeit die Zulässigkeit der Erhebung der Immunstatuts durch den AG.
[22] Auch Ganner/Pixner/Pfeil (COVID-19 in der Pflege: ein Überblick, ÖZPR 2021, 20 [23]) halten die AN grundsätzlich für verpflichtet, sich den in 408 der COVID-19-NotMV (dort zunächst nur dem AG) vorgeschriebenen Tests zu unterziehen. Weigerungen ohne triftigen Grund könnten unter Umständen sogar eine Entlassung rechtfertigen.
[23] 3.3 Einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis darauf, sich entgegen dieser – in der arbeitsrechtlichen Treuepflicht wurzelnden – Mitwirkungspflicht doch nicht testen lassen zu müssen, der einen Motivkündigungsschutz nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG begründen könnte, bringt der Kl nicht zur Darstellung, zumal er schon die Rechtsgrundlage für einen derartigen Anspruch im Dunkeln lässt:
[24] Einen (unverhältnismäßigen) Eingriff in Persönlichkeitsrechte durch die regelmäßigen Testungen auf SARS-CoV-2 führt der Kl nicht konkret ins Treffen, schon gar nicht mit seinem Hinweis auf eine – wie er meint – drohende Impfpflicht, die hier nicht zur Diskussion steht. Er beruft sich vielmehr bloß ganz allgemein auf den „Schutz der Grund- und Freiheitsrechte“. Dementsprechend setzt er auch der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine bei einem Grundrechtseingriff gebotene Interessenabwägung (vgl RS0116695) wegen der Schutzbedürftigkeit der in einer Pandemie besonders vulnerablen Heimbewohner jedenfalls zugunsten der Testpflicht ausfiele, nichts weiter entgegen. Nach den Feststellungen lehnte der Kl die Tests zudem nicht (wie anfänglich behauptet) wegen des damit verbundenen Eingriffs in seine psychische und physische Integrität ab, sondern weil er deren Sinnhaftigkeit in Zweifel zog. Seinen Überlegungen, das Testen asymptomatischer Personen sei nicht zielführend und es könnte durch falsch positive Tests zu einer Ausdünnung des Personalstands kommen, haben bereits die Vorinstanzen zutreffend erwidert, dass es nicht an ihm als AN liegt, die Sinnhaftigkeit der Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen, zu deren Umsetzung die Bekl als Betreiberin eines Alten- und Pflegeheims nach der geltenden Rechtsordnung verpflichtet ist.
[25] Die (beharrliche) Weigerung des Kl, sich auf Kosten der Bekl den von ihr iSd § 10 Abs 4 COVID-19-NotMV angeordneten regelmäßigen Tests zu unterziehen, war daher offenbar unbegründet. In der daraufhin durch die Bekl ausgesprochenen Kündigung ist eine verpönte Retorsionsmaßnahme nicht zu erblicken.
[26] 4. Dem Umstand, dass auch die am 10.11.2020 in Kraft getretene BV zwischen dem ZBR der Bekl und der Bekl eine verpflichtende zumindest wöchentliche Testung aller Mitarbeiter auf SARS-CoV-2 entweder durch einen molekularbiologischen Test oder durch Antigentest vorsieht, kommt bei diesem Sachverhalt keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Die Ausführungen des Revisionswerbers zu dieser BV können daher auf sich beruhen.
[27] 5. Da die Revision des Kl nicht berechtigt ist, ist ihr ein Erfolg zu versagen. [...]
In der vorliegenden E setzte sich der OGH mit der Frage auseinander, ob die Kündigung eines Diplomkrankenpflegers motivwidrig war. Obgleich die Bekl als Betreiberin eines Alten- und Pflegeheims gem § 10 Abs 4 COVID-19-NotMV dazu verpflichtet war, nur negativ auf SARS-CoV-2 getestete AN in den Betrieb einzulassen, verweigerte der Kl diese Tests mit der Begründung, dass diese nicht zielführend seien. Die darauf erfolgte Kündigung stellte nach Ansicht des OGH keine Vergeltungskündigung nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG dar.
Vorauszuschicken ist, dass dem OGH hinsichtlich jener Punkte, die schlussendlich zur für den Kl abschlägigen E führten, inhaltlich beizupflichten ist. In der Folge sollen daher Fragen aufgegriffen werden, die sich zwangsläufig bei nicht eindeutiger Verordnungslage, aber einer vom AG angeordneten Test- oder Impfpflicht und der Weigerung des AN, dieser nachzukommen, ergeben, wenn der AN sodann die Kündigung wegen verpönten Motivs anficht; die Autorinnen haben idZ versucht, von der tagesaktuellen Rechtslage unabhängige Aussagen zu treffen, die nicht gleich wieder zu Makulatur verkommen. Nicht näher eingegangen wird auf die Frage einer allfälligen Sittenwidrigkeit einer Kündigung wegen Test- und Impfverweigerung; eine solche wird jedoch jedenfalls in jenen Fällen, in denen Test- oder Impfpflicht der Einhaltung gesetzlicher, durch VO aufgestellter oder vertraglicher Pflichten (Fürsorgepflicht; Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden und anderen Vertragspartnern) dient, zu verneinen sein (Rauch, Impfverweigerung und Kündigung, ASoK 2021, 205 f; Hainz, Impfstatus im Arbeitsverhältnis, ecolex 2021, 245 [248]; Turrini in Kietaibl/Resch [Hrsg], COVID-19 – Arbeitsrecht in der Krise? [2021] 62). Von Sittenwidrigkeit ist ja bekanntlich (nur) dann auszugehen, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (statt aller Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 879 ABGB Rz 11).
Wie der OGH unter Rekurs auf die hA ausführt, führt eine Kündigungsanfechtung unter Berufung auf § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG nur dann zum Erfolg, wenn (i) der AG nach Meinung des AN bestehende Ansprüche nicht erfüllt, (ii) der AN diese nicht erfüllten Ansprüche dem AG gegenüber geltend macht und (iii) der AG den AN wegen dieser Geltendmachung kündigt. Die Geltendmachung darf zudem nicht offenbar unberechtigt sein: Bei haltlosen Behauptungen soll der Kündigungsschutz nicht greifen.
Ziel des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ist, die Rechtsdurchsetzung im aufrechten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen. Umfasst ist die Geltendmachung von Ansprüchen, Rechten und Rechtspositionen, die der AG in Frage stellt (vorliegende E Rz 10). Grundsätzlich ist der Anspruch auf Erfüllung der Fürsorgepflicht iS einer Wahrung der Persönlichkeitsrechte ein relevanter Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis (Trost in Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], 409 ArbVG § 105 Rz 221). Insb sind Kündigungen dann anfechtbar, wenn sich AN weigern, unzulässige Weisungen zu befolgen (OGH 22.12.1993, 9 ObA 223/93; Trost, ArbVG § 105 Rz 222; Gahleitner in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVR 36 § 105 Rz 85).
Der Schutzbereich der Motivwidrigkeit ist gem § 105 Abs 3 lit i ArbVG bei der „offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung“
eröffnet; nach hL und Rsp des OGH reicht jedoch schon die „nicht offenbar unberechtigte Geltendmachung“
von Ansprüchen, damit die Anfechtung zum Erfolg führt (Wolligger in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zell-Komm3 § 105 ArbVG Rz 130; OGH 13.3.2002, 9 ObA 9/02t; Trost, Rückversetzungswunsch als verpöntes Kündigungsmotiv, DRdA 2003, 150 [154]) bzw muss der Anspruch „vertretbar strittig“ sein (Schrank in Tomandl [Hrsg], Arbeitsverfassungsgesetz9.L § 105 Rz 123; Dusak, Änderungen im Bereich der personellen Mitbestimmung, ZAS 1986, 198 [202]). Klar ist, dass einer Anfechtung nach lit i nicht bereits deshalb der Erfolg versagt ist, weil Unklarheiten oder unterschiedliche Auffassungen über den Bestand von Ansprüchen bestehen (OGH 30.4.2012, 9 ObA 32/12i). Nur wenn ohne jeden Zweifel erkennbar ist, dass der Anspruch nicht besteht (Gahleitner, ArbVR 36 § 105 Rz 84) bzw die Behauptung haltlos ist (Trost, ArbVG § 105 Rz 227), ist die Anfechtungsklage abzuweisen. Zur Klagsabweisung kommt es zudem auch dann, wenn der AG gem § 105 Abs 5 ArbVG glaubhaft machen kann, dass ein anderes Motiv für die Kündigung ausschlaggebend war.
Nach der eindeutigen Rechtslage war es dem OGH zufolge klar, dass kein Anspruch des AN bestand, sich nicht testen zu lassen. Einerseits war der AG als unmittelbarer Adressat der COVID-19-NotMV verpflichtet, AN nur getestet in den Betrieb einzulassen (Rz 15). Nach Ansicht des OGH ergibt sich aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht diesbezüglich auch eine Mitwirkungspflicht der AN (Rz 23). Über den Anlassfall hinaus lässt sich daher festhalten, dass den AN die Pflicht trifft, sich so zu verhalten, dass die Arbeitspflicht erfüllt werden kann. Primäre Rechtsgrundlage hierfür ist der Arbeitsvertrag (Drs/Schwab, Covid-19-Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz – Datenschutz, Dako 2021, 59). Treffen den AG spezielle Pflichten, wie im Anlassfall jene, AN nur getestet Zutritt zu gewähren, so ist Rechtsgrundlage auch die dem Arbeitsvertrag immanente Treuepflicht, aus der sich auch Mitwirkungspflichten ergeben können (Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1153 ABGB Rz 34; Brodil, Die „Dritte Dimension“ im Arbeitsverhältnis, ZAS 2021, 4 [6]; Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 2021, 8 [11]). Dies gilt zweifelsohne auch dann, wenn AN selbst unmittelbar aufgrund von VO oder Gesetz zur Erbringung eines Nachweises über eine geringe epidemiologische Gefahr („3G“) verpflichtet sind (Traxler, Arbeitsrechtliche Fragestellungen iZm der 3-G-Pflicht am Arbeitsplatz, PV-Info 2021/12, 4).
Zudem lässt sich diese Verpflichtung „wohl auch aus der Verantwortung des Heimbetreibers für die Gesundheit der Heimbewohner“ rechtfertigen (Rz 14). Mit dieser Bezugnahme auf die Verantwortung gegenüber den Heimbewohnern wird jenen Fällen vorgebeugt, in denen keine entsprechenden Regeln bezüglich Testpflichten (mehr) existieren – sei es aufgrund des Auslaufens einer zeitlichen Befristung oder einer Aufhebung durch den VfGH aus formalen oder inhaltlichen Gründen.
Auch abseits von Testpflichten durch VO oder Gesetz sowie von jenen Fällen, in denen eine derart eindeutige Schutzbedürftigkeit von besonders vulnerablen Personengruppen besteht (dh im vorliegenden Fall der Heimbewohner), existiert in der Arbeitswelt das Bedürfnis, weiterreichende Schutzvorkehrungen zu treffen; sei es zum Schutz der AN aus der Fürsorgepflicht heraus, sei es, weil Schutzpflichten gegenüber Geschäftspartnern bestehen. Diese Vorkehrungen können unterschiedlich ausgestaltet sein, bspw als Beibehaltung von 3G am Arbeitsplatz bei Entfall einer entsprechenden VO oder als Impfpflicht im Betrieb (1G oder 2G). Zentral ist die Frage, ob unter Berufung auf die Persönlichkeitsrechte eine Weigerung, eine dahingehende Weisung zu befolgen bzw einer Vertragsänderung zuzustimmen, eine offenbar nicht unberechtigte Geltendmachung von Ansprüchen, welche vom AG in Frage gestellt werden, iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG darstellt. Obschon dies theoretisch in einigen Konstellationen durchaus bejaht werden könnte (dazu sogleich), wird die Anfechtung wegen verpönten Motivs in der Praxis nur in jenen Fällen erfolgversprechend sein, in denen der AG den AN gerade deshalb kündigt, weil dieser auf Einhaltung seiner Persönlichkeitsrechte besteht. Erfolgt die Kündigung jedoch aus anderen Motiven – etwa weil der AG nicht getestete oder ungeimpfte Mitarbeiter*innen schlicht nicht einsetzen darf oder kann –, so wird einer auf § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG gestützten Klage bei einem entsprechenden Vorbringen des AG gem § 105 Abs 5 ArbVG der Erfolg versagt bleiben.
Gem § 1157 ABGB und § 18 AngG sind AG im Rahmen der Fürsorgepflicht zur Wahrung besonders gefährdeter persönlicher Interessen der AN und somit auch zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der AN verpflichtet (Mosler in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 18 AngG Rz 1; Krejci in Rummel, ABGB3 § 1157 ABGB Rz 9). Grenze der Fürsorgepflicht ist jedoch der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz iS eines Übermaßverbotes (Tomandl, Fürsorge- und Treuepflicht im Arbeitsverhältnis [2020] 78). Ebenso sind AG gem § 3 Abs 1 ASchG umfassend zum Gesundheitsschutz der AN verpflichtet (Rauch, 410 ASoK 2021, 202). Daraus lässt sich ableiten, dass AG grundsätzlich Vorkehrungen zu treffen haben, um AN vor Infektionen zu schützen; dies vor allem dann, wenn eine besonders hohe Gefahr einer Ansteckung besteht, die wiederum schwerwiegende gesundheitliche Folgen mit sich bringen kann. Nach Ansicht der Autorinnen darf diese Pflicht zwar nicht überspannt werden; Maßstab wird vorrangig die Gesetzes- bzw Verordnungslage sein. Wird aber eine Krankheit insofern als besonders gefährlich eingestuft, sind AG auch aus Sicht des AN-Schutzes vermehrt dazu verpflichtet, entsprechende Schutzvorkehrungen zu treffen.
Weiters sind auch Schutzpflichten gegenüber Geschäftspartnern denkbar, mit denen AG im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in einer Vertragsbeziehung stehen. So könnte die Vermeidung von Ansteckungen mit Infektionskrankheiten als nebenvertragliche Pflicht angesehen werden (Grimm/Wolf, JMG 2021, 8 [11]). Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn diese Personen besonders vulnerablen Personengruppen angehören (zB Gesundheitsbereich). Gerade der Hinweis in der gegenständlichen E auf die Verantwortung für die Gesundheit der Heimbewohner lässt den Schluss zu, dass auch ohne explizite VO besondere Schutzvorkehrungen erforderlich sein können.
Zudem können mit weitergehenden Maßnahmen auch wichtige betriebliche Interessen geschützt werden. Einerseits wird mit regelmäßigen Tests von Ungeimpften oder einer hohen Durchimpfungsrate das Risiko von quarantäne- oder krankheitsbedingten Ausfällen erheblich reduziert, andererseits wird damit im Einzelfall auch die Arbeitsfähigkeit sichergestellt, wenn bspw bei grenzüberschreitenden Arbeitseinsätzen eine Impfung als notwendige Voraussetzung für die Einreise in gewisse Staaten vorgegeben ist. In diesem Fall dient die vom AG vorausgesetzte Impfung weniger dem Gesundheitsschutz per se, sondern stellt einen Teil der Arbeitsfähigkeit dar. Impfverweigerungen können in dieser Konstellation einen personenbezogenen Rechtfertigungsgrund im Rahmen einer Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG darstellen, vorausgesetzt, die betrieblichen Interessen überwiegen (dazu sogleich 2.).
AG können sich schließlich mit den Wünschen ihrer Kunden konfrontiert sehen, ausschließlich mit getestetem oder geimpftem Personal in Kontakt zu treten. Dabei sind jedoch ua die strengen Maßgaben des Art 9 DSGVO hinsichtlich der Weitergabe von sensiblen Daten zu beachten, da es sich beim Impfstatus um ein Gesundheitsdatum handelt.
Die Pflicht, einen entsprechenden Test- oder Impfnachweis dem AG vorzulegen, tangiert das in Art 8 EMRK geschützte Recht auf Privatleben, insb die körperliche Integrität und Selbstbestimmung, sowie das Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 DSG. Grundrechte sind als Persönlichkeitsrechte iSd § 16 ABGB im Rahmen der Fürsorgepflicht beachtlich (Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 16 ABGB Rz 42) und finden im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung Einzug in das Arbeitsverhältnis (Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 879 ABGB Rz 14). Eingriffe in Persönlichkeitsrechte bedürfen stets einer sachlichen Rechtfertigung, wobei es schlussendlich auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes ankommt. Dabei sind die betrieblichen Interessen nach erhöhten Schutzmaßnahmen mit den damit verbundenen Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte abzuwägen. Voraussetzung ist dabei, dass die Maßnahmen in Hinblick auf das verfolgte Ziel tauglich und gelindere Mittel nicht möglich sind. Entscheidend ist dabei auch, ob die aktuelle Situation diese Einschränkungen überhaupt erfordert. Welche Interessen letztendlich überwiegen, kann nur laufend konkret für jeden Arbeitsplatz sowie abhängig von der aktuellen epidemischen Lage beurteilt werden.
Zentrale Frage ist, ob Test- oder Impferfordernisse ohne explizite Rechtsgrundlage entweder einseitig per Weisung oder durch Vereinbarung in das Arbeitsverhältnis Einzug finden können. Während gewisse Schutzvorkehrungen wie eine betriebliche 3G-Regel wohl auch ohne Verordnungsgrundlage angeordnet werden können (sofern die betrieblichen Interessen klar überwiegen oder besondere Schutzinteressen gegenüber vulnerablen Gruppen bestehen; Grimm/Wolf, JMG, 2021, 13 f; Drs/Schwab, Dako 2021, 59 f; Gerhartl, Aufstellen von „Corona-Regeln“ im Arbeitsrecht, ecolex 2021, 848 [849 f]), ist die Möglichkeit, durch Weisung eine Impfpflicht zu implementieren, im Schrifttum umstritten und wird unzulässig sein (statt vieler Radlingmayr, Verlust der Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Schadenersatzpflicht des Arbeitnehmers bei Verweigerung der COVID-19-Impfung? ASoK 2022, 42 [46 f]; Silbernagel/Silbernagel, Indirekte Impfpflicht durch Arbeitsverhältnis oder gesetzliche Impfpflicht durch staatliche Gesundheitsversorgung, ZfG 2021, 44 [49]; Obrecht, Was in Corona-Zeiten im Arbeitsverhältnis angeordnet werden darf, RdW 2021, 709 [713]). Vereinbarungen über Impfungen werden hingegen jedenfalls in speziellen Fällen, insb wenn berechtigte AG-Inte ressen bestehen, zulässig sein, vermutlich aber auch darüber hinaus (Schedle, Gesetzliche Impfpflicht und arbeitsrechtliche Aspekte, ARD 6785/4/2022, 3 [4]; Drs/Schwab, Dako 2021, 60; Vereinbarungen generell zulassend Mazal, Impfpflicht – Individualarbeitsrechtliche Aspekte, ecolex 2022, 221 [222]; aA Turrini in Kietaibl/Resch [Hrsg], COVID-19 – Arbeitsrecht in der Krise? 41). Bei der Überprüfung der Sittenwidrigkeit sowohl von Weisung als auch Vereinbarung kann eine gesetzliche Impfpflicht allenfalls als Hinweis auf eine Vereinbarkeit mit den guten Sitten nach § 879 ABGB angesehen werden.
Im konkreten Fall erachtete der OGH die Testverweigerung nicht als nicht offenbar unberechtigte Geltendmachung von Ansprüchen. Hätte der Kl nicht nur allgemein auf Grund- und Freiheitsrechte 411 verwiesen (siehe Rz 24) bzw bloß die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit von Vorschriften, die dem Rechtsbestand angehören, in Frage gestellt, sondern substantiiert einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vorgebracht, so hätte es nach Ansicht des Berufungsgerichtes (die vom OGH jedenfalls nicht widerlegt wird) einer Interessenabwägung bedurft (siehe Rz 5). Dabei hätte aber im vorliegenden Fall die Schutzbedürftigkeit der vulnerablen Heimbewohner prävaliert. Ein Eingriff wäre daher im konkreten Anlassfall unstrittig abzulehnen gewesen (in dieser Klarheit Spenling, RZ 2021, 291). Folglich wäre das Bestehen eines „vertretbar strittigen Anspruches“ in jedem Fall zu verneinen gewesen.
Aus der vorliegenden E (insb Rz 24 f) könnte jedoch abgeleitet werden, dass der OGH jene Fälle differenziert beurteilen würde, in denen ohne entsprechende VO oder Gesetz Tests oder Impfungen vereinbart oder angewiesen werden, und in denen substantiiert ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vorgebracht wird. Anspruchsgrundlage wäre der Vertrag bzw die diesem immanente Fürsorgepflicht, die ja auch den Schutz der Persönlichkeitsrechte des AN umfasst. Die unter 1.2.2. dargestellte Diskussion im Schrifttum zeigt, dass eine Ex-ante- Beurteilung abschließend kaum möglich ist. Im Ergebnis könnten daher „Weigerungsansprüche“ in diesen Fällen als offenbar nicht unberechtigt bzw vertretbar strittig qualifiziert werden. Der Wortlaut des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG schließt eine solche Konsequenz nicht aus, immerhin müssen Ansprüche „in Frage gestellt“ werden. Behauptet der AN substantiiert, er habe einen Anspruch, sich nicht testen oder impfen zu lassen, stellt der AG dies in Frage, indem er dennoch auf Test bzw Impfung besteht und kündigt er den AN sodann wegen Test- bzw Impfverweigerung, so wird dies unter „In-Frage-Stellen“ subsumiert werden können (vgl zum Unterschied zum Nichterfüllen Gahleitner, ArbVR 36 § 105 Rz 84).
Abgesehen davon, dass all dies nur in jenen (wohl seltenen) Fällen von Relevanz ist, in denen der AG kein anderes Motiv für die Kündigung glaubhaft macht (dazu bereits supra 1.2.), ist schließlich fraglich, ob im Hinblick auf das primäre Ziel der lit i, den AN vor Retorsionsmaßnahmen des AG zu schützen (Wolligger in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 126), Kündigungsanfechtungen bei unklarem Arbeitsvertragsinhalt – und um einen solchen Fall handelt es sich im Ergebnis – tatsächlich unter Berufung auf § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG erfolgversprechend sein sollten. Hierzu sei zweierlei bemerkt: Ist unklar, ob der Arbeitsvertrag die vom AG vorgegebene Test- oder Impfpflicht deckt, so kann der AG eine Änderungskündigung aussprechen. Bietet der AG einen klaren geänderten Arbeitsvertrag an, ohne zuvor die vom AN behaupteten Positionen in Frage zu stellen, und verweigert der AN die Zustimmung, so ist bei darauffolgender Kündigung idR von keiner verpönten Motivkündigung auszugehen (vgl Gahleitner, Anm zur OGH9 ObA 64/11vDRdA 2013/15 [157]; dies, ArbVR 36 § 105 Rz 87). Das Änderungsangebot müss te dabei inhaltlich das gelindeste Mittel darstellen (vgl Gahleitner, ArbVR 36 § 105 Rz 87); der AG hätte also unter sozialen und wirtschaftlichen Aspekten zwecks Pandemiebekämpfung keine andere Maßnahme sinnvoll treffen können dürfen.
Nachdem im gegenständlichen Fall der BR der Kündigung zugestimmt hatte, war dem Kl die Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit gem § 105 Abs 3 Z 2 iVm Abs 6 ArbVG verwehrt. Spannend sind jene (wohl häufigeren) Fälle, in denen der BR trotz Vorliegens einer expliziten per Gesetz oder VO vorgesehenen Test- oder Impfpflicht von seinem Sperrrecht nicht Gebrauch macht und eine Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit möglich ist. Schweigt der BR bzw gibt er ausdrücklich keine Stellungnahme ab, oder widerspricht er der Kündigung, ist zu prüfen, ob eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung durch das Vorliegen eines in der Person des AN gelegenen Grundes gerechtfertigt werden kann, sodass die Sozialwidrigkeit der Kündigung schlussendlich zu verneinen ist (dies für wahrscheinlich haltend Gerhartl, PV-Info 2021/11 [10]). Kann der AN aufgrund der Weigerung, sich testen oder impfen zu lassen, seiner Arbeit nicht mehr nachgehen, so wird die Kündigung in aller Regel nach lit a gerechtfertigt sein (vgl auch Drs/Schwab, Dako 2021, 60; Zankel, Impfpflicht in Österreich, ASoK 2021, 460 [463]). Bei unklarer Rechtslage sind im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung den betrieblichen Erfordernissen auch alle persönlichen Gründe des AN, die Testung oder Impfung zu verweigern, gegenüberzustellen. 412