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Teilabschied von § 10 Abs 2 UrlG

THOMASMATHY (INNSBRUCK)
  1. Der in § 10 Abs 2 UrlG normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigten Austritt steht in Widerspruch zu Art 7 Abs 2 RL 2003/88/EG.

  2. Eine finanzielle Abgeltung des über den unionsrechtlich garantierten vierwöchigen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsteils ist unionsrechtlich nicht geboten.

[1] Der Kl war von 25.6.2018 bis 9.10.2018 bei der Bekl als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch unberechtigten vorzeitigen Austritt des Kl. Von dem im Beschäftigungszeitraum erworbenen Urlaubsanspruch von 7,33 Arbeitstagen verbrauchte der Kl 4 Tage während des Arbeitsverhältnisses. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses waren daher noch 3,33 Arbeitstage an Urlaubsanspruch offen.

[2] Der Kl begehrt Urlaubsersatzleistung von 322,06 € sA für den bei Ende des Arbeitsverhältnisses noch offenen Urlaubsanspruch. § 10 Abs 2 UrlG, wonach bei vorzeitigem Austritt ohne wichtigen Grund kein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung bestehe, verstoße gegen Art 31 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) und Art 7 Arbeitszeit-RL 2003/88/EG.

[3] Die Bekl stellte die Richtigkeit der Berechnung hinsichtlich der Höhe des Klagebegehrens außer Streit, bestritt es jedoch dem Grunde nach unter Hinweis auf § 10 Abs 2 UrlG. Selbst wenn man von einem unionsrechtlichen Ersatzanspruch ausgehe, sei ein solcher auf Basis des unionsrechtlichen Urlaubsanspruchs von vier Wochen zu berechnen. Dies ergebe einen Anspruch auf 5,864 Tage Urlaub. Abzüglich der vier schon verbrauchten Urlaubstage stünde höchstens eine Ersatzleistung für 1,864 Tage zu, im konkreten Fall errechne sich so ein Betrag von 153,79 €.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl gegen diese E nicht Folge. [...]

[...]

[10] 1. Aus Anlass des Rechtsmittelverfahrens legte der OGH zunächst dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor und setzte das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 29.4.2020 bis zur E des EuGH aus (9 ObA 137/19s).

[...]

[14] 4. Aufgrund dieses Erkenntnisses des EuGH steht fest, dass der in § 10 Abs 2 UrlG normierte Entfall des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch (unberechtigten) Austritt des AN ohne wichtigen Grund in Widerspruch zu Art 7 Abs 2 der RL 2003/88 steht, die für jeden AN einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen vorsieht. Ist – wie hier – eine mit den Anforderungen dieser RL im Einklang stehende Auslegung und Anwendung der nationalen Regelung nicht möglich, ist eine unionsrechtswidrige nationale Regelung, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet zu lassen (RS0109951 [T3, T6, T7]; Mayr/Erler, UrlG3 § 10 UrlG Rz 7).

Im horizontalen Rechtsverhältnis zu einem privaten AG kann sich der AN zwar nicht unmittelbar auf die RL berufen, im Anwendungsbereich des Unionsrechts entfaltet das Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub nach Art 31 Abs 2 GRC aber unmittelbare Wirkung, sodass sich der Einzelne vor nationalen Gerichten einerseits direkt darauf stützen kann und andererseits nationale Gerichte verpflichtet sind, dieses Grundrecht direkt anzuwenden. Kann eine nationale Regelung nicht im Einklang mit Art 7 der RL 2003/88 und Art 31 Abs 2 der GRC ausgelegt werden, ergibt sich aus Art 31 Abs 2 der GRC, dass das mit einem Rechtsstreit zwischen einem AN und seinem früheren privaten AG befasste nationale Gericht diese nationale Regelung nicht zu berücksichtige [sic] hat (EuGH 6.11.2018 C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft, Rn 81). Das nationale Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass der AN für den nicht genommenen Jahresurlaub eine finanzielle Vergütung erhält (8 ObA 62/18b [Pkt 3] unter Hinweis auf EuGHC-569/16 und C-570/16, Stadt Wuppertal/Bauer, Willmeroth/Broßonn).

[15] 5. Auf dieser Grundlage hat der unberechtigt vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgetretene Kl grundsätzlich einen Anspruch auf Abgeltung des zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Urlaubsrestes gem § 10 Abs 1 UrlG. Zu prüfen bleibt jedoch, ob der in § 10 Abs 2 UrlG unionsrechtswidrig normierte Urlaubsverfall nur den unionsrechtlichen Mindesturlaub von vier Wochen oder den gesamten nationalen Urlaubsanspruch nach § 2 Abs 1 UrlG – im Falle des Kl von unstrittig 30 Werktagen (fünf Wochen) – betrifft. Dazu hat der Senat erwogen:

[16] 6. Der Anwendungsbereich der GRC, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, ist in Art 51 505 Abs 1 der GRC definiert. Danach gilt diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Die Mitgliedstaaten sind an die GRC gebunden, wenn sie sekundäres Unionsrecht anwenden, insb VO und RL vollziehen und umsetzen (vgl EuGH 26.2.2013 C-617/10, Akerberg Fransson, Rn 17 ff; 10 ObS 44/14i [Pkt II.2.4.]; Holoubek/Oswald in Holoubek/Lienbacher, GRCKommentar2 Art 51 Rz 17).

[17] 7. Die RL 2003/88 legt zwar Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung fest, die von den Mitgliedstaaten zu beachten sind, doch haben diese gem Art 15 der RL das Recht, für die AN günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen. [...]

[18] 8. Soweit die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften erlassen, mit denen den AN ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zuerkannt wird, der über die in Art 7 Abs 1 der RL vorgesehene Mindestdauer von vier Wochen hinausgeht, liegt keine Durchführung der RL 2003/88 iS von Art 51 Abs 1 GRC vor (vgl EuGH 19.11.2019 C-609/17 und C-610/17, Terveys- ja sosiaalialan neuvottelujärjestö (TSN) ry, Rn 54). Wenn im nationalen Recht daher mehr als die in der RL festgelegten vier Wochen Jahresurlaub vorgesehen sind, können die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, ob sie für AN, die diesen Urlaub während ihres Arbeitsverhältnisses nicht nehmen konnten, eine finanzielle Vergütung vorsehen, und sie können die Bedingungen für die Gewährung dieses zusätzlichen Anspruchs festlegen (vgl Mitteilung der EU-Kommission vom 24.5.2017, ABl C-2017/C-165/35).

[19] 9. Art 7 Abs 2 der RL 2003/88 räumt dem AN einen Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen ein. Da das UrlG dagegen dem AN einen Urlaubsanspruch von fünf bzw sechs Wochen gewährt, geht die innerstaatliche Rechtslage über die unionsrechtlich erforderlichen Mindestansprüche hinaus und ist insoweit günstiger als das Unionsrecht. Um den unionsrechtlichen Vorgaben des EuGH (C-332/20) zur Auslegung des Art 7 Abs 1 der RL 2003/88 im Anlassfall gerecht zu werden und dafür Sorge zu tragen, dass der AN für den zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses offenen Resturlaub eine finanzielle Vergütung erhält, genügt es daher nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, § 10 Abs 2 UrlG (nur) insoweit unangewendet zu lassen, dass im Ergebnis der AN auf Grundlage des nach Art 7 Abs 2 der RL 2003/88 unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs von vier Wochen eine Urlaubsersatzleistung für den zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbrauchten Jahresurlaub erhält. Art 7 der RL 2003/88 steht etwa einer nationalen Regelung nicht entgegen, die zwar mehr als vier Wochen Urlaub, aber keine finanzielle Vergütung für den Fall vorsieht, dass ein in den Ruhestand tretender AN diese zusätzlichen Urlaubsansprüche krankheitsbedingt nicht mehr vor Antritt seines Ruhestands verbrauchen kann (EuGH 3.5.2012 C-337/10, Neidel, Rn 36; Drs, Neuere Rechtsprechung zur Arbeitszeit-Richtlinie – Urlaubsrecht, in Kietaibl/Resch, Arbeitsrechtlicher Schutz aus unionsrechtlichen Vorgaben, 93). Eine finanzielle Abgeltung des über den vierwöchigen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsteils ist daher unionsrechtlich nicht geboten. [20] 10. Diese Rechtsauffassung wird auch im Schrifttum überwiegend vertreten (Erler, Urlaubsersatzleistung gebührt auch bei unberechtigtem Austritt, ecolex 2016, 854 [857]; differenziert ders in Der Urlaubsbegriff im Unionsrecht und dessen Auswirkungen auf das österreichische und deutsche Urlaubsrecht [Dissertation Johannes Kepler Universität Linz] 114 ff; Ludvik, Urlaubsverfall bei Austritt des Arbeitnehmers ist unionsrechtskonform – § 10 Abs 2 UrlG im Lichte der EuGH-Judikatur, ASoK 2019, 325, 332; ders, Urlaubsverfall bei Arbeitnehmeraustritt – Der Urlaubsverfall austretender Arbeitnehmer ist unionsrechtswidrig – gilt das auch für den nationalen Urlaubsteil? ASoK 2022, 2 [7]; vgl Rudkowski in Schlachter/Heinig, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, § 12 Rz 16). [21] 11. Die dem Kl gebührende Urlaubsersatzleistung errechnet sich daher auf Basis des unionsrechtlichen Mindesturlaubs von vier Wochen wie folgt: 20 Urlaubstage (Arbeitstage) : 365 x 107 Tage (Beschäftigungszeitraum) = 5,86 Urlaubstage – 4 Tage verbraucht = 1,86 Tage.

[22] Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass sich daraus unter Berücksichtigung einer vom Kl zu zahlenden Konventionalstrafe ein Betrag von 153,79 € errechnet.

[23] Da sich die Revision des Kl damit teilweise als berechtigt erweist, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen iS einer teilweisen Klagsstattgabe im Umfang von 153,70 € brutto sA abzuändern. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren ist abzuweisen. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

In der vorliegenden E befasst sich der OGH mit den Auswirkungen, die das Urteil des EuGH in der Rs job-medium (EuGH 25.11.2021, C-233/20DRdA 4/2022 [Drs]) für das österreichische Urlaubsrecht nach sich zieht: Dort hat der EuGH nämlich ausgesprochen, dass es mit den Vorgaben des Art 7 RL 2003/88/EG sowie des Art 31 Abs 2 GRC unvereinbar ist, dass der Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage entfällt, wenn der AN das Arbeitsverhältnis von sich aus auflöst. Die Regelung des § 10 Abs 2 UrlG, die einen Entfall der Urlaubsersatzleistung für das laufende Urlaubsjahr anordnet, wenn der AN das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund vorzeitig beendet (unbegründeter Austritt), lässt sich damit – jedenfalls in seiner bisherigen Form – nicht aufrechterhalten. Vor dem Hintergrund dieses Anpassungsbedarfes nimmt der OGH in der gegenständlichen E zwei grundlegende Weichenstellungen vor: Zum einen wird klargestellt, dass nur hinsichtlich des unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs im Ausmaß von vier Wochen 506 pro Jahr (Art 7 RL 2003/88/EG) der Verlust der Urlaubsersatzleistung gem § 10 Abs 2 UrlG nicht zur Anwendung gelangt. Zum anderen wird bei der Ermittlung der Urlaubsersatzleistung bei unbegründetem Austritt davon ausgegangen, dass zunächst der unionsrechtlich garantierte Mindesturlaub verbraucht wird und erst im Anschluss daran der darüber hinausgehende Teil des Urlaubsanspruchs (nationaler Zusatzurlaub).

2.
Gespaltene Auslegung

Um nationales Recht in Einklang mit dem Primärrecht der Union bzw den Vorgaben einer RL zu bringen, stehen dem Rechtsanwender zwei Instrumente zur Verfügung: Zunächst trifft diesen die Pflicht, das nationale Recht unionsrechtskonform zu interpretieren. Erst wenn dies nicht ausreicht, um einen Widerspruch zwischen nationalem Recht und Unionsrecht zu vermeiden, kommt eine unmittelbare Anwendung des Unionsrechts in Betracht (Rebhahn in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 nach §§ 6, 7 ABGB Rz 135).

Die Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Interpretation des § 10 Abs 2 UrlG wird vom OGH in der vorliegenden E mit denkbar knappen Worten („Kann – wie hier – eine nationale Regelung nicht im Einklang [...] ausgelegt werden, [...]“) ausgeschlossen. Dies ist freilich keine Überraschung: Anders als die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Interpretation, die sich aus dem Unionsrecht (insb Art 4 Abs 3 EUV) ergibt (EuGH 10.4.1984, C-14/83, von Colson, Rz 26), richten sich die Grenzen der unionsrechtskonformen Interpretation nach den Auslegungsregeln des nationalen Rechts (EuGH 15.1.2014, C-176/12, AMS, Rz 39). Dementsprechend betont der OGH in stRsp (RIS-Justiz RS0114158 [T7]), dass die unionsrechtskonforme Interpretation einer „nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben [darf]“. Genau das wäre jedoch der Fall, wenn man entgegen dem Wortlaut und der erklärten Absicht des Gesetzgebers (RV 91 BlgNR 21. GP 17) die Rechtsfolge des Entfalls der Urlaubsersatzleistung bei unbegründetem Austritt einschränken würde. Es stellt sich demnach die Frage, ob entweder dem Art 7 RL 2003/88/EG oder dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gem Art 31 Abs 2 GRC unmittelbare Anwendbarkeit zukommt. Nach den vom EuGH für eine unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien aufgestellten Voraussetzungen ist diese dem „vertikalen Verhältnis“ vorbehalten: Nicht zuletzt, um die Unterscheidbarkeit zwischen der Rechtssatzform der VO (Art 288 Abs 2 AEUV) und jener der RL (Art 288 Abs 3 AEUV) zu wahren, wird eine unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien im Verhältnis zwischen Privaten vom EuGH nach wie vor abgelehnt (EuGH 14.7.1994, C-91/92, Faccini Dori, Rz 24; EuGH 6.11.2018, C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft, Rz 66). Weniger Zurückhaltung als in Bezug auf eine Horizontalwirkung von Richtlinien legt der EuGH jedoch in Bezug auf eine unmittelbare Anwendbarkeit von Bestimmungen der GRC zwischen Privaten an den Tag. Obwohl Art 51 Abs 1 GRC zunächst ein Verständnis der Gewährleistungen der GRC als unions- und staatsgerichtete Abwehrrechte bzw Schutzpflichten nahelegen würde (aA EuGH Rs Max-Planck-Gesellschaft, Rz 76 f; EuGH 6.11.2018, C-569/16 und C-570/16, Bauer und Willmeroth, Rz 87 f), hat der EuGH verschiedenen Bestimmungen der GRC iS einer unmittelbaren Drittwirkung auch im Verhältnis zwischen Privaten unmittelbare Anwendbarkeit zuerkannt. Voraussetzung ist, dass die Bestimmung der GRC „für sich allein dem Einzelnen ein subjektives Recht verleiht, das er als solches geltend machen kann“ (EuGH Rs AMS, Rz 47). In mehreren Entscheidungen hat der EuGH dies in Bezug auf das Recht auf bezahlten Jahresurlaub gem Art 31 Abs 2 GRC angenommen (EuGH Rs Max-Planck-Gesellschaft, Rz 80; EuGH Rs Bauer und Willmeroth, Rz 91).

Im Gegensatz zu Art 7 RL 2003/88/EG, der sich auf die Normierung eines Mindesturlaubs im Ausmaß von vier Wochen pro Jahr beschränkt und der folglich einen darüber hinausgehenden nationalen Zusatzurlaub unberührt lässt (EuGH 19.11.2019, C-609/17 und C-610/17, TSN, Rz 52), ist dem Art 31 Abs 2 GRC – zumindest unmittelbar – keine Einschränkung auf ein bestimmtes Urlaubsausmaß zu entnehmen. Im Umweg über den Anwendungsbereich der GRC erlangt Art 7 RL 2003/88/EG jedoch Bedeutung für die Reichweite des Art 31 Abs 2 GRC. Denn die mitgliedstaatlichen Gerichte sind gem Art 51 Abs 1 GRC nur „bei der Durchführung des Rechts der Union“ an die Bestimmungen der GRC gebunden. Hinsichtlich der Frage, ob nationales Recht, das über die Mindestvorschriften einer RL hinausgeht, dem Anwendungsbereich der GRC unterliegt, erweist sich die Judikatur des EuGH als uneinheitlich: Anders als in Bezug auf die Betriebsübergangs-RL (EuGH 18.7.2013, C-426/11, Alemo-Herron, Rz 36) hat dies der EuGH in Bezug auf die Arbeitszeit-RL (EuGH Rs TSN, Rz 54) verneint (zur Auflösung dieses Widerspruchs Sagan, EuZW 2020, 69 [74]: unterschiedliche Kompetenzgrundlagen der beiden Richtlinien bzw stillschweigender Abschied von der in der Rs Alemo-Herron vertretenen Ansicht). Damit steht aber fest, dass es sich bei einem nationalen Zusatzurlaub, der über den durch Art 7 Arbeitszeit-RL (2003/88/EG) garantierten Mindesturlaub hinausreicht, um keine Richtlinienumsetzung handelt, weshalb insoweit der Anwendungsbereich der GRC nicht eröffnet ist. Dementsprechend vermag Art 31 Abs 2 GRC die Regelung des § 10 Abs 2 UrlG nur in Bezug auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub zurückzudrängen.

Zu Recht hält der OGH daher in der vorliegenden E fest, dass „eine finanzielle Abgeltung des über den vierwöchigen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsteils [...] unionsrechtlich nicht geboten ist“. Das ist allerdings nicht gleichbedeutend damit, dass in Bezug auf § 10 Abs 2 UrlG eine gespaltene Auslegung zwingend geboten wäre. Die Argumente, die hinsichtlich des den unions- 507 rechtlich garantierten Mindesturlaub übersteigenden Urlaubsteils zur Unanwendbarkeit des § 10 Abs 2 UrlG führen sollen, müssten jedoch aus dem nationalen Recht herrühren (vgl Rebhahn in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 nach §§ 6, 7 ABGB Rz 143 f). Freilich bietet § 10 Abs 2 UrlG auch aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts einiges an Angriffsfläche: Nicht nur, dass die in der österreichischen Arbeitsrechtsordnung vielfach anzutreffende Gleichbehandlung von unberechtigtem vorzeitigen Austritt und verschuldeter Entlassung durchbrochen wird (vgl § 28 Abs 1 AngG, § 10 Abs 1 S 3 UrlG; dazu etwa Erler, Urlaubsersatzleistung gebührt auch bei unberechtigtem Austritt, ecolex 2016, 854 [857]). Vielmehr führt § 10 Abs 2 UrlG auch innerhalb der Gruppe der AN, die unbegründet vorzeitig austreten, zu einer schwer nachvollziehbaren Ungleichbehandlung. Denn während jene AN, die im Zeitpunkt des unbegründeten Austritts mehr als das aliquote Urlaubsmaß verbraucht haben, lediglich den Teil des erhaltenen Urlaubsentgelts zurückerstatten müssen, das über das Ausmaß des aliquoten Jahresurlaubs hinausgeht, verlieren jene AN, die im Zeitpunkt des unbegründeten Austritts weniger als das aliquote Urlaubsmaß verbraucht haben, die gesamte Urlaubsersatzleistung (Drs, Neues aus dem Arbeits- und Sozialrecht – Das Arbeitsrechtsänderungsgesetz 2000, RdW 2000, 479 [481]; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 10 UrlG Rz 19). Diese Wertungswidersprüche wird man jedoch auch im Wege (ergänzender) Auslegung nicht auflösen können. Das würde nämlich darauf hinauslaufen, dem § 10 Abs 2 UrlG seinen gesamten Anwendungsbereich zu entziehen, was die Rechtsfigur der teleologischen Reduktion typischerweise überspannt (Kodek in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 § 7 ABGB Rz 66). Abhilfe erscheint daher nicht auf interpretativem Weg, sondern allenfalls durch eine Aufhebung des § 10 Abs 2 UrlG (durch den VfGH oder den Gesetzgeber) möglich. Dementsprechend ist – bis zu einer etwaigen Novellierung – davon auszugehen, dass der Urlaubsanspruch gem § 2 Abs 1 UrlG in einen unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub und einen nationalen Zusatzurlaub zerfällt. Dass das Urlaubsrecht dadurch einen unrühmlichen Gewinn an Komplexität erfährt, lässt sich zwar nicht leugnen, scheint aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngeren gesetzgeberischen Aktivität nicht gegen die Auslegung des OGH zu sprechen (vgl bspw zum Erfordernis getrennter „Überstundentöpfe“ aufgrund von BGBl I 2018/53Felten, Neue rechtliche Rahmenbedingungen für Überstundenarbeit, wbl 2019, 252 [256 f]).

3.
Berechnung der Urlaubsersatzleistung

Um die bei unbegründetem Austritt gebührende Urlaubsersatzleistung für das aktuelle Urlaubsjahr zu ermitteln, gilt es zunächst, eine vorgelagerte Frage zu lösen: Sind die bisher konsumierten Urlaubstage auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub oder den nationalen Zusatzurlaub anzurechnen? Ohne dies näher zu begründen, zieht der OGH in der vorliegenden E (ebenso OGH 17.2.2022, 9 ObA 147/21i; OGH 22.2.2022, 8 ObA 99/21y) den verbrauchten Urlaub zuerst vom Kontingent des unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs ab. Im Gegensatz dazu wurde im Schrifttum bereits die Ansicht vertreten, dass der Urlaubskonsum verhältnismäßig auf die beiden „Urlaubstöpfe“ aufzuteilen sei (Ludvik, Der Urlaubsverfall austretender Arbeitnehmer ist unionsrechtswidrig – gilt das auch für den nationalen Urlaubsteil? ASoK 2022, 2 [7]).

Die Frage, wie der Verbrauch von Urlaubstagen auf den Urlaubsanspruch anzurechnen ist, hat sich bislang nur dann gestellt, wenn neben dem Urlaubsanspruch aus dem aktuellen Arbeitsjahr auch ein noch nicht verbrauchter Urlaubsrest aus vorangegangenen Arbeitsjahren besteht. Zwar vermittelt sowohl der aktuelle Urlaubsanspruch als auch ein Urlaubsanspruch aus vorangegangenen Arbeitsjahren gleichermaßen das Recht, mit dem AG eine Freistellung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung des Entgelts zu vereinbaren. Vor dem Hintergrund, dass der Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Arbeitsjahr, in dem er entstanden ist, verjährt, ist trotz Gleichartigkeit dieser Ansprüche vom Bestehen unterschiedlicher Schuldposten auszugehen, was grundsätzlich zur Anwendung der Tilgungsreihenfolge der §§ 1415 f ABGB führt (Marhold, Verbrauch von Alturlauben, ASoK 2001, 170 f ). Der Rückgriff auf §§ 1415 f ABGB ist allerdings deshalb entbehrlich, weil der OGH aus der Anordnung des § 4 Abs 1 UrlG, den Urlaub möglichst bis zum Ende des Urlaubsjahres zu verbrauchen, in dem er entstanden ist, ableitet, dass die Konsumation von Urlaubstagen zunächst auf den Urlaubsrest des vorangegangenen Urlaubsjahres anzurechnen ist (OGH4 Ob 28/84 Arb 10.344, zuletzt etwa OGH8 ObA 62/18bDRdA 2020, 378 [Auer-Mayer]). Diese aus § 4 Abs 1 UrlG abgeleitete Tilgungsreihenfolge geht als lex specialis jener der §§ 1415 f ABGB vor.

Nachdem § 10 Abs 2 UrlG im Lichte des Unionsrechts eine Unterscheidung zwischen dem unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub und dem nationalen Zusatzurlaub erforderlich macht (eine Unterscheidung dürfte auch in Bezug auf § 5 UrlG, uU auch in Bezug auf § 10 Abs 1 UrlG geboten sein, vgl Mayr/Erler, UrlG3 § 5 Rz 18 und § 10 Rz 22 f ), bilden nicht mehr nur die Urlaubsansprüche aus unterschiedlichen Urlaubsjahren eigenständige Schuldposten, vielmehr zerfällt auch der Urlaubsanspruch des aktuellen Urlaubsjahres in zwei Schuldposten: Es liegen nämlich zwei nicht deckungsgleiche Forderungsbestandteile vor. Anders als die vorrangige Anrechnung der Urlaubskonsumation auf „Alturlaube“ lässt sich dem UrlG nicht unmittelbar entnehmen, wie die Anrechnung des Urlaubskonsums auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub bzw den nationalen Zusatzurlaub erfolgen soll. Dementsprechend gilt es §§ 1415 f ABGB anzuwenden (idS zum Verhältnis von gesetzlichem Mindesturlaub, Tarifurlaub und Zusatzurlaub für 508 schwerbehinderte Menschen BAG 1.3.2022, 9 AZR 353/21): Gem §§ 1415 f ABGB kommt es zunächst (1) auf die Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger an; (2) fehlt es an einer solchen, kann der Schuldner die Zahlung widmen; (3) hat der Schuldner keine (wirksame) Widmung vorgenommen oder erhebt der Gläubiger dagegen zeitgerecht Widerspruch, gelangt die Tilgungsreihenfolge des § 1416 ABGB zur Anwendung (Reischauer in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 § 1416 Rz 2). Diese bestimmt (4) den Vorrang der Zinsen vor dem Kapital; (5) bei mehreren Kapitalien ist als erstes das eingemahnte, im Anschluss daran das bloß fällige Kapital zu tilgen; unter mehreren fälligen Kapitalien ist auf die frühere Fälligkeit abzustellen (aA OGH 7.2.1989, 1 Ob 709/88: Entstehungszeitpunkt der Schuld), bei gleicher Fälligkeit ist die Beschwerlichkeit für den Schuldner maßgeblich, subsidiär ist eine verhältnismäßige Aufteilung vorzunehmen (Reischauer in Rummel/ Lukas [Hrsg], ABGB4 § 1416 Rz 51 ff ); (6) zuletzt erfolgt die Anrechnung auf noch nicht fällige Kapitalien; bei mehreren noch nicht fälligen Kapitalien ist wiederum zunächst auf die frühere Fälligkeit und subsidiär auf die Beschwerlichkeit für den Schuldner abzustellen (Reischauer in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 § 1416 Rz 69 f ). Vor diesem Hintergrund ist der Rechtsauffassung des OGH, die Konsumation von Urlaubstagen sei primär auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub anzurechnen, weitgehend zu folgen. Allerdings sind zwei Vorbehalte zu machen: Voraussetzung ist zunächst, dass keine Vereinbarung zwischen AN und AG über die Zuordnung der konsumierten Urlaubstage besteht und dass weder der AG eine wirksame Widmung vorgenommen hat, noch der AN durch Einforderung Einfluss auf die Tilgungsreihenfolge genommen hat. Das scheint freilich insofern unproblematisch, als AG wenig Interesse haben werden, die für sie günstige Tilgungsreihenfolge abzubedingen und AN – jedenfalls bislang – von der Möglichkeit der Einforderung eines bestimmten Urlaubsteils regelmäßig keine Kenntnis haben. Darüber hinaus gilt es jedoch auch noch danach zu differenzieren, ob es sich um den Urlaubsanspruch des ersten Arbeitsjahres oder eines der darauffolgenden Arbeitsjahre handelt.

Ab dem zweiten Urlaubsjahr entsteht der gesamte Urlaubsanspruch mit Beginn des Arbeitsjahres (§ 2 Abs 2 S 2 UrlG) und ist ab diesem Zeitpunkt fällig (zum Gleichlauf von Entstehen und Fälligkeit des Urlaubsanspruchs vgl OGH9 ObA 23/88

; OLG Wien10 Ra 319/02h ARD 5400/6/2003; besonders deutlich auch BAG 8 AZR 502/84 AP BUrlG § 7 Nr 10). Das bedeutet, dass sowohl der unionsrechtlich garantierte Mindesturlaub als auch der nationale Zusatzurlaub gleichzeitig entstehen und fällig werden. Aufgrund der gleichen Fälligkeit ist hinsichtlich der Tilgungsreihenfolge auf das Kriterium der Beschwerlichkeit abzustellen, wobei diesbezüglich im Allgemeinen auf die Höhe der Zinsen, die Möglichkeit, Einreden gegen die Schuld geltend zu machen, die Vereinbarung einer Vertragsstrafe etc abgestellt wird (Stabentheiner in Kletečka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON1.04 § 1416 Rz 11). Der unionsrechtliche Teil des Urlaubsanspruchs zeichnet sich dadurch aus, dass für diesen auch bei unbegründetem Austritt durch den AN eine Urlaubsersatzleistung zu zahlen ist. Er erweist sich demnach gegenüber dem nationalen Teil des Urlaubsanspruchs, auf den § 10 Abs 2 UrlG weiterhin zur Anwendung gelangt, als für den AG beschwerlicher. Dementsprechend ist ab dem zweiten Arbeitsjahr der Urlaubskonsum (vorbehaltlich eines „Alturlaubs“) primär auf den unionsrechtlichen Teil des aktuellen Urlaubsanspruchs anzurechnen.

Im ersten Arbeitsjahr entsteht der Urlaubsanspruch gem § 2 Abs 2 S 1 UrlG in den ersten sechs Monaten im Verhältnis zu der im Arbeitsjahr zurückgelegten Dienstzeit, wobei nach hA Bruchteile auf ganze Tage aufzurunden sind (Cerny, Urlaubsrecht10 [2011] § 2 Erl 10; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2 UrlG Rz 24; für Aufrundung auch Drs, Urlaubsrecht11 [2019] § 2 Rz 150). Bei Zugrundelegung eines Urlaubsausmaßes von 25 Arbeitstagen (fünf Wochen à fünf Arbeitstage) entstehen in den ersten sechs Monaten 13 Urlaubstage (12,5 aufgerundet), die restlichen 12 Urlaubstage entstehen nach Ablauf der ersten sechs Monate.

Das sukzessive Entstehen des Urlaubsanspruchs in den ersten sechs Monaten des ersten Arbeitsjahres hat zur Folge, dass die ersten 13 Urlaubstage zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstehen und fällig werden. Aus der Notwendigkeit, die Konsumation dieser Urlaubstage entweder auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub oder den nationalen Zusatzurlaub anzurechnen, folgt, dass diese Urlaubstage bereits einem dieser beiden Kontingente zugerechnet werden müssen. Die diesbezüglich im UrlG durch das Unionsrecht verursachte Lücke ist durch ergänzende Rechtsfindung zu schließen. Zur Wahrung der dabei gebotenen Wertungskohärenz gilt es für die notwendige (interne) Zuordnung der Urlaubstage auf die Grundregel des aliquoten Entstehens gem § 2 Abs 2 S 1 UrlG zurückzugreifen. Zwar wächst durch die sinngemäße Anwendung der Aliquotierungsregel (Aufrundung) auf beide Urlaubsteile der aus der Addition beider aliquot entstandener Urlaubsteile resultierende Urlaubsanspruch schneller an als der sich aus der Anwendung der Aliquotierungsregel auf den Gesamtanspruch ergebende Urlaubsanspruch. Das ist aber bereits deshalb unschädlich, weil es sich dabei nur um die Schaffung einer Reihenfolge innerhalb des Gesamtanspruchs handelt und es im Außenverhältnis, dh gegenüber dem AN, nach wie vor bei der Maßgeblichkeit des aliquoten Entstehens des Gesamtanspruchs bleibt. Für die interne Zuordnung entstehen die Urlaubstage des jeweiligen Urlaubskontingents nach Maßgabe des zurückgelegten Beschäftigungszeitraums wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich. Daraus ergibt sich aber auch, wie die Konsumation der ersten 13 Urlaubstage im ersten Arbeitsjahr auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub und den nationalen Zusatzurlaub anzurechnen ist: 509

Unionsrechtlicher MindesturlaubNationaler Zusatzurlaub
UrlaubstagBeschäftigungszeitraum in TagenTilgungsreihenfolgeUrlaubstagBeschäftigungszeitraum in TagenTilgungsreihenfolge
1. UT1181.1. UT1732.
2. UT19363.2. UT741467.
3. UT37544.3. UT14721912.
4. UT55735.
5. UT74916.
6. UT921098.
7. UT1101279.
8. UT12814610.
9. UT14716411.
10. UT16518213.

Sowohl der erste Urlaubstag aus dem Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs als auch des nationalen Zusatzurlaubs entstehen (Aufrundung von Bruchteilen) bereits nach Zurücklegung des ersten Tages. Da es bei gleicher Fälligkeit auf das Kriterium der Beschwerlichkeit ankommt, ist der erste verbrauchte Urlaubstag auf den unionsrechtlichen Mindesturlaub anzurechnen. Der zweite verbrauchte Urlaubstag ist auf den nationalen Zusatzurlaub anzurechnen, da der erste Urlaubstag aus dem Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs vor dem zweiten Urlaubstag aus dem Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs entsteht. Der dritte, vierte und fünfte verbrauchte Urlaubstag ist jeweils auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub anzurechnen, da der zweite, dritte und vierte Urlaubstag aus dem Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs jeweils vor dem zweiten Urlaubstag aus dem Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs entsteht. Der sechste verbrauchte Urlaubstag ist ebenfalls auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub anzurechnen, denn sowohl der fünfte Urlaubstag aus dem Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs als auch der zweite Urlaubstag aus dem Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs entstehen gleichzeitig, weshalb die Beschwerlichkeit den Ausschlag gibt. Nun wiederholt sich das Muster: Der siebte verbrauchte Urlaubstag ist auf den nationalen Zusatzurlaub anzurechnen (frühere Fälligkeit des zweiten Urlaubstags aus dem Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs gegenüber dem sechsten Urlaubstag aus dem Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs), der achte, neunte und zehnte verbrauchte Urlaubstag ist auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub anzurechnen (frühere Fälligkeit des sechs ten, siebten und achten Urlaubstags aus dem Kontingent des unionsrechtlichen Mindesturlaubs gegenüber dem dritten Urlaubstag aus dem Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs), ebenso der elfte verbrauchte Urlaubstag (Vorrang aufgrund der Beschwerlichkeit bei gleicher Fälligkeit des neunten Urlaubstages aus dem Kontingent des unionsrechtlichen Mindesturlaubs und dem dritten Urlaubstag aus dem Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs).

Der zwölfte verbrauchte Urlaubstag ist demgegenüber wieder auf den nationalen Zusatz urlaub anzurechnen (frühere Fälligkeit des dritten Urlaubstages aus dem Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs gegenüber dem zehnten Urlaubstag aus dem Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs), der dreizehnte verbrauchte Urlaubstag ist schließlich auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub anzurechnen.

Im Gegensatz zum Verbrauch der ersten 13 Urlaubstage des Urlaubsanspruchs des ersten Arbeitsjahres erweist sich der Verbrauch der restlichen 12 Urlaubstage wieder als unproblematisch: Aufgrund der gleichen Fälligkeit führt das Kriterium der Beschwerlichkeit zu einer vorrangigen Anrechnung auf den unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub. Dementsprechend ist der Verbrauch der Urlaubstage 14 bis 23 dem unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub zuzurechnen und der Verbrauch der Urlaubstage 24 und 25 dem nationalen Zusatzurlaub.

4.
Fazit

Die vom OGH in Bezug auf § 10 Abs 2 UrlG vorgenommene gespaltene Auslegung erweist sich als zutreffend: Zwar verkompliziert sich dadurch unweigerlich die praktische Handhabung des Urlaubsrechts, jedoch ist es nur auf diese Weise möglich, sowohl der Drittwirkung des Art 31 Abs 2 GRC als auch den durch die nationalen Auslegungsregeln gezogenen Grenzen Rechnung zu tragen.

Einer Präzisierung bedarf allerdings die in der vorliegenden E vorgenommene vorrangige Anrechnung konsumierter Urlaubstage auf das Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs. Dem OGH ist zwar zuzugestehen, dass eine solche Vorgangsweise den unionsrechtlichen Vorgaben nicht widerspricht. Ebenso wäre aber auch eine vorrangige Anrechnung auf das Kontingent des nationalen Zusatzurlaubs oder eine verhältnismäßige Anrechnung mit dem Unionsrecht kompatibel.

Die Reihenfolge der Anrechnung verbrauchter Urlaubstage hat durch Rückgriff auf §§ 1415 f ABGB zu erfolgen. Die dabei erzielten Ergebnisse decken sich zwar weitgehend mit jenen des OGH, allerdings 510 bestehen insb hinsichtlich des Urlaubsanspruchs im ersten Arbeitsjahr Unterschiede: So wären im vorliegenden Fall nicht vier Urlaubstage, sondern lediglich drei auf das Kontingent des unionsrechtlich garantierten Mindesturlaubs anzurechnen gewesen.