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Aufforderung an Arbeitnehmer, durch Vortäuschen einer Übelkeit eine Störung des Busbetriebes zu verursachen – Entlassung des Betriebsratsmitglieds

MARTINACHLESTIL

Dient die Aufforderung des Betriebsratsmitglieds an AN, durch Vortäuschen einer Übelkeit einen Kursausfall zu verursachen, nur der Schädigung des AG und nicht dem Anliegen der AN auf Auszahlung vorenthaltener Überstundenentgelte, kommt dem Betriebsrats-(BR-)mitglied insoweit kein Mandatsschutz zu und dem Antrag auf Zustimmung zur Entlassung nach § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG wegen Untreue im Dienst ist stattzugeben.

SACHVERHALT

Im vorliegenden Fall stellte die kl AG (Betreiberin eines Busunternehmens) bei Gericht einen Antrag auf Zustimmung zur Entlassung (in eventu zur Kündigung) des bekl BR-Mitglieds, weil dieses einen anderen AN aufgefordert hatte, durch Vortäuschen einer Übelkeit eine Störung des fahrplanmäßigen Busbetriebs der AG zu bewirken. Fraglich ist einerseits, ob es darauf ankommt, dass die den Verstoß gegen die dienstlichen Interessen begründende Aufforderung innerhalb des Dienstes getätigt wurde und andererseits, ob dem bekl BR-Mitglied ein Mandatsschutz zukommt.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Nach der E der Vorinstanzen diente das Verhalten des bekl BR-Mitglieds vor allem der Schädigung der bekl AG und nicht dem Anliegen, die Interessen der AN zu vertreten. Der Entlassungsgrund der Untreue im Dienst sei daher, unabhängig davon, wann das Verhalten gesetzt wurde, verwirklicht und dem BR-Mitglied komme insofern kein Mandatsschutz zu. Der OGH sah darin keine aufzugreifende Fehlbeurteilung und wies die außerordentliche Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

2.2. Ob ein Verhalten in oder außerhalb des Dienstes gesetzt wurde, ist nicht rein zeitlich, sondern nach seinem Gegenstand zu beurteilen (RIS-Justiz RS0029429). Die Untreue verletzt zwar nicht die persönlichen Beziehungen der Vertragsteile, sondern nur die dienstlichen. Das bedeutet aber nicht, dass die Begehungshandlung während der Arbeitszeit erfolgt sein muss. Zwischen dem dienstlichen oder auch außerdienstlichen Verhalten des Arbeitnehmers und den dadurch gefährdeten Interessen des Arbeitgebers muss aber ein durch den Arbeitsvertrag und den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten bestimmter Zusammenhang bestehen (Kuderna, Entlassungsrecht2, 83 mwN). Die Aufforderung an einen anderen Arbeitnehmer, durch Vortäuschung von Übelkeit eine Störung des fahrplanmäßigen Busbetriebs des Arbeitgebers zu bewirken, stellt unabhängig davon, wann sie ausgesprochen wurde, demzufolge ein dienstliches Verhalten dar. […]

3. Der Mandatsschutz des § 120 Abs 1 iVm § 115 Abs 3 ArbVG kommt einem Betriebsratsmitglied nur dann zugute, wenn sein Verhalten, aus dem der Kündigungs- oder Entlassungsgrund abgeleitet wird, von diesem in Ausübung des Mandats gesetzt wurde und unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war. Durch diese Regelung soll erreicht werden, dass bei jenen Kündigungs- und Entlassungstatbeständen, denen ein Sachverhalt zugrunde liegt, der die Möglichkeit einer Kollision der arbeitsvertraglichen Pflichten eines Betriebsratsmitglieds mit dessen Aufgaben und Befugnissen als gewählter Vertreter der Arbeitnehmer des Betriebs in sich schließt, im Verfahren vor dem Gericht das Verhalten des betroffenen Betriebsratsmitglieds einer besonderen Prüfung unterzogen und abgewogen wird, inwieweit besondere Umstände für die Handlungsweise als kausal und als entschuldbar angesehen werden können (9 ObA 47/97w).

Wenn die Vorinstanzen dazu darauf verwiesen, dass der Kursausfall durch Vortäuschen einer Übelkeit nur der Schädigung des Arbeitgebers und nicht dem Anliegen der Arbeitnehmer auf Auszahlung vorenthaltener Überstundenentgelte diente, weshalb dem Beklagten insoweit kein Mandatsschutz zukommt, stellt dies ebenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.“269

ERLÄUTERUNG

§ 120 Abs 1 ArbVG verlangt für die Rechtswirksamkeit von Kündigungen und Entlassungen von BR-Mitgliedern die Zustimmung des Gerichts. § 122 Abs 1 ArbVG listet die Tatbestände abschließend auf, bei deren Verwirklichung eine Zustimmung zur Entlassung erfolgen kann. Der Tatbestand der Untreue im Dienst ist in § 122 Abs 1 Z 3 ArbVG (erste Alternative) geregelt: Nach dem OGH ist darunter ein vorsätzlicher und pflichtwidriger Verstoß gegen die dienstlichen Interessen des AG zu verstehen, wobei der Vorsatz nicht nur das Verhalten selbst, sondern auch die Gefährdung der dienstlichen Interessen des AG umfassen muss. Schädigungsabsicht oder der Eintritt eines Schadens muss nicht gegeben sein. Entscheidend ist, ob das Verhalten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise – also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen AG, sondern nach objektiven Grundsätzen – als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des AG derart heftig erschüttert wird, dass ihm gem § 122 Abs 2 ArbVG eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht einmal für die Dauer einer Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Deutlich erfolgt der Hinweis des OGH, dass es nicht darauf ankommt, ob das pflichtwidrige Verhalten des BR-Mitglieds während der Arbeitszeit erfolgte oder außerhalb. Nicht die zeitliche Komponente ist entscheidend, sondern der Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis: So stellt im vorliegenden Fall die Aufforderung des BR-Mitglieds an einen anderen AN, durch Vortäuschung von Übelkeit eine Störung des fahrplanmäßigen Busbetriebs der AG zu bewirken, unabhängig davon, wann sie ausgesprochen wurde, ein dienstliches Verhalten dar und erfüllt – weil sie im Wissen um die mit einem solchen Kursausfall für die AG verbundenen Unannehmlichkeiten erfolgte – den Entlassungstatbestand der Untreue im Dienst. Ein Mandatsschutz kommt dem BR-Mitglied nach Ansicht der Gerichte deswegen nicht zu, weil sein Verhalten lediglich der Schädigung der AG diente und nicht der Durchsetzung der Anliegen der Beschäftigten (auf Auszahlung vorenthaltener Überstunden). Voraussetzung für die Anwendung der Mandatsschutzklausel ist in jedem Fall, dass das BR-Mitglied objektiv der Meinung sein konnte, die Handlung im Zuge der Erfüllung der BR-Aufgaben vorgenommen zu haben.