„Gleichartigkeit“ der Familienleistungen im EU-Kontext und die daraus resultierende Säumnisproblematik

KRISZTINAJUHASZ

Die Vollziehungspraxis des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG) sowie die Gewährung bzw Nichtgewährung von Familienleistungen beschäftigen immer wieder die Gerichte. Der Beitrag widmet sich ausgewählten Themenbereichen mit hoher Praxisrelevanz für den Betroffenen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.

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1.
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
1.1.
Einleitung

Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit wird in der Europäischen Union* durch die VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates* geregelt. Der sachliche Geltungsbereich der Verordnung umfasst ua alle Rechtsvorschriften,* die Leistungen bei Mutterschaft sowie gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft gem Art 3 Abs 1 lit b VO (EG) 883/2004 und Familienleistungen gem Art 3 Abs 1 lit j VO (EG) 883/2004 betreffen. Die Verordnung gilt für bestimmte Zweige der sozialen Sicherheit, ohne dabei die nationalen Systeme durch ein einheitliches System zu ersetzen.

Familienleistungen gem Art 1 lit z VO (EG) 883/2004 sind alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I. Das österreichische Kinderbetreuungsgeld ist eine Geldleistung an Eltern – für die Abgeltung der Betreuungs- und Erziehungsleistungen sowie als Ersatz des entfallenden bzw erzielbaren Einkommens – und fällt daher unter diesen Begriff.*

1.2.
Zuständigkeit der Mitgliedstaaten

Wenn Ansprüche auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen zusammentreffen bzw um ungerechtfertigte Doppelleistungen zu vermeiden, normiert Art 68 Abs 1 der VO (EG) 883/2004 sogenannte Prioritätsregeln und legt für den Fall der Kumulierung von Anspruchsberechtigungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten fest, welche Staaten vorrangig zuständig sind.

Die Zuständigkeitsverteilung nach den Prioritätsregeln wird in Form einer Zuständigkeitskaskade aufgebaut.* Gem Art 68 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 stehen an erster Stelle Ansprüche, die deshalb bestehen, weil die betreffende Person im jeweiligen Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt.* Für die Auszahlung der Familienleistungen ist vorrangig jener Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Elternteil erwerbstätig ist – selbständig oder unselbständig – und zwar auch dann, wenn die Familie ständig in einem anderen Vertragsstaat lebt. Diesen nachgereiht sind Ansprüche, die durch eine Rente ausgelöst werden. Darauf folgen an letzter Stelle Ansprüche, die aufgrund des Wohnsitzes bestehen. Unerheblich ist hingegen, ob nach innerstaatlicher Systematik der Anspruch auf Familienleistungen durch eine Beschäftigung oder durch den Wohnsitz im Inland ausgelöst wird. Für den Fall, dass ein Anspruchskonflikt deshalb besteht, weil die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten jeweils aus dem gleichen Grund (nämlich Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit; Rentenbezug; Wohnort) zur Anwendung kommen, bestimmt Art 68 Abs 1 lit b VO (EG) 883/2004 jenen Staat als vorrangig zuständig, in dem auch die Kinder ihren Wohnort haben.*

1.3.
Unterschiedsbetrag als Leistung des nachrangig zuständigen Mitgliedstaats

Bestehen gleichzeitig gleichartige Ansprüche in unterschiedlichen Mitgliedstaaten, so hat der prioritär zuständige Mitgliedstaat die Leistung zu erbringen. Gleichzeitig werden die Familienleistungen des nachrangig zuständigen Staats nach der Anrechnungsvorschrift im Art 68 Abs 2 der VO (EG) 883/2004* bis zur Höhe der prioritären Leistung ausgesetzt. Ist jedoch die Familienleistung des nachrangig zuständigen Mitgliedstaats höher als die prioritäre Leistung, so hat der nachrangig zuständige Staat (sofern sich die prioritäre Zuständigkeit aus einer Beschäftigung ergibt) ergänzend die Differenz – den sogenannten Unterschiedsbetrag – zu leisten, um der Familie die der Höhe nach günstigste Leistung zu garantieren.*

2.
Anrechnungsregeln
2.1.
Antikumulierungsvorschriften der VO (EWG) 1408/71 sowie der VO (EG) 883/2004*

Nach der noch zu den Antikumulierungsvorschriften der Vorläuferverordnung – Art 76 der VO (EWG) 1408/71* und Art 10 der DurchführungsVO (EWG) 574/72* – ergangenen Rsp des EuGH finden die Anrechnungsregeln nur dann Anwendung, wenn vergleichbare (gleichartige) Leistungen aus dem Beschäftigungsmitgliedstaat und dem Wohnmitgliedstaat zusammentreffen.*192

Der EuGH hat ausdrücklich bestätigt,* dass bei Berechnung eines im Beschäftigungsstaat eventuell zu zahlenden Unterschiedsbetrags nicht sämtliche der Familie nach den Rechten des Wohnsitzmitgliedstaats gezahlten Leistungen, sondern nur gleichartige Leistungen als Familienleistungen zu berücksichtigen sind.* Damit hat der EuGH die im Allgemeinen Teil enthaltene Antikumulierungsvorschrift des Art 12 der VO (EWG) 1408/71 auch in Bezug auf zwei Ansprüche bei Familienleistungen angewendet.*

Durch die VO (EG) 883/2004 trat im Vergleich zur VO (EWG) 1408/71 keine Änderung ein. Dies ergibt sich schon aus der auch in der VO (EG) 883/2004 enthaltenen allgemeinen Antikumulierungsregelung des Art 10 VO (EG) 883/2004, die die Rechtslage nach Art 12 VO (EWG) 1408/71 unverändert fortsetzt.* Die Neuregelung der Familienleistungen in Art 1 lit z VO (EG) 883/2004 verfolgt lediglich die Absicht, diese in ihrer Gesamtheit zu regeln.* Der OGH hat in seiner E 10 ObS 146/16t vom 24.1.2017 ausgeführt, dass das vom EuGH festgelegte Erfordernis der Gleichartigkeit im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 weiterhin Gültigkeit hat. Dass es – soweit es um die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 geht – zu einem Systemwandel gekommen wäre und in Abkehr von der bisherigen Rsp des EuGH sämtliche – und nicht nur gleichartige – Familienleistungen angerechnet werden sollten, ist weder aus der in Art 1 lit z der VO (EG) 883/2004 enthaltenen Begriffsdefinition noch aus der allgemeinen Antikumulierungsregel des Art 10 VO 883/2004 iVm Art 68 der VO (EG) 883/2004 abzuleiten.*

2.2.
Die Antikumulierungsbestimmung nach § 6 Abs 3 KBGG

Für den Bereich des Kinderbetreuungsgeldes wurde eine entsprechende Antikumulierungsregel mit § 6 Abs 3 KBGG (BGBl I 2007/76BGBl I 2007/76) geschaffen, nach der – sofern Anspruch auf vergleichbare ausländische Leistungen besteht – der Kinderbetreuungsgeldanspruch in Höhe der ausländischen Leistung ruht. Existiert im zuständigen Staat keine dem Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Leistung, gebührt die Ausgleichszahlung in voller Höhe des Kinderbetreuungsgeldes.* Motiv des Gesetzgebers für die Einführung der Anrechnungsbestimmung war nicht, die höchstmögliche Leistung zu gewähren, sondern die Vermeidung von Ungleichbehandlungen während der Kleinkindphase in jenen Fällen, in denen die ausländischen Leistungen in einem höheren Betrag als das Kinderbetreuungsgeld, jedoch für eine kürzere Dauer, vorgesehen waren.* In solchen Fällen reduzierte sich das nach Enden der ausländischen Leistung gebührende Kinderbetreuungsgeld um jenen Betrag, um den die ausländische Leistung den Kinderbetreuungsgeldbetrag überstiegen hat. Somit sollten alle Eltern bis maximal zum 30. bzw 36. Lebensmonat des Kindes/der Kinder mit den gleich hohen Beträgen unterstützt werden.

Durch die Neuregelung des § 6 Abs 3 KBGG idgF (BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53)* wurde die Anrechnung sämtlicher – nicht nur gleichartiger – ausländischer Familienleistungen gesetzlich normiert. Demnach sei nicht mehr die nationale Ausgestaltung der einzelnen Leistungen bzw deren Vergleichbarkeit maßgeblich, sondern nur mehr die europarechtliche Einordnung als Familienleistung iSd Definition des Art 1 lit z der VO (EG) 883/2004.* Den Mitgliedstaaten stehe danach frei, bei der Anrechnung von ausländischen Familienleistungen alle Familienleistungen des primär zuständigen Staats anzurechnen und somit die Höhe der uU eigenen Leistung (Unterschiedsbetrag) zu reduzieren.

2.3.
Unionsrechtskonforme Auslegung

In einer der jüngst ergangenen OGH-Entscheidungen 10 ObS 110/19b vom 13.9.2019 wurde § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 im Hinblick auf die auch im Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 weiterhin maßgebliche Rsp des Gerichtshofs der Europäischen Union* insoweit als unionsrechtswidrig erachtet, als die Bestimmung nicht auf die Vergleichbarkeit der Familienleistungen abstellt. Der OGH* hat daher mehrmals ausgeführt, dass die österreichische Regelung anhand der EuGH-Judikatur* unionsrechtskonform auszulegen ist.

2.4.
Krankenversicherungsträger im übertragenen Wirkungsbereich

Gem § 25 Abs 2 KBGG haben die Krankenversicherungsträger sowie die Österreichische Ge-193 sundheitskasse (ÖGK) in ihrer Funktion als Kompetenzzentrum und Verbindungsstelle – iSd VO (EG) 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) 883/2004 – die Angelegenheiten des Kinderbetreuungsgeldes im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundeskanzlers zu vollziehen.* Weiters ist gem § 48 Z 2 KBGG mit der Vollziehung des KBGG (ausgenommen § 37 Abs 1 und 2 KBGG) die Bundesministerin für Familien und Jugend betraut. Den einzelnen Krankenversicherungsträgern obliegt somit die Prüfung des Antrages auf die Leistungen sowie die verfahrensrechtliche Abwicklung. Wird auf die unionsrechtskonforme Auslegung im Vollziehungsweg verzichtet, so können Bescheide der Krankenversicherungsträger durch Einbringung der Klage beim örtlich zuständigen Landesgericht als Arbeits- und Sozialgericht (beim ASG in Wien) überprüft werden. Wird die Klage rechtzeitig erhoben, so tritt der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens gem § 71 ASGG außer Kraft (sukzessive Kompetenz). Im Gerichtsverfahren haben die nationalen Gerichte jede dem Unionsrecht entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts – somit auch § 6 Abs 3 KBGG (BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53) – aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen, ohne dass sie die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müssten.*

2.5.
Vergleichbarkeit der Leistungen nach der EuGH-Judikatur

Eine Vereinheitlichung der Familienleistungen auf europäischer Ebene fehlt bis heute. Betreffend Vergleichbarkeit erachtet der EuGH es als ausreichend, wenn die Leistungen unabhängig von den besonderen Eigenheiten der Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. Die Gleichartigkeit ist daher anzunehmen, wenn die Familienleistungen einander nach Funktion und Struktur im Wesentlichen entsprechen. Dass die Berechnungsgrundlagen und die Voraussetzungen völlig gleich sein müssen, wird demnach nicht gefordert.* Bei Errechnung des Unterschiedsbetrags bleibt die Vergleichbarkeit der Familienleistungen somit weiterhin zu berücksichtigen.

3.
Verfahren nach Art 60 der Durchführungsverordnung (EG) 987/2009*

Art 60 der DurchführungsVO (EG) 987/2009 regelt das Verfahren bei Anwendung von Art 67 und 68 der VO (EG) 883/2004. Kommt der Träger, bei dem der Antrag gestellt wurde, zu dem Schluss, dass seine Rechtsvorschriften zwar anwendbar, aber nach Art 68 Abs 1 und 2 der VO (EG) 884/2004 nicht prioritär anzuwenden sind, hat er „unverzüglich eine vorläufige Entscheidung über die anzuwendenden Prioritätsregeln“ zu treffen und den Antrag nach Art 68 Abs 3 der VO (EG) 883/2004 an den Träger des anderen Mitgliedstaats weiterzuleiten, den Antragsteller darüber zu informieren sowie den in den Art 68 Abs 2 der VO (EG) 883/2004 genannten Unterschiedsbetrag zu gewähren. Der zweite Träger muss innerhalb von zwei Monaten zu der vorläufigen Entscheidung Stellung nehmen. Falls der Träger, an den der Antrag weitergeleitet wurde, nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Eingang des Antrags Stellung nimmt, wird die vorläufige Entscheidung des ersten Trägers kraft Koordinierungsrecht anwendbar. Erfolgt keine Stellungnahme, ist davon auszugehen, dass der erste Träger die Koordinierungsregeln richtig angewendet hat. Der zweite Träger muss nun die nach seinen Rechtsvorschriften zustehenden Familienleistungen erbringen und den ersten Träger über die Höhe informieren.*

4.
Privilegierung der für das Kinderbetreuungsgeld zuständigen Entscheidungsträger

Der Säumnisfall setzt voraus, dass der Versicherungsträger zur Erlassung eines Bescheids verpflichtet ist.* Gem § 27 Abs 3 Z 1 KBGG ist ein Bescheid auszustellen, wenn ein Anspruch auf eine Leistung gar nicht oder nur teilweise anerkannt wird. Eine Entscheidungsfrist ergibt sich aus den Bestimmungen des ASGG* über die Säumnisklage.

4.1.
Entscheidungsreife

Erlässt gem § 67 Abs 1 Z 2 ASGG der Krankenversicherungsträger nicht binnen drei Monaten einen (teilweise) ablehnenden Bescheid, so ist die Säumnisklage zulässig.* Nach dem mit der Novelle BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 neu eingeführten § 27 Abs 4194 KBGG* wurde für den Bereich des Kinderbetreuungsgeldes der Säumnisfall – abweichend von § 67 Abs 1 Z 2 ASGG – auf das Vorliegen von Entscheidungsreife nach rechtskräftiger Klärung wesentlicher Vorfragen und Erfüllung von Mitwirkungspflichten* eingeschränkt.* Mit § 27 Abs 4 KBGG wollte der Gesetzgeber eine Säumnisklage in Fällen verhindern, in denen die Eltern Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten verletzen und der Krankenversicherungsträger deshalb unverschuldet säumig wird und somit hohe Kosten auf Seiten der Krankenversicherungsträger generiert werden. Die Regelung ist nicht nur aus rechtssystematischen Gründen bedenklich, sondern es stellt sich die Frage, ob diese Privilegierung der für das Kinderbetreuungsgeld zuständigen Entscheidungsträger beim Säumnisbegriff gegenüber allen anderen Sozialrechtssachen unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes im Hinblick auf das dadurch verfolgte Ziel der Kostenersparnis sachlich gerechtfertigt sei.*

4.2.
Sechsmonatsfrist

Zudem gehen die Gesetzesmaterialien zu § 27 Abs 4 KBGG von einer sechsmonatigen Entscheidungsfrist aus.* Somit kann eine Säumnisklage nach dem KBGG erst nur dann erfolgreich erhoben werden, wenn der Krankenversicherungsträger die Sachentscheidung nicht binnen sechs Monaten erlassen hat, selbst dann, wenn der Antragsteller seinen in § 32 KBGG festgelegten Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts nachgekommen und die Sache demnach entscheidungsreif ist.* Diese Regelung gilt auch für Fälle, in denen eine wesentliche Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw dem zuständigen Gericht bildet, sodass auch hier bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage kein Säumnis vorliegt. Als „wesentliche Vorfrage“ iS dieser Gesetzesbestimmung sind all jene Vorfragen anzusehen, deren Klärung – zur Feststellung der zwischenstaatlichen Zuständigkeit zur Gewährung von Familienleistungen sowie zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld – erforderlich sind.

Demnach ist die in § 27 Abs 4 KBGG geforderte Entscheidungsreife nach rechtskräftiger Klärung von Vorfragen iSd Vorgaben des Art 68 Abs 3 VO (EG) 883/2004 und Art 7 der DurchführungsVO (EG) 987/2009 im vorliegenden Fall unionsrechtskonform (einschränkend) dahin zu verstehen, dass mit der Entscheidung über die Gewährung (oder Nichtgewährung) eines allfälligen vorläufigen Unterschiedsbetrags nicht so lange gewartet werden kann, bis der prioritär zuständige Träger über die vergleichbare Familienleistung und deren Höhe endgültig entschieden hat. Wird ein Antrag auf Kinderbetreuungsgeld bei dem österreichischen Krankenversicherungsträger gestellt, ist – nach fruchtlosem Verstreichen der zweimonatigen Frist zur Stellungnahme des ausländischen Leistungsträgers – innerhalb von sechs Monaten ein positiver oder negativer Bescheid über die (vorläufige) Leistungspflicht zur Erbringung eines etwaigen Unterschiedsbetrags zu erlassen, sofern der Träger das Kinderbetreuungsgeld nicht in der von der/dem Kl beantragten Variante erbringt (§ 27 Abs 3 Z 1 KBGG). Die Nichterledigung mit einem Bescheid begründet daher selbst dann einen Säumnisfall der österreichischen Krankenversicherungsträger, wenn ihr keine rechtskräftige Entscheidung über die Höhe der in dem prioritär zuständigen Mitgliedstaat gebührenden Familienleistung vorgelegt wurde, weil diese Art der Erledigung im betreffenden Mitgliedstaat zB gar nicht vorgesehen – deshalb auch für die AntragstellerInnen uneinbringlich – ist. Behauptet der Krankenversicherungsträger das Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes nach § 6 Abs 3 KBGG und entspricht dem Antrag auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld durch die Anrechnung einer in- oder ausländischen Leistung deshalb nicht zur Gänze, muss er nach § 27 Abs 3 Z 1 KBGG einen Bescheid über die nur teilweise Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes ausstellen.*

5.
Fazit

Aufgrund mangelnder Harmonisierung fehlt eine allgemeine Definition von vergleichbaren Familienleistungen in den einzelnen Staaten bzw internationalen Organisationen, daher ist die Vergleichsbeurteilung in der Praxis wahrlich nicht immer einfach. Dennoch soll die unterschiedliche Ausgestaltung der Leistungen und die damit einhergehende jahrelange Verzögerung bzw Säumnis der Entscheidungsträger zu keiner Verhinderung des Rechtswegs, aber vor allem zu keiner Benachteiligung von Familien – die in verschiedenen Mitgliedstaaten leben und arbeiten – führen und somit eine „versteckte“ Einschränkung der Grundfreiheiten der Europäischen Union bewirken. 195