ArbeitergeberInnenkündigungen ab 1.1.2021 – Fristen in saison-„verdächtigen“ Branchen
ArbeitergeberInnenkündigungen ab 1.1.2021 – Fristen in saison-„verdächtigen“ Branchen
Mit dem am 1.1.2021 in Kraft tretenden § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153* erfolgt grundsätzlich die Angleichung der bislang erheblich kürzeren (insb AG-)Kündigungsfristen für ArbeiterInnen* an die für Angestellte gem § 20 AngG. Über einen Abänderungsantrag* wurden die Kollektivvertragsparteien ermächtigt, „für Branchen, in denen Saisonbetriebe gemäß § 53 Abs 6 ArbVG […] überwiegen, abweichende Regelungen“ und damit weiterhin kürzere Kündigungsfristen für ArbeiterInnen festzulegen.* Gleichzeitig wurde das Inkrafttreten von ursprünglich 1.1.2018 auf 1.1.2021 verschoben. Wegen des kurz bevorstehenden Inkrafttretens wird es immer drängender, die in mehrfacher Hinsicht bestehenden Unklarheiten betreffend die Auslegung dieser Ausnahmebestimmung zumindest differenziert zu benennen und womöglich Lösungsansätze darzustellen. Zusätzlich verleiht die aktuelle COVID-19 bedingte Arbeitsmarktkrise dem Thema der Folgen einer arbeitsrechtlichen Schlechterstellung von ArbeiterInnen gegenüber Angestellten eine neue Brisanz: ArbeiterInnen sind in Krisen massiv häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen;* der Anreiz für AG, andere Strategien der Krisenbewältigung (zB Kurzarbeit) anzuwenden, wäre bei weniger rascher Kündbarkeit stärker.
Im Folgenden werden nun also offene Fragen zum Thema der Ausnahmeregelung für AG-Kündigungsfristen in Saisonbranchen gem § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB behandelt.
Der überwiegende Teil der ArbeiterInnen-Kollektivverträge regelt im Vergleich zu § 77 GewO 1859 längere, im Vergleich zum neuen § 1159 Abs 2 ABGB jedoch wesentlich kürzere Kündigungsfristen für AG-Kündigungen. Nachdem der Gesetzgeber in § 1503 Abs 10 dritter Satz ABGB* keine Aussage über das Schicksal am 1.1.2021 bestehender kollektivvertraglicher Regelungen getroffen hat, ist fraglich, ob auch in Hinblick auf die neue Rechtslage unverändert gebliebene ArbeiterInnen-Kollektivvertragsbestimmungen zu Kündigungsfristen in Saisonbranchen iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB als abweichende Regelungen iSd Bestimmung gelten. Dies wird vom Großteil des veröffentlichten Schrifttums unter undifferenziertem Verweis auf die 368OGH-E 29.5.2013, 9 ObA 17/13k, zum Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte bejaht.*
Dies überrascht insofern, als der erkennende Senat in der OGH-E 29.5.2013, 9 ObA 17/13k, lediglich zum Ergebnis kam, dass aus dem Schweigen des Gesetzgebers zu bestehenden kollektivvertraglichen Regelungen mit einem niedrigeren als den gesetzlichen Mehrarbeitszuschlag nicht automatisch auf deren Außerkrafttreten geschlossen werden könne. Der OGH hat jedoch nicht ausgeschlossen, dass das Schweigen des Gesetzgebers zu bestehenden kollektivvertraglichen Regelungen in anderen Sachverhaltskonstellationen genau diese Wirkung haben könnte.*
Die Wirkung unverändert gebliebener kürzerer kollektivvertraglicher Kündigungsfristen muss vielmehr mittels Gesetzesauslegung gem §§ 6, 7 ABGB beurteilt werden.
Das in § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB verwendete Wort „festlegen“ hat nach Duden ua die Bedeutungen „verbindlich beschließen, bestimmen, regeln, vorschreiben“ und legt damit die Notwendigkeit einer aktiven Handlung der Kollektivvertragsparteien nahe.* § 19d Abs 3f AZG – Gegenstand der OGH-E 29.5.2013, 9 ObA 17/13k – lautet demgegenüber „Der Kollektivvertrag kann Abweichungen von Abs 3a bis 3e zulassen“. „Zulassen“ hat eine passivere Bedeutung als „festlegen“, nach Duden „nichts unternehmen, um etwas Bestimmtes zu verhindern; geschehen lassen; dulden; tolerieren“.*
„Zulassen“ kann zwar weniger gebräuchlich auch die Bedeutung eines aktiven Tuns iSv „die (amtliche) Erlaubnis erteilen“ haben,* doch legt der Telos des neuen § 1159 ABGB ein aktives Tun der Kollektivvertragsparteien zur Nutzung dieser Ausnahmeregelung nahe: Dieser ist laut Begründung zum Initiativ-Antrag 2306/A 25. GP die Harmonisierung der Rechte der Angestellten und ArbeiterInnen durch die Anwendung der Angestellten- Kündigungsfristen auf ArbeiterInnen, wobei ursprünglich eine zwingende Regelung für alle ArbeiterInnen aller Branchen beabsichtigt war. Laut Begründung zum Abänderungsantrag AA-243 25. GP* sollte die lange Legisvakanz den Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen, ermöglichen, sich auf verlängerte Kündigungsfristen einzustellen und damit eine Fortführung der Branchenlösung für Saisonbetriebe über den 1.1.2021 hinaus ermöglichen. Da nicht erklärlich ist, auf was sich die Saisonbranchen während der gewonnenen drei Jahre einstellen sollen und warum die Fortführung der Branchenlösung nur möglich, aber nicht automatische Folge in Saisonbranchen ist, wenn ohne Weiteres die kürzeren Kündigungsfristen in Saisonbranchen weiter gelten würden, ging der Gesetzgeber offensichtlich von der Notwendigkeit eines aktiven Tuns aus.
Schließlich erfordert auch die Rechtssicherheit eine derartige Auslegung: Nur wenn Kollektivvertragsparteien aktiv eine Ausnahmeregelung anordnen müssen, und nicht bloß die bisherigen kollektivvertraglichen Kündigungsfristen potenziell weitergelten, bleibt den AN bzw AG die praktisch unlösbare „Denksport-Aufgabe“* erspart, ihre „Branche“ (vgl Pkt 2.1.) und ein Überwiegen von Saisonbetrieben in dieser (vgl Pkt 2.2. und 2.3.) selbst festzustellen.
Darüber hinaus wird auch die Auslegung von unverändert gebliebenen kollektivvertraglichen Bestimmungen mit kürzeren Kündigungsfristen als in § 1159 Abs 2 ABGB idR – vorbehaltlich der notwendigen individuellen Prüfung des fraglichen KollV – ergeben, dass diese unangewendet zu bleiben haben.* Entsprechend dem klassischen und seinerzeit nur möglichen Inhalt kollektivvertraglicher Regelungen zielten sie auf eine Besserstellung der ArbeiterInnen durch KollV gegenüber der gesetzlichen Regelung ab. Nur wenn die Kollektivvertragsparteien im Hinblick auf künftige Änderungen der Gesetzeslage ausdrücklich vorgesorgt oder vor dem 1.1.2021 mit einer ausdrücklichen Regelung betreffend den § 1159 ABGB reagiert hätten, könnte etwas anderes gelten.*
Schließlich erachten die Kollektivvertragsparteien selbst ein Untätigbleiben offenbar nicht als ausreichend, andernfalls hätten sie nicht in zahlreichen 369 ArbeiterInnen-Kollektivverträgen* ausdrückliche Regelungen im Hinblick auf den neuen § 1159 ABGB getroffen.
Dabei stellt eine Erklärung im KollV, eine Saisonbranche iSd § 1159 ABGB zu sein, selbstverständlich nur dann eine rechtlich wirksame Ausnahmeregelung iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB dar, wenn die Branche tatsächlich die – im Folgenden nähere beleuchteten – gesetzlichen Voraussetzungen einer Saisonbranche erfüllt.*
Nach dem Wortlaut des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB können durch Kollektivverträge für Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, kürzere Kündigungsfristen festgelegt werden.
Die Branche ist somit in doppelter Hinsicht zentrale Bezugsgröße: Zum einen hinsichtlich des potenziellen Geltungsbereiches einer solchen kollektivvertraglichen Ausnahmeregelung, zum anderen als Bezugsgröße zur Beurteilung des Überwiegens von Saisonbetrieben iSd § 53 Abs 6 ArbVG.
Der gesetzlich nicht definierte Begriff der Branche ist auslegungsbedürftig. Dabei ist der im Schrifttum bisher überwiegend vertretenen Meinung,* wonach der fachliche Geltungsbereich des KollV die Branche definiert, mE nicht bedingungslos zu folgen.* Aus praktischen Erwägungen sollte zwar in Form einer ersten, häufig ausreichenden Grobprüfung die Branche über den fachlichen Geltungsbereich des KollV definiert werden. In den im Folgenden dargestellten Konstellationen bedarf es jedoch einer Nachjustierung.
Der fachliche Geltungsbereich des KollV ist zu groß:
Dh, er erfasst auch Betriebe, die keine ähnlichen Produkte herstellen oder keine ähnlichen Dienstleistungen anbieten.* Dies wäre etwa bei Zusammenschlüssen von Fachverbänden bzw Bundesinnungen zu Verhandlungsgemeinschaften der Fall, die dann Betriebe mit sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten umfassen. Mögliches Korrektiv wäre das Anknüpfen an die Gewerbeberechtigung oder an die Wirtschaftsabteilungen der ÖNACE-Klassifikation (ÖNACE-Zweisteller).*, *Dies würde zwar in Einzelfällen zu einem feingliedrigen Branchenbegriff führen, hätte aber den Effekt, der einseitigen Gestaltungsmöglichkeit der WKÖ entzogen zu sein.
Der fachliche Geltungsbereich ist zu klein:
Dh, obwohl von unterschiedlichen Kollektivverträgen mit kleinen fachlichen Geltungsbereichen erfasst, produzieren Betriebe ähnliche Produkte oder bieten ähnliche Dienstleistungen an. Das wäre zB der Fall, wenn auf Landesebene Fachgruppen bzw Landesinnungen eingerichtet und Kollektivverträge auf dieser Ebene abgeschlossen wurden oder wenn mehrere freiwillige kollektivvertragsfähige Berufsvereinigungen auf AG-Seite oder unechte Firmen-Kollektivverträge in einem sehr ähnlichen Betätigungsfeld bestehen.*, *Mögliches Korrektiv wäre auch hier das Anknüpfen an die Gewerbeberechtigung oder an die zweite Gliederungsstufe der ÖNACE-Klassifikation.
Da die zum Abschluss abweichender Regelungen iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB ermächtigten Kollektivvertragsparteien aufgrund ihrer Fachkenntnis einen zu weiten oder zu engen fachlichen Geltungsbereich des KollV erkennen können und sie an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gebunden sind,* wäre mE die folgende Vorgehensweise geboten:
Die Branche wird im oben dargestellten Sinn enger oder weiter definiert und anhand dieses Branchenbegriffs das Überwiegen von Saisonbetrieben 370 iSd § 53 Abs 6 ArbVG beurteilt. Ist der fachliche Geltungsbereich des KollV größer als diese Saisonbranche, dann müsste der Geltungsbereich der Ausnahmeregelung iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB im KollV ausdrücklich auf die Saisonbranche eingegrenzt werden.*
Auf die Konstellation, dass der fachliche Geltungsbereich des KollV enger als die Saisonbranche ist und damit die einzelnen Kollektivvertragsparteien nicht für die gesamte Saisonbranche eine Regelung iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB treffen können, wird wegen der derzeit praktisch untergeordneten Relevanz dieser Konstellation* nicht weiter eingegangen. Es sei an dieser Stelle auf die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gegenständliche Bestimmung unter Pkt 3. verwiesen.
Die Anwendung des soeben beschriebenen beweglichen Systems zur Auslegung des Branchenbegriffs wäre auch geboten iS einer möglichst verfassungskonformen Interpretation des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB und vor dem Hintergrund des Normzwecks – die längst überfällige Beseitigung der arbeitsrechtlichen Benachteiligung von ArbeiterInnen gegenüber Angestellten.*
Sind die Grenzen der Branche iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB gesteckt, müsste nach dem Wortlaut des § 1159 Ab 2 letzter Satz ABGB ermittelt werden, ob innerhalb dieser Branche Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen.
Der Verweis auf § 53 Abs 6 ArbVG zur Definition der Saisonbetriebe sieht auf den ersten Blick wie ein erfreulich klarer Verweis auf eine Legaldefinition aus, schafft jedoch bei genauer Betrachtung des § 53 Abs 6 ArbVG aufgrund der dort enthaltenen abermals auslegungsbedürftigen Begriffe erneut Unsicherheiten. § 53 ArbVG regelt das passive Wahlrecht von AN bei Betriebsratswahlen und schafft in Abs 5 für Beschäftigte ua in Saisonbetrieben insofern eine günstigere Regelung, als Beschäftigten in Saisonbetrieben auch bei einer kürzeren Beschäftigungszeit als sechs Monaten das passive Wahlrecht zukommt. § 53 Abs 6 ArbVG definiert Saisonbetriebe als „Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten“ (erster Fall) oder „die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten“ (zweiter Fall).
Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG sind nach der Lehre unter Berufung auf die bisher ergangenen Entscheidungen mit zumindest Konnex zum Thema Saisonbetriebe* Kurhotels, Kuranstalten, Fremdenverkehrsbetriebe, Betriebe des Baugewerbes, nicht aber Großbauvorhaben, die auf mehrere Jahre geplant sind, unter bestimmten Voraussetzungen Zirkusbetriebe, nicht jedoch Theaterbetriebe mit zweimonatiger Spielpause.* Dabei nimmt weder Lehre noch Rsp eine Abgrenzung zwischen den beiden genannten Fällen vor, was im Folgenden versucht werden soll.
Erster Fall:
Der Wortlaut legt nahe, dass hier Betriebe gemeint sind, die nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten und zu anderen Jahreszeiten gar nicht. Hierunter würden etwa Ski- bzw Wander-Liftoder Freibadbetriebe fallen, die ausschließlich im Sommer bzw Winter eine wirtschaftliche Tätigkeit entfalten. „Jahreszeit“ ist mE nicht als kalendarische Jahreszeit zu verstehen, sondern als die typische Betriebssaison. Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss das Arbeiten nur zu bestimmten Jahreszeiten ursächlich mit der Art des Betriebs verknüpft sein, dh, die wirtschaftliche Tätigkeit kann aufgrund typischerweise vorherrschender klimatischer Bedingungen oder anderer, betriebsexterner Faktoren nur zu bestimmten Zeiten des Jahres (rentabel) entfaltet werden. Andere Gründe für die Einstellung der Tätigkeit, wie insb strategische unternehmerische Entscheidungen, dürfen hingegen nicht kausal für das Nicht-Arbeiten sein.
Da § 53 ArbVG das passive AN-Wahlrecht zum BR regelt, muss das (Nicht-)Arbeiten im Betrieb anhand der Belegschaft* beurteilt werden, sodass371 Jahreszeiten, in denen keine aufrechten Arbeitsverhältnisse bestehen bzw im Vergleich zur Saison nur in vernachlässigbarer Zahl, als Abgrenzung dienen sollten.
Zweiter Fall:
Weniger eindeutig gestaltet sich die Auslegung des zweiten Falles. Anders als im ersten Fall ist hier nach dem Wortlaut keine Betriebsschließung bzw Unterbrechung der Arbeitsverhältnisse außerhalb der Saison gefordert.*
„Regelmäßig zu gewissen Zeiten“ des Jahres ist mE auszulegen als periodisch wiederkehrend ungefähr zu denselben, wenngleich nicht notwendigerweise datumsmäßig exakt übereinstimmenden Zeiträumen des Jahres, wobei das verstärkte Arbeiten ebenso wie im ersten Fall ausgehend vom Personalstand zu beurteilen ist. Aus dem absolut zwingenden Charakter der Betriebsverfassung iVm dem Telos des § 53 Abs 6 ArbVG – die dem Einfluss der AG entzogene Erleichterung des passiven Wahlrechts für AN zum BR – ergibt sich mE, dass der erheblich erhöhte Personalbedarf zu diesen Zeiten auf die typischerweise zu dieser Zeit günstigeren (Witterungs-)Bedingungen zurückzuführen sein muss, nicht jedoch auf von AG beeinflussbare oder dem typischen Betriebsrisiko zuzurechnende Ursachen. Wann „erheblich“ verstärkt gearbeitet wird, ist nicht eindeutig. Es muss jedoch mE ein nach statistisch anerkannten Methoden während der identifizierten gewissen Zeit des Jahres zirka gleichbleibend hoher Personalstand dem durchschnittlichen normalen Personalstand während des restlichen Jahres gegenübergestellt werden; keinesfalls dürfen Tages-Höchst- Beschäftigtenstände mit Tages-Tiefst-Beschäftigtenständen verglichen werden.*, *
Die dargestellte Auslegung des § 53 Abs 6 ArbVG steht in Einklang mit dem Zweck des § 1159 Abs 2 ABGB: Grundsätzlich sollen für ArbeiterInnen dieselben Kündigungsfristen wie für Angestellte gelten; daher dürfen nur ausnahmsweise kürzere Kündigungsfristen zur Anwendung kommen, nämlich wenn von AG nicht beeinflussbare, nicht dem typischen Betriebsrisiko zuzurechnende Bedingungen vorliegen und wenn den AG eine idR* vier Wochen längere Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, weil keine anderen Reaktionsmöglichkeiten – wie eine vorausschauende Personalplanung oder eine durchdachte Arbeitszeitregelung – zur Verfügung stehen. Die (insb nicht konkret vorhersehbare) witterungsbedingte Einschränkung der tatsächlichen Beschäftigungsmöglichkeiten wäre uU ein solcher betriebsexterner Umstand.* Eine verstärkte KundInnenfrequenz im Handel im Dezember, eine erhöhte Produktionstätigkeit in bestimmten Teilen der Lebensmittelindustrie zu bestimmten Jahreszeiten oder vermehrte Beendigungen von Überlassungen von überlassenen Arbeitskräften durch Beschäftigerbetriebe vor den Weihnachtsfeiertagen zählen hingegen zum typischen Betriebsrisiko. Daraus ein erheblich verstärktes Arbeiten zu gewissen Zeiten des Jahres iSd § 53 Abs 6 ArbVG abzuleiten, würde ein nach der stRsp des OGH* unzulässiges Abwälzen des typischen Betriebsrisikos auf ArbeiterInnen bewirken.*, *
Eine derart restriktive Auslegung ist schließlich auch deswegen geboten, weil ansonsten AG ihre Personalplanung trotz anderer zumutbarer 372 Möglichkeiten bewusst saisonal organisieren könnten, um so in den Genuss kürzerer Kündigungsfristen für die ArbeiterInnen zu kommen.*
Schließlich müsste für die Beurteilung des Vorliegens einer Saisonbranche iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB ermittelt werden, ob in dieser Branche Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG im oben dargestellten Sinn überwiegen. Der Wortlaut der Bestimmung legt nahe, „überwiegen“ rein zahlenmäßig zu verstehen und wird diese Auslegung vom Schrifttum zum Teil befürwortet.* Dh bei zB 50,1 % Saisonbetrieben innerhalb einer Branche wäre diese als Saisonbranche zu qualifizieren und folglich kollektivvertraglich kürzere Kündigungsfristen für alle ArbeiterInnen dieser Saisonbranche, dh auch für solche in Nicht-Saisonbetrieben, zulässig. Umgekehrt wären bei einem Anteil von zB nur 49,9 % Saisonbetrieben keine kürzeren Kündigungsfristen zulässig, auch nicht in „echten“ Saisonbetrieben. Hier drängt sich der Verdacht der Gleichheitswidrigkeit der Bestimmung besonders auf, weil Gleiches eben nicht gleich und Ungleiches nicht ungleich behandelt wird.
Aus dem Wortlaut ergibt sich aber nicht zwingend die Auslegung des zahlenmäßigen Überwiegens. So bedeutet „überwiegen“ laut Duden primär „die größte Bedeutung, das stärkste Gewicht haben und daher das Bild, den Charakter von etwas bestimmen“, oder auch „stärker, einflussreicher, bedeutender sein als etwas anderes“.* Schrittwieser schlägt vor, auch den Umsatz, den Marktanteil oder die Anzahl der Saison-ArbeiterInnen der Saisonbetriebe als „Überwiegenheits-Faktor“ zu berücksichtigen.* Diese Auslegungsversuche übersehen mE jedoch, dass eine verfassungskonforme Interpretation vor dem Hintergrund des Normzwecks des § 1159 Abs 2 ABGB als auch der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung von ArbeiterInnen und Angestellten bei den Kündigungsfristen* voraussetzt, dass ein gewichtiger sachlicher Grund die Möglichkeit einer ungünstigeren Behandlung rechtfertigt. Die Auslegung der Ausnahmeregelung hat daher eng und mit Bedachtnahme auf die durch sie ermöglichte Beeinträchtigung der Rechtsposition betroffener AN zu erfolgen.
Folglich liegt mE nur dann ein Überwiegen von Saisonbetrieben vor, wenn sowohl die Zahl der Saisonbetriebe als auch der Anteil der Beschäftigten von Saisonbetrieben im Vergleich zu den Beschäftigten der gesamten Branche ein derartiges Ausmaß erreicht, dass diesen Saisonbetrieben in der Branche die größte Bedeutung zukommt und sie den Charakter der Branche bestimmen. Das wäre jedenfalls noch nicht der Fall, wenn diese Anteile bloß knapp mehr als 50 % ausmachen.
Wie aus den obigen Ausführungen erkennbar, ergeben sich in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB.
Zunächst stellt sich die Frage, ob die Bestimmung wegen der Fülle der verwendeten unbestimmten Gesetzesbegriffe und ihrem Zusammenspiel inhaltlich ausreichend bestimmt iSd Art 18 Abs 1 und 2 B-VG ist.
Darüber hinaus darf die ausreichende sachliche Rechtfertigung für die auch über den 31.12.2020 hinaus aufrecht erhaltene Schlechterstellung von ArbeiterInnen in Saisonbranchen bei den AG-Kündigungsfristen gegenüber Angestellten in Saisonbranchen zumindest bezweifelt werden.* So wurde ja in der entsprechenden Bestimmung für Angestellte in § 20 Abs 2 AngG idF BGBl I 2017/153BGBl I 2017/153keine Ausnahmebestimmung für Saisonbranchen geschaffen. Damit wird eine im Vergleich zu den in derselben Branche beschäftigten Angestellten weiterhin bestehende höhere Prekarität der Arbeitsverhältnisse von ArbeiterInnen in Kauf genommen, ohne dass irgendein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist, warum etwa ein Rezeptionist diesbezüglich anders behandelt werden sollte als eine Köchin. Die Auswirkungen dessen manifestieren sich wie eingangs erwähnt in Krisenzeiten wie der aktuellen in der um ein Vielfaches höheren Arbeitslosigkeit unter ArbeiterInnen als unter Angestellten.
Auch ein undifferenziertes Verständnis des Branchen- Begriffs iSd § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB sowie eine rein zahlenmäßige Betrachtung des Überwiegens von Saisonbetrieben iSd § 53 Abs 6 ArbVG birgt die Gefahr der Gleichheitswidrig 373 keit der Bestimmung. Unter diesen Gesichtspunkten dürften auch Kollektivverträge, die von der Ermächtigung des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB Gebrauch machen, die Kündigungsfristen auch in Saisonbranchen wohl nur für jene AN verkürzen, die tatsächlich in Saisonbetrieben beschäftigt sind; nicht aber für jene, die in einem der wenigen, für die Branche atypischen Betrieb tätig sind, die das ganze Jahr und ohne erhebliche Schwankungen arbeiten.
Letztlich werden die Rechtsunterworfenen und -anwenderInnen in saison-„verdächtigen“ Branchen hinsichtlich der geltenden Kündigungsfristen voraussichtlich mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit in das Jahr 2021 starten. Daher wäre aus verfassungsrechtlichen, aber auch sozialpolitischen Erwägungen eine Reparatur des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB wünschenswert.