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Verdeckte Arbeitskräfteüberlassung

MANFREDTINHOF

Der Gesetzgeber stellt im § 4 Abs 2 AÜG mit der Verwendung des Wortes „oder“ klar, dass der wahre wirtschaftliche Gehalt schon dann der einer Arbeitskräfteüberlassung ist, wenn auch nur eines der demonstrativ aufgezählten Tatbestandselemente zutrifft. Die Beurteilung der betroffenen Arbeitsverhältnisse unter dem Gesichtspunkt der verdeckten Arbeitskräfteüberlassung hat nach § 10 AÜG den Anspruch auf angemessenes Entgelt unter Bedachtnahme auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren AN für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertragliche oder gesetzlich festgelegte Entgelt zur Folge.

SACHVERHALT

Die Bekl hat ihren Sitz in Deutschland und war von einem in Oberösterreich ansässigen Maschinenbauunternehmen beauftragt worden, von dessen Zulieferern stammende Teile, wie Getriebe, Getriebegehäuse usw vor der Weiterverarbeitung zu prüfen. Diese Prüfungen hatten im Betrieb der Auftraggeberin stattzufinden und bezogen sich auf die laufenden Zulieferungen. Die Bekl verfügt in Österreich über keinen Sitz, kein Büro oder sonstige Räumlichkeiten und über keinerlei maschinelle Ausstattung. Das für die Materialprüfungen notwendige Messgerät wurde von der Auftraggeberin beigestellt. Die Bekl stellte ihren DN im Wesentlichen nur die Arbeitskleidung zur Verfügung. Wie die Prüfung im Einzelfall konkret erfolgen sollte, wurde den AN vor Ort von Vertretern der Auftraggeberin in Einschulungen vorgegeben, die teils wenige Stunden, höchstens aber wenige Tage dauerten. Im Wesentlichen wurden bloße Sichtprüfungen iVm allfälligen Vermessungsarbeiten durchgeführt.

Der Text des mit beiden Kl, die als Qualitätsprüfer bzw Karosseriebautechniker beschäftigt waren, geschlossenen Arbeitsvertrags wurde von der Bekl erstellt, er enthält keine Rechtswahl und ua folgenden Inhalt:
„§ 1 Anzuwendender Kollektivvertrag: Aufgrund der fehlenden Zugehörigkeit des Arbeitgebers zu einer Fachgruppe/Innung/Gremium kommt kein Kollektivvertrag zur Anwendung.
§ 3 Arbeitsort: Der gewöhnliche Arbeitsort ist der jeweilige Einsatzort.“

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Gegenstand der verbundenen Verfahren ist das auf den KollV für Arbeiter in der Eisen- und Metallindustrie gestützte Begehren auf Leistung aliquoter Sonderzahlungen, Entgeltdifferenzen, Urlaubsersatzleistung und Entgelt für zusätzliche Arbeitsstunden. Die Kl obsiegten in allen drei Instanzen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Unzweifelhaft ist es für den Produktionsbetrieb der Auftraggeberin von großer wirtschaftlicher Bedeutung, dass zugelieferte Bestandteile vor ihrer Weiterverarbeitung verlässlich auf Mängelfreiheit überprüft werden. Will sie für diese Aufgabe kein eigenes Personal einsetzen, ist es auch noch nachvollziehbar, wenn sie sich an ein Unternehmen wie die Beklagte wendet, das sich gerade auf diese Dienstleistung spezialisiert hat. Daraus ist aber noch lange nicht abzuleiten, dass die schlussendlich konkret mit der Prüfungstätigkeit beauftragten Arbeitnehmer ein im Sinne des § 4 Abs 2 Z 1 AÜG von sonstigen Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen würden, sondern es handelt sich dabei – wie bei späteren Zwischen- und Endkontrollen oder Verpackung und Versand – schlicht um einen von vielen notwendigen Schritten eines Produktionsablaufs.“

ERLÄUTERUNG

Vorweg erscheint interessant, dass von keiner Seite auf die Bestimmungen der §§ 7 bzw 7b AVRAG (Ansprüche gegen ausländische AG ohne Sitz in Österreich) Bezug genommen wird, welche ja für Fälle wie den gegenständlichen geschaffen wurden.

Da aufgrund der speziellen Konstellation (kein Sitz und keine Gewerbeberechtigung des AG in Österreich) zwar österreichisches Recht, aber kein KollV unmittelbar anzuwenden war und die Kl ihr Begehren auf den KollV Metallindustrie stützten, hatte der OGH zu beurteilen, ob über die Schiene der Arbeitskräfteüberlassung die Entgeltbestimmungen des Beschäftiger- KollV heranzuziehen sind (§ 10 AÜG). Um der Anwendung der Schutzbestimmungen des AÜG zu entgehen, argumentieren AG bisweilen damit, dass sie die betreffenden AN nicht an den Kunden überlassen hätten, sondern die AN zur Erfüllung eines vom Kunden bestellten Werks eingesetzt worden seien. Gegen auf solche Argumente gestützte Umgehungsversuche enthält das AÜG § 4: Nach dessen Abs 2 liegt Arbeitskräfteüberlassung auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers zwar in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber

  1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder

  2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder

  3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder

  4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet.

Der OGH ging von Arbeitskräfteüberlassung aus, weil dafür – wie er deutlich machte – nur eines der in § 4 Abs 2 AÜG aufgezählten Kriterien zutreffen muss. Da14 das notwendige Werkzeug und Messgerät von der Auftraggeberin bereitgestellt wurde und die Bekl im Wesentlichen nur die Arbeitskleidung zur Verfügung stellte, war jedenfalls die Z 2 leg cit erfüllt. Außerdem war ein eigenständiges, der Bekl zurechenbares Werk nicht ersichtlich (Z 1 leg cit).