21Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit – Resturlaub bleibt in seinem kalendarischen Ausmaß, nicht aber wertmäßig (bezahlte Freistellung in Arbeitsstunden) erhalten
Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit – Resturlaub bleibt in seinem kalendarischen Ausmaß, nicht aber wertmäßig (bezahlte Freistellung in Arbeitsstunden) erhalten
Das Urlaubsgesetz geht klar von einem grundsätzlich in ganzen Wochen zu verbrauchenden „kalendarischen“ Urlaubsanspruch iS eines Erholungszeitraums (das ist vom ersten Kalendertag nach Arbeitsende bis zum letzten Kalendertag vor Arbeitsantritt) aus. Dieser ist völlig unabhängig vom jeweiligen Beschäftigungsausmaß, so dass sich bei einer Veränderung des Beschäftigungsausmaßes auch nichts am Urlaubsanspruch ändert.
Mit in einem kontinuierlichen Schichtbetrieb tätigen AN wurde eine Senkung der Arbeitszeit von der kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit von 38,5 Wochenstunden auf 34,4 Stunden wöchentlich vereinbart. Der BR brachte eine Feststellungsklage darauf ein, dass bestehende Resturlaube, die angesichts der Plötzlichkeit der Arbeitszeitumstellung vorher gar nicht mehr verbraucht werden hätten können, nicht anteilig gekürzt werden dürfen bzw mit dem Urlaubsentgelt für die Vollarbeitszeit abzugelten seien.
Während das Erstgericht die Klage zur Gänze abgewiesen hatte, orientierte sich das Berufungsgericht an einer Entscheidung des EuGH (C-415/12 [Brandes]) wonach auch in Systemen mit einem „kalendarischen“ Urlaubsbegriff der Anspruch auf Jahresurlaub beim Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit nicht gemindert werden dürfe, weshalb der erste Teil des Feststellungsbegehrens (Unzulässigkeit der Kürzung des Urlaubsausmaßes) berechtigt sei; abgelehnt wurde hingegen die zweite Feststellung, dass das Urlaubsentgelt für die Vollzeitarbeit beim Verbrauch des Resturlaubs während der Teilzeitperiode zustehe. Die dagegen erhobenen Revisionen sowohl seitens des AG als auch seitens des BR wies der OGH ab.
„Die innerstaatlichen Behörden haben die inhaltlich von der Richtlinie berührten Normen zwar soweit wie möglich im Einklang mit der Richtlinie (‚richtlinienkonform‘) auszulegen (RIS-Justiz RS0111214). Eine richtlinienkonforme Auslegung einer Bestimmung kann aber nur soweit erfolgen, als das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt. Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (9 ObA 161/07b; 8 ObA 58/09a; RIS-Justiz RS0114158). […]
Inwieweit der unionsrechtliche Urlaubsbegriff der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG tatsächlich der Entstehung eines kalendarisch bestimmten Urlaubsanspruchs entgegensteht, ist ungeklärt. Die EuGH-Entscheidung C-486/08 (Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols) erging insoweit nur zur Teilzeitrichtlinie 97/81/EG. Auch die Argumentation in der Entscheidung C-415/12 (Brandes) stützt sich vorweg auf diese Vorentscheidung und nur in weiterer Folge auf Art 7 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG. Beide Entscheidungen können nur vor dem Hintergrund der jeweiligen an den EuGH gestellten Fragen verstanden werden: In beiden Fällen war der Urlaubsanspruch insoweit nicht kalendarisch festgelegt, sondern es bestand ein auf Arbeitsstunden bzw Arbeitstage abstellender Urlaubsanspruch […].
Teilzeitbeschäftigte diskriminierende und unter dem Aspekt der Teilzeit-Rahmenvereinbarung RL 97/81/EG idF 98/23/EG bedenkliche Effekte sind im dargestellten kalendarischen Urlaubssystem nicht erkennbar. Der entscheidende Wert in diesem System ist die Freistellung von Arbeitsleistung zu Erholungszwecken, die von der Entgeltfortzahlung begleitet wird, und nicht das Horten von erarbeitetem Urlaubsentgelt. […]
Selbst ausgehend von einem entgeltbezogenen Verständnis wäre aber eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten nicht erkennbar (9 ObA 6/05f und 9 ObA 65/05g zur Abfertigungsberechnung). Eine Benachteiligung könnte sich ausgehend von einem solchen entgeltbezogenen Verständnis nur dann ergeben, wenn man davon ausginge, dass bei einem Wechsel zwischen Vollzeit und Teilzeit oder umgekehrt typischerweise in der Teilzeitphase mehr Urlaub aus der Vollzeitphase verbraucht oder abgegolten werde als umgekehrt. Dafür liegen aber keinerlei Anhaltspunkte vor. […]
Im Ergebnis ist das primäre Begehren des klagenden Betriebsrats auf Feststellung, dass eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs aus Anlass der Verkürzung der Arbeitszeit nicht erfolgen dürfe, aber schon deshalb berechtigt, weil nach dem Urlaubsgesetz der Urlaubsanspruch in Perioden (kalendarisch) festgelegt wird, deren Ausmaß nach ‚Werk‘tagen (jeder Kalendertag ausgenommen Sonn- und Feiertage) – also völlig unabhängig vom Ausmaß und der Lage der individuellen Arbeitszeit – bestimmt ist. Die Herabsetzung der Arbeitszeit berechtigt den Arbeitgeber auch nicht zu einer Reduktion des Urlaubsan spruchs. Vielmehr können die Arbeitnehmer dessen ungeachtet darauf bestehen, dass der Arbeitgeber von der Umrechnung auf Arbeitstage oder Arbeitsstunden Abstand nimmt und mit ihnen einen Urlaub vereinbart, der zwei Urlaubsperioden im Ausmaß von 19insgesamt 30 bzw 36 Werktagen zu umfassen hat. Somit war der Revision der Beklagten ein Erfolg zu versagen. […]
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 6 UrlG sind klar dahin zu interpretieren, dass nicht auf das Entgelt in früheren Zeiträumen der Entstehung des Urlaubsanspruchs abzustellen ist. Es war daher auch der Revision des Klägers nicht Folge zu geben. […]“
Die arbeitsrechtliche Praxis hat im Geltungsbereich des Urlaubsgesetzes bei einem Wechsel des Arbeitszeitausmaßes seit eh und je noch nicht verbrauchten Urlaub auf- bzw abgewertet. Ein Beispiel: Hat eine Teilzeitbeschäftigte mit zwei Arbeitstagen zu je acht Stunden in der Woche beim Wechsel zu einer 40-Stunden- Woche mit fünf Arbeitstagen à acht Stunden noch eine Urlaubswoche aus der Teilzeitphase stehen, so werden aus ihren zwei Urlaubstagen fünf Urlaubstage, die sie nun in der Vollzeitperiode verbrauchen kann. Mit anderen Worten: Die Urlaubswoche in ihrem „kalendarischen“ Ausmaß bleibt der AN erhalten. Wechselt sie nach einer Zeit der Vollzeitarbeit hingegen wieder zurück zur Teilzeitarbeit mit zwei Arbeitstagen pro Woche, so wird aus einer dann noch offenen Vollzeit-Urlaubswoche mit fünf arbeitsfreien und bezahlten Tagen wieder eine Teilzeit-Urlaubswoche – die Zahl der arbeitsfreien Tage im Rahmen des Urlaubsanspruch reduziert sich damit von fünf auf zwei, und statt 40 Stundenlöhnen umfasst das Urlaubsentgelt nur mehr 16 Stundenlöhne.
Zwei Judikate des EuGH, insb jenes in der in der Entscheidung zitierten Rs Brandes, haben nun den Eindruck erweckt, dass bei einem Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit das Ausmaß an Dienstfreistellung – in unserem Beispiel also 40 arbeitsfreie und bezahlte Stunden aus der Vollzeit-Urlaubswoche – beim Wechsel auf Teilzeit vollständig erhalten bleiben müssten. Die Teilzeitarbeitnehmerin mit zwei Arbeitstagen pro Woche würde demnach mit der aus der Vollzeit stammenden Urlaubswoche zweieinhalb Urlaubswochen zu je zwei Arbeitstagen konsumieren können.
Diesen Überlegungen hat der OGH mit vorliegendem Urteil im Wesentlichen mit zwei Argumenten eine Absage erteilt. Erstens meint er, dass auch nach der Rs Brandes nicht klar sei, ob der vom EuGH verlangte Erhalt der Dienstfreistellung in Arbeitsstunden oder Arbeitstagen auch für kalendarische Urlaubssysteme wie unser Urlaubsgesetz gelte (die einen bestimmten, in Wochen ausgedrückten Erholungszeitraum sichern). Zweitens sei das Urlaubsgesetz nach Wortlaut und Sinn so klar auf diesen kalendarischen Urlaubsbegriff festgelegt, dass österreichische Gerichte gar keinen Spielraum hätten, eine anderweitige, wenn auch allenfalls europarechtskonforme Auslegung vorzunehmen.
Für die Rechtsanwender heißt das: Die eingangs beschriebene bisherige Praxis kann unverändert beibehalten werden.