40

Arbeitsunfall eines Kraftfahrers trotz überhöhter Geschwindigkeit

MONIKAWEISSENSTEINER

Bei einer nur betrieblichen Zwecken dienenden Tätigkeit besteht der Schutz der gesetzlichen UV auch dann, wenn der Unfall in hohem Maß selbstverschuldet ist.

SACHVERHALT

Der Kl, ein Kraftfahrer mit einem Jahr Fahrpraxis, fuhr mit einem Sattelkraftfahrzeug mit weit überhöhter Geschwindigkeit auf die Autobahn auf. Dabei hatte er eine 270 Grad-Schleife zu befahren, deren Radius immer enger wurde. Er beging einen Fahrfehler („in die Kurve hineinbremsen“) und der LKW kippte um. Der Kl wurde schwer verletzt. Am Unfalltag hatte er diese Auffahrt bereits mehrmals mit überhöhter Geschwindigkeit durchfahren.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) lehnte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ab, weil der Unfall auf ein völlig unvernünftiges und unsinniges Handeln zurückzuführen sei, durch das der Kl eine selbst geschaffene Gefahr und Gefahrenerhöhung herbeigeführt habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang (zum Teil) Folge und sprach für bestimmte Zeiträume eine Versehrtenrente zu. Das Berufungsgericht gab der Berufung der AUVA keine Folge, der OGH wies deren außerordentliche Revision zurück.

ORIGINALZITATE AUS DEN ENTSCHEIDUNGSGRÜNDEN

„Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist daher davon auszugehen, dass weder verbotswidriges noch unvernünftiges oder unsinniges Verhalten jedenfalls den Versicherungsschutz ausschließt und einen bestehenden ursächlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit beseitigt (10 ObS 231/92, SSV-NF 6/108). […] Der erforderliche innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall kann nach ständiger Rechtsprechung aber wegen einer aus betriebsfremden Motiven selbstgeschaffenen Gefahr ausnahmsweise nicht mehr gegeben sein. Ein Verlust des Versicherungsschutzes bei einer selbstgeschaffenen Gefahr liegt vor, wenn der Unfall auf Handlungen in der Randzone des Schutzbereichs beruht, die auf ein völlig unvernünftiges und unsinniges Verhalten des Versicherten zurückzuführen sind, sodass demgegenüber die betriebsbedingten Verhältnisse zu unwesentlichen Nebenbedingungen und Begleitumständen des Unfalls herabsinken und die Beziehung zum Betrieb bei der Bewertung der Unfallursachen als unerheblich auszuscheiden ist. [...] Bei Verrichtungen, die wesentlich allein betrieblichen Zwecken dienen, findet der Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr keine Anwendung, da in diesem Fall der innere Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit selbst dann vorhanden ist, wenn der Unfall in hohem Maß selbstverschuldet ist (10 ObS 231/92, SSV-NF 6/108).“

ERLÄUTERUNG

Der OGH stellt in dieser Entscheidung klar, inwieweit „grob unvernünftiges“ Verhalten oder Fahrlässigkeit im Bereich der gesetzlichen UV eine Rolle spielen kann. Die AUVA hatte vorgebracht, dass zwar nicht ein einmaliges verbotswidriges Handeln, sehr wohl aber mehrfaches grob fahrlässiges Verhalten (durch zu schnelles Fahren in derselben Kurve an diesem Tag) den Schutz der gesetzlichen UV ausschließe. § 175 Abs 6 ASVG legt aber ausdrücklich fest, dass selbst ein verbotswidriges Verhalten den UV-Schutz nicht ausschließt. Nach der ständigen Judikatur ist vielmehr entscheidend: Ist trotz der vom AN selbstgeschaffenen Gefahr die berufliche Tätigkeit wesentliche (Mit)Ursache des Unfalls, oder treten die betriebsbedingten Verhältnisse bei der Beurteilung der Unfallursache völlig in den Hintergrund? (Letzteres hat der OGH zB angenommen, als ein Versicherter zwar auf dem Heimweg von der Arbeit war [„Wegunfall“], dabei aber trotz geschlossenen Bahnschrankens ohne jedes Achten auf den Zugverkehr in einem wegen Familienproblemen stark belasteten Zustand ein Telefongespräch über ebendiese Probleme führte.) Im vorliegenden Fall fand jedoch die wenn auch unvernünftige und verbotswidrige Gefahrerhöhung klar im Rahmen der die Versicherung begründenden Tätigkeit statt. Sie dient allein betrieblichen Zwecken. Auch wenn der AN grob fahrlässig gehandelt hat, ist der Unfall damit ein Arbeitsunfall und es besteht Anspruch auf Versehrtenrente.31