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IESG-Sicherungsgrenzen bei Zusammentreffen von laufendem Entgelt und Kündigungsentschädigung im selben Monat

MANFREDTINHOF

Fallen bei Austritt innerhalb eines Entlohnungszeitraums Ansprüche auf laufendes Entgelt und Kündigungsentschädigung zusammen, dann ist die Sicherung beider Ansprüche insgesamt mit dem Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 IESG beschränkt. Vom DG bzw Insolvenzverwalter auf den laufenden Entgeltanspruch gezahlte Beträge sind auf den gemeinsamen Grenzbetrag anzurechnen.

SACHVERHALT

Schuldnerin, über deren Vermögen am 27.7.2012 ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet wurde, als Angestellter beschäftigt. Er bezog ein Bruttomonatsgehalt von € 6.500,- zuzüglich mehrerer Prämien. Unter Einrechnung der laufend ausbezahlten Prämienanteile überstieg sein Monatsbezug die zweifache Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 Abs 1 ASVG.

Das Dienstverhältnis des Kl endete durch seinen vorzeitigen Austritt gem § 25 IO. Sein aliquotes Gehalt samt laufenden Prämien für den Zeitraum vom 1. bis 16.12.2012, insgesamt € 4.960,- brutto, wurde ihm aus der Masse bezahlt.

Darüber hinaus erhielt er mit der Dezemberabrechnung 2012 Jahres- und Abschlussprämien ausbe-137zahlt, so dass sich seine Bruttoeinkünfte in diesem Monat insgesamt auf € 16.116,40 beliefen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die bekl IEF-Service GmbH lehnte die Forderung des Kl auf Insolvenz-Entgelt für Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO vom 17.12. bis 31.12.2012 (Kündigungsentschädigung) ab, die er in Höhe des aliquoten (Netto-)Grenzbetrags nach § 1 Abs 4 Z 1 IESG von € 3.160,- geltend gemacht hatte. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, das Berufungsgericht änderte diese E im klagsstattgebenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Der OGH ließ die Revision zu, weil die höchstgerichtliche Rsp zur Frage der Anrechnung des bis zum Austrittstag gezahlten laufenden Entgelts auf den Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 IESG für die im selben Kalendermonat gebührende Kündigungsentschädigung einer Klarstellung bedarf. Er gab der Revision auch dahingehend Folge, dass das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wurde.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Nach § 1 Abs 4 IESG ist der jeweilige Grenzbetrag um die vom Arbeitgeber bzw der Masse auf den Einzelanspruch geleisteten Zahlungen zu vermindern, und zwar ungeachtet allfälliger abweichender Widmungen (RIS-Justiz RS0076422; 8 ObS 235/01v = RIS-Justiz RS0115913). Auch Entgeltzahlungen für einen datumsmäßig begrenzten Teil eines Entlohnungszeitraums sind auf den Monatsgrenzbetrag anzurechnen, sofern die Ansprüche ohne die Arbeitgeberzahlung der Insolvenzsicherung unterlegen wären […].

Die Überlegung des Berufungsgerichts, der Kläger wäre durch die Klagsstattgebung nicht bessergestellt, weil er ohne Austritt eine ungekürzte Masseforderung für den gesamten Dezemberbezug erworben hätte, […] vermengt den arbeitsrechtlichen Anspruch mit dem Anspruch gegen die Sicherungseinrichtung. Es steht außer Frage, dass eine Vollzahlung des Entgelts durch den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer immer günstiger ist als die Notwendigkeit, Ansprüche nach dem IESG geltend zu machen. Auf einen Vergleich zwischen arbeitsrechtlichem und gesichertem Anspruch kommt es aber nicht an, sondern auf den Vergleich zwischen dem gesicherten Anspruch bei völligem und jenem bei nur teilweisen Zahlungsausfall des Arbeitgebers. Aus dem Blickwinkel der vom Gesetz bezweckten Existenzsicherung und der gebotenen Gleichbehandlung soll in beiden Fällen insgesamt nicht weniger, aber auch nicht mehr als der Grenzbetrag der Insolvenzsicherung unterliegen. Eine Nichtanrechnung der Arbeitgeberzahlung würde bei entsprechend hohen Bezügen bewirken, dass einem bereits teilweise lohnbefriedigten Arbeitnehmer auch ein überhaupt nicht gesicherter Anspruchsteil ersetzt werden müsste (vgl 8 ObS 292/00z [freiwillige Abfertigung]). […]

Weder die Widmung des vom Insolvenzverwalter an den Kläger im Dezember 2012 ausbezahlten laufenden Entgelts, noch dessen insolvenzrechtliche Qualifikation als Masseforderung stehen nach den dargelegten Grundsätzen einer Anrechnung nach § 1 Abs 4 IESG entgegen. […]

Der Anspruch auf Schadenersatz nach § 25 Abs 2 IO entspricht der arbeitsrechtlichen Kündigungsentschädigung. Er unterliegt wie diese der Pflichtversicherung nach dem ASVG und erfüllt den Zweck, dem Arbeitnehmer das entgangene laufende, zur Bestreitung des Lebensunterhalts notwendige Entgelt zu ersetzen. Nach dem für das IESG maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff handelt es sich bei einer Kündigungsentschädigung um einen Entgeltanspruch (vgl § 1 Abs 2 Z 1 IESG), der nach ständiger Rechtsprechung auch der Betragsbeschränkung des § 1 Abs 3 Z 4 IESG unterliegt (RIS-Justiz RS0105988; 8 ObS 2291/96m; 8 ObS 2001/96i).“

ERLÄUTERUNG

§ 25 IO sieht ein Austrittsrecht von AN innerhalb eines Monats nach insolvenzrechtlicher Schließung eines Unternehmens vor, wobei die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als wichtiger Grund gilt. Als Folge des Austritts entsteht für die AN ein Schadenersatzanspruch in Form einer Kündigungsentschädigung, die grundsätzlich durch das IESG gesichert ist.

Das IESG gewährt aber keinen Anspruch auf lückenlose Sicherung. Die Herausnahme bestimmter AN-Ansprüche aus der Sicherung und die Einführung von Grenzbeträgen (sofern sie eine mit der sozialen Zielsetzung der Insolvenz-RL zu vereinbarende soziale Schwelle nicht unterschreiten) steht mit dem auf einen Mindestschutz beschränkten Regelungszweck im Einklang.

Gem § 1 Abs 3 Z 4 IESG sind Entgeltansprüche dann von der Sicherung ausgeschlossen, wenn der als Insolvenz- Entgelt begehrte Bruttobetrag den Grenzbetrag nach Maßgabe des Abs 4 übersteigt. Als dieser gilt der zweifache Betrag der Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 Abs 1 ASVG, also im Jahr 2012 € 8.460,- pro Monat.

Zum einen hatte der OGH nun zu entscheiden, ob innerhalb desselben Entlohnungszeitraums (hier: Dezember 2012) für die Anwendung des Grenzbetrags zwischen verschiedenen periodenbezogenen gesicherten Entgeltansprüchen (hier: laufendes Entgelt und Kündigungsentschädigung) zu unterscheiden ist. Dabei lässt der OGH das Argument, es gehe bei Entgelt und Schadenersatz um völlig unterschiedliche Ansprüche, die nichts miteinander zu tun hätten, nicht gelten und hält fest, dass die Sicherung beider Ansprüche zusammen mit dem Grenzbetrag nach § 1 Abs 4 IESG beschränkt ist.138

Zum anderen war zu entscheiden, ob und wie das vom Masseverwalter für Dezember 2012 bezahlte Entgelt anzurechnen ist. Die Anrechnung hat gemäß OGH stattzufinden, weil durch diese eine sachlich nicht begründete Besserstellung von AN verhindert werden soll, die ohnehin einen Teil ihrer Ansprüche vom AG hereinbringen konnten, und zwar gegenüber jenen AN, die mit ihren Ansprüchen zur Gänze auf den Insolvenzfonds angewiesen und höchstens bis zum Grenzbetrag abgesichert sind. Diese Anrechnung hat auf den Grenzbetrag von € 8.460,- zu erfolgen, so dass dieser durch die vom Masseverwalter für Dezember 2012 geleistete Zahlung bereits ausgeschöpft und daher die vom Kl beantragte Kündigungsentschädigung von 17.12. bis 31.12.2012 nicht mehr gesichert war.