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IESG-Sicherung der Kündigungsentschädigung für den Zeitraum einer freiwilligen längeren Kündigungsfrist

MANFREDTINHOF

Bei freiwilliger Einhaltung einer dreimonatigen anstelle einer sechswöchigen Kündigungsfrist und darauffolgender unberechtigter sofortiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den AG ist die Kündigungsentschädigung bis zum fiktiven Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist gesichert, wenn keine den AN gegenüber den Kündigungsbestimmungen des AngG besser stellende einzelvertragliche Vereinbarung getroffen wurde.

SACHVERHALT

Die Kl war seit 15.6.2010 bei der späteren Schuldnerin als Angestellte beschäftigt. Im Dienstvertrag war vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis unter vorheriger Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist jeweils zum 15. oder Letzten eines Monats gekündigt werden kann. Die gesetzliche Kündigungsfrist hätte im konkreten Fall sechs Wochen betragen.

Mit Schreiben vom 10.8.2011 wurde die Kl „unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist per 31.8.2011“ gekündigt. Noch vor Ablauf der Kündigungsfrist beendete der damalige AG mit 16.9.2011 das Dienstverhältnis in unberechtigter Weise.

Am 30.11.2011 erließ das Erstgericht als Arbeits- und Sozialgericht aufgrund einer von der Kl am 29.11.2011 eingebrachten Klage gegen den AG einen Zahlungsbefehl über € 13.320,03, der in Rechtskraft erwuchs. In diesem Betrag ist eine Kündigungsentschädigung für die Zeit von 17.9.2011 bis 30.11.2011 – also unter Zugrundelegung der angekündigten dreimonatigen Kündigungsfrist – enthalten.

Mit Beschluss des Erstgerichts als Insolvenzgericht vom 19.2.2013 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen AG der Kl mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

In weiterer Folge beantragte die Kl bei der Bekl (IEF-Service GmbH) die Zuerkennung ua einer Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 17.9.2011 bis 30.11.2011 als Insolvenz-Entgelt.

Mit Bescheid vom 18.7.2013 erkannte die Bekl der Kl Insolvenz-Entgelt für laufendes Entgelt vom 1.8.2011 bis 16.9.2011 sowie für Kündigungsentschädigung vom 17.9.2011 bis 30.9.2011 – also für eine bloß sechswöchige Kündigungsfrist – zu. Der geltend gemachte Anspruch auf Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 1.10.2011 bis 30.11.2011 wurde hingegen mit der Begründung abgelehnt, dass das Arbeitsverhältnis der Kl gem § 20 Abs 2 AngG am 12.8.2011 zum 30.9.2011 kündbar gewesen wäre, weshalb entsprechend § 3 Abs 3 IESG die Ansprüche der Kl nur bis zu diesem Zeitpunkt gesichert seien.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der von der Kl gegen dieses Urteil erhobenen Berufung teilweise Folge und sprach ihr Insolvenz-Entgelt für Kündigungsentschädigung von 1.10.2011 bis 31.10.2011 zu. Der OGH hielt die Revision der Kl für berechtigt und sprach ihr auch die restliche Kündigungsentschädigung von 1.11.2011 bis 30.11.2011 zu.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Richtig ist, dass der Arbeitgeber im Hinblick auf die (die Rechtsstellung der Klägerin gegenüber dem Gesetz verschlechternde) Vereinbarung über die möglichen Kündigungstermine ihr Arbeitsverhältnis am 12.8.2011 unter Einhaltung der sechswöchigen Kündigungsfrist des § 20 Abs 2 AngG zum 30.9.2011 kündigen hätte können. Daraus ist für die Beklagte jedoch nichts zu gewinnen, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die fristwidrige Auflösung vom 16.9.2011 noch vor diesem Zeitpunkt gelöst wurde. Die von der Beklagten als maßgeblich angesehene Kündigung vom 12.8.2011 hat daher das Arbeitsverhältnis der Klägerin tatsächlich nicht beendet. Durch die Kündigung vom 12.8.2011 – die weder frist- noch terminwidrig war – entstanden keine von § 3 Abs 3 IESG erfassten Ansprüche auf Kündigungsentschädigung für die Klägerin, die bis zum 16.9.2011 tatsächlich gearbeitet hat.139

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Frage des Umfangs der Sicherung der Ansprüche der Klägerin gemäß § 3 Abs 3 IESG erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, dem 16.9.2011, zu beurteilen ist.

Durch die Kündigung vom 12.8.2011 wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin ins Auflösungsstadium versetzt, die Auflösung werde erst mit Ablauf der Kündigungsfrist bewirkt (RIS-Justiz RS0028412). Dies bedeutet, dass das zunächst nicht absehbare Ende des ohne Befristung eingegangenen Arbeitsverhältnisses durch den rechtsgestaltenden Akt der Kündigung nachträglich einseitig herbeigeführt und damit ab dem Zeitpunkt der Kündigung voraussehbar gemacht wurde. Insofern wurde das Arbeitsverhältnis mit dem Zugang der Kündigung in ein solches mit bestimmter Dauer – nämlich bis zum Ende der Kündigungsfrist – umgewandelt (RIS-Justiz RS0028426; RS0021528).

Befristung und Kündigung schließen einander grundsätzlich aus (RIS-Justiz RS0028431; Reissner in ZellKomm2 § 19 Rz 38). Ein befristetes Arbeitsverhältnis darf daher (abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall einer – zulässigen – Kündigungsvereinbarung, vgl dazu 8 ObA 3/14w) nicht gekündigt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Befristung – wie hier – nicht von Anfang an vereinbart war, sondern erst durch den Zugang der Kündigung bewirkt wurde (4 Ob 50/80). Kündigt aber der Arbeitgeber das befristete Arbeitsverhältnis – wie hier – ohne eine solche Vereinbarung, wird es – sofern nicht eine ausdrückliche Vereinbarung über einen Kündigungsausschluss vorliegt – dennoch beendet; den Arbeitgeber treffen allerdings die Folgen der ungerechtfertigten vorzeitigen Auflösung (9 ObA 49/05d mwH).

Die gesetzwidrige vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin am 16.9.2011 löste das Arbeitsverhältnis der Klägerin zwar zu diesem Zeitpunkt. Die Klägerin behielt jedoch arbeitsrechtlich – insofern im Ergebnis unstrittig – gemäß § 29 AngG einen Anspruch auf Kündigungsentschädigung bis zum Ende des durch den Ausspruch der Kündigung vom 12.8.2011 mit 30.11.2011 befristeten Arbeitsverhältnisses (vgl RIS-Justiz RS0028446). Ein Fall der Einschränkung der Sicherung dieses Anspruchs unter Anwendung des § 3 Abs 3 IESG liegt nicht vor.“

ERLÄUTERUNG

Arbeitsrechtliche Ansprüche von AN sind nicht nur bei tatsächlicher Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch das IESG gesichert, auch bei Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens kann ein Sicherungsanspruch nach IESG bestehen (§ 1 Abs 1 Z 2 IESG).

Da der Zahlungsbefehl des ASG vom 30.11.2011, der ua auch die Kündigungsentschädigung bis 30.11.2011 beinhaltete, in Rechtskraft erwachsen war, hatte der OGH vorweg zu klären, ob die IEF-Service GmbH gem § 7 Abs 1 IESG an diese E gebunden ist. Diese Bindung wurde – was die Insolvenz-Entgeltsicherung betrifft – vom OGH abgelehnt. Die E des Arbeitsgerichts ist zwar für die Frage, ob und welcher Anspruch gegen den AG vorliegt, bindend. Ob dieser arbeitsrechtliche Anspruch auch gesichert ist, hat hingegen die IEF-Service GmbH selbst zu entscheiden.

Zur Klärung der Frage, ob und in welchem Ausmaß der Kündigungsentschädigungsanspruch der Kl nach IESG gesichert ist, war § 3 Abs 3 IESG zu beachten: Nach dieser Bestimmung sind der Berechnung des Insolvenz-Entgelts für gesicherte Ansprüche nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine zugrunde zu legen. Dies findet auch auf befristete Arbeitsverhältnisse Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis nicht vorher durch Fristablauf endet. Ziel der genannten Bestimmung ist es, die Sicherung der Ansprüche im Wesentlichen auf das zu beschränken, was schon allgemein durch gesetzliche oder kollektivvertragliche Regelungen vorgegeben ist. Der Insolvenz-Entgelt- Fonds soll nicht ungebührlich durch für den AN günstigere einzelvertragliche Klauseln belastet werden.

Eine solche – den Fonds belastende – einzelvertragliche Regelung wurde jedoch im konkreten Fall nicht getroffen. Denn die Vereinbarung, dass sowohl der 15. als auch der Monatsletzte als Kündigungstermin gelten sollen, begünstigte nur den AG, nicht hingegen auch die AN. Denn nach dem AngG bildet die AG-Kündigung zum Quartal den Regelfall. Dh, dass die AN gegenüber dem AngG nicht besser gestellt worden ist.

Eine solche Besserstellung hat auch die Ausdehnung der gesetzlichen sechswöchigen Kündigungsfrist auf drei Monate nicht bewirkt. Der OGH ist nämlich davon ausgegangen, dass das Dienstverhältnis mit dem Zugang der Kündigung am 12.8.2011 in ein befristetes zum 30.11.2011 umgewandelt wurde. Auf Grund der ungerechtfertigten, vorzeitigen Auflösung dieses befristeten Dienstverhältnisses zum 16.8.2011 gebührt Kündigungsentschädigung bis zum Ablauf der Befristung; folglich bis zum 30.11.2011.

Letztlich führte auch die Insolvenz des AG zu keiner Besserstellung der Kl. Denn die neuerliche – rechtswidrige – Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Kündigungsfrist mit 16.9.2011 bot der Kl im Vergleich zur Weiterbeschäftigung während des Auflösungsstadiums keinen Vorteil. Wäre sie weiterbeschäftigt gewesen, wären ihre Ansprüche auf laufendes Entgelt ebenfalls bis zum 30.11.2011 gesichert gewesen.

Durch das mangelnde zeitliche Naheverhältnis zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und140der Insolvenz des AG (1,5 Jahre) ist wohl auch die Gefahr des Missbrauchs des IESG durch Zusammenwirken von AG und AN (freiwilliges Einhalten einer längeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist mit darauffolgender unberechtigter Auflösung durch den AG) im vorliegenden Fall kein Thema.