115EuGH klärt einige Fragen zum Mindestlohn bei Entsendung
EuGH klärt einige Fragen zum Mindestlohn bei Entsendung
Der Mindestlohn gem der Entsende-RL ist nach dem Recht jenes Mitgliedstaates zu ermitteln, in dem der AN eingesetzt wird. Soll eine Geldleistung nicht tatsächlichen Aufwand, sondern allgemein Nachteile ausgleichen, die den entsendeten AN auf Grund der Entfernung von ihrem gewohnten Umfeld entstehen, sind sie Bestandteil des Mindestlohns nach der Entsende-RL. Unterbringungs- und Verpflegungsleistungen dürfen den Anspruch auf den Mindestlohn nicht verringern. Der Mindestlohn nach der Entsende-RL ist maßgeblich für das Urlaubsentgelt – unabhängig vom Urlaubsort.
Ein polnisches Unternehmen schloss für die Ausführung von Elektroarbeiten auf der Baustelle eines Kernkraftwerks in Finnland Arbeitsverträge mit 186 AN nach polnischem Recht. Diese wurden von Polen zu der finnischen Zweigniederlassung des polnischen Unternehmens entsandt und in weiterer Folge auf der gegenständlichen Baustelle beschäftigt. Untergebracht waren die AN in Wohnungen etwa 15 Kilometer von der Baustelle entfernt.
Da den AN nicht der Mindestlohn gemäß den finnischen Kollektivverträgen gezahlt wurde, haben sie ihre Forderungen einzeln zur Einziehung auf die zuständige finnische Gewerkschaft übertragen, die die Forderungen sodann in Finnland einklagte. Das polnische Unternehmen beantragte die Abweisung der Klagen und machte ua geltend, dass die finnische Gewerkschaft nicht befugt sei, im Namen der entsandten AN zu klagen, weil das polnische Recht die Übertragung von Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis verbiete.
Das finnische Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das Verbot der Übertragung von Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis nach polnischem Recht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Weiters werden verschiedene Fragen zur Klärung des Begriffes Mindestlohn nach der Entsende-RL gestellt.
Der EuGH stellt fest, dass für das finnische Gericht finnisches Verfahrensrecht anwendbar ist. Das polnische Verbot der Übertragung der Forderungen ist daher nicht relevant und es besteht kein Grund, die Klage in Frage zu stellen.
Auch für die Bestimmung der Mindestlohnsätze und die Einteilung der AN in Lohngruppen iSd Entsende- RL kommt der Gerichtshof zum Ergebnis, dass die finnischen Vorschriften maßgeblich sind. Ein Taggeld, welches die durch die Entsendung entstandenen Nachteile ausgleichen soll und nicht der Erstattung für die mit der Entsendung verbundenen Kosten, ist Bestandteil des Mindestlohns. Sinngemäßes gilt für die Wegzeitentschädigung.
Keine Bestandteile des Mindestlohns sind hingegen die Kosten für die Unterbringung und die Ausgabe von Essensgutscheinen an die AN. Diese Kosten können also vom AG nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden.
Das Urlaubsentgelt entspricht dem Mindestlohn, auf den dieser AN im Referenzzeitraum Anspruch hat. Im konkreten Fall ist also das Urlaubsentgelt zumindest in der Höhe des Mindestlohnes nach finnischem Recht zu zahlen.
„Aus Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/71 ergibt sich eindeutig, dass sich Fragen, die den Mindestlohnsatz im Sinne dieser Richtlinie betreffen, unabhängig von dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht nach dem Recht des Mitgliedstaats bestimmen, in den die Arbeitnehmer zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung entsandt sind, hier also der Republik Finnland […].142
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 96/71 eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Zum einen bezweckt diese Vorschrift, zwischen inländischen Unternehmen und Unternehmen, die länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, einen lauteren Wettbewerb sicherzustellen, da sie die letztgenannten Unternehmen dazu verpflichtet, ihren Arbeitnehmern für eine begrenzte Liste von Aspekten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zuzuerkennen, die im Aufnahmemitgliedstaat festgelegt worden sind. Zum anderen bezweckt sie, für die entsandten Arbeitnehmer sicherzustellen, dass bei den Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen für die genannten Aspekte die Regeln über den Mindestschutz dieses Mitgliedstaats angewandt werden, während die Arbeitnehmer vorübergehend im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätig sind […].
Aus den Akten ergibt sich, dass dieses Tagegeld den Arbeitnehmern nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten im Sinne von Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/71 gezahlt wird. Dieses Tagegeld soll nämlich den sozialen Schutz der betroffenen Arbeitnehmer gewährleisten, indem es die Nachteile ausgleicht, die ihnen durch die Entsendung aufgrund der Entfernung von ihrem gewohnten Umfeld entstehen. Somit ist dieses Tagegeld als ‚Entsendungszulage‘ im Sinne von Art. 3 Abs. 7 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/71 einzustufen. Nach dieser Bestimmung ist diese Zulage Bestandteil des Mindestlohns […].
Außerdem geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs klar hervor, dass der in Art. 31 der Grundrechtecharta und in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 enthaltene Begriff des ‚bezahlten Jahresurlaubs‘ bedeutet, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne dieser Vorschriften weiter zu gewähren ist und dass der Arbeitnehmer mit anderen Worten für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten muss.“
Der EuGH hat mit gegenständlicher E einige wichtige Klarstellungen getroffen, die im Hinblick auf den Grundsatz „Gleicher Lohn am gleichen Ort“ von wesentlicher Bedeutung sind.
Das Verfahrensrecht richtet sich nach dem Ort, wo das Verfahren anhängig ist. Vertragsklauseln, die die Geltendmachung von Ansprüchen betreffen, sind bei Entsendung also dann, wenn im Staat der Beschäftigung geklagt wird, nach dem Recht dieses Staates zu beurteilen.
Auch die Art und Weise der Ermittlung des Mindestlohns, der sich aus der Entsende-RL ergibt, ist nach den Rechtsvorschriften und Praktiken jenes Mitgliedstaates zu ermitteln, in dem der AN eingesetzt wird. Die Einreihung der AN in Lohngruppen richtet sich also nach dem Ort der Beschäftigung. Andererseits fordert der Gerichtshof aber auch, dass die Lohngruppen den Anforderungen an die Transparenz entsprechen müssen, was insb bedeutet, dass sie zugänglich und klar sein müssen.
Ob Leistungen wie Tagegeld oder Wegezeitentschädigung als Bestandteil des Mindestlohns anzusehen sind oder als Aufwandsentschädigungen, ist nach ihrem Zweck zu beurteilen. Auf die Bezeichnung kommt es nicht an. Sollen etwa die Kosten abgegolten werden, die AN für den Weg zu dem Arbeitsort und zurück entstehen, so liegt eine Aufwandsentschädigung vor. Sollen ganz allgemein Nachteile ausgeglichen werden, die den AN durch die Entsendung auf Grund der Entfernung von ihrem gewohnten Umfeld entstehen, dann sind sie Bestandteil des Mindestlohns.
Unterbringungskosten oder Essensgutscheine können nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden. Diese Kosten werden bezahlt, um den AN die in Folge ihrer Entsendung tatsächlich entstandenen Lebenshaltungskosten zu erstatten, und dürfen daher nicht den Anspruch auf den Mindestlohn verringern.
Der in der Grundrechtscharta und in Art 7 der Arbeitszeit-RL enthaltene Begriff des „bezahlten Jahresurlaubs“ beinhaltet, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs weiter zu gewähren ist. Der AN muss für die Zeit des Urlaubs also das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten. Der Mindestlohn nach der Entsende-RL ist also auch beim Urlaubsentgelt zu beachten, unabhängig davon, ob die AN den in Finnland erworbenen Urlaub in Finnland oder in Polen in Anspruch nehmen.143