119Durch KollV kann der zwingende kalendarische Urlaubsanspruch von fünf oder sechs Wochen nach dem UrlG nicht durch einen nach arbeitsfreien Stunden bemessenen Urlaubsanspruch ersetzt werden
Durch KollV kann der zwingende kalendarische Urlaubsanspruch von fünf oder sechs Wochen nach dem UrlG nicht durch einen nach arbeitsfreien Stunden bemessenen Urlaubsanspruch ersetzt werden
Im Anwendungsbereich des UrlG kann die Übernahme des Systems der Urlaubsgewährung nach dem VertragsbedienstetenG im Rahmen eines KollV nur zur Gänze als unwirksam angesehen werden und sind die AN auf das UrlG zu verweisen, wonach ihnen pro Arbeitsjahr zwei Urlaubsperioden von insgesamt 30 bzw 36 Werktagen zustehen.
In einer Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice wurde mit drei AN ab Jahreswechsel 2012/2013 eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit vereinbart (zB von 19 auf 37,5 Stunden = Normalarbeitszeit gemäß dem AMS-KollV). Zum Urlaubsausmaß trifft der AMSKollV folgende Regelung:
„Das Urlaubsausmaß beträgt in jedem Kalenderjahr1. 187,5 Stunden,2. 225 Stunden ab dem Kalenderjahr, in dem der/ die DN das 25. Dienstjahr vollendet hat.Bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes ist das Urlaubsausmaß für das jeweilige Kalenderjahr entsprechend dem über das gesamte Kalenderjahr gemessenen durchschnittlichen Beschäftigungsausmaß neu zu berechnen. Nicht verfallene Ansprüche auf Erholungsurlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren bleiben davon unberührt.“
Da die Entscheidungen über die Änderung des jeweiligen Arbeitszeitausmaßes kurzfristig gefallen waren, war ein Verbrauch der Resturlaube vor Jahresende nicht mehr möglich. So wie auch sonst beim bekl AMS üblich, erhöhte die DG die beim Arbeitszeitwechsel noch offenen Urlaubsstundenzahlen trotz der Erhöhung der Wochenarbeitszeit nicht.
Der Angestelltenbetriebsrat (BR) klagte auf Feststellung gem § 54 Abs 1 ASGG, dass die in Stunden ausgedrückten Resturlaube im selben Ausmaß zu erhöhen seien, wie die Wochenarbeitszeit der betroffenen AN. Wenn diese ab 2013 längere Wochenarbeitszeiten haben, führe die Nichtaufwertung der noch offenen Urlaubsstunden aus der Zeit der Teilzeitarbeit dazu, dass den Betroffenen weniger Urlaubstage bzw -wochen zur Verfügung stehen.
Die Klage wurde in allen drei Instanzen abgewiesen. Wie noch zu zeigen sein wird, führt die Rechtsauffassung des OGH allerdings materiell ohnehin zu eben jenem Ergebnis, das der BR mit seiner Klage anstrebte. Das Klagebegehren war allerdings so for-146muliert, dass ihm angesichts der Gesetzeslage nicht wörtlich stattgegeben werden konnte.
„Hier stellt sich im Ergebnis aber die Frage, inwieweit im Anwendungsbereich des Urlaubsgesetzes die Übernahme des Systems der Urlaubsgewährung nach dem Vertragsbedienstetenrecht im Rahmen eines Kollektivvertrags zulässig ist. […]
Zu 9 ObA 20/14b hat der Oberste Gerichtshof nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH, der einschlägigen Lehre und dem Schrifttum klar herausgearbeitet, dass dem Urlaubsgesetz – anders als in den vom EuGH entschiedenen Fällen – ein ‚kalendarischer‘ Urlaubsanspruch im Sinne eines Erholungszeitraums vom ersten Kalendertag nach Arbeitsende bis zum letzten Kalendertag vor Arbeitsantritt zugrunde liegt (so auch schon 8 ObA 35/12y). Dementsprechend ist dieser Urlaubsanspruch auch völlig unabhängig vom jeweiligen Beschäftigungsausmaß, sodass einerseits bei einem geringeren Beschäftigungsausmaß der Urlaubsanspruch weder nur aliquot entsteht, noch bei einer Umstellung von einem höheren Beschäftigungsausmaß auf ein geringeres Beschäftigungsausmaß aliquot zu kürzen ist, sondern immer die im Gesetz vorgesehenen und grundsätzlich in zwei Teilen zu verbrauchenden 30 bzw 36 Werktage (also fünf oder sechs Wochen) umfasst. Dementsprechend konnte das Berufungsgericht dem im Ergebnis auf Erhöhung offener Urlaubsstunden gerichteten Klagebegehren nicht stattgeben, weil – wie im Folgenden noch zu erläutern sein wird – der Urlaubsanspruch in Wahrheit gar nicht in Arbeitsstunden besteht. […]
Der wesentliche Unterschied zu diesen Vorentscheidungen liegt hier darin, dass die Kollektivvertragsparteien weitgehend das Urlaubssystem der §§ 27a ff des VBG übernommen haben. Dieses stellt (so wie die Urlaubssysteme, die dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt wurden) in den Vordergrund, dass eine gewisse Freizeit ‚erarbeitet‘ werden muss und dementsprechend der so ‚erarbeitete‘ Freizeitanspruch bei Teilzeitarbeit nur aliquot entsteht und bei einer Erhöhung der Arbeitszeit auch zu einem geringeren kalendarischen Urlaubsanspruch führt bzw umgekehrt bei einer Reduktion der Arbeitszeit ein in der Vollzeit erarbeiteter Urlaubsanspruch auch zu ganz wesentlich erhöhten Urlaubsperioden führen kann (offener Jahresurlaubsanspruch bei Umstellung von einem Vollzeitdienstverhältnis auf bloß einen Arbeitstag – Urlaubsperiode von etwa sechs Monaten). [...]
Zieht man im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs die wesentlichen vom Urlaubsgesetz zum Schutz der Arbeitnehmer vorgegebenen Wertungen heran (Freizeitperiode zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und der Gesundheit der Arbeitnehmer), so ist ein Urlaubsmodell, das es auch ermöglicht, dass sich diese Freizeitperiode verkürzt und der Urlaubsverbrauch nicht angemessen erfolgen kann, als für die Arbeitnehmer nachteilig anzusehen. Da sich die Modelle schon im Ansatz völlig unterscheiden und diese Unterscheidung auch in die verschiedensten Detailfragen durchschlägt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nur ein Detail dieses alternativen Modells wirksam und andere Teile unwirksam wären; geht es doch nicht darum, ausgehend von dem einen Modell eine allfällige Restgültigkeit der Abweichungen unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben festzustellen, sondern ist jedes Modell in sich geschlossen und nicht trennbar (vgl zuletzt etwa 8 ObA 67/14g mwN). Das vom Kollektivvertrag eingeführte alternative Urlaubsmodell kann hier also auch nicht partiell wirksam sein. […]
Da der Gesetzgeber seine Möglichkeit, den Kollektivvertragsparteien in § 12 UrlG einen größeren Spielraum – naturgemäß unter Wahrung der Vorgaben des Art 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG – einzuräumen, nicht genutzt hat, kann das von den Kollektivvertragsparteien hier gewählte alternative System nur zur Gänze als unwirksam angesehen werden und sind die Arbeitnehmer auf die Rechtsansprüche nach dem Urlaubsgesetz zu verweisen. Danach stehen ihnen grundsätzlich pro Arbeitsjahr zwei Urlaubsperioden im Ausmaß von insgesamt 30 bzw 36 Werktagen zu. Da dies dem Klagebegehren nicht zugrunde lag, war der Revision der klagenden Partei nicht Folge zu geben.“
Das Verständnis dieser E wird durch Kenntnis der Vorgeschichte erleichtert, die in der E des OGH9 ObA 20/14bDRdA-infas 2015/21 nachgelesen werden kann. Hier noch einmal kurz zusammengefasst: Der EuGH hat entschieden, dass Urlaub, der im Jahr seines Entstehens nicht verbraucht werden konnte, bei Umstellung auf eine kürzere Arbeitszeit (also zB von Vollzeit auf Teilzeit) nicht in seinem Volumen an bezahlter Freistellung von der Arbeitsleistung gekürzt werden dürfe. Ein Beispiel: Eine Resturlaubswoche aus der Vollzeitphase mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden muss nach dem EuGH bei Übertragung in die Teilzeitphase mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden dem AN weiterhin eine 40-stündige Dienstfreistellung, in diesem Fall also zwei Urlaubswochen, verschaffen.
Der österreichische OGH befand jedoch, dass diese europarechtliche Judikatur nur für solche Urlaubssysteme gelten könne, die den Urlaub nach seinem Dienstfreistellungsvolumen, insb also nach der Zahl urlaubsbedingt entfallender Arbeitsstunden bemessen. Demgegenüber baue das österreichische UrlG aber auf einem kalendarischen Urlaubsbegriff auf, dh es verfolge den Zweck, dem AN eine nach dem Kalender zu bemessende Erholungsperiode von insgesamt fünf oder – nach 25 anrechenbaren Dienstjahren – sechs Wochen Dauer zu verschaffen.
Nun haben die Kollektivvertragsparteien versucht, für die AMS-Beschäftigten – für die das UrlG gilt (!) –147im KollV eine Urlaubsbemessung nach Arbeitsstunden einzuführen. In konsequenter Fortsetzung des oben zitierten Urteils sagt der OGH nun aber wieder, das UrlG, das in nach Wochen bemessenen Freistellungsperioden denke, passe nicht mit jenem anderen Urlaubssystem zusammen (das etwa auch dem österreichischen VBG zugrunde liegt), das den Urlaub in Arbeitsstunden misst. Da der in Wochen bemessene, erholungsperiodenbezogene Urlaubsanspruch nach dem UrlG zwingend ist, ist die stundenweise Urlaubsregelung im AMS-KollV unwirksam. Deshalb also musste das Feststellungsbegehren des BR, das auf eine – wieder in Stunden bemessene! – Aufwertung des Urlaubs aus der Phase mit geringerer Arbeitszeit gerichtet war, scheitern.
Was der BR materiell wollte, stimmt aber genau mit der Sichtweise des OGH überein: Der BR wollte, dass zB eine nicht verbrauchte Urlaubswoche aus der Teilzeitphase mit 19 Wochenstunden auch nach dem Wechsel auf die Vollzeit mit 37,5 Wochenstunden dem Betroffenen als volle Urlaubswoche erhalten bleibt. Die AN respektive der für sie auftretende BR haben für dieses Anliegen mit dem vorliegenden OGH-Urteil die erforderliche Grundlage erhalten: Der in Wochen zu denkende (im Gesetzestext in „Werktagen“ ausgedrückte) Urlaub muss den AN auch bei einer Verlängerung der vereinbarten Wochenarbeitszeit in seiner kalendarischen Dimension erhalten bleiben.