135Verweisung nach längerer Abstinenz vom Arbeitsmarkt bei Angestellten
Verweisung nach längerer Abstinenz vom Arbeitsmarkt bei Angestellten
Die Verweisung von Angestellten ist davon abhängig, ob die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die ein Versicherter am Ende seiner Berufstätigkeit verfügt, nach der Berufsabsenz zum Stichtag in vergleichbaren Berufstätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt noch von Bedeutung sind. Ausgehend davon ist dann die Frage eines zumutbaren Abstiegs zu beurteilen.
Der 1961 geborene Kl hat eine Lehre als Großhandelskaufmann abgeschlossen. Bis 16.4.2007 war er als angestellter Geschäftsführer eines Unternehmens in Liechtenstein tätig. Nach dem Ende seiner Berufstätigkeit bezog er aus Liechtenstein zwei Jahre Krankengeld. Am 16.4.2009 stellte er den Antrag auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension. Mit Bescheid vom 24.9.2012 wies die Bekl diesen Antrag mit der Begründung ab, dass Berufsunfähigkeit nicht vorliege.
Das Erstgericht wies das gegen den abweislichen Bescheid gerichtete Klagebegehren ab. Die Berufstätigkeit des Kl als angestellter Geschäftsführer in Liechtenstein war analog einer Anstellung in der Verwendungsgruppe VI des (österreichischen) KollV für Gewerbeangestellte zu sehen. Mit dem medizinischen Leistungskalkül des Kl sind nur mehr der Verwendungsgruppe IV entsprechende Berufstätigkeiten vereinbar. Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, auch im vorliegenden Fall sei die Rsp anwendbar, nach der bei Versicher-159ten, die vor dem Stichtag jahrelang in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden seien, bei Überprüfung der Verweisbarkeit der soziale Wert maßgeblich sei, den die Kenntnisse und Fähigkeiten, die bei der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zum Stichtag haben. Es sei davon auszugehen, dass „der soziale Wert“ der zuletzt vom Kl ausgeübten Tätigkeit unter den zum Stichtag am Arbeitsmarkt herrschenden Verhältnissen nur noch jenem einer Tätigkeit der Verwendungsgruppe IV entspreche. Die Verweisung auf Tätigkeiten in dieser Verwendungsgruppe sei nicht unzumutbar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Die Revision sei zulässig, weil noch keine oberstgerichtliche E dazu bestehe, ob die zu einer langjährigen Berufsabsenz entwickelte Judikatur, auch für eine nur zweijährige Abwesenheit vom Arbeitsmarkt zum Tragen komme. Der OGH hob die E des Berufungsgerichts auf und verwies zur ergänzenden Sachverhaltsklärung zurück an die erste Instanz.
„Die Pensionsversicherung der Angestellten ist […] eine Berufsversicherung (Berufsgruppenversicherung), deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustands einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat […]
Der Versicherte darf innerhalb seiner Berufsgruppe nicht auf eine Berufstätigkeit verwiesen werden, deren Ausübung für ihn mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden wäre. Hiefür ist die Einschätzung der Allgemeinheit maßgebend. Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag kann ein Indiz für diese Einschätzung bilden und daher zur Beurteilung des sozialen Werts einer Tätigkeit herangezogen werden. Die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet ist, ist in der Regel zulässig […]. Gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige muss ein Versicherter hinnehmen […]. Grundsätzlich gilt, dass bei der Feststellung, ob ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension besteht, die Verhältnisse am Stichtag berücksichtigt werden müssen. Ebenso wie der körperliche und geistige Zustand des Versicherten am Stichtag maßgebend ist, ist auch die Frage seiner Verweisbarkeit nach den Verhältnissen zum Stichtag zu beurteilen. Es kommt daher auch bei der Lösung der Frage eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Stichtags haben […].
Nicht maßgeblich sind hingegen jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Versicherte am Stichtag noch besitzt, weil sich danach die Frage eines unzumutbaren sozialen Abstiegs nicht richten kann. Der Verlust von Kenntnissen und Fähigkeiten geht nämlich in der Regel gerade auf den geistigen und körperlichen Zustand des Versicherten zum Zeitpunkt des Stichtags zurück. Es kommt daher auf jene Ausbildung und auf jene Kenntnisse und Fähigkeiten an, die im zuletzt ausgeübten Beruf erforderlich waren und auch angewendet wurden. Die Lösung der Frage des sozialen Abstiegs hängt dann davon ab, welchen Wert die Allgemeinheit dieser Ausbildung und diesen Kenntnissen und Fähigkeiten zur Zeit des Stichtags nach beimisst […].“
Erläutert wird in dieser E die Verweisbarkeit von Angestellten nach längerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt. Die Beurteilung erfolgt zweigliedrig. Zunächst ist der soziale Wert des früher ausgeübten Berufes aus aktueller Sicht, also zur Zeit des Pensionsstichtages, zu klären. Der soziale Wert einer Tätigkeit ist die gesellschaftliche Beurteilung, welche regelmäßig ihren Ausdruck in Kollektivvertragsstufen findet. Dieser soziale Wert kann nach dem Ende der ausgeübten Tätigkeit bis zum Stichtag geringer werden, weil sich zB die Berufswelt durch den Einsatz der EDV wesentlich geändert hat. Ob dies der Fall ist, ist auch nach nur zweijähriger Abwesenheit vom Arbeitsmarkt zu prüfen. Im ersten Schritt wird das Erstgericht also gemäß dem Auftrag des OGH (durch einen Berufssachverständigen) zu prüfen haben, ob die zwei Jahre vor dem Stichtag beendete konkrete Geschäftsführertätigkeit aktuell noch immer eine Einordnung in die Verwendungsgruppe 6 des KollV rechtfertigen würde, oder ob wegen des Wertverlusts traditioneller Kenntnisse und Fertigkeiten die damalige Tätigkeit zB nur mehr in Gruppe 5 einzureihen wäre.
Angenommen, in nur zwei Jahren wäre der soziale Wert der damaligen Tätigkeit nicht abgesunken, der Ex-Geschäftsführer wäre zum Stichtag also weiter in Gruppe 6 einzureihen gewesen: Dann sind im zweiten Schritt die Verweisungsmöglichkeiten anhand des vorliegenden Leistungskalküls – also unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Probleme des Kl – in Hinblick auf die Kollektivvertragsgruppe 6 oder 5 („zumutbarer sozialer Abstieg“ um eine Kollektivvertragsstufe) zu prüfen. Dabei wird festgestellt, ob es Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die mit dem zum Stichtag vorliegenden Leistungskalkül in den zulässigen Verweisungsgruppen des KollV noch ausgeübt werden können.
Kommt das Erstgericht hingegen zum Befund, dass die damalige Tätigkeit des Kl heute nur mehr Stufe 4-wertig wäre, kann er auf Tätigkeiten der Stufe 4 (oder 3) verwiesen werden. Nachdem die Feststellungen des Erstgerichtes dafür nicht ausreichend waren, wurde die Rechtssache zurückverwiesen.160