Gutgläubiger Verbrauch des Arbeitsentgelts – insb bei fehlerhafter Abrechnung durch den Arbeitgeber in der Vergangenheit

FELIXSCHÖRGHOFER
In der Praxis kann es dazu kommen, dass AN irrtümlich ein höheres Entgelt ausbezahlt wird, als ihnen nach den anwendbaren Rechtsgrundlagen zusteht. Nach stRsp seit dem Jahr 1929* kann der AN einer bereicherungsrechtlichen Rückforderung durch den AG unter bestimmten Voraussetzungen den gutgläubigen Verbrauch der empfangenen Leistung entgegenhalten.Im vorliegenden Beitrag wird ein Überblick über die Voraussetzungen für den Ausschluss der Rückforderung geboten. Untersucht wird insb, ob sich der AG darauf berufen kann, dass ihm in der Vergangenheit (mehrmals) Fehler beim Erstellen des Lohnzettels oder bei der Arbeitszeitaufzeichnung unterlaufen sind, und dass der AN deshalb nicht auf die Richtigkeit der Entgeltleistung vertrauen durfte.
1.
Rechtsgrundlose Leistung

Der mögliche Einwand des AN, er habe das Entgelt gutgläubig verbraucht, ist bei Leistungen relevant, die rechtsgrundlos erbracht werden. Erfüllt der AG eine geschuldete Leistung, kommt eine bereicherungsrechtliche Rückforderung von vornherein nicht in Betracht. Das Gleiche gilt, wenn der Empfänger eine Zahlung als Anerkenntnis einer strittigen Leistung werten konnte.* Zu einer rechtsgrundlosen Leistung kann es durch einen Irrtum kommen. Der AG kann über Tatsächliches geirrt haben oder über den Rechtsgrund.* Irrt der AG über die Lohnsteuer, kann der gutgläubige Verbrauch einer Rückforderung allerdings nicht entgegengehalten werden.* Die Rsp hat den Einwand des gutgläubigen Verbrauchs auch in Fällen geprüft, in denen der AG eine Leistung zurückfordert, weil die Rechtsgrundlage nachträglich weggefallen ist.* Ein Beispiel ist die rückwirkende Herabsetzung einer gesetzlichen Zulage, der AG kann die ausbezahlte Zulage nicht zurückfordern, wenn der AN sie bereits gutgläubig verbraucht hat.*

2.
Leistung mit Unterhaltscharakter

Trotz Kritik in der Lehre* beschränkt die Rsp den Ausschluss der Rückforderung auf Leistungen mit Unterhaltscharakter. Es kommt also darauf an, ob durch die Leistung der Lebensunterhalt des Empfängers gefördert werden sollte.* Diese Funktion bejaht der OGH (teilweise ohne weitere Prüfung) für wesentliche Entgeltbestandteile wie das laufende Entgelt, Sonderzahlungen und Zulagen.* Bei einem Urlaubszuschuss oder einer Weihnachtsremuneration, die der AN anteilig zurückzahlen muss, weil sein Dienstverhältnis vor Ablauf des Kalenderjahres endet, kann der gutgläubige Verbrauch jedoch nicht eingewendet werden.*

3.
Verbrauch

Erforderlich ist, dass die empfangene Leistung bereits verbraucht wurde. Der Mehrverbrauch muss durch den Mehrempfang verursacht worden sein.* Ebenso wie der Unterhaltscharakter wird auch der Verbrauch der Leistung durch den Empfänger in der Judikatur nicht eingehend geprüft. Stattdessen wird der Verbrauch vermutet, der AG muss den (schwierigen) Beweis führen, dass der Verbrauch bisher nicht erfolgt ist.12)* Im Schrifttum wird die Vermutung des Verbrauchs insb für AN mit hohem Einkommen kriti-174siert.* Es soll also auf die Höhe des tatsächlich geschuldeten Grundverdienstes ankommen. Inwieweit die Rsp der genannten Kritik folgen wird, scheint noch offen. Eine außergewöhnliche Höhe nicht des geschuldeten Entgelts, sondern der rechtsgrundlosen Leistung kann dem guten Glauben des AN jedenfalls entgegenstehen (dazu sogleich).

4.
Guter Glaube
4.1
Allgemein

Die Rückforderung ist nur ausgeschlossen, wenn der AN die Leistung gutgläubig empfangen und verbraucht hat. Die Gutgläubigkeit des AN wird vermutet (§ 328 ABGB). Der AG muss in einem Prozess das Fehlen der Gutgläubigkeit also behaupten und beweisen.* Der gute Glaube des AN fehlt, wenn er vom Irrtum des AG weiß oder wissen musste, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit ausreicht.* Die Redlichkeit des AN fällt daher weg, wenn er „– nicht nach seinem subjektiven Wissen, sondern objektiv beurteilt – an der Rechtmäßigkeit des ihm ausgezahlten Bezugs auch nur Zweifel hätte haben müssen“.* Der Maßstab wird nach „der jeweiligen beruflichen Stellung“ des AN ermittelt, auch auf die Allgemeinbildung und die Vertrautheit mit den Rechtsgrundlagen aufgrund der Beschäftigungsdauer wird abgestellt.* Bei einem Buchhalter oder einem juristischen Mitarbeiter der Personalabteilung wird man den guten Glauben also eher ausschließen können als bei einem Praktikanten. In einer aktuellen E berücksichtigt der OGH, dass dem AN die Unrichtigkeit nach einer tatsächlich erfolgten Internetrecherche erkennbar war. Allgemein gilt, dass der AN auf die korrekte Auszahlung durch den AG vertrauen darf. Es braucht also einen besonderen Grund, warum dieses Vertrauen des AN im Einzelfall „erschüttert“ sein soll.*

Die Fälle, in denen der OGH den guten Glauben verneint hat, wurden bereits mehrmals ausführlich gesammelt.* Man kann aus dieser Rsp die Maßgeblichkeit verschiedener Kriterien ableiten. Eine wesentliche Rolle spielt die Höhe der rechtsgrundlosen Leistung, und zwar insb im Verhältnis zum geschuldeten Entgelt.* Umgekehrt sprechen eine komplizierte und/oder intransparente Abrechnung für den guten Glauben des AN, ebenso wie Schwankungen des geschuldeten Entgelts.21) Diese und weitere Kriterien erfordern eine Prüfung im Einzelfall.

4.2
Die Bedeutung fehlerhafter Abrechnungen durch den AG in der Vergangenheit

An dieser Stelle ist zu klären, ob sich der AG bei der Prüfung des guten Glaubens erfolgreich darauf berufen kann, dass ihm bei der Aufzeichnung oder Abrechnung in der Vergangenheit bekanntermaßen regelmäßig Fehler unterlaufen sind. Kann das Wissen über diese Fehler dem guten Glauben des AN über die Rechtmäßigkeit des empfangenen Entgelts entgegenstehen?

Der AN ist natürlich dann nicht gutgläubig, wenn er in der entscheidenden Berechnung einen Fehler tatsächlich erkennt. Da dieser Beweis schwierig zu führen ist, kommt es aber meist auf die Frage an, ob der AN erkennen musste, dass die Berechnung durch den AG nicht in Ordnung war. Fraglich ist daher, ob die bekannte Fehlergeneigtheit zu einem strengeren Sorgfaltsmaßstab des AN führt. Der bloße Hinweis des AG auf die Fehleranfälligkeit der Berechnung kann den guten Glauben des AN nicht ausschließen. Das würde auf die Möglichkeit eines Vorbehalts des AG zur Verhinderung des gutgläubigen Verbrauchs hinauslaufen, die im Schrifttum abgelehnt wird.* Relevant könnte es also, wenn überhaupt, nur sein, wenn in der Vergangenheit tatsächlich gehäuft Fehler aufgetreten sind und der AN davon Kenntnis erlangt hat.

Aber auch an dieser eingeschränkten Bedeutung vergangener Fehlberechnungen durch den AG kann gezweifelt werden. In einer E erwähnt der OGH zwar, dass dem Beschäftigten bekannt war, dass das Vorstandsmitglied, das die von einer Mitarbeiterin erstellte Abrechnung unterzeichnete, nicht in der Lage war, die Richtigkeit zu beurteilen.* Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass die bekannte Unfähigkeit des AG den guten Glauben des AN automatisch ausschließt. Der OGH hat den guten Glauben im Anlassfall wohl vor allem aufgrund des Verhaltens des AN verneint. Dieser wusste, dass die eigentlich zuständige Mitarbeiterin die Rechtmäßigkeit der Leistung nicht überprüfen konnte, da ihr sein Dienstvertrag nicht zugänglich war, weil er ihn in seinem Schreibtisch verwahrte.

Aus einer anderen E ist erkennbar, dass der OGH darauf abstellt, ob aus dem bisherigen Geschehen eine „Sensibilisierung“ des AN für den jeweiligen Entgeltbestandteil folgt.* Wenn der AN wusste, dass der AG175in Verhandlungen die Zahlung einer freiwilligen Abfertigung mehrfach ablehnte, musste er an der Richtigkeit einer dennoch erfolgten Auszahlung zweifeln. Ein vergleichbarer Fall liegt jedoch wohl nur vor, wenn in der Vergangenheit Fehler in Bezug auf denselben Entgeltbestandteil aufgedeckt wurden, den der AG nunmehr wieder rechtsgrundlos geleistet hat und nun zurückfordert. Zudem müssen diese Fehler (zumindest auch) jenen AN betroffen haben, dessen guter Glaube bei der Rückforderung geprüft wird. Die Richtigkeit der Entlohnung anderer Beschäftigter kann und muss der AN in der Regel nicht verfolgen. Auch der zeitliche Zusammenhang muss dabei berücksichtigt werden. Ein Fehler bei der Berechnung muss den AN nicht in eine permanente Alarmbereitschaft in Bezug auf die Richtigkeit sämtlicher Bezüge versetzen.

Gegen die Berücksichtigung aufgetretener Fehler spricht, dass der AG dadurch von seiner eigenen Sorglosigkeit profitieren würden. Dieser Gedanke ist besonders in Bezug auf schriftliche Abrechnungen oder Aufzeichnungen relevant, zu denen der AG verpflichtet ist. Er muss dem AN monatlich eine Abrechnung des Arbeitslohns aushändigen (§ 78 Abs 5 EStG), worin teilweise eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht gesehen wird.* Die Verpflichtung beschränkt sich auf die Anführung des Bruttolohnes, allerdings sind geleistete Überstunden in der Abrechnung auszuweisen (§ 26 Abs 7 AZG). Daneben ist der AG nach Maßgabe des § 26 AZG verpflichtet, Aufzeichnungen über die Arbeitszeit zu führen. Nach dem mit dem ASRÄG 2014* eingeführten § 26 Abs 8 AZG hat der AN das Recht, monatlich die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen zu verlangen. Neben diesen gesetzlichen Verpflichtungen kann aus dem KollV die Verpflichtung des AG zu einer genaueren Abrechnung folgen.* Eine Verpflichtung zu einer genauen Abrechnung kann auch in einer BV verankert werden (§ 97 Abs 1 Z 3 ArbVG).* Diesen Rechtsgrundlagen immanent ist die Verpflichtung zu einer korrekten Abrechnung durch den AG. Es wäre ein seltsames Ergebnis, wenn der AG aus Fehlern in diesen Dokumenten und damit aus pflichtwidrigem Verhalten einen Vorteil ziehen könnte. Dieser Gedanke liegt erkennbar der Hemmung der Verjährung bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach dem AZG zugrunde (§ 26 Abs 9 AZG). Nach der Rsp kann sich der AG außerdem auf eine Verfallsklausel nicht berufen, wenn er eine Verpflichtung zur Gehaltsabrechnung verletzt hat.* Vorbehaltlich einer genauen Untersuchung kann diese Wertung für den Ausschluss der Rückforderung übernommen werden.

Dazu kommt, dass häufige Fehler des AG bei der Abrechnung ein kompliziertes Abrechnungssystem indizieren können. Wie bereits dargelegt wurde, führen Intransparenz und Komplexität dazu, dass Beschäftigte seltener an der Richtigkeit der Auszahlung zweifeln müssen.

Regelmäßige Fehler in der Abrechnung können im Einzelfall sogar zu einer Herabsetzung des Sorgfaltsmaßstabs führen. Es wird behauptet, der AN müsse, um sorgfältig zu handeln, seinen Gehaltszettel lesen.* Das OLG Wien hat den guten Glauben eines Beschäftigten verneint, wenn der Irrtum des AG bereits durch eine „oberflächliche Überprüfung“ der Gehaltsabrechnung erkennbar gewesen wäre.* Treten in gewisser Regelmäßigkeit Fehler in den Aufzeichnungen des AG auf und führen diese nicht tatsächlich zu einer falschen Auszahlung, wird das den AN aber nicht mehr zu einer strengeren Prüfung der Abrechnung anregen, sondern berech-tigterweise zu seiner Resignation führen. Wieso sollte ein AN den Aufzeichnungen des AG Aufmerksamkeit schenken, wenn er sich auf sie bekanntermaßen nicht verlassen kann?

Im Ergebnis kann der Hinweis des AG auf seine bekannte Fehleranfälligkeit bei der Berechnung und Auszahlung des Entgelts den guten Glauben des AN über die Rechtmäßigkeit einer späteren Leistung nur in Ausnahmefällen gefährden. Zuzustimmen ist damit der Meinung Spielbüchlers zum guten Glauben des AN: „Selbst chronische Schlampereien oder notorische Computerfehler wird man zu Lasten des Arbeitgebers gehen lassen.“*

5.
Zusammenfassung

Der Ausschluss der Rückforderung zu viel bezahlten Entgeltes steht unter mehreren Voraussetzungen. Aufgrund der Rsp reduziert sich die Anwendung oftmals auf die Überprüfung des guten Glaubens des AN. Bei dieser Überprüfung sind im Einzelfall mehrere Kriterien zu berücksichtigen. Wie gezeigt wurde, ist das mehrmalige und bekannte Auftreten von Fehlern des AG bei der Abrechnung in der Vergangenheit typischerweise nicht geeignet, den guten Glauben des AN in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des ausbezahlten Entgelts zu erschüttern.

Eine andere Frage ist, ob der gute Glaube des AN strenger zu prüfen ist, wenn die rechtsgrundlose Leistung, deren Rückforderung geprüft wird, mehrmals und gleichförmig erfolgt. In einer aktuellen E scheint der OGH dies nicht zu berücksichtigen.* Abhängig vom Einzelfall ist zu bedenken, dass die Wiederholung einer irrigen Leistung gerade nicht zu auffälligen Schwankungen führt, die nach den oben dargestellten Grundsätzen die Aufmerksamkeit des AN erregen müssen und damit seinem guten Glauben entgegenstehen.176